Words unspoken (Badger-Books-Reihe 1) Words unspoken (Badger-Books-Reihe 1) - eBook-Ausgabe
Roman
— Mit limitiertem Farbschnitt und exklusivem Page Overlay | Deutscher New Adult-Roman der SPIEGEL-Bestseller-Autorin„Ich mochte besonders die Tiefe und Vielschichtigkeit der Charaktere sowie ihre authentisch rübergebrachten Gefühle.“ - michelles.buecherwelt
Words unspoken (Badger-Books-Reihe 1) — Inhalt
Eine Love Story mit ganz besonderem Twist ... Willkommen in der Welt von „Badger Books“!
Lektor Bash kämpft im Indie-Verlag Badger Books zwischen Manuskriptstapeln und Verlagsdruck für seine Herzensprojekte. Als er die verschlossene Agentin Camille kennenlernt, steht Bash plötzlich vor einem unerwarteten Gefühlschaos, denn trotz der professionellen Distanz zieht Camille ihn magisch an. Während sie gemeinsam an einem aufregenden Buchprojekt arbeiten, entwickeln sich zarte Gefühle zwischen den beiden. Doch eine unerwartete Enthüllung stellt Bash vor eine schwierige Entscheidung. Können die beiden den Mut aufbringen, ihre Differenzen zu überwinden und die Liebe zuzulassen?
Band 1 der Badger-Books-Reihe von SPIEGEL-Bestsellerautorin Kathinka Engel – die drei Geschichten aus dem Universum des Indie-Verlags versprechen jede Menge Funkensprühen!
Hotness-Skala: 3 von 5 heißen Chilis
Leseprobe zu „Words unspoken (Badger-Books-Reihe 1)“
1 Jethro
In der Dunkelheit werde ich unsichtbar. Ich verschmelze mit der Schwärze der Nacht, verschmelze mit der Welt. Niemand sieht mich. Niemand hört mich. Ich bewege mich lautlos, bewege mich schnell. Selbst wenn sich jemand nach mir umdrehen sollte, bin ich im nächsten Augenblick verschwunden. Denn ich bin ein Phantom. Ich bin unsichtbar.
Meine letzte Aktion liegt zwei Monate zurück, und es juckt mich in den Fingern. Ich spüre es schon seit einiger Zeit. Ich merke es immer daran, dass ich unruhiger werde. Und gleichzeitig stiller. Und dann [...]
1 Jethro
In der Dunkelheit werde ich unsichtbar. Ich verschmelze mit der Schwärze der Nacht, verschmelze mit der Welt. Niemand sieht mich. Niemand hört mich. Ich bewege mich lautlos, bewege mich schnell. Selbst wenn sich jemand nach mir umdrehen sollte, bin ich im nächsten Augenblick verschwunden. Denn ich bin ein Phantom. Ich bin unsichtbar.
Meine letzte Aktion liegt zwei Monate zurück, und es juckt mich in den Fingern. Ich spüre es schon seit einiger Zeit. Ich merke es immer daran, dass ich unruhiger werde. Und gleichzeitig stiller. Und dann entschlossener.
Wenn ich länger nicht unterwegs war, vermisse ich nicht so sehr das Unsichtbarsein. Nicht so sehr den Nervenkitzel. Ich vermisse das Gehörtwerden. Das Etwas-zum-Ausdruck-Bringen. Das Jemand-Sein. Kompromisslos Ich-Sein. Denn ich habe etwas zu sagen. Ich will gehört werden. Will, dass meine Botschaft gesehen wird.
Ich husche zwischen geparkten Autos über die Straße. Die Laterne oben an der Kreuzung flackert. Es ist beinahe gespenstisch still. Kein Motorenlärm ist zu hören, kein Hundegebell. Nur mein leiser Atem, während ich mich im Schatten der Häuserwand fortbewege.
Mein Ziel ist ein altes Warehouse an der Waterfront, der ideale Ort für mein neuestes Gedicht, um den ich schon eine Weile herumschleiche. Lange genug habe ich gezögert. Aber jetzt, im Dunkel der Nacht, bin ich mir sicher.
