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Inger-Maria Mahlke wird neue Stadtschreiberin für Magdeburg

Donnerstag, 24. November 2016 von Piper Verlag


Inger-Maria Mahlke

Magdeburgs neue Stadtschreiberin 

Ab 1. März 2017 wird Inger-Maria Mahlke die neue Stadtschreiberin für Magdeburg sein. Sie setzte sich unter 34 Bewerbern für das siebenmonatige Stipendium durch, das jährlich von der Landeshauptstadt Magdeburg an deutschsprachige Autorinnen und Autoren vergeben wird.

Inger-Maria Mahlke, deren letzter Roman „Wie Ihr wollt“ die Shortlist des Deutschen Buchpreises erreichte, ist die fünfte Stadtschreiberin für Magdeburg. Vor ihr hatten Peter Wawerzinek, Anja Tuckermann, Bernd Wagner und Werner Fritsch diese Funktion inne.
Das Stadtschreiber-Stipendium soll das Schaffen des jeweiligen Schriftstellers unterstützen. Außerdem sollen sich die Autoren in das Leben der Stadt einmischen, in Worten, aber auch mit ihrer Präsenz vor Ort. Die Höhe des Stipendiums beträgt monatlich 1.200 Euro, darüber hinaus wird eine mietkostenfreie Wohnung zur Verfügung gestellt.
 
Inger-Maria Mahlke möchte die Zeit in Magdeburg nutzen, um ihren vierten Roman zu beenden.

„Wie Ihr wollt“ – in dieser bitterbösen wie hochkomischen Geschichte geht es um Gunst und Anerkennung und darum, wie sehr wir davon abhängig sind. Eine Frau will sich Gehör und Aufmerksamkeit verschaffen, begehrt auf gegen die Flüchtigkeit von Macht in den sozialen Netzwerken ihrer Zeit: September 1571, Elisabeth I. herrscht in England, und Mary Grey ist wütend. Sie ist sechsundzwanzig, kleinwüchsig, steht unter Hausarrest, hat einen Thronanspruch und keine Geduld mehr ... Meisterhaft zeichnet Inger-Maria Mahlke am Beispiel des historischen Versuchs einer Selbstbehauptung einmal mehr ein beeindruckendes Porträt der Gegenwart.

„Eine subtile, knochentrockene und äußerst witzig zu lesende Form der Rebellion. Ein zeitgemäßes Buch über die Selbstermächtigung einer unterdrückten Frau.“ Die Zeit


„Nicht tröstlich, aber terrific erzählt.“ FAS

Blick ins Buch
Wie Ihr wolltWie Ihr wollt

Roman

August 1571: Elizabeth I. herrscht in England, und Mary Grey, ihre Cousine, ist wütend. Sie ist 26, kleinwüchsig, hat einen Thronanspruch und hat leider ohne Erlaubnis geheiratet. Zu lange steht sie unter königlichem Hausarrest - sie will frei sein, einen eigenen Haushalt führen. Nichts von alldem wird ihr gewährt. Doch anstatt es weiter still hinzunehmen, begehrt sie auf. „Mahlkes Werk ist eine subtile, knochentrockene und äußerst witzig zu lesende Form der Rebellion, ein zeitgemäßes Buch über die Selbstermächtigung einer unterdrückten Frau.“ Die Zeit

3. September 1571, Bishopsgate

Hab den Schuhkrieg gewonnen. Elf zu null für mich. Ellen war kampfeslustig, die letzten Tage hat sie nicht einmal versucht, mir welche anzuziehen. Die Cremefarbenen – hätte ich auch genommen, leicht zu knöpfen, der Schaft oben schön weit. Anschleichen wollte sie sich, ist in die Hocke gegangen, auf alle viere, und unter den Tisch gekrochen, in jeder Hand ein Schuh. Ich hab gelesen, in den Papieren aus Chequers, die Ellen gestern beim Aufräumen gefunden hat. Hab still gehalten, gewartet, bis ihre Finger dicht an meinem Knöchel waren, ehe ich ihn hochzog, auf den Stuhl. Sie hat meine Wade gepackt, versucht, den Fuß wieder unter den Tisch zu zerren, ich hab nach ihr getreten. Ellen wollte ausweichen, ist mit dem Kopf gegen die Tischplatte gestoßen. So fest, dass der Krug umgekippt ist, selbst schuld, sie hat ihn nach dem Frühstück nicht abgeräumt. Hellgelb, mit gräulichen Schauminseln besetzt, ist das Ale über die Tischplatte geschossen, in einer länger werdenden Zunge auf meine Unterlagen zu. Und über sie hinweg, dunkle Tinteschlieren mit sich fortreißend, die Kante hinab, auf mein Brusttuch. In den Stoff, bis zum Korsett und weiter runter. Ich bin sitzen geblieben, hab die Unterlagen hochgehalten, damit sie abtropften.

