Wittgensteins Mätresse - eBook-Ausgabe
Roman
„In keinem anderen Buch lauert direkt hinter den Sätzen eine solche Schwärze. Niemand hat der Einsamkeit bisher so brutal ehrlich und bis hin zur Unlesbarkeit abgebildet. […] „Wittgensteins Mätresse“ besteht nur aus der Konfrontation des Individuums mit sich selbst.“ - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Wittgensteins Mätresse — Inhalt
Die Künstlerin Kate hält sich für den letzten Menschen auf Erden. Doch gab es sie wirklich – jene Apokalypse, die nur sie allein verschont hat? Oder ist Kate wahnsinnig? In einem Strandhaus an einer unbekannten Küste dokumentiert eine Frau ihre Suche nach den Überlebenden einer namenlosen Katastrophe, durchforstet ihre Erinnerung an Kunstwerke, Bücher und Artefakte einer untergegangenen Zivilisation. Und während Kate rastlos über den Globus reist, in den größten Museen der Welt übernachtet und an den verlassenen Monumenten unserer Kultur umherstreicht, entspinnt sich wie nebenbei eine irrwitzige Geschichte der westlichen Welt: von Homer, der womöglich eine Frau war, über Aristoteles’ Lispeln bis zu Rembrandts rostbrauner Katze, von Guy de Maupassants Abneigung gegenüber dem Eiffelturm zu Brahms’ Abneigung gegenüber Kindern. Doch dann und wann, tief verborgen zwischen den Zeilen, scheint eine Trauer auf, die vermuten lässt, dass Kates Geschichte womöglich eine ganz andere ist …
Leseprobe zu „Wittgensteins Mätresse“
Am Anfang hinterließ ich manchmal Botschaften auf der
Straße.
Jemand lebt im Louvre, lauteten einige dieser Botschaften.
Oder in der National Gallery.
Natürlich konnten sie so nur lauten, wenn ich in Paris oder
London war. Jemand lebt im Metropolitan Museum, so lauteten
sie nämlich, als ich noch in New York war.
Niemand kam, selbstverständlich. Schließlich hörte ich
auf, Botschaften zu hinterlassen.
Um die Wahrheit zu sagen, vielleicht hinterließ ich insgesamt
nur drei oder vier Botschaften.
Ich habe keine Ahnung, wie lange es her ist, seit ich das
getan habe. [...]
Am Anfang hinterließ ich manchmal Botschaften auf der
Straße.
Jemand lebt im Louvre, lauteten einige dieser Botschaften.
Oder in der National Gallery.
Natürlich konnten sie so nur lauten, wenn ich in Paris oder
London war. Jemand lebt im Metropolitan Museum, so lauteten
sie nämlich, als ich noch in New York war.
Niemand kam, selbstverständlich. Schließlich hörte ich
auf, Botschaften zu hinterlassen.
Um die Wahrheit zu sagen, vielleicht hinterließ ich insgesamt
nur drei oder vier Botschaften.
Ich habe keine Ahnung, wie lange es her ist, seit ich das
getan habe. Müsste ich schätzen, ich glaube, ich würde zehn
Jahre schätzen.
Möglicherweise ist es auch einige Jahre länger her. Allerdings.
Und selbstverständlich war ich für eine bestimmte Periode
auch nicht bei Sinnen. Damals.
Ich weiß nicht, für wie lange, aber für eine bestimmte Periode.
Aus der Zeit gefallen. Eine Redewendung, die ich, wie ich
vermute, vielleicht nie richtig verstanden habe, jetzt, da ich sie
gerade verwende.
Bedeutet aus der Zeit gefallen wahnsinnig, oder bedeutet
aus der Zeit gefallen einfach vergessen?
Aber in jedem Fall gab es kaum einen Zweifel an diesem
Wahnsinn. Wie zum Beispiel damals, als ich in jenen obskuren
Winkel der Türkei fuhr, um die Stätte des alten Troja
aufzusuchen.
Und aus irgendeinem Grund wollte ich besonders den
Fluss dort sehen, über den ich auch etwas gelesen hatte und
der an der Zitadelle vorbei zum Meer fließt.
Ich habe den Namen des Flusses, der in Wirklichkeit ein
schlammiger Bach war, vergessen.
Und außerdem meine ich nicht zum Meer, sondern in die
Dardanellen, die einst der Hellespont genannt wurden.
Der Name Troja ist natürlich auch geändert worden. In
Hisarlik ist er geändert worden.
