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Die schönsten Inselromane

Insel- und Küstenromane - romantisch und gefühlvoll

Mit diesen Büchern können Sie sich an die Nord- und Ostsee träumen oder an die Küsten Cornwalls. Gefühlvolle Liebesromane und und spannende Familiensagas warten auf Sie.

Begeben Sie sich auf intensive Reisen an die schönsten Küsten und lassen sich vom einmaligen Charme des Insellebens verzaubern! Losgelöst von der Hast und dem Lärm des Festlands und vom unendlichen Meer umgeben, führen die Insulaner ein eigenes Leben. Ein idealer Schauplatz also für die Entstehung kleiner Bäckereien, dramatische Familiensagen, Freundschaften in Zeiten des Umbruchs, die große Liebe und resolute Hobbyermittlerinnen. 

Rauschendes Meer, weicher Sand unter den Füßen und packende Geschichten im Herzen – wir wünschen Ihnen eine wundervolle Zeit mit unseren Büchern! 

Der neue Nordsee-Inselroman von Regine Kölpin

„Exakt recherchiert, atmosphärisch dicht und voller Empathie erzählt, mag man das Buch gar nicht zur Seite legen.“ ―


Nordwest-Zeitung

Italienischer Flair auf Sylt

Blick ins Buch
BreitseiteBreitseite

Ein Sylt-Krimi

Mamma Carlotta probiert das Speed-Dating – jede Menge Trubel garantiert!

Mamma Carlottas Enkelin Carolin ist endlich zurück in ihrem Elternhaus, was für ein Glück! Dass sie neuerdings als Reporterin die Insel unsicher macht, führt jedoch zu Reibereien mit Vater Erik, seines Zeichens Kriminalhauptkommissar von Sylt. Er lässt sich ungern in die Karten schauen, erst recht nicht bei einem Leichenfund in der Heide. Doch ausgerechnet seine neugierige Schwiegermutter Carlotta findet heraus, dass ein verschwundenes Gemälde eine Rolle zu spielen scheint. Nicht umsonst kennt sie auf der Insel Hinz und Kunz. Damit das so bleibt, überredet Carolin ihre Oma zu einem Speed-Dating – mit Folgen! Auf einmal hat es Mamma Carlotta nicht nur mit einem neuen Verehrer zu tun, sie muss sich auch auf ordentlich Breitseite einstellen …

Mamma Carlottas 18. Fall auf Sylt! Diese Bände der Reihe sind bereits erschienen:

  • Band 1: Die Tote am Watt
  • Band 2: Gestrandet
  • Band 3: Tod im Dünengras
  • Band 4: Flammen im Sand
  • Band 5: Inselzirkus
  • Band 6: Küstennebel
  • Band 7: Kurschatten
  • Band 8: Strandläufer
  • Band 9: Sonnendeck
  • Band 10: Gegenwind
  • Band 11: Vogelkoje
  • Band 12: Wellenbrecher
  • Band 13: Sturmflut
  • Band 14: Zugvögel
  • Band 15: Lachmöwe
  • Band 16: Schwarze Schafe
  • Band 17: Treibholz
  • Band 18: Breitseite

1 

Carlotta Capella war immer als Erste auf den Beinen. Das war in ihrem Heimatdorf so und auf Sylt nicht anders. In Umbrien sorgte sie dafür, dass ihre Enkel mit viel Großmutterliebe auf den Weg zur Schule geschickt wurden und dass ihre erwachsenen Kinder und Schwiegerkinder sich außer dem obligatorischen Espresso auch mindestens ein paar Kekse gönnten. Auf Sylt versuchte sie, die Rolle ihrer verstorbenen Tochter einzunehmen, also darauf zu achten, dass ihr Schwiegersohn Erik rechtzeitig aufstand, die Kinder pünktlich aus dem Bett kamen und alle ein ausgiebiges Frühstück zu sich nahmen, wie es in Deutschland üblich war. In Italien reichten zwei, drei Zwiebäcke, aber Lucia hatte, nachdem sie Erik an die kalte Nordsee gefolgt war, schnell gelernt, dass hier ein Frühstück anders auszusehen hatte. Wenn sie später mit den Kindern nach Italien zu Besuch gekommen war, wollte sie mit einem Mal auch Käse und Mortadella zum Frühstück essen und manchmal sogar Haferflocken und frisches Obst.

