Zum Töten bereit - eBook-Ausgabe
Warum deutsche Jugendliche in den Dschihad ziehen
„Kaddors Aufruf, den Salafismus mit den Mitteln der Aufklärung zu bekämpfen, wie sie es selbst in vielen Gesprächen getan hat, zieht sich durch das Buch.“ - schreib-lust.de
Zum Töten bereit — Inhalt
„Wir sehen uns im Paradies“, schrieben die fünfzehnjährige Sabina und ihre Freundin Samra an ihre Eltern, bevor sie spurlos nach Syrien verschwanden. Ahmed C. ist in Ennepetal geboren und liebte Fußball – bevor er sich als Selbstmordattentäter in Bagdad in die Luft sprengte. Über fünfhundertfünfzig deutsche Dschihadisten, der jüngste von ihnen dreizehn Jahre alt, befinden sich zurzeit unter den IS-Kämpfern und dienen als „Gotteskrieger“, während ihre Freunde zu Hause in Deutschland Abitur machen. Die islamische Religionslehrerin und Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor kennt selbst zahlreiche junge Menschen, die auf der Suche nach Anerkennung und Akzeptanz der Dschihad-Romantik verfallen sind. Sie berichtet von einer orientierungslosen Generation und erklärt, was wir tun können und müssen, um die Radikalisierung unserer Kinder zu stoppen.
Leseprobe zu „Zum Töten bereit“
Vorwort
Dieses Buch wäre vermutlich nie entstanden, wenn ich nicht in mehrfacher Hinsicht betroffen wäre. Es geht um Syrien, es geht um Jugendliche in Deutschland, und es geht um den Islam. Zu allen drei Themen habe ich starke Bezüge.
Ich bin gläubige Muslimin und als Kind syrischer Eltern 1978 in Deutschland geboren. Ich bereiste Syrien beinahe jährlich. Seit fast vier Jahren ist mir das nicht mehr möglich. Dass es dort einmal zu solch einem Bürgerkrieg kommen würde und ich mich wegen dieses Teils meiner Identität und vor einem so katastrophalen [...]
Vorwort
Dieses Buch wäre vermutlich nie entstanden, wenn ich nicht in mehrfacher Hinsicht betroffen wäre. Es geht um Syrien, es geht um Jugendliche in Deutschland, und es geht um den Islam. Zu allen drei Themen habe ich starke Bezüge.
Ich bin gläubige Muslimin und als Kind syrischer Eltern 1978 in Deutschland geboren. Ich bereiste Syrien beinahe jährlich. Seit fast vier Jahren ist mir das nicht mehr möglich. Dass es dort einmal zu solch einem Bürgerkrieg kommen würde und ich mich wegen dieses Teils meiner Identität und vor einem so katastrophalen Hintergrund erneut mit der Frage nach Heimat auseinandersetzen müsste, hätte ich nicht für möglich gehalten. Syrien war seit meiner Kindheit ein fester Bezugspunkt für mich. Syrien bedeutete für mich Familie, Fernweh, aber auch Fremdheit.
Als ich mich nach dem Abitur 1997 entschloss, Arabistik und Islamwissenschaft zu studieren, war das eine reine Bauch- und Sympathieentscheidung. Ich hätte nie daran gedacht, dass ich mit diesem Studium jemals etwas zum Zusammenleben der deutschen Gesellschaft beitragen könnte.
Im Jahr 2003 begann ich, im Stadtteil Dinslaken-Lohberg als Lehrerin für Islamkunde (seit 2014 als Lehrerin für Islamischen Religionsunterricht) zu arbeiten. Inzwischen muss ich in den letzten zwölf Jahren weit mehr als 1000 Schülerinnen und Schüler muslimischen Glaubens unterrichtet haben. Bereits zu Beginn meiner Tätigkeit stellte ich große soziale und emotionale Defizite bei meinen Schülern fest. Seit Jahren beschäftige ich mich mit der Problematik der sozialen und emotionalen Integration dieser muslimischen Jugend.