Ellen ist gerannt, einen Lappen holen. Hat mich auf den Tisch gestellt, musste mich bis aufs Hemd ausziehen und neu ankleiden. Ihr Kopf tut weh, sagt sie, bringt das Kleid zum Einweichen runter. Schätze, morgen wird sie nicht angreifen. Die Schuhe liegen noch immer unterm Tisch. Ich brauche keine.

Die Unterlagen hat Ellen zum Trocknen auf den Binsen vor dem Kamin ausgebreitet, ordentlich Bogen neben Bogen, hat sich erst geweigert, ich musste darauf bestehen. Nur Unsinn, sagt sie, steht doch nur Unsinn drauf. Als wenn sie lesen könnte. Wollte erst kein Feuer machen, hat nur eine Handvoll Holz genommen, Mrs Gresham wird das missfallen, gesagt.

Bin auf der Fensterbank, Ellen ist unten in der Küche, werde die Unterlagen im Auge behalten, habe Angst, dass sie sie ins Feuer tut. Vereinzelt laufen Tropfen die Scheibe herab. Sechs Wochen sind es mittlerweile, seit Mitte Juli fast ununterbrochen Regen. War erleichtert, als es anfing, alles unterschiedslos hellgrau wurde. Dachte, es geht schnell vorüber. Dachte, es gibt nichts Schlimmeres als sonnige Morgen im Sommer. An denen es kühl ist, aber man fühlt, dass sich der Tag ausdehnt, in Bewegung gerät, losstürmen will, ehe die Mittagshitze sich schlaff und träge ausbreitet. Die Vögel schlagen, kräftig und alle durcheinander, im Pfarrgarten von St Helen steht eine Reihe Buchsbäume, sagt Ellen, dort säßen sie so dicht in den Ästen, als wären es gefiederte Blätter. Die Sonne scheint noch nicht in den Innenhof, nur die Südseite der Schornsteine leuchtet. Ein erster heller Streifen schiebt sich auf den Dachfirst gegenüber, kriecht allmählich die grauen Schindeln hinab, wird breiter, lässt die weißlichen Flechten strahlen. Die Schornsteine des Seitenflügels beginnen Schatten zu werfen, eckige Silhouetten mit runden Abzügen gekrönt, die aussehen wie die Umrisse einer weit entfernten, friedlichen Siedlung. Und man kann nichts tun außer warten, dass es vorbeigeht.

Wenigstens fallen heute nur einzelne Tropfen. Die Torflügel stehen nicht weit genug offen, um erkennen zu können, was auf der Straße geschieht.

Kann verstehen, dass Keyes sich beklagt hat, als sie ihm im Gefängnis die Zwille weggenommen haben. Er die Spatzen und Tauben nicht mehr durchs Zellenfenster von den Mauervorsprüngen schießen konnte, um die Zeit zu vertreiben. Hätte auch gerne eine Zwille. Könnte den Mädchen, die mit dampfenden Eimern aus der Küche über den Hof in den Seitenflügel laufen – hört her, liebe Leut, drei Monate sind rum, die gnädige Frau nimmt ein Bad –, die Hauben von den Haaren schießen. Werde immer kindischer. Schrumpfe, nicht äußerlich, nein, da ist es nicht schlimmer als sonst, mein Inneres, was immer das ist, schrumpft. Wird immer kleiner, bis es in ihre Erwartung passt.

Ellen ist aus der Küche zurück, die Neuigkeiten des Tages lauten:

Ein Wunderheiler in Cheapside lässt Pockennarben verschwinden, indem er sie berührt.

Und immer noch: Thomas Howard, Herzog von Norfolk, die Papisten und unsere schottische Cousine. Der Kronrat verhört seine Bediensteten, heißt es, er selber steht weiter unter Hausarrest. Über ihn reden sie wenigstens noch. Wissen, dass er da ist.

Die Unterlagen sind trocken, die Worte lesbar, nur ein wenig verwischt. Jeder Strich hat einen grauen Schweif, als hätte er versucht, vom Papier zu fliehen, und dabei Schleifspuren hinterlassen. Werde die Bögen ins Journal legen.

