Youngbloods Youngbloods - eBook-Ausgabe
Roman
— Düstere Vampir-Fantasy„Nichts hier ist so, wie es scheint und es gibt als Leser so einiges aufzudecken und zu erleben.“ - (A) bookreviews.at
Youngbloods — Inhalt
Geheimnisvoll und anziehend: Für Fans von Vampire Academy und Tracy Wolff
Kat ist eine 17-jährige Vampirin, doch das ewige Leben der Vampire erscheint ihr wie eine Strafe: Ihre Familie muss unter Menschen leben, und das Geld ist jeden Monat knapp. Als Kat ein Stipendium für das Vampirinternat Harcote erhält, möchte sie nichts lieber, als zu den Youngblood-Vampiren des Internats zu gehören, den schockierend gut aussehenden, privilegierten Töchtern und Söhnen der Vampirelite. Aber bei ihrer Ankunft am Internat trifft sie auf Taylor − jene ebenso hübsche wie undurchschaubare Vampirin, die vor Jahren für Kats Verbannung in die Menschenwelt verantwortlich war …
Leseprobe zu „Youngbloods“
1 KAT
Ich lehnte mich über den Tresen des Imbisses im El Dorado Hills Country Club und starrte auf den Pool. Das kühle, hellblaue Wasser würde sich auf meiner verschwitzten, fettigen Haut unglaublich gut anfühlen. Es war ein heißer Tag Anfang August, und im Pool hatte es den ganzen Tag von schreienden Kindern gewimmelt. Der Ansturm auf das Mittagessen war heftig gewesen und in den Ansturm auf Snacks übergegangen, und ich hatte immer noch Milchshake in den Haaren. Jetzt endlich versank die Sonne langsam hinter den Bäumen, und ein kühler Schatten kroch [...]
1 KAT
Ich lehnte mich über den Tresen des Imbisses im El Dorado Hills Country Club und starrte auf den Pool. Das kühle, hellblaue Wasser würde sich auf meiner verschwitzten, fettigen Haut unglaublich gut anfühlen. Es war ein heißer Tag Anfang August, und im Pool hatte es den ganzen Tag von schreienden Kindern gewimmelt. Der Ansturm auf das Mittagessen war heftig gewesen und in den Ansturm auf Snacks übergegangen, und ich hatte immer noch Milchshake in den Haaren. Jetzt endlich versank die Sonne langsam hinter den Bäumen, und ein kühler Schatten kroch über die Reihen der Liegestühle. Die Rettungsschwimmer scheuchten die Kinder aus dem Pool und zurück zu ihren Kindermädchen, Au-pairs und nicht-verreisten Eltern.
»Kat, wenn ich noch einen Caesar-Salat ohne Croûtons oder Dressing machen muss, schreie ich«, sagte Guzman am Waschbecken. „Warum bestellen die nicht gleich einfach nur Salatblätter?“
Ich lachte, aber mein Blick war auf den Pool gerichtet. Abends tauchte immer eine andere Gruppe von Clubmitgliedern auf. Ich hatte sie den ganzen Sommer über beobachtet: Schwimmer, die in der verblassenden Sonne ihre Runden drehten, und elegant gekleidete Frauen, die an der Bar im Innenbereich Weißwein nippten. Für diese Clubmitglieder schien sich die ganze Welt zu entspannen, um ihnen einen Moment der Gelassenheit zu schenken.
Ich wollte zu ihnen gehören.
Guzman spülte einen Mixer mit Wasser aus. „Flirtet Shelby eigentlich mit diesem süßen Rettungsschwimmer – wie heißt er noch gleich – Ryan?“
Ich blickte schnell zum Büro der Rettungsschwimmer und sah gerade noch, wie Shelby in their rotem Rettungsschwimmeroutfit mit hochgeschobener Sportsonnenbrille einem Kerl mit nacktem Oberkörper mit einer Poolnudel auf den Arm schlug.
„Jep, Shelbs flirtet definitiv.“ Ich schob die Ketchupflasche durch das Fenster der Essensausgabe. „Meinst du, die Clubleitung lässt uns nach Ladenschluss auch mal draußen herumlungern, bevor der Sommer ganz vorbei ist?“
„Du meinst, sie erlauben uns zu schwimmen, Pommes zu bestellen und in der Sonne zu liegen?“
Das war ausgeschlossen. Ich vertrug keine Pommes, und in der Sonne wurde mir immer übel. Aber trotzdem kribbelte die Sehnsucht in mir. „Ich möchte einfach mal wissen, wie es sich anfühlt, Mitglied in einem Country Club zu sein, verstehst du?“
„Mhm, das verstehe ich, und ich bin ziemlich sicher, dass meine ganze Familie es ebenfalls versteht, einschließlich derer, die wir in El Salvador zurückgelassen haben. Und nein, ich glaube nicht, dass sie uns einen Nachmittag freigeben, damit wir tun können, als gehörten wir dazu. Wir sind hier die in Uniform.“
Ich wandte mich wieder der schummrigen Küche zu, während ich noch die von der grellen Sonne pulsierende Poolszene vor Augen hatte. „Wir müssen erst Millionäre werden. Dann können wir Mitglieder sein.“
Guzman durchwühlte den Kühlschrank. „Ich liebe diese Langfrist-Perspektive, aber als unmittelbaren Akt des Widerstands bereite ich mir eine Quesadilla zu. Dieser Laden hat uns unsere Mittagspause geklaut. Willst du die Hälfte?“
Die Wahrheit war, dass ich das Mittagessen nicht ausgelassen hatte, weil wir beschäftigt waren. Ich hatte es übersprungen, weil Guzman da gewesen war. Sommerferien bedeutete, ich konnte so viel arbeiten, dass etwas Geld für das Schuljahr übrig blieb. Guzman plante das Gleiche, und wir hatten uns beide bei der Imbissbude beworben. Da Shelby Lifeguard war, schien es die perfekte Lösung für einen perfekten Sommer zu sein – auch wenn Guz und ich ihn in einer winzigen, viel zu heißen Küche verbringen würden.
