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Feministische Bücher

Feministische Literatur zu Gender, Gleichberechtigung, #metoo

Die aktuelle Debatte zum Feminismus ist geprägt von vielen Facetten: #metoo, Quotenregelungen, gleiches Geld für gleiche Arbeit, genderneutrale Sprache, Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die sich daraus ergebenden Fragestellungen bezüglich der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Diese Liste ließe sich noch fortsetzen, das Thema ist aktueller denn je und das Bewusstsein, wie weit sich patriarchale Strukturen durch alle Aspekte unseres Lebens ziehen war noch nie so groß.

In der feministischen Literatur werden die unterschiedlichsten Ansätze verfolgt. Teilweise wird auf eine historische Diskursanalyse Bezug genommen oder es wird die weibliche Psyche thematisiert. Einige der Autoren fühlen sich stark der politischen Frauenbewegung verbunden, wodurch in ihren Werken gesellschaftliche Probleme wie die aktuelle Debatte zu #metoo Eingang finden. Um welchen Themenbereich es sich auch handelt, stets vereint die Werke ein Interesse für frauenspezifische Themen. Die Geburtsstunde der feministischen Literatur war 1929 mit dem Werk „Ein Zimmer für sich allein“ von Virginia Woolf. Nur 20 Jahre danach folgte ein weiteres bedeutendes Werk dieses Genres mit dem Buch „Das andere Geschlecht“ von Simone de Beauvoir. Ausgehend von diesen beiden Paradewerken der feministischen Literatur sind zahlreiche weitere Werke anderer Autorinnen entstanden, die Frauenthemen auf spannende Weise angehen.

So unterschiedlich die Fragestellungen, so unterschiedlich auch unsere Bücher, die sich unter dem großen Thema Feminismus zusammenfassen lassen. Ob es um die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper geht, um das Leben mit Familie und Beruf oder um die Neudefinierung von Geschlechterrollen – unsere Autorinnen und Autoren kommentieren diese auf ihre jeweils ganz eigene Weise. Auch literarisch nähern sich Autorinnen und Autoren dem Thema auf verschiedenen Wegen an. Deshalb gehören zu dieser Sammlung von Büchern für Frauen und Frauenthemen auch unbedingt einige Romane.

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Frauen in der Kunst

Eine feministische Reflexion über Frauenbilder in der Literatur, und über (weibliches) engagiertes Schreiben 

Blick ins Buch
Eine ganze Hälfte der WeltEine ganze Hälfte der Welt

Die vernachlässigten Frauen der Literatur

Eine feministische Reflexion über Frauenbilder in der Literatur, und über (weibliches) engagiertes Schreiben 
Bevor Alice Zeniter Autorin wurde, war sie vor allem eins: Leserin. Und immer fehlten ihr bei der Lektüre Heldinnen, mit denen sie sich identifizieren konnte. Seit Simone de Beauvoir wird dieses Manko von Frauen wie Ruth Klüger oder Elke Heidenreich thematisiert. Alice Zeniter, Superstar der französischen Literaturszene, kommt mit ihrer brillanten Analyse zu verblüffenden Einsichten. Es geht um die Darstellung von Frauen in der Literatur, um weibliche Rezeption, aber auch um die Frage, wie man als Autorin den alten Mustern entkommen kann, ohne dabei zu ideologisieren oder zu langweilen. 

EINLEITUNG

Mit diesem Buch habe ich zu Beginn der Covid-19-Pandemie angefangen.[1] Studien mögen zeigen, dass die Menschen während des ersten Lockdowns mehr gelesen haben, ich für meinen Teil hatte über mehrere Wochen große Probleme damit. Ich konnte auch keine Filme mehr anschauen, oder jedenfalls nicht bis zum Schluss, oder aber ich schaute sie, ohne sie eigentlich zu sehen … Sicher, mein über den Haufen geworfener Alltag, die Verunsicherung, der Wunsch, minütlich die pandemischen Entwicklungen zu verfolgen, das Erlernen neuer Verhaltensweisen und der Entzug der eigenen Bewegungsfreiheit hätten als Erklärung meiner abdriftenden, gar mangelnden Aufmerksamkeit völlig ausgereicht, aber ich meinte, in dieser so außergewöhnlichen Zeit auch zu bemerken, dass etwas in meinem Verhältnis zu den Geschichten in die Brüche gegangen war – etwas, das die Jahre zuvor bereits bröcklig und spröde gemacht hatten, unterhöhlt von gewissen Fragen. Ich war nicht mehr sicher, ob ich noch etwas von ihnen wissen wollte, was sie mir zu bieten hatten, womit ich mich noch identifizieren konnte.

Hin- und hergeworfen fand ich mich plötzlich in einer Zeit wieder, die zerstückelt wurde von Bekanntmachungen des Präsidenten und der Regierung, von der Veröffentlichung wissenschaftlicher Studien, die nahezu täglich etwas über das neue Virus herausfanden, von Sechzig-Minuten-Einheiten, in denen es gestattet war, das Haus zu verlassen. Die Zeit war zerhackt, sie sprang wie das Bild alter Fernsehapparate und fing wieder bei null an, die Tage spielten sich alle vor der gleichen Kulisse ab, und die Zukunft schien zurückgedrängt oder per Erlass vertagt worden zu sein.

Die sich sorgfältig abspulende Chronologie, die mir von den meisten Geschichten angeboten wurde (A, dann B, dann C, dann die Auflösung), war mir mit einem Mal fremd geworden, da ich auch mir selbst mein Dasein nicht mehr erzählen konnte, nicht mehr die Einbildungskraft und Identifikation mit anderem aufbrachte, mir nicht länger zu sagen vermochte, „in zwei Wochen passiert das“.

Ich musste in jenem Frühjahr 2020 viel an meine Kindheit denken – an eine Zeit, als ich noch nicht über mich selbst bestimmen konnte, hin- und hergeworfen und zugleich in der Schwebe, an Lippen hängend, die ankündigten, was als Nächstes kommen würde, von hier nach dort verfrachtet, oftmals der Langeweile ausgeliefert.

Als Kind habe ich daher in Romanen begierig nach Geschichten gesucht, die eine Antithese meiner eigenen Erfahrung waren. Ich las Erzählungen von Helden und Erlösern, las von Abenteuern, Jagden, Eroberungen, Schatzsuchen, las Reiseberichte. Ich las vom absatzweise dargereichten Anderswo und fand es so stärkend wie einen Müsliriegel, und ich las verdichtete Handlung, bis all der Handlungsdruck einen Saft herauspresste, der mich schwindeln machte. Das war das genaue Gegenteil der Stunden, die ich in meinem farbenfrohen Kinderzimmer oder auf meinem Platz in der Schule zubrachte, im Musikunterricht oder im städtischen Schwimmbad, wo ich Bahn an Bahn reihte und die notwendigen Bewegungen zählte, um die fünfundzwanzig Meter von Beckenrand zu Beckenrand zu durchmessen.

In den Geschichten, die ich damals las, war alles nett und angenehm, weil auf gewisse Weise alles einfach war, selbst wenn tausend hinterhältige Feinde für Verwicklungen sorgten: Gab es ein Problem, dann handelten die Helden, seien es nun Musketiere, Ganoven, Polizisten, Piraten, Seemänner oder Hobbydetektive. Sie mussten nicht, wie ich, auf die Erlaubnis der Erwachsenen warten, und auch nicht auf ihre Volljährigkeit, ihre finanzielle Unabhängigkeit oder auf den Führerschein. Und wenn das Buch endete, war alles geregelt, ein paar waren tot, andere lebten, das Vorhaben war gescheitert oder geglückt, aber das ein für alle Mal.