Ich bin so bei mir, dass ich das Auto, das auf einmal neben mir hält, zu spät bemerke. Für den Bruchteil einer Sekunde denke ich, es ist vorbei. Denke ich, es ist die Polizei. Wie automatisch ducke ich mich, schnell atmend und dennoch mucksmäuschenstill. Aus meiner Hosentasche ziehe ich meine Sturmmaske und setze sie mir mit hektischen, aber geübten Bewegungen auf, ziehe sie zurecht. In meiner Deckung hinter – wie ich jetzt feststelle – einer Mülltonne blicke ich mich hektisch nach meinen Fluchtmöglichkeiten um. Nur nicht in eine Sackgasse rennen.
Bei einem meiner ersten Graffitis wäre ich beinahe geschnappt worden, weil ich auf einmal vor einem abgeschlossenen Maschendrahttor stand. Diesen Fehler macht man kein zweites Mal. Seither kenne ich die Routen, die ich zurücklege, auswendig – auf dem Hinweg eine andere als auf dem Rückweg, nur um sicherzugehen – und weiß in jedem Fall, wohin ich mich wenden muss. Ich bin schnell. Wenn sie auf der Suche nach mir sind, kann ich aus der Deckung das Überraschungsmoment für mich nutzen, die Straße hinunterrennen und mich dann nach links orientieren. Sobald ich zwischen den Hafengebäuden bin, gibt es jede Menge sichere Verstecke.
Als ich Autotüren höre, bereite ich mich auf meine Flucht nach vorne vor. Ich atme tief ein und aus, dann noch mal ein, halte die Luft an, um zu hören, was passiert. Zwei Männer unterhalten sich. Lachen. Das klingt nicht, als wären sie auf der Suche. Ihre Stimmen entfernen sich. Ich atme langsam aus. Noch mal gut gegangen.
Trotzdem warte ich einen Augenblick, meinen Rucksack fest an die Brust gedrückt. Ich kann nicht vorsichtig genug sein. Denn meine Identität muss geheim bleiben, um jeden Preis. Schon wegen der sehr realen juristischen Konsequenzen, die mein Schattendasein mit sich bringt. Während die einen meine Kunst bejubeln und zu Hunderttausenden auf Social Media teilen, werfen mir die anderen Vandalismus vor. Aber auch die hören mich. Lesen mich. Und darum geht es.
Ich biege in eine kleine Seitenstraße ein. Der Asphalt ist rissig, brüchig. Hier und da sieht man im fahlen Licht der Straßenlaternen, dass er ausgebessert wurde. Ich husche über eine Straße, über eine weitere. Kein Blick zurück. Wer sich umsieht, wird langsamer und macht sich verdächtiger. Wer eine Strumpfmaske trägt, auch, weswegen ich sie mir normalerweise erst kurz vor der Aktion überziehe. Aber die Holyoke Wharf liegt nun verlassen vor mir. Die Luft ist schwanger vom Geruch nach frühem Herbst und Meer, und in einiger Entfernung sehe ich ein Tier. Es könnte ein Fuchs sein. Oder ein Hund. Auf der Suche nach Fischabfällen. Ansonsten bin ich mutterseelenallein. Das einzige Geräusch neben den Autos, die zu dieser nachtschlafenden Zeit unregelmäßig in der Ferne zu hören sind, ist das Knarzen der sich wiegenden Fischerboote am Rand des Kais.
Und dann stehe ich vor dem Gebäude. Die halb blinden Fenster im Erdgeschoss liegen in völliger Dunkelheit. Neben einer unscheinbaren Eingangstür hängen halb abgerissene Plakate von Konzerten oder Festivals, deren Datum weit in der Vergangenheit liegt, doch ich sehe sie mir nicht näher an. Ihre losen Ecken flattern bei jedem Windhauch.