Es gab nur ein Problem: Ich hatte vergessen, Hema in den Plan mit einzubeziehen. Guzman den ganzen Tag um mich herum zu haben bedeutete, dass der Menschenblut-Ersatz, den ich zum Frühstück trank, bis zum Ende meiner Schicht vorhalten musste. In den ersten Tagen war ich bei Dienstschluss so hungrig gewesen, dass ich mich dabei ertappte, wie ich viel zu lange auf die nackten Handgelenke und entblößten Hälse der Clubmitglieder starrte. Ich überlegte, etwas Hema in die Küche zu schmuggeln, um einen Schluck zu trinken, wenn Guzman gerade nicht hinsah. Aber erklären zu müssen, warum neben den Burger-Patties eine Flasche mit Blut stand, war weitaus schlimmer, als zu hungern.
Ich legte meine Hand auf die Stirn. Mir war etwas schwindelig. An den meisten Tagen kam ich damit zurecht. Selbstbeherrschung war mir nicht fremd. Aber meine Mutter und ich hatten oft nur gerade genug Hema, um über die Runden zu kommen, und heute Morgen hatten wir zu wenig gehabt. Nachdem wir die letzte Flasche geteilt hatten, war uns beiden klar gewesen, dass wir zum Abendessen Heißhunger haben würden. Keiner von uns hatte das Thema erwähnt. Ich würde heute Abend noch etwas besorgen müssen.
„Ich brauche nichts“, versicherte ich Guzman.
Er klatschte eine Tortilla auf den Flachgrill. „Wenn ich herausfinde, dass du eine dieser Iss-dich-gesund-Diäten machst, bei denen du kein Gluten, keinen Käse, keinen Spaß und kein Glück haben darfst, werde ich richtig sauer.“
Ich schaltete die Fritteuse aus und warf die übrig gebliebenen kalten und salzverkrusteten Pommes in den Mülleimer. „Mein Magen macht mir in letzter Zeit zu schaffen.“
Guzman schnappte übertrieben nach Luft. „Tut mir leid, das hatte ich total vergessen.“
„Guzman, wenn ich dich dabei erwische, wie du gemein zu Kat bist, melde ich dich wegen Verstoßes gegen die Poolregeln.“ Shelby schob den blonden Kopf durch das Servicefenster. They hatten eine tiefe Sommerbräune, die their Zähne strahlend weiß glänzen ließ, wenn they lächelten.
„Es ist nichts“, sagte ich. „Nur eine Magenverstimmung.“
Ich tat, als würde ich den Blick nicht bemerken, den Shelby Guzman zuwarf.
Zu Beginn des zweiten Studienjahres hatte ich die Fähigkeit verloren, Essen verdauen zu können – jedenfalls das Essen, das meine Freunde verschlangen. Es war ein hartes, trauriges Jahr, in dem ich nicht wusste, ob ich gerade meine letzte Eistüte, meine letzte reife Erdbeere oder mein letztes Stück Pizza verspeiste. Meine Mutter stellte Dokumente aus ihrer Klinik zusammen, die mir eine chronische Verdauungsstörung diagnostizierten. Als die Schule vorbei war, ernährte ich mich ausschließlich von Hema, was in den Augen der anderen bedeutete, dass ich nichts aß. Niemals. Das zu akzeptieren fiel den Leuten schwer, selbst wenn sie wussten, dass ich krank war. Und es hielt den Schulpsychologen nicht davon ab, mir Broschüren über gesunde Ernährung in die Hand zu drücken. Meine Freunde warfen sich gegenseitig besorgte Blicke zu, wenn sie glaubten, ich würde es nicht bemerken.
Ich war keineswegs undankbar für das Hema. Ich hatte unglaubliches Glück, dass ich noch nie meine Reißzähne in den Hals von jemandem versenken musste, vor allem nicht jetzt, da mich ein falscher Biss umbringen konnte. Aber dieses Herumlügen war ziemlich anstrengend. Ich wusste nicht, wie ich die beiden nächsten Jahre auf der Highschool überstehen sollte, wenn ich dabei immer wieder heimlich Schlucke aus einer Thermoskanne mit lauwarmem Blutersatz nahm, die ich in meinem Spind neben meinen Sportsachen verstaut hatte.
Und es ging nicht nur um zwei Jahre. Nicht nur um den Rest meiner Highschoolzeit. Es galt für immer.
Oder wie lange Vampire leben mochten.
Shelby pflanzte sich mit einem Hüpfer auf den Tresen. „Gib mir die Hälfte. Ich bin am Verhungern.“
Guzman, der ein Messer in der einen und eine Avocado in der anderen Hand hielt, sah Shelby über die Schulter an. „Das kann ich mir vorstellen, nach einem langen Tag schamlosen Flirtens … O Mist!“
Shelby schnalzte mit der Zunge. „Das Karma bestraft einen sofort.“
Ich drehte mich zu Guzman um. Er sagte so etwas wie: Kannst du das glauben?, und streckte mir seine Hand entgegen. Aus einer Wunde in seinem Daumen lief ein karmesinrotes Rinnsal in seine Handfläche.
Blut.
Mein Hunger steigerte sich von einem dumpfen Schwindelgefühl zu einem Rausch in meinem Kopf. Mein Blick fokussierte sich auf die kostbare, dunkelrote Lache, die sich in seiner Hand sammelte.
„Ich hole den Erste-Hilfe-Kasten“, sagte Shelby. „Kat, kannst du ihm ein Papierhandtuch geben?“
Konnte ich nicht.
Mir lief das Wasser im Mund zusammen, und bevor ich es verhindern konnte, drückten sich meine Reißzähne in die Innenseite meiner Lippe. Panik durchfuhr mich, als ich mir die Hände vor den Mund schlug. So etwas war mir noch nie passiert, ich hatte noch nie die Kontrolle verloren und meine Reißzähne herausgleiten lassen. Falls jemand das sah, war mein Leben hier zu Ende. Aber trotz meines Schrecks pochte da etwas in meinem Kopf – Hunger –, und eine kleine Stimme wimmerte, dass ein winzig kleiner Schluck nicht schaden würde.
Nein! Die Hand immer noch auf meine Lippen gepresst, wich ich von ihm zurück bis zur Theke. Das war so weit von ihm entfernt, wie es in der kleinen Küche möglich war. Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Dass ich Guzmans Blut trinken würde? Das war schrecklich – es war falsch –, und ich würde es niemals tun. Selbst wenn ich es wollte, könnte ich es nicht. Man konnte nicht wissen, wer die Infektion in sich trug. Ein Tropfen vom falschen Blut, und schon hatte sich das mit der Unsterblichkeit.