Auch im Erwachsenenalter habe ich diese Genugtuung in vielen Geschichten wiedergefunden. Die Ermittlungen von Sherlock Holmes und die Folgen von Dr. House arbeiten mit genau demselben Versprechen, nach demselben Schema: Der Held macht sich auf, (unter-)sucht, tastet sich vor (es gibt unvorhergesehene Wendungen), er handelt sich unterwegs garantiert ein paar Schwierigkeiten ein (noch mehr unvorhergesehene Wendungen), doch am Ende findet er eine Lösung. Vielleicht ist es schon zu spät, dass alle unbeschadet aus der Sache herauskommen. Zu spät, um den Schuldigen festzunehmen oder den Patienten zu heilen. Aber irgendetwas wurde endgültig gelöst.

Im Frühjahr 2020 wusste ich nicht mehr, was ich mit diesen Geschichten anfangen sollte. Widerstreitende Wünsche hatten mich fest im Griff. Wie früher, wie in der Kindheit, war da der Wunsch, dem Helden auf seinen Abenteuern, in die er sich energisch stürzte, zu folgen, mich Figuren anzuschließen, die weder warten noch gehorchen mussten. Mit anderen Worten hegte ich den Wunsch, dass sich die Welt der Geschichten grundlegend von der Wirklichkeit unterscheiden sollte und dass man in dieser Welt wüsste, wie die Zukunft der Dinge oder Wesen aussähe („in zwei Wochen passiert das“) und dass ich daraus Trost ziehen, mich den Zwängen entziehen könnte.

Doch zugleich regte sich in mir der gegenläufige Wunsch, Geschichten zu finden, die meinem machtlosen, schwebenden Zustand entsprachen, meinem Unverständnis angesichts der Ereignisse, der Zersplitterung aller Ursachen und Zusammenhänge, meiner/unserer Unfähigkeit, die Folgen vorherzusehen, und somit der Unfähigkeit, zu einem Ende, einer Lösung zu kommen … Geschichten zu finden, die mir nicht länger vorgaukeln würden, eine Handvoll Männer könne das Schicksal aller zum Guten oder Schlechten wenden.

Schon seit Jahren, ob lesend oder schreibend, hatte ich jene Geschichten nicht mehr mit derselben Leichtigkeit behandelt, derselben Freude, ich hatte einen Argwohn gegen sie entwickelt, der stetig wuchs. Der Frühling 2020 bewies mir nun, dass sie mir überholte Modelle anboten: Ich konnte nichts damit anfangen, ich konnte sie nicht mehr auf die Welt anwenden. Für sie wollte ich meine „Ungläubigkeit“ nicht länger „aussetzen“ (um den Ausdruck von Coleridge zu verwenden), denn am Ende würde ich mit leeren Händen dastehen.

Der Frühling ging zu Ende. Der erste Lockdown ebenso. Die Fragen aber, mit ihrem sauren Beigeschmack, sind geblieben. Einerseits will ich, dass die Fiktion mich der realen Welt entreißt, andererseits soll sie mir aber auch etwas über die Welt beibringen. Sind diese zwei Wünsche unvereinbar? Das ist, im Wesentlichen, das Thema dieses Buches.[2]

 Nun, da ich ihm ein Geburtsdatum gegeben und die Gründe seiner Existenz umrissen habe, werde ich kurz über seine Existenzform sprechen, oder über seine Vorgehensweise. Über sein Benehmen als Buch vielleicht, denn es gibt wohlerzogene, artige Bücher ebenso wie ungehobelte, miese und punkige.

Dieses Buch ist das Buch einer Schriftstellerin, aber zweifellos und zuallererst das Buch einer Leserin. Es dreht sich ebenso um weit zurückliegende Lektüreerfahrungen wie um Bücher, die ich erst kürzlich aufgeschlagen und auf meinen Nachttisch gelegt habe. Der innere Zusammenhang der von mir behandelten Werke ergibt sich aus dem Umstand, dass ich sie gelesen habe und dass Fetzen, Schatten einzelner Sätze und Figuren sowie bruchstückhafte, ewig wiederkehrende Absätze daraus in mir nachwirken. Ich bin es, die diese so unterschiedlichen zitierten Bücher zu einer Einheit macht.

Betrachtet man das vorliegende Buch als Essay, wird es sich nicht besonders gut benehmen. Es wird sich hier und da widersetzen. Wird der ihm auferlegten Ernsthaftigkeit nicht gerecht werden. Betrachtet man es als Träumerei zur Literatur, wird seine Ernsthaftigkeit hingegen an manchen Stellen übertrieben wirken. Sagen wir also einfach, es ist ein Buch, und lassen es dabei bewenden.



EINE HÄLFTE DER WELT

Im Jahr 2010 war ich mit einem Engländer zusammen und las, so wie er, den Guardian – was mir unheimlich schick vorkam, zumal ich herausgefunden hatte, dass man das „u“ nicht ausspricht, ein Detail, das mir unverhältnismäßige Befriedigung verschaffte. Aus dieser Zeitung erfuhr ich vom Bechdel-Test, und zwar aus einem Artikel über die Filmstarts am Thanksgiving-Wochenende – ein entscheidender Moment für neue Produktionen, da er den Anfang der fünf Wochen markiert, in denen viele Filme die weltweit höchsten Zuschauerzahlen verzeichnen. Allerdings, so informierte mich der Guardian, bestanden die meisten großen Hollywoodfilme diesen Test nicht, den ich bis dahin nicht gekannt hatte.

Vielleicht gilt das für Sie heute nicht mehr, aber ich werde ihn trotzdem kurz erläutern: Durch den Bechdel-Test (auch Bechdel-Wallace-Test genannt), der in den 1980er-Jahren in Alison Bechdels Comic The Essential Dykes to Watch Out For erschien, kann man sich das Fehlen beziehungsweise die mangelnde Repräsentation von Frauen im Reich der Geschichten vor Augen führen. Mit seinen nur drei Kriterien ist er erschreckend einfach anzuwenden:

 

1.          In einem Werk müssen mindestens zwei Frauen vorkommen, die einen Namen tragen.

2.          Diese Frauen reden miteinander.

3.          Sie reden über etwas anderes als über einen Mann.

 

In den letzten Jahren wurde der Bechdel-Test vielfach abgewandelt, und eine seiner Varianten mag ich besonders, vorgebracht von der amerikanischen Drehbuchautorin Kelly Sue DeConnick: den sexy lamp test. Noch simpler als der Bechdel-Test stellt DeConnicks Version bloß eine einzige Frage: „Könnte man die weibliche Figur durch eine Lampe ersetzen, ohne dass es die Geschichte verändert?“ Die Formulierung bringt mich sehr zum Lachen; die Tatsache, dass die Antwort bei so mancher zeitgenössischer Produktion „Ja“ lautet, deutlich weniger.

Der Bechdel-Test (und einige seiner Abwandlungen) wird immer häufiger in Film- und Serienrezensionen angewendet, sehr viel seltener hingegen in der Literaturkritik, zumindest der französischen. Dabei könnte er ein krasses Ungleichgewicht zwischen männlichen und weiblichen Figuren beim sogenannten literarischen Kanon aufdecken, also in den Büchern, die uns so häufig von Eltern, Lehrkräften, kultivierten Bekannten und Listen mit unbedingt lesenswerten Romanen aus einschlägigen Zeitschriften ans Herz gelegt werden – kurzum, eine Art gemeinsames kulturelles Fundament, das wertgeschätzt und von Generation zu Generation weitergegeben wird.

Nach der Schule habe ich mich, wie so viele Studienanfänger, über mehrere Jahre auf das Aufnahmeverfahren der Elitehochschulen vorbereitet und mich daher lange Zeit innerhalb dieses Kanons bewegt.[1] Und anschließend beschäftigte ich mich zwei Jahre als Masterstudentin und drei Jahre als Doktorandin mit dem Theater, wodurch ich fünf Jahre lang nur wenig Romane las – sodass ich erst spät Gelegenheit hatte, mich ein wenig aus dem Joch dieses Kanons zu lösen, der einen beträchtlichen Teil meines Lebens als Leserin geprägt hat.