Stattdessen trete ich einen Schritt zurück, blicke an die Wand. Dann hole ich die Stencils aus dem Rucksack. Einen nach dem anderen befestige ich an der Wand. Ich muss schnell sein, aber gleichzeitig nicht leichtsinnig. Immer wieder halte ich inne, lausche. Dann arbeite ich weiter, bis die festen Papierschablonen ein Ganzes ergeben.
Ich ziehe meine Spraydose aus dem Rucksack. Sprühe eine dünne Schicht Farbe gleichmäßig über die ausgestanzten Buchstaben. Es würde schneller gehen, wenn ich dauersprühen würde, statt das Cap immer nur kurz zu drücken, aber die Gefahr, dass Farbe hinter die Schablone läuft, ist zu groß. So sprühe ich erst eine Schicht, dann eine zweite, schließlich eine dritte.
Es dauert alles in allem nur ein paar Minuten, dennoch kommt es mir vor wie eine Ewigkeit. Endlich entferne ich die Schablonenteile behutsam und werfe noch einen Blick auf mein fertiges Werk. Weiße Buchstaben auf roten Ziegelsteinen.
Ich zücke mein Handy, mache ein schnelles Foto. Dann drehe ich mich um und renne. Lautlos in die Dunkelheit. In die Unsichtbarkeit.
2 Bash
Der Pitch des Projekts klang vielversprechend, aber je länger ich lese, desto prätentiöser finde ich die Sprache. Irgendwie gewollt. Unauthentisch. Als hätte der Autor versucht, so poetisch und intellektuell wie irgend möglich zu klingen, dabei aber vergessen, wer er selbst ist. Niemand will ein Buch lesen, das aufgesetzt wirkt.
Das ist bereits das vierte Manuskript, in das ich heute reinlese. Es ist Sonntagabend – oder eher Montagnacht, wie mir der Blick auf meine Handyuhr verrät. Ein Uhr fünfundzwanzig. Dabei hatte ich Louise versprochen, mir einen Tag freizunehmen. Dafür ist es nun zu spät, aber so ist das eben, wenn man zusammen mit seinen zwei besten Freunden einen kleinen Indie-Verlag gründet. Man arbeitet. Immer.
Doch weil Louise recht hat und mein Kopf vor verschwurbelten Bandwurmsätzen und schiefen Metaphern ohnehin kurz davor ist, abzuschalten, lege ich die Leseprobe zur Seite und will gerade meine Nachttischlampe ausmachen, als mein Handy vibriert.
Nicht viele Leute rufen mich mitten in der Nacht an. Eigentlich nur zwei Personen. Entweder es ist meine kleine Schwester Evie, die sich Gott weiß wo in Europa herumtreibt, sich mit Gott weiß was für Jobs über Wasser hält und mich betrunken von ihrem Heimweg aus Gott weiß welchem Club anruft, um mir zu sagen, wie lieb sie mich hat und dass ich mich mal entspannen soll. Oder es ist wie in diesem Fall meine Highschool-Ex-Freundin Laura.
„Hi Laura“, sage ich und unterdrücke ein Gähnen.
„Bash?“ An der Art und Weise, wie sie meinen Namen sagt, merke ich bereits, dass sie geweint hat. Shit.
„Hey, was ist los?“ Ich schalte den Lautsprecher ein und lege das Handy neben mein Kopfkissen, sodass ich schon mal die Augen schließen kann, während wir telefonieren.
„Habe ich dich geweckt?“
„Nein, alles gut. Ich habe noch gearbeitet. Wo bist du?“
„Im Auto.“
„Warum?“
„Ich musste raus.“ Ihre Stimme bricht.