„Erde an Kat?“ Guzman zog ein Papiertuch von der Rolle und wickelte es um seine Hand. Als das Blut außer Sichtweite war, holte ich tief Luft – so tief, dass ich meine Reißzähne einziehen konnte. Eine Sekunde später war Shelby wieder zurück und holte ein Dutzend verschiedener Desinfektionsmittel und Verbände aus einem Erste-Hilfe-Kasten.
Shelby sah mich an. „Geht es dir gut?“
Ich schwitzte, meine Nerven waren angespannt und überreizt. Ich fuhr mit der Zunge über meine Zähne, prüfte sie einmal, dann noch einmal. „Ich habe … ähm … eine Blutphobie? Wenn ich nur einen Tropfen Blut sehe, wird mir übel“, murmelte ich. „Guzman, warum verschwindest du nicht von hier? Du kannst nicht abschließen, wenn du überallhin blutest.“
In Wirklichkeit wollte ich nur von hier wegkommen, aber falls ich ging, würde es mich einen Stundenlohn kosten. Das konnte ich mir nicht leisten, nicht bei den Preisen, die zurzeit für Hema verlangt wurden.
„Aber wir wollten doch zusammen abhängen“, protestierte Shelby.
„Ich muss meine Mutter von der Arbeit abholen.“ Ich zwang mich zu einem reißzahnfreien Lächeln. „Ich bin mir sicher, dass ihr euch auch ohne mich amüsiert.“
Guzman zog seine frisch bandagierte Hand von Shelby zurück, warf seine Schürze in eine Ecke und zog mich in eine schnelle, nach Pommes stinkende Umarmung. „Du bist offiziell meine spaßbefreiteste Freundin, und danke.“
„Schick mir eine Message, wenn du uns später treffen kannst, okay?“, bat Shelby.
„Ganz sicher.“ Ich wusste, dass ich das nicht tun würde. Der Knoten in meinem Magen löste sich erst, als beide weg waren, die vergessene Quesadilla im Müll lag und ich einen dicken Nebel aus Reinigungsmittel über den gesamten Bereich versprüht hatte – bis die einzige Erinnerung an Blut, die übrig blieb, das langsame, unablässige Pochen meines eigenen Hungers war.
*
Ich fuhr auf den Parkplatz neben der Sacramento-Belegbettenklinik und schrieb Mom eine Textnachricht. Fünfzehn Minuten später gab ich das Warten auf und ging hinein. Mom war 1900 geboren und wurde dieses Jahr 122 Jahre alt. Obwohl ihr Vampirkörper immer noch aussah, als wäre sie Ende dreißig, vergaß sie immer wieder, dass man sich jetzt Nachrichten schrieb.
Als ich die Türen der Klinik aufstieß, hüllte mich dieser unverwechselbare Geruch ein, bei dem sich mir der Magen umdrehte: Desinfektionsmittel, die süßlich-synthetischen Aromen, die ihren Gestank überdecken sollten, und unter alldem das allgegenwärtige Aroma von Blut.
Infiziertes Blut.
Das Wartezimmer hatte eine abgründige Energie. An den Wänden hingen abstrakte Aquarelldrucke, als ob Versandhandel-Kunst die Atmosphäre verbessern könnte. Die wartenden Patienten, die auf den mit Klebeband geflickten Sitzen hockten, hatten diesen entrückten Blick, den ich als Anzeichen einer schweren CFaD erkannte, auch wenn das kein Symptom war. Sie waren mit ihren Gedanken ganz woanders und versuchten, mit ihren Schmerzen oder ihrem Bankkonto fertigzuwerden. In der Ecke ließen eine erschöpfte Frau und ihr Kleinkind Holzperlen über Drahtschienen rollen – es war das deprimierendste Spielzeug der Welt, das es nur in deprimierenden Umgebungen wie dieser gab.
In dieser Klinik wurden Patienten mit Gerinnungsfaktordysfunktion, auch CFaD, behandelt. Seit der Entdeckung des Virus in den 1970er-Jahren hatte sich mehr als die Hälfte der Menschen mit dem CFaD-Virus infiziert. Bei den meisten waren die Symptome nicht stärker als die einer normalen Erkältung. Die Patienten, die in der Klinik meiner Mutter landeten, waren die Unglücklichen mit einer chronischen Erkrankung. CFaD brachte ihren Kreislauf durcheinander. Ihr Blut gerann zu schnell, zu langsam oder gar nicht, an den falschen Stellen und zu den falschen Zeiten, und ohne Behandlung konnten sie sterben. CFaD war meist harmlos – bis es einem schadete.
Vampire hatten das auf die harte Tour gelernt und kapiert, schon lange bevor es die ersten schweren Fälle gab. Denn jeder Vampir, der von einem Menschen mit CFaD trank – ob mit oder ohne Symptomen –, war innerhalb von Minuten tot. Die Vampire nannten es „Die Verseuchung“: Als sich CFaD explosionsartig in der menschlichen Bevölkerung ausbreitete, wurden wir fast ausgerottet.
Nur Hema hatte uns vor dem Aussterben bewahrt.
Aber meinen Vater hatte es nicht retten können.
„Hallo, Kat“, begrüßte mich die Empfangsdame. „Angela müsste bald fertig sein. Wir waren heute unterbesetzt.“
„Wie immer, oder?“, fragte ich.
Die Klinik hatte nie genug von dem, was sie brauchte. Das ging allen CFaD-Kliniken so – schon von Anfang an. Obwohl sie versichert waren, hatten viele Patienten meiner Mutter ihre gesamten Ersparnisse für die Behandlung aufgebraucht. Sie hofften, so lange durchhalten zu können, bis ein Heilmittel gefunden wurde. Die Black-Stiftung – der bedeutendste Name in der CFaD-Forschung – arbeitete seit etwa fünfundvierzig Jahren an einem Heilmittel. Wenn CFaD heilbar war, würde die Black-Stiftung das Mittel finden. Immerhin wurde sie von Vampiren kontrolliert. Vampire machten nicht oft gemeinsame Sache mit Menschen, aber wenn es um virenfreies Blut ging, waren sie zu einer Ausnahme bereit.
Die andere Ausnahme war – natürlich – meine Mutter. Sie lebte ihr Leben so, als ob sie vergessen wollte, dass sie ein Vampir war.