In Gesprächen und auf Tagungen wurde ich schon mehrmals gefragt, mit welcher berühmten weiblichen Figur der Literaturgeschichte ich mich identifiziere oder welche ich besonders mag. Das bringt mich jedes Mal ins Stottern. Denn wenn ich auf über zwanzig Jahre als Leserin zurückblicke, kommt mir nicht etwa ein Reigen liebenswerter Frauenfiguren in den Sinn, beeindruckend oder stark, aus denen ich wählen könnte.

Im Gegenteil, meine Erinnerung spult eine lange Reihe von Nebenfiguren ab, Objekte der Begierde männlicher Helden, oft passive Versatzstücke der Geschichte, die man entführen, einsperren, vergiften kann (manchmal alles hintereinander), eine Unzahl matter Gestalten, mit vor unerwiderter Liebe fahlem Teint, die sich die Nasen an Fensterscheiben platt drücken, hier und da ein paar weggesperrte Irre, Corneilles Prinzessinnen, die schlagartig an heftigstem Liebeskummer sterben, Racines Prinzessinnen, die sich umbringen, um der Schande eines skandalösen Begehrens zu entgehen, reife Frauen oder kleine Mädchen, die missbraucht und geschändet werden, und, wie sollte es anders sein, eine Fülle oftmals verlassener Ehefrauen, zwangsläufig ans Haus gebunden und auf traurige Weise untreu. Wie könnte ich behaupten, dass ich mich mit ihnen identifiziere? Oder dass ich diese Entführte jener Erhängten vorziehe?

Mit meiner Liste passiver Frauenfiguren will ich natürlich nicht die verantwortlichen Autoren für ihre Einfallslosigkeit tadeln. Sie, ebenso wie ihre Werke, sind Kinder ihrer Zeit, und sie können wenig dafür, dass Frauen – historisch gesehen auf die häusliche Sphäre beschränkt – ganz mehrheitlich ein Leben geführt haben, das „nonstoried“ war, um den schwer übersetzbaren Begriff der amerikanischen Literaturwissenschaftlerin Kathryn Rabuzzi zu verwenden, also ein Leben, das nicht erzählt wurde und das darüber hinaus auch nicht leicht zu erzählen ist, das sich nicht in Form einer Geschichte anbietet.

Oder vielleicht betrachten wir, anders ausgedrückt, bloß das als Geschichte (als gute Geschichte), was überwiegend keine weiblichen Lebensweisen enthält, Leben, die in den vergangenen Jahrhunderten durch ihre mangelnde oder wenig ausgeprägte Handlungsfähigkeit gekennzeichnet waren – ein Begriff, den ich hier sowohl im Sinne von Handlungsmacht als auch als die Fähigkeit verstehe, sich selbst als Akteurin oder treibende Kraft im eigenen Ausschnitt der Welt zu begreifen.

So überlegt sich etwa die Erzählerin in Sans alcool, einer Kurzgeschichte der Schweizer Autorin Alice Rivaz aus den 1960er-Jahren, dass sie gern ein „großes Leben“ gehabt hätte, doch als alte Jungfer, deren Eltern beide seit Kurzem verstorben sind, verfolgt sie kein anderes Ziel, als alle vegetarischen, keinen Alkohol ausschenkenden Restaurants ihrer Stadt auszuprobieren – die einzig schicklichen Orte, die eine alleinstehende Frau besuchen kann. Besorgt fragt sie sich, mit über vierzig Jahren, ob es Leben gibt, die „wie Vorlagen sind, Leben, die noch zu leben sind, sobald die letzte Seite umgeblättert ist. Und ich wäre nur ein Beispiel unter vielen?“ Dieses nicht gelebte Leben, von dem sie jedoch fürchtet, es gelebt zu haben, vergleicht sie mit weißen Seiten, „und mit weiß meine ich: leer“. Hier gibt es keine Geschichten, nichts, aus dem man zusammengenommen ein Buch machen könnte.

Wie Susan S. Lanser am Anfang ihres Aufsatzes „Toward a Feminist Narratology“ aus den Achtzigerjahren schreibt: „Die offensichtlichste Frage, die der Feminismus an die Narratologie stellen kann, lautet schlicht: Auf welchem Textkorpus, auf welchem Verständnis von Erzählung und Referenzrahmen gründen die Erkenntnisse der Narratologie?“ Ihre Antwort ist klar: Narratologische Bemühungen haben bei der Erstellung eines Kanons oder beim Festlegen von Werkzeugen für die Textanalyse niemals die Geschlechterfrage berücksichtigt; „die Erzählungen, auf denen die Narratologie gründet, wurden entweder von Männern geschrieben oder so behandelt, als stammten sie von Männern“.

In der Tat erweist sich so manches Konzept als sehr beschränkt, um nicht zu sagen unbrauchbar, sobald man es auf einen breiteren Textkorpus anwendet, insbesondere die Idee des „Plots“. Dieser beruht auf einer Abfolge von Handlungen, die von den Protagonisten vorsätzlich ausgeführt werden und „somit eine Macht, ein Vermögen voraussetzen, die möglicherweise weit von dem entfernt sind, was Frauen in der Geschichte und in Texten erlebt haben, und vielleicht sogar fern von den Wünschen dieser Frauen“. Literaturkritiken, sogar feministische, sehen sich häufig gezwungen, Texte von Frauen mit dem Begriff „plotless“ (also ohne Handlung) zu beschreiben und sich diesen Werken durch Verneinung zu nähern, sie durch das zu definieren, was sie nicht haben, nicht sind, ehe man sagen kann, was sie sind. Das ist sicher nicht der beste Weg, um Lust auf ihre Lektüre zu wecken …

Aber kehren wir zu der Frage zurück, die mich immer wieder in Verlegenheit bringt: Mit wem habe ich mich beim Lesen identifiziert? Bevor ich erwachsen wurde, stets mit männlichen Figuren: Ich war Bastian Balthasar Bux, nicht die Kindliche Kaiserin, ich war d’Artagnan, nicht Constance Bonacieux, ich war Jean Valjean und nicht Cosette – aus dem guten und einfachen Grund, dass die Kindliche Kaiserin in ihrem Elfenbeinturm gefangen ist, dass Constance Bonacieux ihre Zeit damit verbringt, sich entführen zu lassen, und dass Cosette die Misshandlungen der Thénardiers gegen die Aufsicht der Klosterschwestern tauscht, alles Konstellationen, die (in überspitzter Form) meine eigene kindliche Machtlosigkeit spiegelten, der ich durchs Lesen doch gerade zu entkommen versuchte.

Ich las gefangen in einem Zimmer, aus dem ich aufgrund meiner Kleinheit und Minderjährigkeit nicht herauskam, zumindest nicht sonderlich weit, und die Frauenfiguren, denen ich bei meinen Lektüren begegnete, waren selbst Gefangene, Einsiedlerinnen oder Spielbälle der Starken.[2] Zwangsläufig identifizierte ich mich mit dem anderen, dem handelnden Geschlecht, gegen das die vier Wände eines Zimmers oder einer Zelle scheinbar nichts ausrichten konnten.