Mein Besuch war in vielerlei Hinsicht eine Enttäuschung,
die Stätte erstaunlich klein. Praktisch nicht viel mehr als ein
gewöhnlicher Häuserblock und ein paar Stockwerke hoch.
Dennoch konnte man von den Ruinen aus den Berg Ida
sehen, über all diese Entfernung hinweg.
Sogar im späten Frühling war noch Schnee auf dem Berg.
Jemand ging dorthin, um zu sterben, glaube ich, in einer
der alten Geschichten. Paris vielleicht.
Ich meine natürlich den Paris, der Helenas Geliebter gewesen
war. Und der verwundet wurde fast am Ende dieses
Krieges.
In der Tat war es Helena, an die ich hauptsächlich dachte,
als ich in Troja gewesen bin.
Ich wollte gerade hinzufügen, dass ich eine Zeit lang sogar
träumte, die griechischen Schiffe lägen dort noch am Strand.
Nun, es wäre ja harmlos genug gewesen, das zu träumen.
Von Hisarlik ist das Wasser vielleicht eine Stunde Fußmarsch
entfernt. Was ich als Nächstes geplant hatte, war, ein
gewöhnliches Ruderboot zu nehmen, damit überzusetzen und
dann weiter über Jugoslawien nach Europa zu fahren.
Möglicherweise meine ich Jugoslawien. Auf jeden Fall gibt
es auf dieser Seite der Meerenge Denkmäler für die Soldaten,
die dort im Ersten Weltkrieg gestorben sind.
Auf der Seite, auf der Troja liegt, kann man ein Denkmal
finden, wo Achilles begraben wurde, was so viel länger her ist.
Nun, man sagt halt, dass es dort sei, wo Achilles begraben
wurde.
Dennoch finde ich es außergewöhnlich, dass junge Männer
dort starben, in einem längst vergangenen Krieg, und dann am
selben Ort gestorben sind, dreitausend Jahre danach.
Aber wie dem auch sei, ich änderte meinen Plan, den
Hellespont überqueren zu wollen. Womit ich die Dardanellen
meine. So suchte ich mir ein Motorboot aus und nahm stattdessen
den Weg über die griechischen Inseln und Athen.
Obwohl ich nur eine aus dem Atlas herausgerissene Seite
hatte statt einer Seekarte, kostete es mich nur zwei gemächliche
Tage, um nach Griechenland zu kommen. Vieles über
diesen alten Krieg war zweifellos stark übertrieben.
Dennoch, bestimmte Dinge können eine Saite anrühren.
Wie zum Beispiel ein oder zwei Tage danach den Parthenon
zu sehen, in der späten Nachmittagssonne.
Es war in diesem Winter, in dem ich im Louvre lebte,
glaube ich. Da verbrannte ich Artefakte und Bilderrahmen, der
Wärme wegen, in einem schlecht belüfteten Raum.
Aber dann, bei den ersten Anzeichen von Tauwetter, wechselte
ich die Fahrzeuge, sobald mir das Benzin auszugehen
begann,
und begab mich auf den Heimweg quer durch Russland.
All das ist unbestreitbar wahr, wenn auch, wie gesagt, lange
her. Und ich mag, wie auch schon gesagt, wohl wahnsinnig gewesen
sein.
Aber dann wiederum bin ich mir überhaupt nicht sicher,
wahnsinnig gewesen zu sein, als ich davor nach Mexiko gefahren
bin.
Möglicherweise davor. Um das Grab eines Kindes namens
Adam, das ich verloren hatte, zu besuchen. Noch lange vor all
diesem.
Warum habe ich geschrieben, sein Name war Adam?
Simon war der Name meines kleinen Sohnes.
Aus der Zeit gefallen. Bedeutet das, man kann auch nur
für einen Augenblick den Namen seines einzigen Kindes vergessen,
das jetzt dreißig wäre?
Ich bezweifle dreißig. Ungefähr sechsundzwanzig oder
siebenundzwanzig.
Bin ich fünfzig, also?
Es gibt nur einen Spiegel. Hier, in diesem Haus am Strand.
Vielleicht sagt der Spiegel fünfzig.
Meine Hände sagen das. Es zeigt sich jetzt an meinen
Handrücken.
Andererseits menstruiere ich noch immer. Unregelmäßig,
so dass es oft für Wochen so vor sich hingeht, aber dann wieder
nicht eintritt, bis ich es fast vergessen habe.