Ich setzte mich auf einen Stuhl, um auf sie zu warten, und schrieb Donovan, unserem Hema-Händler, eine Nachricht mit einer Bestellung, die ich später abholen wollte, likte ein Video von Shelby und wischte dann, mehr aus Gewohnheit, bis zum letzten Screen meines Telefons. Dort öffnete ich einen Ordner mit Spielen, die ich nie gespielt hatte, und entdeckte das Icon einer E-Mail-App.
Ich hätte das Konto schon längst löschen sollen. Ich hatte mir fest vorgenommen, das zu tun, wenn die Schule im Sommer zu Ende ging. Mom würde wütend werden, wenn sie herausfand, dass ich ein E-Mail-Konto auf ihren Namen eingerichtet hatte. Aber das Ende des Schuljahrs war gekommen und gegangen, und das Konto war immer noch da. Bei den vielen Tausend Malen, die ich es überprüft hatte, war der Posteingang immer leer gewesen. Jetzt war praktisch der Beginn des zweiten Schuljahrs, und ich hatte den Antrag im Januar eingereicht. Es war viel zu spät, um noch etwas von ihnen zu hören – aber wie konnte ich die Hoffnung aufgeben, solange ich überhaupt keine Antwort erhielt?
Ich warf einen Blick in den Flur, um sicherzugehen, dass meine Mutter nicht auftauchte, und öffnete das Konto.
E-Mail-Konto: AngelaFinn1900
Posteingang: 1
Zulassungsstelle@TheHarcoteSchool.edu –
Zulassungsentscheid für Katherine Finn
Ich saß regungslos da und starrte auf das Display.
Das ist es.
Ich tippte, um die Nachricht zu öffnen.
Das miserable WLAN der Klinik drosselte den Download, und es dauerte. Zuerst kam der Briefkopf mit dem Fledermaus- und Schlosswappen, das ich überall erkannt hätte. Darunter stand in verschnörkelter Schreibschrift Optimis optimus, was, wie ich wusste, „Die Besten der Besten“ hieß. Mir stockte der Atem, als der Text endlich erschien.
Liebe Ms Finn,
wir freuen uns, Katherine Finn für das kommende Schuljahr die Zulassung zur Harcote School anbieten zu können.
Ich möchte mich entschuldigen, weil ich die Zusage nicht schon zum Frühlingsbeginn geben konnte, wie es bei uns üblich ist, aber wir haben ein spezielles Finanzhilfepaket geschnürt, das die Verzögerung verursacht hat. Ein anonymer Spender wird Katherines Einschreibegebühren finanzieren. Dieses großzügige Angebot wird auf der folgenden Seite näher erläutert.
Das Schuljahr beginnt in etwas mehr als zwei Wochen. Wir werden Ihnen jede Unterstützung bieten, um sicherzustellen, dass Katherine vorbereitet ist. Bitte unterschreiben Sie das beigefügte Dokument, und senden Sie es so bald wie möglich zurück.
Lassen Sie mich der Erste sein, der Katherine in unserem fünfundzwanzigsten Jubiläumsjahr an der Harcote School willkommen heißt!
Mit freundlichen Grüßen
Roger Atherton
Direktor
Ich war drin!
Ich war tatsächlich angenommen worden.
Mich kribbelte es am ganzen Körper, und mir wurde schwindelig, aber diesmal war es nicht Hunger, sondern eine Erregung, die sich nicht real anfühlte.
Harcote School war eines der besten Internate des Landes. In der Welt der Menschen galt es als äußerst exklusiv und hatte eine einstellige Aufnahmequote. Das lag daran, dass die Menschen nicht wussten, dass Harcote nur eine Sorte Schüler:innen aufnahm: Youngblood-Vampire, die nach der Verseuchung geboren worden waren.
Und nicht irgendwelche Youngbloods, sondern die Youngblood-Elite, die von den reichsten und mächtigsten Persönlichkeiten der Vampirgemeinde abstammte.
Und jetzt auch mich.
Ich las die E-Mail wieder und wieder und versuchte, dieses Gefühl der Zufriedenheit in mein Gehirn einzubrennen. Wenn ich es mir nur tief genug einprägte, würde ich es vielleicht für immer in mir tragen. Denn wenn ich zu dem Angebot für die finanzielle Unterstützung vorblätterte, würde ich den Traum, Harcote besuchen zu können, ein für alle Mal aufgeben müssen.
Die Studiengebühren betrugen Zehntausende von Dollar pro Jahr, und finanzielle Unterstützung gab es bekanntermaßen so gut wie nie, ganz gleich, welche Formulare man bei seiner Bewerbung einreichte. Für die Kids, die nach Harcote gingen, spielte das keine Rolle: Sie waren Sprösslinge von Vampir-CEOs und Vampir-Milliardären, und ihre Schöpfer, die „Zahngeber“, wie man sie nannte – die Vampire, die ihre Eltern verwandelt hatten –, waren wahrscheinlich Legenden. Ich war die Tochter einer Vampir-Krankenschwester, und mein Vater hatte die schlimmste Phase der Verseuchung überstanden, nur um dann sein Leben zu verlieren, weil er von einem infizierten Menschen trank, als das Geld für Hema zu knapp wurde. Das machte das Schulgeld für eine Elite-Privatschule nahezu unerreichbar. Selbst wenn wir es uns hätten leisten können, war meine Mutter davon überzeugt, dass ich auf Harcote nichts zu suchen hatte.
Es spielte keine Rolle, dass ich, schon lange bevor meine Reißzähne wuchsen, davon geträumt hatte, dorthin zu gehen.