Zwei Mal habe ich begonnen, in Chequers. Dachte, es könnte helfen, aufzuschreiben. Dachte, die Sätze würden aufhören, einander zu jagen, während Ellen am Fußende des Bettes so tief und gleichmäßig atmete, als gäbe es keine Sätze. Die sich auf die vorherigen stürzen, sich ineinander verknäueln, bis ich sie sortiert habe, dann hielten sie still, ordentlich aufgereiht. Nach jedem zerwarteten Tag, wenn Ellen sich nicht mehr regte, wurden sie wieder wild. Jagten einander erneut, und ich musste jeden so lange denken, bis er recht war.

Wollte sie einhegen auf dem Papier, mit dunkler Tinte zu abgegrenzten Buchstaben. Worten. Sätzen, die stumm von links nach rechts daliegen, reglos und gut verwahrt. Wusste nicht, wie ich anfangen sollte. Weiß es immer noch nicht. Werde die Bögen ins Journal legen.

Chequers, Dez. 1565

Es war einmal ein König, der erste aus der Familie Tudor, seine Verwandten hatten einander totgeschlagen, er war als Einziger übrig. Der König hatte vier Kinder, die ältere Tochter verheiratete er nach Schottland, die jüngere nach Frankreich, sein älterer Sohn starb, der Jüngere folgte ihm auf den Thron. Blablabla bla bla

Es war einmal

Es waren einmal unzählige mögliche Anfänge. Die klingen, wie irgendwas, das die Ammen erzählen, damit man einschläft. Das keinen Schluss braucht, weil es mit langsamer werdenden Atemzügen endet. Mit einem letzten Heben und Senken des Brustkorbs, seufzerbegleitet. Ein Bein zuckt noch, auch die Finger auf dem Deckchen, dann ist alles still, und die Amme geht zur Bank am Feuer und schließt die Augen.

Es war einmal eine Königstochter, die heiratete den König von Frankreich. Der war alt und gebrechlich und starb nach wenigen Wochen. Die Königstochter kam in eine dunkle Kammer, um zu trauern, und ein Sohn aus vorheriger Ehe auf den Thron. Während die englischen und französischen Gesandten noch über ihre Mitgift stritten, vermählte sich die Königstochter mit dem Herzog von Suffolk. Den hatte ihr Bruder geschickt, um sie abzuholen. Auf Knien, in Worten, Tränen, Briefen bat und schmeichelte und bettelte sie, und ihr Bruder ließ sie am Leben. Unter der Bedingung, dass sie ihr die französische Mitgift zurückerstattete. Das taten der Herzog und die Herzogin von Suffolk dann jahrelang, und nach ihrem Tod zahlte der Herzog und nach dessen Tod seine neue Frau.

Es war einmal eine Königstochter, die lebte am Hof ihres Bruders. Sie war mit dem Herzog von Suffolk verheiratet und wurde Königin von Frankreich genannt. Ihre Aussichten waren gut, die Frau des Bruders gebar lediglich eine Tochter und dann fünfmal nichts, was länger als ein Jahr lebte. Die Königin von Frankreich hingegen bekam einen Sohn, zwei Töchter und dann wieder einen Sohn. Ihr Ältester starb, das war nicht schlimm, sie hatte ja noch einen Nächster-männlicher (und dahinter ein Ausrufungszeichen)-Nachkomme-des-Königs. Doch dann verliebte sich der Bruder in Anne. Die Königin von Frankreich hielt der Schwägerin die Treue, was sollte sie sonst tun, der guten Aussichten halber.

Es war einmal eine Mary Grey, die saß nachts wach und vergaß, die Feder schräg zu halten. Die Tinte lief raus und bildete einen hässlichen Fleck auf dem Papier, der an den Rändern bereits matt trocknet. Statt den Sandstreuer zu nehmen, schreibt Mary Grey weiter, schmiert Schwarzes auf ihre besten Ärmel und wird morgen die hochgezogenen Augenbrauen ihrer Bediensteten ertragen müssen.