Fast mein ganzes Leserinnenleben bin ich ein Mann gewesen. Zunächst mit großem Vergnügen und dann, vermutlich aus Überdruss, mit einer gewissen Genervtheit. Ich war daher sehr erfreut, als ich aus Der Lauf der Dinge von Simone de Beauvoirs Wut erfuhr, die sie bei der Lektüre von Wem die Stunde schlägt empfand. Obwohl ich den Roman sehr mag, verstand ich sofort ihren Abscheu angesichts des Einverständnisses, „das Hemingway an jedem Wendepunkt seiner Erzählungen für gegeben hält“ und das voraussetzt, „dass wir das Gefühl haben, genauso wie er arischer Herkunft, männlichen Geschlechts, reich an Geld und Zeit zu sein, und dass wir unseren Körper nie anders als unter dem Aspekt der Sexualität und des Todes auf die Probe gestellt haben“. Und dieses Einverständnis zeigt nur zu deutlich, an wen er sich in seinem Schreiben wendet, welche Leserschaft er sich wünscht. „Ein großer Herr wendet sich an große Herren. Die Schlichtheit des Stils kann täuschen, aber es ist kein Zufall, dass die Rechte ihn über den Klee gelobt hat, denn er hat die Welt der Privilegierten geschildert und verherrlicht“, schreibt Beauvoir.

Heute frage ich mich, ob die Jungen, die mit mir groß geworden sind, ähnliche Erfahrungen machen durften: Konnten sie sich dank einer Geschichte, wenigstens ein einziges Mal, mit einem Mädchen oder einer Frau identifizieren? Da bin ich skeptisch (und würde mit Begeisterung von Kindheitserfahrungen hören, die mich widerlegen), ganz einfach, weil sie es nicht nötig hatten; ihnen stand ein riesiger Textfundus zur Verfügung, der es ihnen erlaubte, sich an männlichen Figuren zu orientieren.

Ein irischer Freund, der als Kind eine reine Jungenschule besuchte, erzählte mir vor einigen Jahren, wie fassungslos seine Klasse reagiert hatte, als ihr Lehrer von ihnen verlangte, Jane Austens Stolz und Vorurteil zu lesen. Das musste ein Witz sein oder aber der Wunsch, sie zu demütigen, denn warum sollte man sie sonst zwingen, sich mit solchem Mädchenkram zu beschäftigen?

In „Sortir les lesbiennes du placard“, einer Radiodokumentation von Clémence Allezard, erklärt die Regisseurin Céline Sciamma, Männer absichtlich außen vor, im Off zu lassen, weil das den männlichen Zuschauern die Möglichkeit gebe, sich mit den dargestellten Frauenfiguren zu identifizieren. Was auf den ersten Blick ausgrenzend wirken könne, sei in Wahrheit der einzige Weg, Männer miteinzubeziehen. Da sie es kaum gewohnt seien, in einem fiktionalen Werk von einem Geschlecht ins andere zu wechseln, würden sie sich unwillkürlich in die männlichen Figuren hineinversetzen, und man müsse diese verschwinden lassen, damit Zuschauer erleben könnten, was Zuschauerinnen und Leserinnen schon immer praktizierten: eine vom Geschlecht losgelöste Identifizierung.

Doch manchmal, wenn ich in meinen Schubladen mit Frauenfiguren krame, kommt mir Denise Baudu aus Zolas Das Paradies der Damen unter, und ich spreche über sie, über ihr nächtelanges Nähen nach den zehrenden Arbeitstagen, um ihrer Verkäuferinnenuniform ein schmeichelnderes, eleganteres Aussehen zu geben und so dem Spott ihrer Pariser Kolleginnen zu entgehen, die in ihr bloß einen hässlichen, ungehobelten Bauerntrampel sehen. Mit ihrem beschwerlichen Start in der Hauptstadt und den vielen zusätzlichen Arbeitsstunden zur Aneignung gewisser Codes, die alle anderen bereits mühelos zu beherrschen scheinen, kann ich mich identifizieren.

Doch all die von Denise erlittenen Demütigungen und all ihr Leid werden am Ende des Buches einfach weggewischt, da ihr letztlich die Liebe ihres Dienstherren zuteilwird und sie an dem für Zola sehr untypischen glücklichen Schluss ausruft, indem sie ihrem Vorgesetzten um den Hals fällt: „O Herr Mouret, Sie sind es doch, den ich liebe!“ Und ebenjene Liebe wird es ihr erlauben, „allmächtig“ zu werden, wie es die letzte Romanzeile ankündigt, und trotz allem anderen, was das Buch außerdem erzählt – die Bezwingung und brutale Zerstörung der kleinen Geschäfte durch das von Mouret begründete Modehaus –, ist dies die offenbar glückliche Erzählung einer armen jungen Frau (eines Aschenputtels), die durch die Liebe eines reichen Mannes (eines Prinzen) aus ihrer Lage befreit wird. Kann ich also aufrichtig behaupten, mich mit Denise Baudu zu identifizieren? Ihre Figur zu mögen?

Angesichts meines verlegenen Gestammels überkommt mein Gegenüber häufig der Wunsch, mir zu helfen, und er oder sie sucht mit mir nach großen literarischen Frauengestalten. Zwei Namen des klassischen Kanons drängen sich rasch auf: Madame Bovary und Lady Chatterley.[3] Interessant.

Auf der einen Seite haben wir einen französischen Roman, der von einer Ehebrecherin handelt und dem man im Jahr 1857 vorwarf, „gegen öffentliche Moral, Religion und gute Sitten zu verstoßen“, all das im Umfeld einer durch das Zweite Kaiserreich auferlegten moralischen Ordnung (Flaubert wird letztendlich freigesprochen, doch die Urteilsbegründung der Richter hebt hervor, dass „das vor Gericht gebrachte Werk strengen Tadel verdient“).

Auf der anderen Seite steht ein englischer Roman, der von … einer Ehebrecherin handelt; im Jahr 1928 vom Autor auf eigene Kosten herausgegeben, von schockierten Buchhändlern zurückgewiesen, die ihn nicht verkaufen wollten, und in Großbritannien selbst erst 1960 veröffentlicht, was (dreißig Jahre nach seiner Niederschrift und einige Jahre nach dem Tod von D. H. Lawrence) zu einem Prozess gegen den Verlag, Penguin Books, führte.

Deutlicher gesagt: Es fallen uns zwei Figuren ein (zwei!), mit denen ich mich ebenfalls nicht identifiziere und deren emotionale oder sexuelle Bedrängnisse ihren jeweiligen Autoren ein Strafverfahren eingebracht haben. Gewiss ist die literarische Form, denen Emma Bovary und Constance Chatterley entstammen, von großer Schönheit, gewiss liebe ich diese beiden Romane wie wahnsinnig, aber das tue ich wegen ihrer formvollendeten Sätze und nicht, weil der durch die Heldinnen begangene Ehebruch – infolge einer geradezu erzwungenen Heirat – eine erstrebenswerte Perspektive wäre.

Angesichts dieser Zensurgeschichten – die uns fern erscheinen mögen – will ich gern klarstellen, dass in einem weiteren großen Figurenkosmos, nämlich dem des amerikanischen Kinos, zwischen 1934 und 1966 der Hays-Code galt, der es Filmen vorschrieb, „das heilige Wesen von Ehe und Familie zu verteidigen“. Wie soll man da weibliche Figuren erschaffen, die sich einem Leben als Hausfrau entziehen …? Dennoch habe ich dank des Talents einiger Regisseure und Schauspielerinnen, dann und wann, Frauen entdeckt, die ich toll fand, denen ich mich zugehörig fühlte.

Die Rollen von Claudette Colbert in Frank Capras Es geschah in einer Nacht und in Ernst Lubitschs Blaubarts achte Frau sind für mich raffinierte Kostbarkeiten, da sie ein klein wenig freiere Frauengestalten zeigen, die das heilige Wesen von Ehe und Familie dennoch nicht verspotten. Ich finde es äußerst faszinierend, dass beide Filme eine räumliche Trennung zwischen Mann und Frau vornehmen; abgesondert durch eine aufgespannte Decke in den kleinen Motels bei Capra und durch einen langen Korridor bei Lubitsch, der die zwei eigenständigen Teile einer Wohnung miteinander verbindet – sodass die Frau trotz ihrer Bevormundung in beiden Fällen über ein eigenes Zimmer verfügt.