Meine Mom und ich hatten nie so richtig zur Vampirgemeinde gehört. Es war nicht nur so, dass sie mich immer auf eine öffentliche Schule geschickt hatte, während die meisten Youngbloods Privatlehrer hatten, oder dass unser Bankkonto ewig nur knapp über null schwebte. Wir hatten keine Abstammungslinie, die in der Vampirgemeinde angesehen war. Vor der Verseuchung, so erzählte mir meine Mutter, hing es vom Zahngeber ab, welchen Rang man in unserer Welt hatte. Der Schöpfer war ein älterer Vampir, der einen für das unsterbliche Leben auswählte und diese Gabe weitergab, indem er einen verwandelte. Ein echter Schöpfer lehrte einen frischgebackenen Vampir, wie man jagte und sich ernährte, wie man Menschen unter einen Scheinzauber bannte und sein vampirisches Charisma einsetzte, wie man sich an das unendliche Leben anpasste. Im Grunde lehrte er, ein Vampir zu sein. Zwischen Schöpfer und Erschaffenem existierte ein ewiges Band. Jetzt, da die neuen Vampire geboren und nicht mehr verwandelt wurden, hatte man diese Tradition angepasst. Die Zahngeber deiner Eltern galten auch als deine eigenen Zahngeber. Wenn andere Vampire nach meiner Abstammung fragten – jedenfalls früher, denn ich hatte seit Jahren keinen mehr getroffen –, erzählte ich ihnen, dass meine Zahngeber väterlicher- und mütterlicherseits der Verseuchung zum Opfer gefallen seien, und lenkte das Gespräch dann auf den Zahngeber meines Vaters. Er hatte tatsächlich nicht überlebt. Der Zahngeber meiner Mutter war ein absolutes Tabuthema. In Wahrheit wussten wir einfach nicht, ob er dem Virus erlegen war oder ob er immer noch zu den Ewig-Lebenden, Niemals-Sterbenden gehörte. Wir wussten nicht einmal, ob er ein Er war. Es lag daran, dass meine Mutter nicht wusste, wer ihr Zahngeber war. Punkt.
Meine Mutter war nicht für dieses Leben auserwählt worden, und ihre Unsterblichkeit war kein Geschenk gewesen. Ihr Schöpfer hatte sie überhaupt nicht verwandeln wollen: Er hatte sich an ihr gelabt und sie danach liegen lassen, weil er sie für tot gehalten hatte. Jahrelang hatte sie geglaubt, sie sei der einzige Vampir auf der Welt.
Als sie schließlich anderen begegnete, wurde ihr klar, dass sie ohne dieses Wissen besser dran gewesen wäre. Sie behandelten sie, als hätte sie es nicht verdient, eine von ihnen zu sein, als wäre ihr unsterbliches Leben ein Irrtum und als hätte der Vampir, der sie gebissen hatte, die Sache besser ganz beendet. Sie wollten nichts mit ihr zu tun haben.
Deshalb hatte sie mit den Lügen angefangen – Lügen, die ich von ihr übernommen hatte und die ich auch immer erzählte.
Außer einmal.
Und dieser Fehler rächte sich schnell. Auf der Fahrt quer durchs Land, als wir das Leben in Virginia hinter uns ließen, um in Kalifornien neu anzufangen, hatte ich viel Zeit, über den Mist, den ich gebaut hatte, nachzudenken. In Sacramento versprach meine Mutter (sie versprach es sich selbst, ich wurde dazu nicht befragt), dass sie mit den anderen Vampiren fertig sei. Wir waren jetzt seit drei Jahren hier, und außer Donovan kannte ich im ganzen Staat keinen einzigen Vampir.
Zuerst war ich froh gewesen, die Vampirgemeinde hinter mir zu lassen, nachdem ich mir so die Finger verbrannt hatte. Aber als ich älter wurde und meine vampirischen Züge nicht mehr zu ignorieren waren, begann mich die Isolation zu zermürben. Vielleicht war es falsch, die Anerkennung einer Welt zu suchen, die mich abgelehnt hatte, aber ich konnte nichts gegen den Stachel des Ehrgeizes ausrichten, der mich quälte, wenn ich an Harcote dachte. Diese Schule würde alles austreiben, was mich anders und geringer machte. Ich würde wirklich dazugehören.
Das war kein Ansinnen, das meine Mutter teilen konnte. Ganz und gar nicht. Sie sagte, eine Bewerbung komme nicht infrage. Außerdem würden wir es uns sowieso niemals leisten können.
Aber dieses Jahr hatte ich keine Lust mehr gehabt, um Erlaubnis zu fragen. Ich hatte den Antrag selbst ausgefüllt und heimlich eingereicht.
Ich seufzte. Besser, den schlimmen Teil gleich hinter sich zu bringen. Ich scrollte weiter zu dem Angebot für finanzielle Unterstützung.
Finanzielle Unterstützung
Finanzierung jährlich, für zwei Jahre (drittes und viertes Jahr), sofern der Ehrenkodex der Harcote School eingehalten wird:
– Jährliche Studiengebühren: werden in voller Höhe gezahlt.
– Unterkunft, Verpflegung, Uniform: werden in vollem Umfang gestellt.
– Zusätzliche Ausgaben, einschließlich Lehrbücher, Computerbedarf, Kosten für Vereine, Sportmannschaften oder Bildungsreisen: werden in voller Höhe übernommen, auf Antrag, ohne Begrenzung.
– Reisekosten für den Umzug zum Harcote-Campus und eine Familienheimfahrt pro Semester: werden in voller Höhe übernommen.
– Unvorhergesehene Ausgaben, einschließlich neuer Kleidung und anderer notwendiger Dinge vor der Ankunft auf dem Campus: auf Antrag in voller Höhe, ohne Begrenzung.
Alle Mittel werden durch anonyme Spenden bereitgestellt.
Ein Hochgefühl durchströmte mich heiß und innig. Ich zog meine Lippen zwischen die Zähne. Es fühlte sich nicht richtig an, in diesem trostlosen Wartezimmer strahlend zu grinsen.
„Was macht dich denn so glücklich?“
Meine Mutter stand im Flur. Sie war blass und ausgezehrt am Ende des langen Tages, aber sie lächelte neugierig.
Ich sprang auf. „Mom, ich gehe nach Harcote – ich bin drin!“
Ihr Gesicht krampfte sich vor Wut zusammen, ihre Augen traten aus den Höhlen, und sie fletschte die Zähne. Genauso schnell beruhigte sie sich wieder. Sie presste die Lippen fest zusammen, verkrampfte die Faust um die Henkel ihrer Handtasche und ging an mir vorbei, durch den Warteraum und auf den Parkplatz. Die Tür der Klinik schwang zu, bevor ich ihr folgen konnte.
2 KAT
„Hast du gehört, was ich gesagt habe?“ Ich joggte hinter meiner Mutter her. Sie ging zügig über den Parkplatz und war schon fast am Auto, als ich sie einholte.
Sie stand auf der Beifahrerseite und warf mir einen strengen Blick zu. Sie sog die Wangen ein, sodass sie eingefallen wirkten. „Kat, mach das Auto auf.“
„Ich bin auf Harcote angenommen worden!“, wiederholte ich.