Es war einmal ein Mädchen, das hieß Frances Brandon und kam immer zu kurz. Sie war die Tochter des Herzogs von Suffolk, ihre Mutter wurde Königin von Frankreich genannt. Als sich Frances Brandons zwölfter Geburtstag näherte und alle abwägten, welchen französischen Prinzen sie heiraten sollte, weigerte sich ihre Mutter, der Geliebten ihres königlichen Onkels den Vortritt zu lassen, sie als erste Dame des Reiches anzuerkennen. Der König war ungnädig, und die herzogliche Familie zog sich aufs Land zurück. Ausschließlich heimische Kandidaten kamen jetzt in Frage, und Frances Brandons Vater bot ihre Hand dem Herzog von Norfolk für dessen Sohn an. Nein danke, antwortete dieser, und so blieb ihr nichts anderes übrig, als Henry Grey zu heiraten. Mündel ihres Vaters und Erbe des Grafen von Dorset. Frances gebar reichlich, ihre Söhne starben, die Töchter überlebten, drei waren es, Jane, Katherine und Mary genannt. Immer die anderen, sagte die Gräfin von Dorset, immer die anderen.

Es war einmal ein König, der zweite aus der Familie Tudor. Er verliebte sich in ein Mädchen namens Anne, aber die katholische Kirche verweigerte ihm die Scheidung von seiner Königin, die ihm nur eine Mary geboren hatte und sonst nichts, was länger lebte. Also gründete er eine eigene Kirche, löste die Klöster auf, zog deren Vermögen ein, wurde reich und heiratete sein Mädchen.

Es war einmal ein Mädchen namens Anne, das hatte dem König einen Sohn versprochen. Sie gebar eine Elizabeth und sonst nur Totes und starb auf dem Schafott. Die nächste Ehefrau war artig, gebar einen Sohn und starb im Kindbett. Die nächste gebar nichts, ließ sich aber artig scheiden. Die nächste gebar auch nichts, verliebte sich in den Kammerdiener und starb auf dem Schafott. Die nächste gebar wieder nichts, und dann starb endlich der König.

Es waren einmal sechs Cousinen: eine Schottin, zwei Bastarde und die drei Schwestern Grey. Es waren einmal so viele mögliche Perspektiven, dass Mary Grey nicht weiß, für welche sie sich entscheiden soll.

Es waren einmal drei Schwestern, die hießen Jane, Katherine und Mary, sie waren die Urenkelinnen des ersten Tudorkö

Das ergibt keinen Sinn.

Es war einmal ein Leser, der konnte nichts verstehen, denn Marys Gedanken waren ver

Es war einmal ein Mädchen namens Mary Grey. Das heiratete, ohne ihre königliche Cousine Elizabeth um Erlaubnis zu fragen, den alten Keyes. Bald wurde in jeder Ecke darüber getuschelt, und die Eheleute wurden verhaftet, und Mary Grey kam in den Hausarrest nach Chequers und Keyes ins Fleet Gefängnis. Und da rotten sie noch heute.

Ich weiche schon wieder aus. Man beginnt wohl mit der Geburt. Das ist Unsinn. Dennoch:

Am 9. Januar 1545 wurde Mary Grey in Bradgate nahe dem Dorf Goby geboren.

Notizen zur Nacht, in der die Gräfin von Dorset niederkam:

Die Leute behaupten, in ihr die üblichen Unheilsanzeichen entdeckt zu haben: aus der Luft stürzende Vögel, springende Spiegel, aufwärts fallender Schnee, Kobolde tanzend auf Waldlichtungen, und in Osterley sei ein zweiköpfiges Kalb geboren worden. Die Verfasserin ist überzeugt, dass es sich um eine gewöhnliche Winternacht gehandelt hat, mit stillen Schneeflächen, rabenbesetzten Ästen und erfrorenen Vagabunden. Der Himmel über Bradgate sei dunkel gewesen, sagen die Leute, die Sterne hätten Stecknadelköpfen geähnelt, zu tief in Stofffasern geschoben. Nichts Großes könne aus einer solchen Nacht kommen, sagen sie, doch der Säugling, von dem sich die Gräfin enttäuscht abwandte, war von normaler Statur und unterschied sich durch nichts von den anderen, die sie in Blut unter Schreien auf die Welt gepresst hatte.

Schreiben Sie nicht, verfügte die Gräfin. Ihr Gatte weilte in Calais und ließ Franzosenschädel einschlagen.

Nicht wenige warteten vergeblich auf die Nachricht, denn die Gräfin bekam keine Kinder, sie gebar Wahrscheinlichkeiten. Auch wenn noch unklar war, wie sich diese genau verteilten. Noch belastete der Onkel, um die Pest in der Hauptstadt zu meiden, jeden Sommer die Einkommen derjenigen, die in seiner Gunst standen, indem er von herausgeputztem Landsitz zu noch herausgeputzterem Landsitz zog, mit faulendem Bein und neuer Frau.