In Lubitschs Film gibt es zudem eine erstaunliche Szene – aus einer Zeit, in der das Kino ständig und ungerührt geohrfeigte Frauen zeigte: Gary Cooper, voller Zorn über seine sich ihm verweigernde Ehefrau, beschließt, sie mit der Methode aus Der Widerspenstigen Zähmung von Shakespeare zu „bändigen“. Selbstsicher und beschwingt durchquert er den erwähnten Korridor, um zu ihren Räumen zu gelangen, und ohrfeigt sie ohne jede Vorwarnung. Ebenso schwungvoll erwidert sie die Geste, absolut ungebändigt, und er macht sich kläglich davon – nicht etwa beschämt von seiner Gewalttätigkeit, sondern völlig aus der Fassung, dass sie ihm nicht die geringste Vormacht zugestanden hat.[4]

Und da ich schon dabei bin, den Frauenfiguren aus Lubitsch-Filmen meine Liebe zu erklären, nähme ich es mir übel, Jennifer Jones’ Part aus Cluny Brown auf Freiersfüßen unerwähnt zu lassen (auf Französisch unter dem recht blamablen Titel La Folle ingénue, also etwa Die naive Irre, bekannt). Jones spielt eine junge Frau, die sich fürs Klempnern begeistert, und diese Liebe zur Mechanik und zu Abflussrohren (die Metapher erklärt sich wohl von selbst) schockiert die feine Gesellschaft um sie her und besonders den reichen Dorfdrogisten, den sie heiraten soll und der noch öder ist als Flauberts Homais und zudem eine Mutter im Schlepptau hat, die sich ausschließlich hüstelnd mitteilt. Gerade als Cluny sich anschickt, klein beizugeben und sich den Vorstellungen von Drogisten und Mutter zu beugen, gesteht Professor Belinski ihr seine Liebe – und der hat glücklicherweise überhaupt kein Problem damit, dass Cluny gern Abflüsse repariert. Sie kann, auf dem schmalen Grat dessen tanzend, was der Hays-Code erlaubt, ihr Leben also wie gewohnt fortsetzen, frei und verheiratet zugleich.

Natürlich besteht keiner der soeben genannten Filme den Bechdel-Test, doch sie alle haben Frauenfiguren hervorgebracht, die man eindeutig nicht durch eine Lampe ersetzen kann.

Noch einmal: Weder Flaubert oder Lawrence noch Zola, Dumas oder Hugo noch die amerikanischen Filmemacher der Vierzigerjahre wollten weibliche Vorbilder für die Leserin oder Zuschauerin des 20. oder 21. Jahrhunderts erschaffen, wie ich eine bin.

Mir geht es nicht darum, ihnen ihre Figuren vorzuwerfen oder in irgendeiner Weise die Zuneigung zu schmälern, die ich für ihre Werke empfinde. Doch nachdem ich das nun wiederholt klargestellt habe, bitte ich Sie, auch Ihrerseits anzuerkennen, dass ich umgeben von diesen Frauen aufgewachsen bin, auf sie gestützt, mit ihnen verwoben und zugleich entsetzt, was sie mir als Daseinshorizont anzubieten schienen, entsetzt von der Vorstellung, dass ich und mein Lebenshunger abnorm sein könnten … oder ich so fehl am Platz in meinem Geschlecht sei, dass ich seit der Grundschule erwog, mich als Junge auszugeben – indem ich mir meinen ersten Kurzhaarschnitt zulegte – und mich fortan Nicolas nennen zu lassen.[5]

Ich denke auch an die klare, unverblümte und traurige Stelle aus Die Argonauten, in der Maggie Nelson erzählt, dass die ersten Darstellungen von Sexualität, denen sie als Jugendliche lesend begegnete, Erzählungen von Vergewaltigungen und Grapschereien waren: „die eigene Sexualität [formt sich] um diese Tatsache herum. Es gibt keine Kontrollgruppe. Ich möchte nicht einmal über ›weibliche Sexualität‹ sprechen, solange es keine Kontrollgruppe gibt. Und es wird nie eine geben.“ Ich werde nie wissen, was für eine Frau ich hätte sein können, wenn ich mit anderen Lektüren aufgewachsen wäre, das ist unmöglich. Und doch treibt der Wunsch, es zu wissen, mich ständig um. Die anderen Ichs, die ich mir für mich ausmale, fehlen mir manchmal sogar, als hätte ich sie schon einmal getroffen und sie wären wieder verschwunden. Ich spüre, wie ich allein bleibe.



[1]Ich erinnere mich noch an meine Literaturprofessorin im zweiten Jahr der Vorbereitungsklassen, die uns empfahl, in unseren Arbeiten niemals zeitgenössische Werke zu zitieren. Denn die Zeit, so sagte sie, habe noch nicht als Filter wirken können, um die guten Romane „offiziell“ von den schlechten zu trennen, sodass wir Gefahr liefen, unsere Korrektoren in ihrem Geschmack zu brüskieren. Damit setze man den eigenen Erfolg aufs Spiel. „Im äußersten Fall“, so gestand sie uns zu, „können Sie es mit Schweinerei von Marie Darrieussecq probieren, aber wagen Sie sich nicht weiter vor.“ In einem Gespräch für Laure Murats Essayband Relire schildert Julia Deck ein ähnliches Erlebnis aus ihrer Studienzeit an der Sorbonne: „Die Literatur endete bei Sartres Der Ekel.“

[2]Pippi Langstrumpf, die ihr Pferd über den Kopf stemmen kann, war da natürlich eine willkommene Ausnahme. Ebenso Georgina von den Fünf Freunden, auch wenn all ihre Handlungsfähigkeit darauf zu beruhen schien, dass sie sich wie ein Junge verhielt und sich, bei unzähligen Gelegenheiten, auch als solcher ausgab.

[3]Um ganz ehrlich zu sein, müsste ich auch noch Anna Karenina anführen, aber ich erlaube mir, sie aus einem rein persönlichen Grund außer Acht zu lassen: Ich mag Tolstois Romane nicht. Mal gräme ich mich deswegen, und mal freue ich mich. Sicherlich entgeht mir etwas, ein wenig von der Schönheit des literarischen Universums entzieht sich mir oder bleibt mir verschlossen (Gram); aber dafür muss ich, in einem Leben, das sich dem Bemühen widmet, ausreichend Zeit zum Lesen und Wiederlesen zu finden, Tolstois Romane nicht noch einmal lesen (Freude).

[4]Ätsch, habe ich mir bei dieser Szene jedes Mal gedacht.

[5]Diese Taktik, die dem zwanghaften Konsum des Fernsehfilms Meggies Geheimnis entsprang, fußte ganz und gar auf der Überzeugung, dass man mich mit meinen kurzen Haaren unmöglich als Mädchen erkennen würde. Und sie verpuffte schon in den ersten Minuten nach Betreten der Schule.


[1]Zunächst stand an dieser Stelle schlicht „zu Beginn der Pandemie“, erst danach verspürte ich das Bedürfnis, sie genauer zu benennen, denn ich dachte, dass mein Buch – vielleicht – zur Zeit einer anderen Pandemie erscheinen oder gelesen werden würde. Immerhin hätte ich im Mai 2020 niemals gedacht, dass ich eines Tages vom „ersten Lockdown“ würde sprechen müssen, um die damals gerade vergangenen zwei Monate zu bezeichnen. Also lieber auf Nummer sicher gehen.