„Ich habe dich schon beim ersten Mal verstanden. Bitte öffne das Auto.“
„Ist das alles, was du zu sagen hast?“ Ich umklammerte die Autoschlüssel. „Nicht mal so etwas wie ›Herzlichen Glückwunsch, Kat, meine einzige Tochter, dass du an einer der besten Highschools des Landes angenommen wurdest‹?“
„Ja, Kat, herzlichen Glückwunsch, dass du dich hinter meinem Rücken beworben hast, obwohl ich dir ausdrücklich davon abgeraten habe. Du bist so gewieft – da ist es kein Wunder, dass sie dich aufgenommen haben.“
Ihre Worte verletzten mich, aber noch schlimmer war der Blick in ihren Augen. Sie blitzten zornig und verrieten mir, dass sie nur einen Bruchteil dessen gesagt hatte, was sie wirklich dachte. „Ich verstehe das nicht“, stammelte ich. „Ich dachte, du wärst stolz auf mich.“
Hinter den Hitzewellen, die das Autodach ausstrahlte, schien sich ihr Gesicht zu verziehen, als sie mich wieder ansah. „Ich bin immer stolz auf dich, Kat. Aber ich werde dich nicht nach Harcote schicken. Es war ein langer Tag, und ich bin müde.“
Plötzlich durchzuckte mich blitzartig die Wut und wischte den Schmerz und die Verwirrung von vorhin einfach weg. Meine Mutter war also müde? Ach was! Ich war auch müde. Ich hatte es satt, in diesem blöden Imbiss arbeiten und Leute bedienen zu müssen, die hundertmal reicher waren, als ich es je sein würde, obwohl ich stattdessen ein Praktikum machen oder einen zusätzlichen Kurs hätte belegen können, der mir bei Colleges und eventuell den juristischen Fakultäten gut zu Gesicht gestanden hätte. Ich hatte es satt, mir Sorgen um Geld und Hema zu machen; ich hatte es satt, mich wie der einzige Vampir unter hundert im ganzen Staat Kalifornien zu fühlen.
Ich war es leid, mehr zu wollen und es nie zu bekommen, und ich war es leid, Angst zu haben, dass mein Leben für immer so bleiben würde – dass es sich für den Rest meiner Unsterblichkeit nie besserte.
Ich knirschte mit den Zähnen, aber ich tat, was sie verlangt hatte. Ich fuhr uns nach Hause und hoffte, dass ihr mein ätzendes Schweigen zusetzte. Es war ein kalkuliertes Vorspiel für den Streit, den wir ausfechten würden, sobald wir zu Hause angekommen waren. In meinem Kopf spielte ich hundert verschiedene Argumente durch, überlegte, wie ich am besten angreifen und ihre Verteidigung abwehren konnte. Ich wartete, bis die Wohnungstür geschlossen war und sie ihren Mantel aufgehängt hatte, bevor ich anfing.
Ich war entschlossen, rational und beherrscht. „Ich weiß, es ist schon spät im Sommer, aber sie haben mir eine volle Finanzierung zugesagt. Das Förderungspaket deckt sämtliche Studiengebühren, Unterkunft und Verpflegung, alles.“
„Das ändert nichts an der Tatsache, dass du mich angelogen hast.“
„Streng genommen habe ich nicht gelogen. Du hast mich nur nie gefragt.“
Sie blähte die Nasenflügel. „Wie dumm von mir, dich nie zu fragen, ob du dich heimlich für ein Internat beworben hast.“
„Gut. Ich habe dich hintergangen, das war falsch“, räumte ich ein. „Aber jetzt ist es so, dass ich angenommen wurde und wir es uns leisten können. Vielleicht könnten wir sogar Geld sparen, wenn ich in der Schule wäre und alles geregelt ist.“
„Es geht nicht nur um das Geld oder den Zeitpunkt, der – offen gesagt – lächerlich ist. Ich will nicht, dass du auf ein Internat gehst, schon gar nicht nach Harcote. Dort sind nur Vampire, keine Menschen. Ich möchte, dass du eine größere Welt kennenlernst.“
„Seit wann ist Sacramento eine größere Welt?“ Ihrem Blick nach zu urteilen, hatte ich mich damit vergaloppiert. Ich änderte meine Taktik. „Und ich bin ein Vampir, Mom. Das Zusammenleben mit Menschen wird daran nichts ändern.“
„Was soll das, Kat?“ Sie streckte die Hände vor sich aus, als wäre diese Tatsache eine unsichtbare Präsenz im Raum. „Du hast viele Freunde hier.“
„Menschliche Freunde, die ich jeden Tag über meine Identität belüge. Kannst du dir vorstellen, wie schwer es für mich ist, mein ganzes Leben lang keinen einzigen Vampir in meinem Alter kennengelernt zu haben?“
„Mir war nicht klar, dass dein Leben erst begonnen hat, als wir nach Sacramento zogen, Kat. Ich erinnere mich doch richtig, dass du viel Zeit mit einem Vampir deines Alters verbracht hast, bevor wir hierherkamen.“
Das traf mich tiefer, als es hätte tun sollen. Denn es stimmte. Bevor wir nach Kalifornien zogen, hatten wir vier Jahre bei einer Vampirfamilie gelebt. Nun, nicht direkt bei ihnen, sondern in einem Gästehaus auf ihrem großen Anwesen. Ihre Tochter war meine beste Freundin gewesen – bis sie mein Vertrauen missbrauchte und wir vor die Tür gesetzt wurden.