Mamma Carlotta klapperte besonders laut mit dem Geschirr, damit Erik in der ersten Etage hören konnte, dass es Zeit wurde, zum Dienst aufzubrechen, und auch Carolin aus den Federn kam. Seit sie beim Inselblatt arbeitete, stand sie erst spät auf, weil ihr Chefredakteur angeblich auch nie vor zehn in der Redaktion erschien. Und Felix hatte sein Abitur bestanden und begann seinen Tag zurzeit immer erst gegen Mittag. Da konnte sie noch so laut mit Tellern und Tassen scheppern. Allerdings, das musste seine Nonna zugeben, arbeitete er bis in den späten Abend hinein in der neuen Pizzeria, da musste man ihm wohl zubilligen, dass er morgens länger schlief als alle anderen. Das einzige Lebewesen, das Carlotta mit ihrem Lärm aufgeschreckt hatte, war Kükeltje, die schwarze Katze der Wolfs, die verschlafen in der Küche erschien und sich ausgiebig dehnte, bevor sie sich daranmachte, die Frühstücksvorbereitungen zu inspizieren. Sie wusste, dass am Morgen Schinken fürs Rührei gewürfelt wurde und immer ein bisschen für sie abfiel.

Nachdem sie den Tisch gedeckt hatte, legte Carlotta die Brötchen in den Backofen, damit sie später warm und knusprig auf den Tisch kamen, und holte Butter, Marmelade und Käse aus dem Kühlschrank, dazu die Eier, aus denen sie ein Rührei zaubern würde. Ihr selbst drehte sich ja der Magen um, wenn sie der Völlerei am frühen Morgen zusah, aber Lucias Familie war nun einmal daran gewöhnt, also musste alles so bleiben, wenn die Nonna die Mutter ersetzte.

Sie öffnete noch einmal die Kühlschranktür, weil sie den Schinken vergessen hatte, woran Kükeltje sie mit einem kläglichen Maunzen erinnerte. „D’accordo!“

Lächelnd schnitt sie einen Streifen für die Katze ab, ließ ihn über ihrer Schnauze baumeln und lachte, als Kükeltje ihn sich holte und so schnell verspeiste, als hätte sie Sorge, man könne ihr die Beute wieder streitig machen.

Von draußen drang Gepolter herein. Eine Leiter war an die Hauswand gefallen, kurz darauf erschienen zwei Füße in derben Arbeitsschuhen vor dem Küchenfenster.

Mamma Carlotta lief zur Haustür und riss sie auf. „Signor Mattes! Schon so früh bei der Arbeit?“

Der Dachdecker sah von oben auf sie herab. „Acht Uhr ist Arbeitsbeginn. Völlig normal.“

„Naturalmente! Haben Sie denn schon gefrühstückt?“

Mamma Carlotta hatte gleich am ersten Tag eine längere Plauderei mit Peer Mattes begonnen, der das Dach des Hauses auf Vordermann bringen sollte, und alles erfahren, was sie wissen wollte. Das gehörte zu ihren besonderen Eigenschaften. Sie selbst nannte ihre Fähigkeit, andere dazu zu bringen, ihr Herz auszuschütten, freundliche Zuwendung, aber es gab durchaus Menschen, vor allem auf Sylt, die von Neugier redeten und sich nicht ausfragen lassen wollten. So war es in den ersten Stunden auch bei Peer Mattes gewesen, der sich im Ergebnis aber dann doch nicht hatte entziehen können und der Schwiegermutter seines Auftraggebers ausführlich erzählte, dass seine Frau krank und zurzeit in Kur sei. Natürlich hatte Mamma Carlotta auch erfahren, wie schwierig es für den Dachdecker war, neben seinem Beruf den Haushalt und seinen Sohn zu versorgen. Dieser Sohn war zwar schon achtzehn, ein Freund von Felix, der ebenfalls gerade das Abitur bestanden hatte, aber Mamma Carlotta sah ohne Weiteres ein, dass auch ein Kind im Erwachsenenalter noch liebevolle Betreuung gebrauchen konnte.