[2]Ich schreibe ganz bewusst „im Wesentlichen“. Andernfalls würden gewisse Absätze eindeutig wirken, als hätten sie das Thema verfehlt.

Ein Buch das zeigt, wie sehr Frauen die Kunst prägen

„Ein Muss für alle, die Kunst lieben, sich vom patriarchal geprägten Blick auf Kunstgeschichte verabschieden wollen und endlich große Künstlerinnen kennenlernen wollen.“ Antonia Wille

 The Story of Art without Men

Große Künstlerinnen und ihre Werke

„The Story of Art without Men“ steht auf der Shortlist für das „Book of the Year“ bei Waterstones

Wie viele Künstlerinnen kennen Sie? Wer schreibt letztendlich Kunstgeschichte? Haben Frauen vor dem 20. Jahrhundert überhaupt als Künstlerinnen gearbeitet?

Bis in unsere Gegenwart hinein wirkt die Kunst, die über Jahrhunderte hinweg von Männern für Männer gemacht wurde – dieses Buch beweist, wie einseitig dieses Bild ist. Katy Hessel nimmt uns mit auf eine Reise durch die Epochen und zeigt, welch tiefgreifenden Einfluss Künstlerinnen über die Zeit hinweg hatten, welche Pionier­arbeit sie häufig leisteten und wie sie verschiedene Stile, Techniken und Strömungen prägten.

Entdecken Sie mit ihr viele Kunstformen, die oft übersehen oder abgetan werden, und zahlreiche aufregende Werke, die an der „Geschichte der Kunst“ eben­falls erheblichen Anteil hatten. So gibt die Autorin unbekannten, ver­gessenen oder bislang unsichtbaren Künstlerinnen aus aller Welt die Bühne, die sie verdienen.

In diesem Buch entdecken Sie die schillernde Sofonisba Anguissola der Renaissance, die bedeutendste italienische Malerin des Barock Artemisia Gentileschi, das radikale Werk von Harriet Powers in den USA des 19. Jahrhunderts und viele weitere außergewöhnliche Frauen, die bis auf wenige Ausnahmen wie Frida Kahlo oder Paula Modersohn-Becker bislang wenig beachtet wurden. Von der Küste Cornwalls bis Manhattan, von Nigeria bis Japan – dies ist die eine zeitgemäße Geschichte der Kunst. Eine Geschichte, bei der Frauen im Mittelpunkt stehen.

Ein Buch das zeigt, wie sehr Frauen die Kunst prägen - aufwendig und liebevoll gestaltet, mit über 300 Farb- und Schwarz-Weiß-Abbildungen

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Frauen im Berufsleben: Überlebenstraining im Job

In den letzten Jahrzehnten hat sich in der westlichen Gesellschaft viel geändert: Frauen sind zu Präsidenten gekürt worden und Frauen bekleiden wichtige Managerpositionen. Doch gerade in der Tatsache, dass dies noch immer in den Medien als etwas Außergewöhnliches gefeiert wird, liegt die Krux: In einer gleichberechtigten Welt wären diese machterfüllten Ämter bekleidet von Frauen nichts Besonderes.

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Hieb und StrichHieb und Strich

Story

Wofür hat man denn Freundinnen?  Eine Geschichte über weibliche Solidarität von der Autorin von Der Report der Magd
Ein schwüler Tag in Toronto bei Crackern und reichlich Gin Tonic. Drei reizende alte Damen wissen, dass ihnen nicht viel Zeit bleibt, eine Freundin zu rächen. Deren erfolgreiche Romane wurden von einer neidischen Männer-Clique einst derart verrissen, dass sie unter einer Schreibblockade litt. Die Übeltäter sollen nun alle sterben – aber wie ermordet man den ersten so, dass die anderen ahnen, bald der Nächste zu sein?  Dass sie es mit der Angst bekommen, während einer nach dem anderen stirbt? Die Polizei aber ahnungslos bleibt, wer hinter dieser Mordserie steckt? – Margaret Atwood in Hochform!

Kapitel 1

„Wir könnten sie einfach aus Fenstern stoßen“, sagt Leonie.

„Oh, lieber nicht“, sagt Chrissy. „Alle würden sagen, das waren die Russen.“

„Umso besser“, sagt Myrna. „Es würde den Verdacht von uns ablenken.“

„Nachdem wir mehr als drei ermordet haben, könnte jemand zwei und zwei zusammenzählen“, sagt Chrissy.

„Wer weiß überhaupt noch von dieser Verbindung, außer uns?“, sagt Leonie. „Es ist lange her. Gott, fühl ich mich alt.“

„Sag nicht alt, es heißt älter“, sagt Chrissy. „Fern weiß davon. Sie hat diese Verbindung auswendig gelernt. Sie hat diese Verbindung inhaliert!“

„Ich glaub eher, die Verbindung hat sie inhaliert“, sagt Leonie. „Es wohnt in ihrem Kopf.“

„Wir erzählen es Fern auf gar keinen Fall“, sagt Myrna. „Sie wäre dagegen. Sie würde uns aufhalten.“

„Sie hat sich ja sogar geweigert, Kung-Fu-Filme mit uns anzuschauen“, sagte Chrissy. „Wisst ihr noch, Der einarmige Schwertkämpfer?“

„Aus der Erinnerung gelöscht“, sagt Leonie. „Wann haben wir die denn gesehen?“

„Im College“, seufzt Chrissy. „Was hatten wir für einen Spaß!“

„Dein Feind ist die Nostalgie“, erklärt Chrissy. „Ich brauch Nachschub. Myrna, schieb mal die Flasche rüber.“

Sie sitzen in Leonies Garten und trinken Gin Tonics. Oder sagen wir, Leonie trinkt Gin Tonics. Chrissy hat eine Weißweinschorle, Myrna eine Cola Light, weil sie sich während dieser Treffen keinen Gehirnnebel leisten kann, sie würde sich bequatschen lassen, zum Beispiel dazu, acht Männer zu ermorden, oder waren’s neun? Wobei sie sich trotz des fehlenden Alkohols bereits dazu verpflichtet zu haben scheint, zumindest prinzipiell.

„Werden wir sie einzeln ermorden, oder gemeinsam wie in der Kesselszene aus Macbeth?“

„Sag ›das schottische Stück‹“, sagt Chrissy, die irgendwann in ihrem Leben auch mal Amateurschauspielerin war. „Das bringt sonst Unglück.“

„Welche Kesselszene?“, fragt Leonie.

„›Molchesaug’ und Unkenzehe‹, ›Rüstig, rüstig!‹ Und so weiter“, sagt Myrna, auf die in Sachen Zitate meist Verlass ist. „›Hand des neugebornen Knaben, den die Metz’ erwürgt im Graben‹ – wie garstig ist das denn!“

„Alles klar. Ich hab so schon genug Pech“, sagt Leonie. „Reichst du mal die Käseplatte? Bin gerade zu faul zum Aufstehen.“ Zu müde, kommentiert Myrna im Stillen; kommt von der Chemo.

Sie essen Oliven und dünne Kräcker aus Pekannüssen, dazu eine neue Sorte Käse – hellorange und richtig lecker –, den Leonie bei Nancy’s Cheese Shop entdeckt hat. Nancy ist immer zuverlässig, finden sie. Wenn man sagt: „Nicht zu mild, aber auch nicht zu stinkig“, dann weiß sie, was man meint. Könnte man doch nur nach diesem Motto seine Bekanntschaften vorsortieren, denkt Myrna.