Vielleicht bin ich nicht älter als siebenundvierzig oder
achtundvierzig. Ich bin sicher, dass ich einmal versucht habe,
behelfsmäßig Buch zu führen, möglicherweise über die Monate,
aber sicherlich wenigstens über die Jahreszeiten. Aber ich
erinnere mich sogar nicht einmal mehr, wann es war, dass ich
einsah, dass ich schon längst den Faden verloren hatte.
Dennoch glaube ich, ich war kurz davor, vierzig zu werden,
damals, als all dies angefangen hat.
Wie ich jene Botschaften hinterließ, war mit weißer Farbe.
In riesigen Blockbuchstaben, auf Kreuzungen, wo jeder, der
kam oder ging, sie sehen würde.
Ich verbrannte auch Artefakte und bestimmte andere Gegenstände,
als ich im Metropolitan Museum war. Natürlich.
Nun, und hatte dort ständig ein Feuer, im Winter.
Dieses Feuer war anders als das Feuer, das ich im Louvre
hatte. Wo ich das Feuer im Metropolitan machte, war in der
großen Halle, da, wo man hinein- und hinausgeht.
In der Tat baute ich darüber auch einen hohen Kamin aus
Blech. So dass der Rauch zu den Oberlichten hoch darüber
abziehen konnte.
Was ich tun musste, war, Löcher in die Oberlichte schießen,
nachdem ich den Kamin errichtet hatte.
Das tat ich mit einer Pistole, recht vorsichtig, in einem
Winkel von einem der Balkone, so dass der Rauch hinaus-,
aber der Regen nicht hineinkommen würde.
Regen kam herein. Nicht viel Regen, aber etwas.
Nun, schließlich kam er auch durch andere Fenster, als jene
von selbst zerbrachen. Oder durch das Wetter.
Fenster zerbrechen noch immer. Mehrere sind hier zerbrochen,
in diesem Haus.
Gegenwärtig ist es Sommer, freilich. Auch macht der Regen
mir nichts aus.
Von oben kann man das Meer sehen. Hier unten sind Dünen,
die einem den Blick versperren.
In Wirklichkeit ist das mein zweites Haus am selben
Strand. Das erste habe ich niedergebrannt. Ich bin immer
noch nicht sicher, wie das passiert ist, obwohl, vielleicht hatte
ich gekocht. Für einen Augenblick bin ich zu den Dünen gegangen,
um zu urinieren, und als ich zurückschaute, stand alles
in Flammen.
Diese Strandhäuser sind alle aus Holz, selbstverständlich.
Alles, was ich tun konnte, war, bei den Dünen zu sitzen und es
brennen sehen. Es brannte die ganze Nacht.
Ich bemerke noch immer das verbrannte Haus, in der Früh,
wenn ich am Strand entlanggehe.
Nun, offensichtlich bemerke ich nicht das Haus. Was ich
bemerke, sind die Überreste des Hauses.
Man ist allerdings noch immer geneigt, an ein Haus als ein
Haus zu denken, selbst wenn nicht besonders viel davon übriggeblieben
ist.
Dieses hat sich ziemlich gut gehalten, wenn ich es recht
bedenke. Der nächste Schnee wird mein dritter hier sein,
glaube ich.
Wahrscheinlich sollte ich eine Liste aufstellen, wo ich sonst
noch gewesen bin, wenn auch nur zu meiner eigenen Erbauung.
Ich meine, angefangen mit meinem alten Loft in Soho,
vor dem Metropolitan. Und dann meine Reisen.
Obwohl ich zweifellos inzwischen die meisten davon auch
nicht mehr zusammenbekomme.
Ich erinnere mich, wie ich eines Morgens in einem rechtsgesteuerten
Automobil saß und beobachtete, wie Stratfordupon-
Avon einschneite, was sicherlich selten sein muss.
Nun denn, und wie ich einmal in demselben Winter fast
von einem Auto mit niemandem am Steuer angefahren wurde,
das einen Hügel nahe Hampstead Heath hinuntergerollt kam.
Es gab eine Erklärung dafür, dass das Auto den Hügel herunterkam,
mit niemandem am Steuer.
Die Erklärung war der Hügel. Offensichtlich.
Auch dieses Auto war rechtsgesteuert. Obwohl das vielleicht
nicht besonders wichtig ist für irgendetwas.
Und in jedem Fall habe ich vielleicht einen Fehler gemacht,
vorher, als ich sagte, ich hätte eine Botschaft auf der Straße
hinterlassen, die lautete, jemand lebt in der National Gallery.