Im Frühjahr 2013 wurde ich dann von der Nachricht überrascht, dass eine Handvoll meiner ehemaligen Schüler in das Land meiner Eltern gereist war, um sich dort an den Aktionen der islamistischen Terrorgruppen zu beteiligen. In Deutschland waren sie von Salafisten angeworben worden. Sie hatten sich ihnen angeschlossen, weil sie bei ihnen das zu bekommen glaubten, was sie zuvor vergeblich suchten: Respekt, Orientierung und Zusammenhalt. Das Ganze traf mich wie ein Schlag. Ich begann, mich noch intensiver als früher mit den Fragen des Salafismus zu beschäftigen. In den Medien wurde und wird derweil vieles dazu geschrieben. Aber stimmt das auch? In seiner Titelgeschichte „Der Dschihad-Kult“ vom 18. November 2014 skizziert der Spiegel beispielsweise zwei in Deutschland angeworbene Kämpfer wie folgt: »Es sind junge Männer wie David G. aus dem Allgäu, ein höflicher, ruhiger Junge, der eine Lehre machte und 18 war, als er Deutschland verließ, sich dem IS anschloss und getötet wurde im Gefecht. Männer wie Mustafa K. aus Dinslaken, der mit abgetrennten Köpfen in Syrien in die Kameras lächelt. Übergewicht, schlecht in der Schule, keine Chance bei Frauen, einer, der oft verprügelt wurde und zu viel trank und im Morgengrauen besoffen in der Dönerbude am Marktplatz saß.«
Ich schreibe dieses Buch nicht als ausgewiesene Salafismusexpertin. Da die Bewegung des Salafismus noch so jung ist, stehen Forscher, Behörden und Praktiker ohnehin erst am Anfang, wenn es darum geht, das Phänomen zu begreifen. Zum jetzigen Zeitpunkt kann also niemand allgemeinverbindliche Aussagen auf der Grundlage von wissenschaftlichen Daten treffen. Vieles basiert auf Beobachtungen und ersten Analysen. Wir müssen uns dem Problem noch viel weiter annähern. Denn wir können dem Salafismus in Deutschland erst dann gezielt und effektiv etwas entgegenstellen, wenn wir ihn richtig verstehen.
Ich schreibe dieses Buch, weil ich junge Menschen kennengelernt und zeitweise begleitet habe, die sich haben verführen lassen. Ich konnte mit Menschen sprechen, deren Kinder verschwunden sind. Ich habe mit Jungen wie Mädchen gesprochen, die in den selbst ausgerufenen Dschihad gezogen sind und wiederkamen oder hier dafür werben. Und ich kenne mich als Islamwissenschaftlerin mit jener Religion aus, die hier von Extremisten benutzt wird.
In diesem Buch möchte ich Fragen stellen und nach Antworten suchen. Lässt sich die Radikalisierung aufhalten? Wie? Mit welchen Menschenfängermethoden gewinnt der politische Salafismus unsere Kinder? Warum lassen sich muslimische wie nichtmuslimische Kinder im 21. Jahrhundert überhaupt auf eine alte, äußerst dogmatische Lehre ein? Gibt es Unterschiede zwischen deutschstämmigen Familien und Familien mit ausländischen Wurzeln? Das Buch gibt Einblicke in die Gedankenwelt von jungen Deutschen, die bereit sind, im Irak und in Syrien zu töten. Nur, wenn wir verstehen, was unsere Kinder antreibt, sind wir in der Lage, mögliche Präventionsmaßnahmen zu entwickeln. Ich möchte zeigen, dass wir alle dazu beitragen können und müssen, dass salafistische Menschenfänger weniger erfolgreich Jagd auf unsere Jugend machen können.
1
Ist Salafismus in Deutschland gefährlich?
Es gibt wenige Begriffe, die in unserer Gesellschaft so schnell Karriere gemacht haben, wie der des „Salafismus“. Das Wort war vor weniger als zehn Jahren gerade mal einer Handvoll Experten bekannt. In seiner heutigen Bedeutung bezeichnet es ein relativ neues Phänomen des Extremismus, das neben die schon länger bekannten Formen des Rechts- und des Linksextremismus getreten ist. Der Verfassungsschutz befasst sich seit 2006 mit dem Salafismus. Nur kurz davor hatte einer der bis heute prägenden Köpfe der Bewegung, Pierre Vogel, die Öffentlichkeit gesucht. Bereits damals sorgte er unter Jugendlichen mit öffentlichen Auftritten und Darstellungen im Internet für Aufsehen. Auch ich nehme das Phänomen seit etwa dieser Zeit bei meiner Arbeit verstärkt wahr.
Zunächst müssen wir kurz klären, was Salafismus überhaupt ist. Der religiöse Salafismus ist eine Strömung innerhalb des Islam. Im Islam gibt es verschiedene Glaubensrichtungen wie die der Sunniten und der Schiiten sowie liberale, konservative und fundamentalistische Hauptströmungen, die sich wiederum unterteilen lassen. Der Salafismus gehört zum sunnitischen Islam und ist ein Teil des fundamentalistischen Spektrums. Fundamentalisten geben vor, sich auf die Ursprünge der Religion zu konzentrieren. Sie wollen den Koran wortwörtlich verstehen. Damit ignorieren sie, dass die Zeit stetig fortschreitet und neue Erkenntnisse bringt. Fundamentalisten sind rigide, verweigern Kompromisse und wehren jegliche Kritik an ihren Auffassungen ab.