Bringt es weg, sagte die Gräfin, nachdem die Ärzte den Säugling hochgehalten hatten, so dass sie sich versichern konnte, dass ebenjenes Körperteil fehlte, das die Wahrscheinlichkeit vergrößert hätte. Sie griff bereits nach dem kandierten Ingwer, als die Amme ihre Schenkel abwischte. Der Säugling wurde zu seinen beiden noch lebenden Schwestern gebracht, die Taufe bereitete Schwierigkeiten. Gemeinhin benannte die Gräfin ihre Töchter nach der jeweiligen Frau des gewichtigen Onkels. Nur hieß die neue Frau genauso wie jene, die es zur Geburt der mittleren Tochter gewesen war, und zwei Katherines in einer Generation schickten sich nicht.

Als es so weit war, notierte niemand das Datum ins Stundenbuch, niemand schrieb Mary unter Jane und Katherine. Denn so wurde der Säugling getauft, nach der lieben Cousine mit den bescheidenen Aussichten.

Der Onkel starb zwei Jahre später, Schnee lag in den Feldern. Die liebe Cousine ließ die Messe lesen und maß auch nur viereinhalb Fuß.

Der Onkel bestimmte die Wahrscheinlichkeiten: Der König ist tot, lang lebe: erst der fahle Cousin Edward, dann die liebe Cousine Mary, danach, und nur, wenn es denn sein müsse, die nicht ganz so liebe Cousine Elizabeth, und dann folgten schon Jane, die sich auf Reisen befand, und Katherine, die früh eine Vorliebe für Aprikosen hatte und Angst vorm Teufel unterm Bett, und dann die anderthalb Fuß, die hinterm Rücken der Gräfin Das Wesen genannt wurden und von dem die Ammen berichteten, es würde sich neben Truhen stellen, neben Kerzenständer und die Stiefel seines Vaters, um zu prüfen, ob es größer sei.

4. September 1571, Bishopsgate

Greshams Alte will wieder aufs Land. Zetert. Nicht mit mir, nicht am Treppenaufgang. Greshams Antworten nur unregelmäßige, knappe Pausen, willkürlich gesetzt und zu leise, als dass ich sie hören könnte. Krank sei sie, malade, wiederholt die Alte ständig, hält das Wort für elegant. Eine Falle sei die Stadt, fliehen müssten sie, vor dem stinkenden Fluss, den Dämpfen. Morgens lägen die vielleicht friedlich weiß über dem Wasser, doch nachts kröchen sie in die Häuser, in den Körper hinein, zerstörten die Balance, das ausgewogene Verhältnis der Körperflüssigkeiten. Sie sei melancholisch, ohne einen Löffel Suppe gegessen zu haben, und er, Gresham, müsse voller gelber Galle sein, sonst würde er nicht so rücksichtslos, so hartherzig mit ihr umspringen. Was nütze es, Häuser auf dem Land zu besitzen, wenn einem verboten werde, sie aufzusuchen, und sei es, um sein blankes Leben zu retten. Lady Mary, Lady Mary, Lady Mary, äfft sie ihn nach. Wenn er nicht ginge, sie würde gehen. Solle die Krone ihr doch Reiter hinterherschicken und sie verhaften. Vielleicht habe sie ja Glück und werde auch unter Hausarrest gestellt bei irgendjemandem, der mit der ganzen Angelegenheit nichts zu tun habe. Auf dessen Kosten sie sich breitmachen könne. Die Krone verlangt, die Krone verlangt, ruft sie in der großen Halle, bereits auf dem Rückzug, auf dem Weg in ihr Sitzzimmer.

Hauptereignis des Tages: Drei Raben haben einen kleinen Turmfalken in den Innenhof getrieben. Tanzen um ihn herum durch die Luft, die Federn gespreizt, an den Flügelenden geformt wie Schneiden.

Langeweile ist ein sanftes Tuch. Nur dass nach kurzer Zeit irgendwas straff wird, sehr straff, zwischen Becken und Kehle, wie Bänder, aufgespannte Bänder, vom Unterleib durch den Oberkörper hoch zum Hals.

Sogar die Küchenneuigkeiten sind ermüdend:

Greshams Alte hat mehr Personal eingestellt, wieder eine Köchin, ist zu geizig für einen Koch.

Es regnet, es regnet, die Ernte wird nass. Das sei nicht lustig, das bedeute Hunger, Ellen ist heute sehr humorlos.

5. September 1571, Bishopsgate

Keyes ist tot.