„Ja, ja“, brummte Peer Mattes zurück. „Ich habe schon was im Magen.“

Aber Carlotta hatte bereits am Tag zuvor aus ihm herausgefragt, wie das aussah. Im Stehen ein Kaffee und im Weggehen eine Scheibe Brot, manchmal auch beim nächsten Bäcker ein belegtes Brötchen. Ein unerträglicher Gedanke, dass die Familie Wolf im Haus ein gemütliches Frühstück einnahm, während jemand auf dem Dach einer schweren Arbeit nachging, ohne dass er vorher für die nötige Stärkung gesorgt hatte.

„No, no“, gab sie zurück. „Sie müssen erst etwas Richtiges zu sich nehmen. Ich habe schon für Sie gedeckt.“

Das stimmte nicht, ließ sich aber schnell nachholen, sodass aus der frommen Lüge im Nu Wahrheit geworden war. „Der Mitarbeiter meines Schwiegersohns wird auch gleich da sein.“

Das stimmte auf jeden Fall. Sören Kretschmer hatte sich längst angewöhnt, jede Mahlzeit im Hause seines Chefs einzunehmen, wenn dessen Schwiegermutter zu Besuch war. Gelegentlich fühlte er sich bewogen, diese Sitte infrage zu stellen, um dann zu hören zu bekommen, dass er selbstverständlich erwartet wurde und Mamma Carlotta tödlich beleidigt wäre, wenn er sein Frühstück woanders einnähme. Dann ließ er sich immer besonders zufrieden am Tisch nieder und genoss alles, was sie ihm vorsetzte. Bis zum nächsten Mal, wenn er erneut so tat, als wäre es ihm unangenehm, sich von der Schwiegermutter seines Chefs beköstigen zu lassen.


2 

Erik wechselte gerade vom Bad ins Schlafzimmer, um sich anzuziehen, als er hörte, dass die Haustür ging. Die tiefe, ruhige Stimme, die kurz darauf ertönte, gehörte nicht Sören, also hatte seine Schwiegermutter mal wieder den Dachdecker ins Haus geholt. Sie gab ja keine Ruhe, wenn sie von einem Menschen wusste, dem es an Zuwendung fehlte, vornehmlich von einem Mann, der ohne weibliche Betreuung auskommen musste. Sie machte es hier einfach genau wie in ihrer Heimat, wo es jedoch üblicher war als auf Sylt, dass ein Postbote einen Espresso bekam, wenn er besonders viele Briefe ablieferte, oder die Männer der Müllabfuhr auf ein kaltes Getränk an die Haustür gebeten wurden. Peer Mattes, der Dachdecker, würde sich vermutlich nicht entziehen können, denn er war überdies der Vater von Felix’ Freund, fiel damit in die Kategorie der guten Bekannten und hatte sich so gewissermaßen den Anspruch erworben, neben seiner Arbeit auch noch beköstigt zu werden. Dass Peer Mattes das ganz anders sah, wusste Erik genau, und dass dem Mann die Fürsorge seiner Schwiegermutter oft ganz schön lästig war, ebenfalls. Aber so viel sich Mamma Carlotta auch auf ihr Fingerspitzengefühl einbildete, es versagte vollkommen, wenn sich jemand ihrer Bemutterung entziehen wollte.