Wo ich in London gelebt habe, war die Tate Gallery, wo so
viele Gemälde von Joseph Mallord William Turner sind.
Ich bin recht sicher, dass ich in der Tate gelebt habe.
Dafür gibt es ebenfalls eine Erklärung. Die Erklärung ist,
dass man von dort aus den Fluss sehen kann.
Beim Alleinleben neigt man dazu, den Blick aufs Wasser
zu bevorzugen.
Ich habe immer auch Turner bewundert, allerdings. Tatsächlich könnten seine eigenen Wasserbilder wohl ihren Teil
zu meiner Entscheidung beigetragen haben.
Einmal hat Turner sich selbst für mehrere Stunden an
einem Schiffsmast festgebunden, während eines wütenden
Sturms, so dass er später den Sturm malen konnte.
Offensichtlich war es nicht der Sturm selbst, den Turner zu
malen beabsichtigte. Was er zu malen beabsichtigte, war eine
Darstellung des Sturms.
Die Sprache ist in dieser Hinsicht häufig ungenau, habe
ich festgestellt.
In Wirklichkeit erinnert mich die Geschichte des an den
Mast gebundenen Turner an etwas, selbst wenn ich mich nicht
daran erinnere, woran es mich erinnert.
Es scheint, dass ich mich auch nicht erinnere, welche Art
Feuer ich in der Tate hatte.
Im Rijksmuseum, in Amsterdam, nahm ich Rembrandts
Nachtwache aus seinem Rahmen, als ich mich dort warm hielt.
Übrigens.
Ich bin recht sicher, dass ich beabsichtigte, um diese Zeit
herum auch nach Madrid zu gehen, weil dort ein Gemälde
im Prado ist, Rogier van der Weydens Kreuzabnahme, das ich
wiedersehen wollte. Aber aus irgendeinem Grund stieg ich in
Bordeaux in ein Auto um, das zurück in die andere Richtung
wies.
Dann wiederum hatte ich vielleicht wirklich die spanische
Grenze überquert und war bis nach Pamplona gefahren.
Nun, oft habe ich unvorhergesehene Dinge getan in jenen
Tagen, wie ich schon gesagt habe. Einmal habe ich, oben auf
der Spanischen Treppe in Rom, nur deshalb, weil ich an einen
Volkswagenbus voll davon geraten war, aberhunderte von
Tennisbällen
einen nach dem anderen hinunterspringen lassen,
auf jede mögliche Weise.
Wobei ich beobachtete, wie sie auf winzige Unregelmäßigkeiten oder ausgetretene Stellen im Stein stießen und die
Richtung wechselten, oder schätzte, wie weit jeder von ihnen
über die Piazza unten kommen würde.
Mehrere sprangen schräg hinüber und trafen das Haus, wo
John Keats gestorben ist.
Es gibt eine Gedenktafel am Haus, die feststellt, dass dort
John Keats gestorben ist.
Die Gedenktafel ist auf Italienisch. Giovanni Keats nennt
sie ihn.
Der Name des Flusses bei Hisarlik ist Skamander, erinnere
ich jetzt.
Bei Homer, in der Ilias, wird er als ein mächtiger Fluss
bezeichnet.
Nun, vielleicht war er das, früher einmal. Viele Dinge können
sich ändern, in dreitausend Jahren.
Aber dennoch, als ich eines Abends auf den ausgegrabenen
Mauern oberhalb vom Fluss saß und zur Meerenge hinüberschaute,
war ich fast sicher, man könne noch immer die entlang
der Küste angezündeten griechischen Wachtfeuer sehen.
Nun, wie ich gesagt habe, vielleicht habe ich mich das nicht
wirklich denken lassen.
Dennoch, bestimmte Dinge sind harmlos genug zu denken.
Am nächsten Morgen, als die Morgenröte erschien, war
ich recht zufrieden, sie mir als rosenfingrige Morgenröte vorzustellen,
beispielsweise. Selbst wenn der Himmel trübe gewesen
ist.
Inzwischen habe ich mir gerade Zeit genommen, meine
Eingeweide zu entleeren. Ich gehe dafür nicht zu den Dünen,
sondern zum Ozean selbst hinunter, wo die Flut einläuft.
Als ich ging, machte ich zuerst halt im Wald neben dem
Haus, um einige Blätter mitzunehmen.
Und nachher ging ich Wasser holen von meiner Quelle, die
sich vielleicht ein paar hundert Schritte den Pfad entlang in
der anderen Richtung wie der Strand befindet.