Das bedeutet nichts. Er hat schon lange kein Gesicht mehr. Keine Stimme. An seine Ärmel erinnere ich mich, sie waren pflaumenfarben. Meine Wange lag an ihnen, die Perlen auf den Manschetten kalt an meinem Kinn. Wir gingen nebeneinander, fünf Schritte, bis zur Tür, sein Arm hing herab, sein Handrücken auf Höhe meines Halses.

Gresham kam selbst, begleitet von Smith mit seiner großen Tasche. Ich saß auf der Fensterbank, Ellen war auf den Knien, hat versucht, meinen Fuß in die gelben Schuhe zu schieben, hielt die Korksohle in der Linken, meinen Knöchel in der Rechten und wich den stoßenden Zehen aus. Zwölf zu null, übrigens.

Schmalgekniffen haben Greshams Augen das Halbdunkel abgetastet, wenn ich mich nicht rühre, kann er mich nicht finden. Smith hat die Schließe geöffnet, die Tasche aufgeklappt, weit auf, wie ein Ledermund, und hineingesehen und gewartet.

Hier, Master Gresham, Ellen ist eine Spielverderberin. Sie schiebt den Schuh über meine Zehen, richtet sich auf und verbeugt sich gleich wieder. Greshams Augen bleiben dort hängen, wo er den Ursprung der Bewegung vermutet.

Er verneigt sich in Richtung des Lehnstuhls, es tue ihm leid, er habe schlechte Nachricht. Dann ist er wieder stumm und überlegt, Achtung, aufgepasst, in seinem Gesicht. Es gibt einen Zeugen, Smith blickt in die Tasche. Wen kann er schon meinen, habe ich gedacht, waren doch alle schon schlechte Nachrichten. Und bei Stiefgroßmama hätten sie keinen Arzt mitschicken müssen. Nun mach schon, hab ich gedacht. Gresham schweigt, Herr Diplomat ist im Ruhestand, und wägt doch wieder jedes Wort in seinem Heim, als wär er auf Mission.

Der Sergeant Porter ist gestorben, sagt er schließlich, kneift die Augen enger zusammen, um die Reaktion des Lehnstuhls abzuschätzen. Smith blickt auf in mein Gesicht, auch er schätzt ab, prüft, was er aus der Tasche holen soll.

Weil der Lehnstuhl sich nicht rührt, glaubt Gresham, ich hätte ihn nicht verstanden.

Der ehemalige Sergeant Porter, sagt er. Und da noch immer kein Laut kommt: Keyes. Der alte Keyes ist tot.

Benötigt ihr etwas, hat Smith gefragt und in den Taschenmund gedeutet.

Ich habe Ellens Hand gespürt, zwischen den Schulterblättern, sie zog sie gleich wieder zurück. Mag sie noch immer nicht berühren, die Erhebung in meinem Nacken, man sollte meinen, sie würde sich daran gewöhnen. Ich will ihr auf die Finger hauen, sie streichen über meinen Ellbogen.

Keyes ist tot. Klingt wie der Refrain eines Kinderlieds. Keyes ist tot – und hat schon lange kein Gesicht mehr. Keyes ist tot – und wenn er kommt, dann laufen wir. Keyes ist tot – und hat schon lange kein Gesicht mehr. Keyes ist tot – und der Samtflor hat an meinen Nasenlöchern gekitzelt. Keyes ist tot – er hatte schöne Ärmel. Keyes ist tot ist nur ein Kinderlied.

Und ich hab wohl begonnen zu summen, denn Ellen sagt: still, und kneift in meinem Oberarm. Smith ist zufrieden, nun weiß er, was er braucht. Nimmt etwas aus der Tasche, gibt Ellen ein Zeichen. Sie holt den Becher, er lässt Hellbraunes hineinlaufen, es riecht nach Sergeant-Porter-Atem am frühen Abend. Auch das ist übrig.

Das wird Euch Ruhe geben, sagte Smith, während ich trank.

Nun muss SIE mich rauslassen, hab ich gesagt. Gresham hat genickt, jetzt weiß er, wo ich bin.

Smith hat den Ledermund zugeklappt, mein Beileid.

Ich habe ihm gedankt und ihn entlassen. Gresham ist gegangen, seine Alte mit der Nachricht friedlich stimmen.

Du auch, hab ich zu Ellen gesagt.

Und nun sitze ich hier.

Von wem kam Smith, von wem die Nachricht? Elizabeth? Ein Zeichen? Von IHR? Und ein nächstes folgt?

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