„Habt ihr euch wieder gestritten?“
Einen Moment lang sagt sie nichts. Ich sehe sie vor mir, wie sie in ihrem kleinen Peugeot durch die nächtlichen Straßen unseres Heimatorts fährt, sich auf die Unterlippe beißt, gegen neuerliche Tränen ankämpft. Dann sagt sie: „Ja.“
„Willst du drüber reden?“ Louise würde mich schimpfen. Nicht nur, weil ich längst schlafen sollte, wenn ich morgen pünktlich und fit im Büro sein will, sondern auch, weil sie findet, ich solle den Kontakt zu Laura abbrechen. Oder wenigstens auf ein Minimum reduzieren. Sie haben sich zwar nie kennengelernt, aber Louise sagt, ich müsse mich mehr um mich kümmern als um eine Person, die mich mit siebzehn betrogen hat. Ich habe Laura allerdings längst verziehen. Wir waren jung. Kinder. Man macht Fehler. Nur, dass sie immer noch mit diesem Fehler zusammen ist – inzwischen zusammenwohnt –, macht die Sache ein bisschen schwieriger. Aber ich versuche eben, ein guter Freund zu sein. Versuche, das Richtige zu tun.
„Ich verstehe einfach nicht, wie man jemanden lieben und gleichzeitig so ein Arsch sein kann.“
„Was ist denn passiert?“
„Jayden hat Sachen gesagt, Bash. Richtig üble Sachen. Und ich weiß, dass er es nicht so meint, dass er einfach auch echt viel um die Ohren hat und kein Ventil und …“
„Du musst ihn nicht verteidigen. Niemand hat das Recht, ein Arsch zu dir zu sein, Laure.“ Der vertraute Spitzname kommt mir wie automatisch über die Lippen. Louise würde schimpfen. Vielleicht zu Recht. Louise hat meistens recht.
„Ich weiß, ich meine ja nur … Er ist manchmal nicht er selbst.“
Oder er ist immer er selbst.
„Mit dir habe ich mich nie so beschissen gefühlt, Bash. Du hättest nie gesagt, dass du dich zwingen musst, mit mir zu schlafen, weil ich es nicht bringe. Du hättest mich nie …“ Sie stockt. „Du hättest mich nie betrogen.“
Du mich schon. „Er hat dich betrogen?“
„Ich weiß es nicht. Er hat es gesagt, aber vielleicht wollte er mir auch nur wehtun.“
„Warum wollte er dir wehtun?“
„Weil ich mit meiner Mom shoppen war und mir ein Kleid gekauft habe, von dem ich dachte, es würde ihm gefallen. Aber ich habe vergessen, das Preisschild abzumachen, und er hat gesehen, wie viel ich ausgegeben habe. Und ich weiß ja selbst, dass wir nicht einfach so fünfzig Dollar übrig haben. Aber Mom hat die Hälfte bezahlt, und ich habe mich endlich mal wieder ein bisschen wie ich gefühlt.“
„Hast du ihm das gesagt?“
„Ja. Aber da hatte er schon entschieden, dass wir uns streiten würden.“
„Laura“, sage ich behutsam und achte darauf, ihren richtigen Namen zu benutzen, „du weißt, dass du das nicht machen musst, oder? Bei ihm bleiben?“
„Ich weiß“, flüstert sie erstickt. „Aber ich liebe ihn. Und es ist nicht immer so.“
„Aber es ist oft so.“
„Sag das nicht, Bash, bitte. Mach es mir nicht schwerer, als es ist.“
„Ich versuche, es dir weniger schwer zu machen.“
„Aber das tust du nicht. Du tust so, als sei es leicht. Zehn Jahre wirft man nicht einfach weg.“
Nee, man packt noch mal zehn Scheißjahre obendrauf. „Ich weiß, es ist hart, Laura. Und ich weiß, du liebst ihn. Aber das ist das vierte Mal diesen Monat, dass du mich weinend anrufst. Und das zweite Mal diese Woche. Und ich mache mir ehrlich gesagt Sorgen um dich.“
„Ach was.“ Sie schnieft. „Manchmal muss es einfach raus, weißt du? Aber es geht mir schon viel besser.“ Ich höre, dass sie sich an einem Lächeln versucht. „Wenn ich mit dir rede, geht’s mir immer besser. Danke.“
„Ist doch selbstverständlich“, sage ich. „Ich bin da, wenn du mich brauchst.“ Ich bin immer da. Weil man das so macht unter Freunden. Weil es das Richtige ist.