Ich habe auch einen Bach. Selbst wenn er kaum die Themse
ist.
In die Tate habe ich mein Wasser vom Fluss gebracht,
allerdings.
Man kann so etwas jetzt seit längerem tun.
Nun, man konnte aus dem Arno trinken, in Florenz, schon
damals, als ich in den Uffizien lebte. Oder aus der Seine, als ich
einen Krug vom Louvre den Kai hinuntertrug.
Am Anfang trank ich ausschließlich Wasser in Flaschen.
Natürlich.
Am Anfang hatte ich auch eine Ausrüstung. Wie Generatoren,
zum Betreiben elektrischer Heizgeräte.
Wasser und Wärme waren das Wesentliche. Selbstverständlich.
Ich erinnere mich nicht, was zuerst kam, die Geschicklichkeit
im Umgang mit Feuer, und damit das Aufgeben solcher
Gerätschaften, oder die Entdeckung, dass man jedes Wasser,
das man wünschte, wieder trinken konnte.
Vielleicht war, was zuerst kam, die Geschicklichkeit im
Umgang mit Feuer. Selbst wenn ich zwei Häuser niedergebrannt
habe, im Lauf der Jahre.
Beim letzten war es, wie ich vermerkt habe, versehentlich.
Warum ich das erste niederbrannte, möchte ich nicht zu
sehr vertiefen. Ich habe das ganz vorsätzlich getan. Allerdings.
Das war in Mexiko, an dem Morgen, nachdem ich das
Grab des armen Simon besucht habe.
Nun, es war das Haus, in dem wir alle gelebt hatten. Ich
glaubte ehrlich, ich hätte vorgehabt, dort zu bleiben, eine Zeit
lang.
Was ich getan habe, war, in Simons altem Zimmer überall
Benzin zu vergießen.
Einen Großteil des Vormittags konnte ich noch immer
den Rauch höher und höher steigen sehen, in meinem Rückspiegel.
Jetzt habe ich zwei riesige Feuerstellen. Hier in diesem
Haus am Meer, von dem ich spreche. Und in der Küche einen
veralteten Kanonenofen.
Ich habe den Ofen allmählich recht lieb gewonnen.
Simon war sieben gewesen. Nebenbei bemerkt.
Viele verschiedene Beeren wachsen in der Nähe. Und gleich
hinter dem Fluss gibt es allerlei Gemüse, auf Feldern, die früher
bestellt worden waren, jetzt aber natürlich wild überwachsen
sind.
Vor dem Fenster, an dem ich sitze, wirbelt die Brise zehntausend
Blätter umher. Sonnenlicht bricht durch den Wald in
hell gesprenkelten Flecken.
Blumen wachsen auch, in üppiger Fülle.
Es ist ein Tag für ein bisschen Musik, wirklich, obwohl ich
keine Mittel habe, mir welche zu besorgen.
Jahrelang, wo immer ich war, brachte ich es im Allgemeinen
fertig, eine zu spielen. Aber als ich begonnen habe, die
Gerätschaften loszuwerden, musste ich die Musik auch aufgeben.
Gepäck bin ich losgeworden, im Wesentlichen. Nun,
Dinge.
Hin und wieder passiert es einem, dass man eine bestimmte
Musik im Kopf hört. Allerdings.
Nun, ein Bruchstück von diesem oder jenem, in jedem Fall.
Antonio Vivaldi, etwa. Oder Joan Baez, die singt.
Es ist nicht lange her, da hörte ich sogar eine Passage aus
Les Troyens, von Berlioz.
Wenn ich hörte sage, sage ich so nur sozusagen. Selbstverständlich.
Dennoch, vielleicht ist doch Gepäck da, selbst wenn ich
glaubte, ich hätte Gepäck zurückgelassen.
„In keinem anderen Buch lauert direkt hinter den Sätzen eine solche Schwärze. Niemand hat der Einsamkeit bisher so brutal ehrlich und bis hin zur Unlesbarkeit abgebildet. […] „Wittgensteins Mätresse“ besteht nur aus der Konfrontation des Individuums mit sich selbst.“
„'Wittgensteins Mätresse' zeigt, was es bedeuten kann, wenn avantgardistische Literatur funktioniert, wenn sie uns durch eine neue Form einen anderen Zugang zur Sprache und somit zur Welt eröffnet. Kaum jemand hat das auf so komische und unterhaltsame Art und Weise geschafft wie Markson.“
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