„Das war etwas anderes!“, fuhr ich sie an. „Wir waren Kinder, noch nicht einmal richtige Vampire. Und du weißt, dass ich nicht mehr mit ihr gesprochen habe, seit wir von dort weg sind. Ich muss mit anderen Youngbloods zusammen sein, weil es jetzt wirklich wichtig ist.“
„Du hast mich, und du hast Glück, dass es so ist. Vampire haben schon immer einsam gelebt, Kat. Das liegt in der Natur der Verwandlung.“
„Und alle waren sich einig, dass das nicht gerade eine gute Sache war. Warum sollte ich so leben müssen, schließlich sind die Dinge doch jetzt anders?“ Vor der Verseuchung waren Vampire nicht am Kinderkriegen interessiert – jemanden zu verwandeln war nur Erwachsenen vorbehalten. Eine Schwangerschaft war mit einem unsterblichen Körper, der superschnell heilte, schwer zu bewerkstelligen. Erst als CFaD die Verwandlung unmöglich machte, begannen Vampire, Kinder zu zeugen. „Es gibt eine ganze Generation von Youngblood-Vampiren wie mich, und ich hänge ganz allein hier draußen herum.“
Sie massierte sich die Schläfen. Ich schaffte sie. „Warum bekommst du so viel finanzielle Unterstützung?“
„Weil wir pleite sind und alle anderen reich. Und weil ich es verdient habe.“
Sie warf mir einen erschöpften Blick zu. „So funktioniert die Welt nicht, das weißt du.“
Sie hatte recht, das wusste ich. Schon lange. Die Wände der kleinen Wohnung fühlten sich zu eng an, die Luft zu still und heiß. Ich fuhr mir über das Gesicht. Aus mir unerklärlichen Gründen hatte ich in dieser Diskussion die Oberhand verloren. Das war unmöglich, inakzeptabel, aber ich war so frustriert, dass es mir nicht gelang, wieder richtig in Fahrt zu kommen.
„Harcote könnte mein Leben verändern, Mom!“
„Ich habe versucht, dir das bestmögliche Leben zu bieten.“ Ihre Augen schimmerten, und das machte mich wütend. Sie stellte es immer so an, gab sich zerbrechlich und tragisch, als wäre das eine legitime Art, so einen Streit zu gewinnen, und nicht nur ein peinliches Ausweichmanöver.
„Flöße mir keine Schuldgefühle ein, wenn du diejenige bist, die im Unrecht ist! Nur weil du damit zufrieden bist, hier deine Unsterblichkeit zu verplempern, heißt das nicht, dass ich es auch bin. Denn ich bin es nicht. Ich kann nicht ewig so leben.“
Ewig.
Eine vertraute Enge schnürte mir die Brust zusammen, raubte mir den Atem – die Panik, die mich packte, wann immer ich zuließ, daran zu denken.
Die Menschen sprachen über die Unsterblichkeit, als wäre sie ein unglaubliches Geschenk. Es klang schön, wenn man sie in einem Schloss zu verbringen beabsichtigte, auf einem Berg von Geld hockte und alle Zeit der Welt hatte, um es zu verprassen, wie die Vampire in Filmen und Büchern. Dieses Leben kam mir auch ziemlich erstrebenswert vor.
Aber das war nicht das Leben, das ich führte.
Unsterblichkeit sieht ganz anders aus, wenn man Jahrzehnte der Ungewissheit vor sich hat. Ich hatte Pläne für die nächsten paar Jahrzehnte. Youngblood-Vampire alterten bis zum Ende ihrer Teenagerzeit wie alle Menschen; von da an verlangsamte sich der Prozess extrem. An meinem hundertsten Geburtstag würde ich vielleicht wie eine Dreißigjährige aussehen. Das machte es schwer, sich irgendwo ein dauerhaftes Leben aufzubauen. Mein Plan war gewesen, College und Jurastudium auf Kredit zu absolvieren und dann in einer Anwaltskanzlei zum Partner aufzusteigen. Ich wollte ein paar Jahre jeden Cent sparen und am Schreibtisch heimlich einen Schluck Hema trinken, bis die Tatsache, dass ich immer noch wie eine Studienanfängerin aussah, zu viele fragende Blicke auf sich ziehen würde. Dann würde ich tun, was schon andere Vampire vor mir getan hatten: an einen neuen Ort ziehen, ein neues Leben aufbauen und darauf warten, dass sich der Prozess wiederholen würde. Das hieß, keine lebenslangen Freunde, niemals miterleben, wie jemand alt wird, keine Schultreffen nach zwanzig Jahren. Es reichte nur für das, was ich wirklich wollte: Sicherheit, Stabilität, ein Leben, in dem ich mir keine Sorgen machen musste, aus Versehen einen kombinierten Mord und Selbstmord zu begehen, wenn ich von einem infizierten Menschen trinken musste, weil mein Bankkonto leer war.
„Ich will da hin, Mom“, sagte ich mit rauer Stimme. Jetzt musste meine Trumpfkarte kommen. „Ich glaube, Dad hätte das auch für mich gewollt. Damit ich nicht so ende wie er.“
Zwei dünne Falten bildeten sich zwischen ihren Augenbrauen, wie immer, wenn sie einer Sache zustimmte, die sie eigentlich für eine schlechte Idee hielt. Das wars – das war ihr Ja. Doch dann sagte sie: „Ich bin nicht der Meinung, dass er Harcote für dich wollen würde. Er würde eher darauf vertrauen, dass du lernst, ohne so etwas auszukommen.“
Ich versteifte mich, mein Mund blieb offen stehen. Den ganzen Streit über hatte die Wut in mir gekocht, aber jetzt war ich mit voller Wucht gegen eine Wand geprallt. Ich konnte mich nicht mit ihr darüber streiten, was mein Vater gewollt hätte. Er war gestorben, bevor ich alt genug war, um ihn richtig wahrzunehmen. Die meiste Zeit konnte ich damit leben, aber in diesem Moment fühlte es sich an, als wollte meine Mutter mich absichtlich an das erinnern, was ich verloren hatte.
„Glaub mir, Kat.“ Ihre Stimme wurde weicher. „Das ist das Beste für uns.“
Ich konnte sie nicht einmal ansehen, als ich mir die leeren Hema-Flaschen von der Küchentheke schnappte. „Donovan erwartet mich.“
*
Das ist das Beste für uns.
Diese Worte rotierten in meinem Kopf, als ich zu Donovan fuhr.
Harcote war eine Weltklasse-Schule, ein Ort, der Macht, Privilegien und Exzellenz vereinte, mit Klassen, die College-Niveau hatten. Aus Harcote-Schüler:innen wurde was, sofern sie es nicht schon waren. Alle Möglichkeiten standen ihnen offen, und diese finanzielle Unterstützung sorgte dafür, dass ich die gleichen Möglichkeiten hätte.
Wie konnte meine Mutter nur glauben, dass Harcote nicht das Beste für mich sei?
Ich musste zugeben, dass die Sache mit der finanziellen Unterstützung zu schön war, um wahr zu sein, aber ich gehörte an meiner Highschool zu den Besten und hatte einen hervorragenden Bewerbungstext geschrieben. Ich brachte das Zeug dazu mit, und ich hatte definitiv das Bedürfnis danach. Ich packte das Lenkrad fester. Das Einzige, was mir im Weg stand – und was mir je im Weg gestanden hatte –, war sie.