Von oben macht es plumps. „Diese verfluchten Eichhörnchen“, sagt Leonie. Ein uralter Apfelbaum vom Nachbargrundstück überschattet ihren Garten. Hin und wieder fällt ein kleiner, grüner, harter, pockennarbiger Apfel herunter – vorsätzlich abgeworfen von heimtückischen Eichhörnchen, behauptet Leonie – und prallt vom roten Sonnenschirm ab, den Leonie trotz mangelnder Sonne aufgespannt hat. Der Schirm sei reine Apfelabwehr, sagt sie. Myrna hat gefragt, warum sie nicht einfach die Äste absäge, die in ihren Luftraum eindringen, so wie es ihr gutes Recht sei, aber Leonie meinte, so einfach sei das nicht, und ja, rechtlich gesehen ginge das zwar, aber der Baum sei so alt, dass er voll und ganz krepieren könnte, wenn man diese Äste killte. Und das würde die Nachbarn aufbringen, etwas, das unbedingt vermieden werden müsse, da sie laut und selbstgerecht seien und einen großen, bellfreudigen Hund besäßen.

„Oder der ganze modrige Baum könnte umkippen und auf dich drauffallen, und du könntest voll und ganz krepieren“, sagt Myrna.

„Dafür ist ohnehin gesorgt.“ Schon seit einigen Jahren baut Leonie körperlich ab. Manchmal fragt sich Myrna, ein wenig lieblos, warum Leonie nicht langsam zur Sache kommt: Man kann doch nicht ewig vor sich hin sterben, es gibt ein Verfallsdatum: Früher oder später muss man wirklich auch mal gehen. Nicht, dass Myrna Leonie den Tod wünscht – hundertmal das Gegenteil, schließlich wären sie alle aufgeschmissen ohne sie –, doch ihre ständigen Anspielungen auf ihre drohende Sterblichkeit machen Myrna fix und fertig. Nach einer Weile – streng genommen sehr schnell – ist es mit ihrem Mitleid vorbei, und sie wechselt das Thema, und das wirkt kaltherzig.

„Was die Mordmethoden angeht“, sagt sie jetzt. „Wenn nicht Fenster, was dann? Narzissenzwiebeln im Eintopf? Klein geschnitten sehen sie ja wirklich aus wie normale Zwiebeln. Ein aufrichtiger Fehler wäre vorstellbar, wenn jemand nicht so auf Kochen steht.“ So wie wir alle nicht mehr, fügt sie im Stillen hinzu. Kochen, das war junge Liebe, gefolgt von Kindern, je nachdem, und dann die mittleren Jahre, wenn das Kochen trotz sporadischen Aufflammens für die eine oder andere Dinnerparty langsam versandet. Essen mitnehmen oder nach Hause bestellen kriegt den Fuß in die Tür: Nudelmaschine und Fonduetopf schwinden und werden zu fernen Erinnerungen. „Das Wichtige ist, plausibel zu sein.“

„Es muss nach einem Unfall aussehen“, sagt Leonie. „Ich trink noch einen Gin Tonic.“

„Von außen muss es nach einem Unfall aussehen, aber denen muss es klar sein!“, sagt Myrna. Leonie sollte eigentlich keinen Alkohol trinken, zumindest nicht so viel. Beeinträchtigt das nicht die Wirkung ihrer Medikamente? Aber der Hinweis darauf ist sinnlos: Leonie würde sagen: „Ach, was soll’s“ oder „Der Zug ist abgefahren“ oder „Wenn schon Abgang, dann mit Pauken und Trompeten“.

„Wie meinst du das?“, fragt Chrissy. „Sollen wir ihnen anonyme Briefe schreiben oder was?“ Sie hat diesen erschrockenen Häschenblick, wie immer, wenn sie verwirrt ist: die großen Augen, der halb geöffnete Rosenblütenmund, der in letzter Zeit mit Lipliner aufgemalt wird, da der ursprüngliche ein wenig eingeschrumpft ist. Myrna weiß, dass Chrissy nicht blöd ist – sie hat mal an der Uni gelehrt, sie alle haben das getan, nicht, dass das ein idiotensicherer Lackmustest für Nichtblödheit wäre –, aber das lebenslange Blondchenspielen hat Opfer gefordert: Goldigsein stellt eine solche Versuchung dar. Nur kurz mit den Häschenwimpern klimpern und einfältig lächeln, und schon lösen sich Straßensperren (Strafzettel für zu schnelles Fahren etwa) auf wie eine Fata Morgana. Eine Versuchung, die uns dunkleren Typen nicht zur Verfügung steht, überlegt Myrna nicht ohne einen Anflug von Groll. Goldigsein erleichtert einem den Weg durch das Gestrüpp des Lebens, wobei es natürlich auch eine Kehrseite gibt: Die Männer halten einen für leichte Beute. Chrissy hat allerhand Annäherungsversuche abwehren müssen, in letzter Zeit allerdings nicht mehr, trotz der mädchenhaften Pastellfarben und klirrenden Armreifen, die sie trägt wie eh und je. Heute ist sie ganz in Lavendel und Aquamarin.

Leonie dagegen ist wie immer eine Erscheinung: orangefarbene Palazzohose und ein weißes Top mit dicken roten Hibiskussen, oder sagt man Hibiski? Groß gewachsene Frauen können sich so was erlauben, überlegt Myrna, anders als wir Hobbits. Mit leisem Schrecken ist ihr aufgefallen, dass sie über die letzten paar Jahre zwei Zentimeter geschrumpft ist, ihre Füße aber um eine ganze Schuhgröße gewachsen sind. Was kommt als Nächstes, Fell an den Ohren?

„Anonyme Briefe wären banal“, sagt sie. „Wir brauchen was Subtileres. Ziel ist, dass diejenigen, die wir noch nicht ermordet haben, begreifen sollen, was ihnen droht. Sie sollen die Hufschläge der Verdammnis hören. Sie sollen vom Grauen der Vorahnung heimgesucht werden.“

„Die Hufschläge der Verdammnis?“ Chrissy guckt noch erschrockener.

„Du weißt schon. Die apokalyptischen Reiter“, sagt Myrna leicht gereizt. Sie hat es nicht gern, wenn ihre Metaphern hinterfragt werden. „Aus der Johannesoffenbarung. Die Bibel“, fügt sie hinzu, nur falls Chrissy, wie so viele heutzutage, die Johannesoffenbarung nicht kennt. Der Begriff Apokalypse wird ständig falsch verwendet, ist sie versucht hinzuzufügen. Es bedeutet nicht Katastrophe, es bedeutet –

„Warum gibt’s eigentlich keine apokalyptischen Reiterinnen?“, fragt Chrissy. Mit solchen Fragen hat sie ihre gesamte wissenschaftliche Laufbahn verbracht. Frauen, die in diversen Tätigkeitsfeldern fehlen – warum gibt es keine Müllfrauen? Keine Bergfrauen? Keine Wandergesellinnen? Luftakrobatinnen schon, und Ballonfahrerinnen und Pilotinnen wie Amelia Earhart. Das einzige Buch, das sie veröffentlicht hat, handelt von Frauen in der Luft: Frauen, die es geschafft haben, der Schwerkraft zu trotzen, ähnlich wie – könnte man sagen – Chrissy selbst. So richtig geerdet ist sie nie gewesen.

„Frag mich nicht“, sagt Myrna. „Ein Typ hat’s geschrieben. Aber es gibt immerhin die Hure Babylon, die in Purpur und Scharlach gekleidet ist und auf einem Tier mit vielen Hörnern auf dem Kopf reitet. Ist doch auch was wert.“

„Eine Hure. Typisch“, sagt Chrissy und wirft ihren grau melierten Pferdeschwanz zurück.

„Jedenfalls, die müssen darauf kommen“, sagt Leonie und gibt Eiswürfel und eine frische Limettenscheibe in ihr Glas. „Aber nicht die Polizei. Die Polizei muss hinters Licht geführt werden.“

„Würden sie es nicht der Polizei melden? Nach dem Motto, Herr Wachtmeister, irgendwer hat’s auf mich abgesehen?“, fragt Chrissy.