Erik kontrollierte im Spiegel sein Erscheinungsbild, strich sich den Schnauzer glatt, auf den er immer große Sorgfalt verwendete, und fuhr sich durch die Haare, ohne danach jedoch zufriedener zu sein. Er zog den Bauch ein, weil seine Jeans ihn drückte. Hatte er etwa schon wieder zugenommen? Himmel, er musste endlich Sport treiben! Wie lange nahm er sich das schon vor! Er betrachtete sein Profil und stellte erschrocken fest, dass sein Bauch sich über den Gürtel wölbte, den er durch den Bund der Jeans gezogen hatte. War das gestern auch schon so gewesen? Entschlossen öffnete er den Schrank erneut und holte einen seiner geliebten Pullunder heraus, einen, den noch Lucia für ihn gestrickt hatte, marineblau mit roten und weißen Querstreifen über der Brust. Noch war es ja kühl, Wolle auf Brust und Rücken konnte nicht schaden. Und der Pullunder verdeckte wunderbar die Stelle, an der sich sein Bauch zeigte.

Er ging die Treppe hinab und begrüßte den Dachdecker, der gerade aus seinen schmutzigen Schuhen stieg. „Moin, Herr Mattes. Wie geht’s?“

Ein unverständliches Brummen war die Antwort, völlig normal für einen Friesen, von dem Erik keine ausführliche Beschreibung seines Gemüts- und Gesundheitszustandes erwartet hätte.

Sören Kretschmer erschien wenige Minuten später. Die Melodieklingel der Familie Wolf, die seit ein paar Jahren jeden Besucher erfreute, kündigte ihn mit dem Marsch Alte Kameraden an. Eine Melodie, die Sören unbekannt war. In seiner Generation kamen Marschmusik und die Verherrlichung des Kameradentums nicht mehr vor.

Er war um einiges jünger als Erik, viel schlanker und viel sportlicher als er. Sören besaß aus Überzeugung kein Auto, fuhr jede Strecke mit seinem Rennrad, joggte regelmäßig und war so fit, wie Erik gern wäre. Seinem Mitarbeiter fühlte Erik sich nur in einer Sache überlegen: Sein drahtiger Haarschopf war noch so dicht wie eh und je. Sören dagegen hatte dünnes blondes Haar, das schon schütter wurde, mit Geheimratsecken und einer lichten Stelle auf dem Kopf. Wenn seine Haare vom Wind zerzaust waren, sahen sie aus wie Glaswolle.

Sören wunderte sich nicht, dass der Dachdecker wie am Tag zuvor auch an diesem Morgen am Tisch hockte. Er setzte sich zu ihm und strahlte Mamma Carlotta an. „Soll ich Ihnen beim Schinkenwürfeln helfen?“

Aber wie erwartet wehrte sie ab. Hilfe in der Küche war ihr meist nur lästig. Menschen mit vorgeblich helfenden Händen standen ihr im Weg, fragten zu viel und machten dann doch alles falsch.

An ihr Tempo kam sowieso niemand heran. Der Schinken wurde in Rekordzeit gewürfelt und brutzelte schon in der Pfanne, als Erik noch nicht von der Sorge befreit war, seine Schwiegermutter könnte sich einen Finger amputieren. Meistens sah er einfach nicht hin, wenn sie in mörderischem Tempo mit einem scharfen Messer hantierte. Erstaunlich, dass so selten etwas passierte. Trotzdem kontrollierte er jedes Mal, wenn Mamma Carlotta auf Sylt erwartet wurde, die Vollständigkeit seines Erste-Hilfe-Koffers. Sicher war sicher.

Peer Mattes war schnell mit dem Rührei fertig, bedankte sich und verkündete, dass es nun Zeit würde, an die Arbeit zu gehen. „Die macht sich schließlich nicht von allein.“

Er verließ das Haus in Kükeltjes Begleitung, die, seit Peer Mattes auf dem Dach des Hauses arbeitete, stundenlang am Fuß der Leiter stand und staunend nach oben blickte. So, als bewunderte sie den Dachdecker für seinen Mut, den sie selbst offenbar nicht aufbrachte.