Ich bog in die Straße zu dem Einkaufszentrum ein, in dem sich das Donovan’s befand, und fuhr auf die Rückseite des Gebäudes. Von vorne betrachtet war Donovan’s eine Spelunke mit einem schrillen Neonschild und verdunkelten Fenstern. Im hinteren Teil betrieb Donovan einen Vertrieb für Hema, und wir verließen uns darauf, dass er uns einen guten Preis machte. Ich drückte auf die Klingel und wartete zwischen den Müllcontainern, Holzpaletten und Zigarettenstummeln. Es roch nach Müll mit einem ekelhaften Unterton von Urin. Ich kickte eine leere Bierdose weg.
Ich wäre auf dem dunklen Parkplatz gern nervös oder ängstlich gewesen. Oder angewidert. Hätte mich gern deplatziert gefühlt.
Aber so war es nicht.
Stattdessen spürte ich nur die vertraute Beklemmung in der Brust: eine Ewigkeit wie diese, eine Unsterblichkeit wie diese.
Für immer. Ich sollte für immer so leben.
Die Tür schwang auf, und Donovan streckte seinen Kopf heraus, einen Zigarettenstummel zwischen den Lippen. „Hallo, Kat.“
Er kam raus und zündete sich an der Kippe eine frische Zigarette an. Donovan hatte ein altersloses Aussehen, durchdrungen vom vampirischen Charme, der die Menschen zu ihm hinzog, obwohl sie nicht genau hätten sagen können, warum. Insbesondere, weil er sich nicht pflegte: Sein Haar war fettig, und ein Jahrhundert folgenlosen Kettenrauchens sorgte dafür, dass der Gestank von abgestandenem Rauch ihm aus allen Poren drang.
„Zwei Flaschen, richtig?“
„Ja.“ Ich hielt ihm die beiden leeren Flaschen hin, die ich mitgebracht hatte.
„Mit einem kleinen Rabatt für die Flaschenrückgabe …“ Er tippte mit einem nikotinverseuchten Finger die Zahlen in sein Smartphone. „Das macht dreihundertzehn Dollar.“
Mir wurde flau im Magen. „Das sind zwanzig Dollar mehr als sonst!“
Donovan stieß eine Rauchwolke aus und kratzte mit einem Fingernagel eine juckende Stelle auf seiner Kopfhaut. „CasTech legt die Preise fest, Babe. Ich bin nur der Zwischenhändler.“
„Wenn ich dir jetzt zweihundert gebe, kannst du den Rest auf unsere Rechnung setzen?“
Donovan verzog das Gesicht. „Eines Tages wirst du diese Rechnung bezahlen müssen, das ist dir doch klar? Aber für deine hübsche Visage werde ich es tun.“
Ich zwang mich zu einem Lächeln, während ich das Geld zählte. Als ich bei der letzten Banknote ankam, rutschte mir der Magen in die Kniekehlen. „Das sind nur hundertneunzig. Ich dachte, ich hätte mehr.“
„Du machst mich wirklich fertig, Kat.“ Donovan warf seine Zigarette weg. „Hör zu, ich habe da noch Ware, die ich loswerden muss. Ich gebe sie dir für hundertneunzig, und damit ist die Sache erledigt.“
Donovan verschwand im Inneren und kam dann mit zwei Flaschen zurück. Das Hema darin schimmerte fast schwarz. Ich kippte die Flaschen auf den Kopf und beobachtete, wie die zähe Flüssigkeit am Glas kleben blieb. Dann schraubte ich den Deckel einer Flasche ab und roch daran. Fast hätte ich auf die Straße gespuckt.
„Das ist ja schon fast ranzig!“
„Wer bettelt, kann nicht wählerisch sein. Das frischeste Zeug kostet im Moment fünfhundert pro Flasche.“
Ich hätte am liebsten geweint oder geschrien oder beides. Ich malte mir aus, wie ich die Flasche auf dem Boden zertrümmerte, Glasscherben und klebriges altes Blut dort verteilte und das Hema auf Donovans Füße spritzte, um herauszufinden, wie ihm der Geruch gefiel.
Aber das tat ich nicht. Ich konnte es nicht.
Stattdessen schraubte ich den Deckel wieder auf und nahm ihm auch die zweite Flasche ab. Ich gab ihm das Geld und bedankte mich für seine Hilfe. Donovan zwinkerte mir zu und sagte, es sei ihm ein Vergnügen, mit mir Geschäfte zu machen. Das sagte er jedes Mal, und wie immer fühlte es sich wie eine zusätzliche Demütigung an. Dann stieg ich wieder ins Auto und fuhr nach Hause.
Fünfhundert Dollar für eine Flasche frisches Hema. Bei solchen Preisen kam es einem Wunder gleich, dass die ärmeren Vampire überlebten. Ich zitterte. Würde es eines Tages so weit kommen, für uns – oder mich? Wenn die Hema-Preise weiter stiegen, wenn der Klinik weiter die Mittel gekürzt wurden. Wir waren immer nur einen Fehltritt davon entfernt, in den Abgrund zu rutschen. Hunger machte einen verzweifelt, und verzweifelte Vampire gingen unsägliche Risiken ein. Risiken, die sie alles kosteten.
Das ist das Beste für uns.
Mom hatte unrecht. Ich spürte es, hart und wahrhaftig, an der Stelle, wo die Krallen der Unsterblichkeit an meinen Rippen kratzten. Vielleicht war es ja das Beste für sie, aber ich wollte mehr. Zum ersten Mal überhaupt bot sich mir jetzt die Chance dazu. Harcote war ein Ausweg, der Weg zu etwas Besserem, ein Ort, an dem ich endlich dazugehören konnte.
Wenn sie das nicht einsah, gab es zwischen uns nichts mehr zu besprechen.
Als ich vor unserer Wohnung parkte, nahm ich mein Handy heraus und öffnete die Nachricht von Direktor Atherton. Schnell, bevor ich die Nerven verlor, unterschrieb ich die Dokumente mit der Unterschrift meiner Mutter, checkte alle Kästchen und drückte dann auf „Senden“.
Das zweite Studienjahr begann in zwei Wochen. Dann würde ich Schülerin in Harcote sein.
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