„Danke.“
„Kannst du heute Nacht woanders schlafen? Bei deiner Mom?“
„Ich werde einfach im Auto schlafen.“
„Laura!“ Auf einmal bin ich wieder hellwach. „Du kannst doch nicht im Auto schlafen!“
„Es ist sogar ganz bequem.“
„Verriegelst du wenigstens die Türen?“ Die Kleinstadt in Illinois, aus der wir kommen, ist zwar nicht unbedingt gefährlich, aber man weiß ja nie.
„Natürlich.“
„Ich finde das ziemlich kacke, Laure.“
„So ist vielleicht das Leben. Ziemlich kacke.“
„Aber so muss es nicht sein.“
„Für manche schon.“ Sie lacht.
Genau das Lachen, in das ich mich mit fünfzehn verliebt habe. Genau das Lachen, das mir zwei Jahre später das Herz gebrochen hat, als es nicht mehr mir galt, sondern Jayden. Unter der Tribüne des Highschool-Footballfelds. Was für ein Klischee. Es ist leise und ein bisschen verschämt. Es klingt, wie Zuckerguss schmeckt. Zu süß. Und ich hasse Jayden dafür, dass er ihr das Leben so schwer macht.
„Gute Nacht, Bash. Danke, dass ich dir mein Herz ausschütten durfte.“
„Gute Nacht. Und jederzeit.“
Wir legen auf, und ich spüre mein Herz überdeutlich in meiner Brust. Es rast. Vor Wut. Vor Wut auf Jayden. Und vor Wut auf Laura, weil sie damals etwas Gutes weggeworfen hat für etwas, das ihr Leben elend macht. Aber das ist eine Entscheidung, die sie getroffen hat. Sie hat mit mir nichts zu tun. Nur insofern, als dass ich eben nicht der Bad Boy bin, von dem man hofft, er würde sich für die Liebe ändern.
Ich lösche nun endgültig das Licht, rolle mich auf die Seite, schließe die Augen. Drehe mich um. Schüttle mein Kissen, weil irgendwas nicht stimmt. Strample die Decke von den Beinen, denn mir ist auf einmal viel zu heiß. Scheiße, warum konnte der Anruf nicht von Evie sein? Ihre etwas zu laute Stimme, weil sie gerade aus einem lauten Berliner Technoclub kommt, die mir kichernd irgendwas aus ihrem Leben erzählt. Aber ich habe seit zwei Monaten nichts mehr von ihr gehört. Wo sie wohl ist?
Kurzerhand entsperre ich mein Handy. Das helle Licht des Displays blendet mich im ersten Moment. Ich suche unsere Unterhaltung, die viel zu weit nach unten gerutscht ist. Die letzten vier Nachrichten stammen allesamt von mir.
Lange nichts gehört. Wie geht’s dir? Ich denke an dich!
Alles gut bei dir? Louise hat heute Muffins mitgebracht, da musste ich an dich denken. Deine sind besser.
Hey Sis, ich bin mit Coulter im Great Beers (great name, oder?) und hab schon das ein oder andere great beer getrunken (das ist eine Lüge, sie haben hier nur Cors Light und Bud) und denke an dich. Lass mal was von dir hören.
Hi Evie. Hab mit Mom telefoniert. Sie macht sich langsam Sorgen. Ich hab ihr gesagt, dass sicher alles gut ist, aber es wäre gut, du würdest mal ein Lebenszeichen von dir geben.
Sie hat alle Nachrichten bekommen und gelesen, aber nicht reagiert. Es ist nicht das erste Mal, dass das passiert, aber das bedeutet nicht, dass es leichter wird.
Gute Nacht, Evie, schreibe ich jetzt und schicke die Nachricht ab. Sie wird zugestellt, im nächsten Moment sehe ich, dass Evie online ist. Ich warte ab, ob sie etwas antwortet. Starre auf das kleine Bild von ihr. Das Wort online daneben. Ich stelle mir vor, wie sie sieht, dass auch ich online bin. Wir beide zur selben Zeit, wie wir diese digitale Version von uns anschauen. Aber sie antwortet nicht. Und dann ist sie wieder weg.