Mamma Carlotta sah ihm mit gerunzelter Stirn nach. „Ich glaube, es geht ihm nicht gut. Er wird doch nicht krank werden?“

Erik zuckte mit den Schultern. Ihm war nichts aufgefallen. Peer Mattes war so wortkarg wie immer gewesen, warum Mamma Carlotta also glaubte, dass sein Gesundheitszustand heute anders war als gestern, blieb Erik schleierhaft. Und wenn er ehrlich war, interessierte ihn daran auch nur, ob die Dachsanierung weitergehen konnte, wenn Peer Mattes sich mit Grippe ins Bett legte. Vor dem nächsten Winter sollte sein saniertes Dach eine optimale Dämmung erhalten haben, damit er Heiz- und Energiekosten sparen konnte.

Er besprach mit Sören die Arbeit, die an diesem Tag anstand, und freute sich mit ihm zusammen darüber, dass es zurzeit kein Kapitalverbrechen gab, das sie voll und ganz in Anspruch nahm. Ein bequemer Tag im Polizeirevier erwartete den Kriminalhauptkommissar und seinen Mitarbeiter. Sie konnten sich viel Zeit beim Frühstück lassen und würden zum Mittagessen wieder im Süder Wung erscheinen können.

In der ersten Etage klappte eine Tür, Carolin war aufgestanden. Dass sie ihre Hotellehre vor der Abschlussprüfung aufgegeben hatte, bedrückte Erik noch immer. Und dass sie sich ausgerechnet entschlossen hatte, ein Volontariat beim Inselblatt zu machen, war ihm ein echtes Ärgernis. Den Chefredakteur Menno Koopmann hatte er noch nie leiden können, aber nun würde er ihm wohl konziliant begegnen müssen, weil er der Chef seiner Tochter geworden war. Wirklich höchst unerfreulich!

Er stieß Sören an. „Komm, lass uns gehen. Wir könnten uns heute mal um die Ablage kümmern.“

Die Haustür war schon hinter ihnen ins Schloss gefallen, sie gingen auf Eriks Auto zu, als sein Handy klingelte und sich die Sache mit dem bequemen Arbeitstag kurz darauf erledigt hatte …


3 

Carolins Haare waren noch feucht, als sie sich an den Frühstückstisch setzte, ihr Gesicht glänzte, die Wangen waren rosig. Sie sah frisch und unternehmungslustig aus.

Mamma Carlotta betrachtete ihre Enkelin zufrieden. „Macht dir die Arbeit fürs Inselblatt Spaß?“

Carolin biss in ihr Brötchen und kaute, während sie antwortete: „Mehr als die Arbeit im Hotel.“

„Und Menno Koopmann? Dein Vater kann ihn nicht leiden. Er sagt, der Chefredakteur ist ein unangenehmer Mensch.“

„Stimmt. Aber er lässt mich einfach machen, und das gefällt mir.“

„Du bist eine Volo … Volon … come si dice?“ Sie wartete Carolins Antwort nicht ab. „Ein Lehrling. Du musst erst lernen, wie eine Giornalista zu arbeiten hat.“

„Learning by doing.“ Erklärend fügte Carolin an: „Einfach machen, dann lernt man am schnellsten und besten. Das meint Koopmann jedenfalls.“

Mamma Carlotta saß kopfschüttelnd da. Einfach machen lassen? Das konnte sie sich nicht vorstellen. Ließ man einen Schneiderlehrling einen Saum nähen, wenn er es noch nicht gelernt hatte? Oder einen Schreinerlehrling mit dem Hobel umgehen, der nicht wusste, was man damit alles falsch machen konnte? No!