Der Salafismus selbst lässt sich ebenfalls unterteilen: in eine unpolitische Strömung, in der es den Anhängern nur darum geht, ihre religiösen Vorstellungen privat zu leben. Hier sprechen wir von puristischem Salafismus. Dann gibt es politische Salafisten, die gezielt die Gesellschaft und den Staat, in dem sie leben, durch Missionierung nach ihren Vorstellungen verändern wollen. Die dritte Gruppe schließlich setzt sich aus dschihadistischen Salafisten zusammen. Sie wollen auch die Gesellschaft verändern, das aber unter ausdrücklicher Einbeziehung von Gewaltanwendung. Die Bezeichnung „dschihadistisch“ kommt vom arabischen Wort dschihad. Im Deutschen wird das zumeist mit „Heiliger Krieg“ übersetzt, womit der bewaffnete Kampf für die Religion des Islam gemeint ist. Die Übersetzung ist unglücklich, weil sich die Vorstellung von „heilig“, wie man sie im Christentum kennt, so nicht einfach auf den Islam übertragen lässt.
Der Begründer der sunnitisch-hanafitischen Rechtsschule, Abu Hanifa (699–767), soll die Welt schon in der Frühzeit des Islam in dār al-harb (wörtl. „Haus des Kriegs“) und dār al-islām („Haus des Islam“) eingeteilt haben. So werden Gebiete, in denen der Islam und damit die Scharia nicht als Gesetzesgrundlage praktiziert werden, als dār al-harb bezeichnet. Alle anderen Gebiete, in denen der Islam das Staatsgefüge bestimmt, nennt man dār al-islām. Etwas später wurde dann zur Aufweichung dieser Polarisierung auch noch die Kategorie des dār al-’ahd („Haus des Vertrags“) eingeführt. Das sind Gebiete, in denen rechtliche Absprachen zwischen Muslimen und Nichtmuslimen getroffen wurden und somit ein befristeter Frieden gesichert wurde. Nach klassischer theologischer Vorstellung heißen die Kriege gegen die Menschen im Kriegsgebiet dschihād. Der Märtyrertod wird als schahīd bezeichnet.
Dschihad bedeutet aber zunächst schlicht „Anstrengung“ oder „Bemühung“. Es gibt zwei Formen dieser Bemühung: Die wichtigere Bemühung liegt darin, täglich eine Art Selbstüberwindung und -läuterung durchzuführen. Das ist der dschihād al-akbar,der „größere Dschihad“. Der „kleinere Dschihad“ (dschihād al-asghar) bezieht sich vor allem auf kriegerische Verteidigungskämpfe, aber auch auf Eroberungskämpfe. Diese theologischen Konzeptionen müssen im historischen Kontext betrachtet werden. Um beispielsweise einen kriegerischen Dschihad auszurufen, bedarf es eines religiösen Oberhaupts, dem alle Muslime auf der ganzen Welt loyal ergeben sind. Da dies seit dem Tod des Propheten Muhammad de facto nicht mehr der Fall ist, wird es nie einen Dschihad geben können, an dem sich alle Muslime geschlossen beteiligen würden. Auch das völkerrechtliche Verständnis von Kriegs- und Friedensgebiet ist damit im Grunde hinfällig, da es keinen von allen Muslimen anerkannten Kalifen mehr gibt.
Fakt aber ist heute: Die Idee des Dschihad wird ungeachtet dessen, in allen Nuancen seiner Bedeutung gelebt. Der kriegerische Dschihad ist de facto Realität, auch wenn er kaum noch etwas mit den klassischen religiösen Überlegungen zu tun hat, sondern vorwiegend auf dem brutalen weltlichen Machtstreben einiger selbsternannter Anführer beruht. Vor allem aus einer politischen Motivation heraus entsteht also der Wille, die ganze Welt den religiösen Überzeugungen der jeweils treibenden Kraft zu unterwerfen. Wie das zu geschehen hat – ob mit Gewalt oder ohne –, wird allerdings sehr unterschiedlich verstanden – auch bei den Salafisten. Ihnen gilt der Islam als die beste Religion, und sie sind davon überzeugt, dass ihre Religion für alle gelten muss. Allerdings gehen die Puristen unter ihnen nicht kämpferisch vor, sondern missionieren mit gewaltfreien Mitteln. Und selbst wenn auch das nicht unserer Toleranzvorstellung entsprechen mag, so stellen diejenigen keine direkte Bedrohung für uns dar.
„Kaddors Aufruf, den Salafismus mit den Mitteln der Aufklärung zu bekämpfen, wie sie es selbst in vielen Gesprächen getan hat, zieht sich durch das Buch.“
„Ein wichtiges Buch für unser Einwanderungsland.“
„Wie kann man die Radikalisierung der jungen Leute stoppen? Lamya Kaddors Buch bietet Lösungsvorschläge.“
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