Ich seufze. Wenn wir wenigstens wüssten, dass es ihr gut geht. Andererseits, Evie geht es immer gut. „Keine Nachricht ist eine gute Nachricht“, sagt unser Dad in solchen Momenten immer, und das stimmt vermutlich. Denn wenn etwas wäre, würde man uns informieren. Denke ich. Und sie ist ab und zu online, also kann es so schlimm nicht sein. Oder?
Die Gedanken verselbstständigen sich. Ich weiß, dass ich nicht werde schlafen können, wenn ich in diese Spirale aus Sorge und – ja – Wut gerate. Also mache ich das, was ich immer tue, wenn ich unruhig bin. Ich gebe den Namen Jethro in die Suchleiste meines Handys ein und scrolle mich durch die neuesten Artikel und Forenbeiträge. Es gibt einige Theorien, wer sich hinter dem berühmten Street Poet verbirgt, der seit ein paar Jahren vor allem in Portland (Maine, nicht Oregon) und Umgebung, selten auch mal an anderen Orten in den USA seine Gedichte auf Hauswände und Straßen sprayt. Er sei der Sprössling einer Politikerfamilie, der vor Jahren für einen Eklat sorgte, als er dabei erwischt wurde, wie er stümperhaft Wände beschmierte. Er sei ein bedeutender Name aus der Sprayerszene, genauer gesagt BIGboy77, der auch aus Maine stammt und ebenfalls mit Schablonen arbeitet. Einer schrieb neulich, es handle sich bei Jethro um einen Literaturprofessor der University of Southern Maine, der eine Vorlesungsreihe zum Thema Lyrik im 21. Jahrhundert gehalten und mehrere Stunden lang vermeintlich tiefe Einsichten in Jethros Werke gewährt hat.
Ich klicke auf den neuesten Beitrag im Forum. Er stammt von WhoIsJethro123 und ist mit „Bestsellerautor Jethro???“ überschrieben. Obwohl ich eigentlich schlafen sollte, klicke ich auf den Beitrag, denn ich liege Louise und Coulter schon seit Ewigkeiten damit in den Ohren, dass man ein Buch mit Jethro machen sollte. Und mit „man“ meine ich „wir“. Leider lief bislang jede Kontaktaufnahme meinerseits ins Leere, da es abgesehen von einem Instagram-Account keine Möglichkeit gibt, ihn anzuschreiben.
Doch als ich beginne zu lesen, merke ich schnell, dass es nur eine weitere abstruse Theorie ist. WhoIsJethro123 ist der Meinung, es handle sich bei Jethro um das Alter Ego des neuen amerikanischen Wunderkindes der Literatur, Cy Bellamy, der mit seinem Debütroman The Gentle Art of Losing your Mind vor anderthalb Jahren die nationalen und internationalen Bestsellerlisten stürmte. Was natürlich nichts damit zu tun hat, dass sein Vater die Autorenlegende Holm Bellamy ist. Und, na gut, das Buch ist auch so ungefähr das Beste, was in den letzten Jahren geschrieben wurde. Zufällig ist er außerdem Louise’ bester Freund seit Kindertagen, weswegen ich die Bitterkeit sein lassen sollte. Sie steht mir ohnehin nicht.
Jethros Graffiti „Dieser Tag wie eine Ewigkeit“ sei eine Anspielung auf Allen Ginsbergs Gedicht Howl, das außerdem die Grundlage für den ikonischen letzten Satz „Ich bin bei dir Rockland“ aus Bellamys Debüt lieferte. Außerdem seien die Kapitelanfänge ein Anagramm des Namens Jethro, wenn man die Kapitel 3–10, 13, 15–18 und 20–25 ausklammert. Hier hört die Beweisführung allerdings auf, sodass ich kopfschüttelnd den Thread „Neues von J“ öffne. Er ist nach oben gerutscht, weil der letzte Beitrag nur ein paar Minuten alt ist. Mein Herzschlag beschleunigt sich, als ich lese, was JeThRoOoOo geschrieben hat: Es gibt ein neues Gedicht.