„Heute soll ich über das neue Speeddating berichten.“

Schon wieder ein englischer Begriff? Mamma Carlotta runzelte ärgerlich die Stirn. „Was soll das nun wieder heißen?“

„Speeddating für reife Singles!“ Carolin strahlte, als hätte sie damit irgendetwas erklärt. „Unter den Touristen auf Sylt gibt es viele Singles über fünfzig.“ Nun schien sie zu merken, dass ihre Großmutter ärgerlich wurde. „Nonna, das gibt es in Amerika schon lange. Speed heißt Schnelligkeit und Dating … da lernt man sich kennen, man trifft sich, verabredet sich. Du würdest vermutlich Rendezvous sagen. Oder Appuntamento.“

„Appuntamento veloce?“

Carolin wurde nun geschäftsmäßig. „Also, beim Speeddating kann man an einem einzigen Abend gleich mehrere Leute kennenlernen, mögliche Partner, verstehst du?“

Nein, Mamma Carlotta verstand kein Wort. „Cosa si può fare?“

„Ein Mann und eine Frau können sich sieben Minuten lang unterhalten, dann wird gewechselt. Ehrlich, Nonna, man merkt doch im Grunde schnell, schon in den ersten fünf Minuten, ob man sich in einen Typ verknallen könnte oder nicht. Aber bei einem normalen Date musst du noch den ganzen Abend mit dem Kerl in der Bar hocken und hinterher womöglich lange erklären, warum du ihn nicht noch einmal daten willst. Speeddating ist unverbindlich, und vor allem lernst du an einem Abend gleich ein Dutzend Männer kennen. Die, die dir nicht gefallen, hakst du ab, ohne Erklärungen abgeben zu müssen. Und wenn dir einer gefällt, kannst du dich noch einmal mit ihm verabreden.“ Carolin lachte in das konsternierte Gesicht ihrer Großmutter. „Wenn du dir einen neuen Fernseher kaufst, schaust du dir doch auch erst alle Modelle an, die infrage kommen, und vergleichst einen mit dem anderen. Was spricht dagegen, es mit einem möglichen Partner auch so zu machen?“

Nach Mamma Carlottas Meinung sprach eine Menge dagegen, aber sie ahnte, dass ihre Ansichten altmodisch genannt werden würden, und schluckte sie deshalb hinunter. „Und wie geht so was?“

„An sieben Tischen sitzen sieben Frauen. Sieben Männer setzen sich zu jeweils einer von ihnen, und dann haben die beiden sieben Minuten Zeit, sich kennenzulernen. Danach wird gewechselt, die Männer rücken zur nächsten Frau vor. Am Ende kann sich jeder überlegen, ob er an einem der sieben möglichen Partner Interesse hat. Wenn einem jemand gefällt, kreuzt man denjenigen auf einem Fragebogen an. Matcht es …“

„Matsch?“ Mamma Carlotta war entgeistert. „Fango?“ Was sollte das nun wieder?

„Matchen heißt, dass es Übereinstimmungen gibt, dass auch der andere Interesse hat. Und dann organisieren die Veranstalter ein Folgedate. Ansonsten braucht man sich keine Gründe zu überlegen, warum man ein Date nicht fortsetzen will, warum man jemanden nicht wiedersehen will, warum man die eigene Telefonnummer nicht rausrücken will. Ist doch super!“

Mamma Carlotta nickte zwar, hätte aber lieber den Kopf geschüttelt. Wenn sie an ihre Jugend dachte, fand sie die Art und Weise, wie man sich damals kennenlernte und wie Beziehungen zustande kamen, wesentlich spannender.

„Vor allem für ältere Leute“, fuhr Carolin fort, „die keine Zeit mehr zu verlieren haben. Die wollen sich nicht mehr in einen Partner vergucken, der in Wirklichkeit gar keine feste Beziehung haben will. Die wollen jemanden kennenlernen, der die gleichen Vorstellungen hat. Alles andere wäre reine Zeitverschwendung. Total fair, das Ganze!“ Carolin schob sich ihren letzten Bissen in den Mund und stand auf. „Um zehn habe ich bei den Veranstaltern einen Termin. Ich hoffe, ich darf beim nächsten Speeddating dabei sein und sogar fotografieren. Oder ich finde jemanden, der bereit ist, mir später davon zu erzählen. Vielleicht sogar zwei Leute, die sich verliebt haben.“ Sie griff nach ihrer Umhängetasche und stülpte sich im Flur ihren Helm auf. Verschmitzt zwinkerte sie ihrer Großmutter zu. „Karla Kolumna, die rasende Reporterin! Tschüsselchen!“