„Das sind solche Würstchen, also mindestens einer würde es tun. Sie würden uns wahrscheinlich verdächtigen, zumindest die weniger unterbelichteten. Die wissen doch, dass wir Ferns beste Freundinnen sind“, sagt Leonie. „Aber sie werden keine Beweise haben, zumindest nicht, wenn wir’s geschickt anstellen, und wenn sie also unsere Namen nennen – drei harmlose alte – drei ältere Damen mit Doktortiteln –, wird man sie für geistesgestört halten.“

„Und sie werden davon ausgehen, dass Fern es unmöglich gewesen sein kann. Die kommt ja nicht mal mehr zu Fuß durch ihr eigenes Wohnzimmer“, sagt Myrna. Im Kopf überschlägt sie: Kann eine nicht gehfähige Person einen Mord begehen? Mit einem Blasrohr? Krücke über die Rübe? Insektenschutzmittel in den Tee? Nein, Letzteres ist zu offensichtlich.

„Sie braucht sogar Hilfe, um rein ins Bett und raus aus dem Bett zu kommen. Und das hat sie denen zu verdanken“, sagt Leonie.

„Vorher ging es ihr gut!“, ergänzt Chrissy.

Und auch danach noch viele Jahre, denkt Myrna, jedenfalls körperlich. Sie hat ihre Zweifel an der Theorie der Freundinnen – genetische Faktoren führen zu Autoimmunerkrankungen wie MS, meint sie – aber auch Stress kann eine Rolle spielen, also stellt sie den Gruppenglauben nicht infrage: Diese acht, oder waren es neun, Männer haben Fern in den Rollstuhl gebracht – in einen Rollstuhl, der sie bergab Richtung Leichenhaus rollt –, und zwar so sicher, als hätten sie sie zusammengeschlagen. Ein Mord auf Raten, sagt Leonie dazu.

„Und selbst wenn sie damit zur Polizei gingen, würde ihnen natürlich keiner glauben.“ Chrissy guckt jede Menge True-Crime-Serien, in der Regel die britischen. In diesen Sendungen wird niemandem geglaubt, der der Polizei solch überspannte, hysterische Dinge erzählt, denn sonst – sagt Myrna, die selbst diese Serien guckt, wenn sie Zeit hat – gäbe es ja keine Handlung.

„Sie können nicht behaupten, man habe es auf sie abgesehen, ohne einen Grund dafür zu nennen“, sagt Leonie. „Ohne zuzugeben, was sie getan haben.“

„Und das würde sich für einen Polizisten total albern anhören“, sagt Chrissy. „Es würde heißen: Wegen so was wird doch keiner ermordet. Wir aber wissen, dass es nicht albern ist.“

„›Wer meinen Beutel stiehlt, nimmt Tand‹“, sagt Myrna.

„Oh nein“, sagt Chrissy, „dir wurde dein Geldbeutel gestohlen?“

„Das ist ein Zitat“, sagt Myrna.

„Ich erinnere mich“, sagt Leonie. „Noch bin ich nicht vollkommen verblödet. Othello, stimmt’s? ›Doch wer den guten Namen mir entwendet …‹“

„Das haben sie ihr nämlich angetan“, sagt Leonie. „Fern. Sie haben ihr ihren guten Namen gestohlen.“

„Ganz genau“, sagt Leonie. „Jetzt lassen wir doch mal das Rumgeeiere. Wen sollen wir zuerst ermorden, und wie machen wir’s?“

„Kein Wunder, dass die Leute, früher, zu Zeiten des großen Hexen-Grillens, Angst vor alten Frauen hatten“, sagt Myrna. „Sie haben ein Leben lang vor sich hin gegärt.“

„Älteren Frauen“, sagt Chrissy. „Aber wir gären ja nicht unseretwegen, wir gären Ferns wegen. Wir hätten diese Sache schon vor Jahren klären sollen.“

„Rache wird am besten kalt gegessen“, sagt Myrna.

„Fern würde sagen, man sollte sie gar nicht essen“, sagt Chrissy ein wenig betrübt. Egal wie tugendhaft sie ist, so tugendhaft wie Fern wird sie niemals sein.

„Ich schmeiß euch jetzt raus“, sagt Leonie. „Wird Zeit für meine Pillen.“ Sie stemmt ihren groß gewachsenen Körper aus ihrem Gartenstuhl und führt sie leicht wankend zum Gartentor. Das gibt das nächste gebrochene Bein, in diesen roten Plateauschuhen, denkt Myrna. „Donnerstag wieder zur selben Zeit?“

„Ja, aber ich finde, wir sollten’s diesmal bei mir machen“, sagt Chrissy.

„Du warst doch erst letzte Woche Gastgeberin“, sagt Myrna.

„Ach, das macht mir nichts“, sagt Chrissy. Was sie meint, ist, dass Myrnas Wohnung immer aussieht wie ein Saustall, und man weiß nie, welche ihrer Kinder oder Enkelkinder gerade dort wohnhaft sind und nach Aufmerksamkeit schreien oder vor Freude oder Wut laut kreischend nackt durch den Garten rennen. Nicht die Kinder, die Zeiten sind Gott sei Dank vorbei. Nur die Enkel.

„Dann bring ich den Käse mit“, sagt Myrna.

„Schlaft mal drüber, kommt mit Ideen“, sagt Leonie und komplimentiert sie hinaus. „Chrissy, hast du die Liste? Mit den Namen?“

„Ich finde sie“, sagt Chrissy. „Fern hat sie auf jeden Fall. Sie hat das ganze Zeug in einem Ordner abgeheftet.“

„Wo sie darüber vor sich hin gärt“, sagt Myrna. „Es verzehrt sie. Auch wenn sie sagt, das alles gehöre der Vergangenheit an und sie sei drüber hinweg.“

„Was überhaupt nicht stimmt“, sagt Chrissy. „Es gibt keine Vergangenheit. Zumindest nicht, bis die Sachen angegangen sind.“ Letztes Jahr war Chrissy bei einem Achtsamkeitscoach und kam mit einer Anzahl von Tipps nach Hause, wie man sich von uralten Traumata befreit. Myrna hat ein paar dieser Tipps ausprobiert, ohne Erfolg. Außerdem hat sie nicht das Gefühl, sonderlich viele uralte Traumata zu haben, wozu sich also damit beschäftigen? Sobald sie sich hinsetzt, die Augen schließt und versucht zu meditieren, schießen ihr allerhand Dinge durch den Kopf, die sie eigentlich tun müsste, zum Beispiel Wäsche waschen oder der Artikel, den sie gerade für Etymology Today schreibt – einst Printmagazin, jetzt online – über das schwindende Suffix -ling. Siehe Flüchtling, Fingerling, Rohling. Oder Dichterling: So könnte man sie nennen. Einige der Männer, die sie zu ermorden gedenken, sind Dichterlinge. Oder zumindest gewesen. Myrna kennt sich mit Dichterlingen aus, da sie selbst mal einer war.

„Wir können Fern auf keinen Fall nach dieser Liste fragen“, sagt Leonie. „Sie wüsste sofort, dass wir was im Schilde führen. Sie würde fragen: ›Wozu braucht ihr die?‹“

„Sie würde sich’s denken. Sie würde sagen, wir seien kleingeistig“, sagt Chrissy. „Sie ist ein viel zu guter Mensch.“

„Oder wenn nicht kleingeistig, dann durch und durch kriminell“, sagt Myrna.

„Sie würde sagen, kleingeistig sei schlimmer“, sagt Chrissy.


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Feministische Autorinnen

Kommentare

1. gefällt mir interessante auswahl
simone rindler am 20.03.2020

sehr viele interessante und auch kontroverse themen.gefällt mir.

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