Sofort schließe ich die Seite und öffne Instagram. Und tatsächlich – nach Monaten der Stille sehe ich als Erstes einen neuen Post von Jethro. Wie jedes Mal handelt es sich um einen beinahe laienhaft aufgenommenen nächtlichen Schnappschuss. Ich kann nicht identifizieren, wo er aufgenommen wurde, aber ich lese gebannt die Worte, die Jethro auf die Ziegelsteine gesprayt hat.
Wer, wenn nicht du
Wann, wenn nicht jetzt
Wo, wenn nicht hier
Was, wenn nicht
dein eigener verfluchter Traum
Ich weiß nicht, warum, aber immer, wenn ich ein Gedicht von Jethro lese, resoniert etwas in mir. Seine Worte sind vielleicht nicht die poetischsten. Die Botschaften nicht unbedingt die tiefsten. Aber er trifft einen Nerv. Hat damals mit seinem Gedicht über Identität genau meinen Nerv getroffen, was wohl der Grund ist, warum ich – in Louise’ und Coulters Worten – „besessen“ von ihm bin.
Und ja, vielleicht bin ich das, denke ich, als ich auf sein Profil klicke und dann auf den Nachrichten-Button. Die Konversation mit Jethro ist ebenso einseitig wie die mit Evie seit ein paar Monaten. Laura reagiert wenigstens auf das, was ich ihr sage, wenn auch nur passiv. Drei Vorstöße habe ich bereits gewagt und mir eigentlich geschworen, dass ich es nun auf sich beruhen lasse. Er sieht meine Nachrichten nicht einmal. Und dennoch – vielleicht weil es inzwischen nach zwei Uhr nachts ist oder weil Lauras Anruf und ihr Nicht-Handeln und Evies Schweigen dazu geführt haben, dass ich meine masochistische Ader aktiviert habe – tippe ich eine weitere Nachricht an Jethro.
Hi Jethro, schreibe ich und weiß jetzt schon, dass Coulter und Louise sich morgen über mich lustig machen werden.
Ich noch mal, Bash, der Lektor aus dem Indie-Verlag Badger Books, der großes Interesse daran hätte, ein Buch mit dir zu machen. Deine Anonymität würden wir selbstverständlich wahren. Es würde mich freuen, von dir zu hören. Viele Grüße, Bash Hanlon.
Ich schicke die Nachricht ab, starre ein paar Minuten darauf, in der bescheuerten Hoffnung, Jethro könnte sie lesen. Denn wenn jemand mitten in der Nacht wach ist, dann ein Typ, der auf den Schutz der Dunkelheit angewiesen ist, oder? Aber nichts dergleichen geschieht. Stattdessen wird mein Display irgendwann dunkel, und ich mache mir nicht mehr die Mühe, draufzutippen, sondern schließe endlich die Augen.
Entdecke alles rund ums neue Buch von Kathinka Engel, die Charaktere, das Setting und noch vieles weitere bei unseren Bloggerinnen:
24.08.2024: Vorstellung des Settings
@chapteraway
25.08.2024: Tropes
@bookslove128
26.08.2024: Vorstellung Camille
@pastellpages
27.08.2024: Read with Me
@lifebyjux
28.08.2024: 5 Gründe das Buch zu lesen
@traumwelt.lesen
„Ich mochte besonders die Tiefe und Vielschichtigkeit der Charaktere sowie ihre authentisch rübergebrachten Gefühle.“
„Der Schreibstil ist flüssig und sanft. Eine Geschichte voller positiver Zufälle mit intensiver Spannung und natürlich auch intensiven Szenen. Einzigartig schön“
„Ein emotionaler und tiefgründiger Auftakt der Trilogie mit spannendem Erzählstil und sympathischen Charakteren.“
„Das Setting rund um das Verlagswesen fand ich so gelungen und spannend, da man hier verschiedene Aspekte in der Buchbranche mitverfolgen kann und als Lesende quasi einen Blick hinter die Kulisse bekommt. “
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