Mamma Carlotta blieb in der offenen Tür stehen und sah zu, wie Carolin ihren Motorroller aufschloss, den sie sich von ihrem ersten Gehalt geleistet hatte, sich auf den Sattel schwang, den Motor startete und winkend den Süder Wung hinabknatterte. Ihre kleine Carolina! Bis zur Pubertät war sie schüchtern und unauffällig gewesen. Dann war eine Zeit gekommen, in der ihre Nonna ungern mit ihr zusammen einkaufen ging, weil sie sich für ihre Enkelin schämte, die damals Frisuren trug, die an ramponierte Vogelnester erinnerten, und ein Make-up im Totengräberlook. Mit der Ausbildung im Hotelgewerbe hatte sich dann ihr Erscheinungsbild erneut geändert. Mit einem Mal sah sie seriös aus und gab sich auch so. Dann folgte das unsägliche Intermezzo mit Maximilian Witt, dem Reporter, mit dem sie sogar eine Weile in Hamburg gelebt hatte. Und seitdem kleidete und schminkte Carolin sich wieder unauffällig, legte aber Wert darauf, unkonventionell auszusehen. Also auf keinen Fall klassische Röcke, wie der Hotelbesitzer es von ihr verlangt hatte, sondern lässige Jeans und Hoodies oder Shirts. Mamma Carlotta erinnerte sich, dass sie Carolin früher manchmal die Geschichten von Karla Kolumna und Bibi Blocksberg vorgelesen hatte. Auch während dieser Zeit war Carolin immer mit dem für Karla typischen „Hallöchen“ erschienen und hatte sich jedes Mal mit „Tschüsselchen“ verabschiedet.

Mamma Carlotta lächelte in sich hinein, als sie die Haustür schloss. Hatte Carolin nun wirklich den richtigen Beruf gefunden? Dass sie für einen Mann arbeitete, den Erik nicht leiden konnte, machte Carlotta zu schaffen. Hoffentlich ging das alles gut! Während sie die Küche aufräumte, die Teller zusammenstellte und das Geschirr in die Spülmaschine packte, gestand sie sich ein, dass es ihr lieber gewesen wäre, wenn Carolin die Ausbildung im Hotel Horizont beendet und anschließend als Hotelkauffrau gearbeitet hätte …

Mamma Carlotta ist eine typische italienische Nonna. Die Familie ist ihr Ein und Alles, ihre Kinder stehen für sie immer im Mittelpunkt. Mamma Carlotta hatte keineswegs ein leichtes Leben. Schon mit sechzehn wurde sie schwanger und bekam in kurzer Folge sieben Kinder. Ihre Schwiegereltern wurden pflegebedürftig und später auch ihr Mann schon in jungen Jahren. Ihr Leben hat immer aus viel Arbeit, Schicksalsschlägen und Entbehrungen bestanden. Trotzdem hat sie es genossen und wollte nie ein anderes. Immer war sie mit dem zufrieden und glücklich, was sie hatte. Eine, wie ich finde, bemerkenswerte Eigenschaft. 


Gisa Pauly

Ein liebenswerter Dackel, Sylt und ein Happy End

Romantik mit Meerblick

Blick ins Buch
Ein neuer Sommer in der kleinen BäckereiEin neuer Sommer in der kleinen Bäckerei

Roman

Die perfekte Lektüre für den Sommer: Jenny Colgans neuer gefühlvoller Frauenroman zum Mitfühlen, Schwelgen und Genießen!
„Ein neuer Sommer in der kleinen Bäckerei“, der 4. Band der Reihe um „Die kleine Bäckerei am Strandweg“, führt alle Fans von  SPIEGEL-Bestsellerautorin Jenny Colgan zurück auf jene idyllische Insel vor der Küste Cornwalls.

Kleine Häuschen in Hellblau oder Zitronengelb, unberührte Natur überall – als Marisa Rossi auf der zauberhaften Insel ankommt, nimmt sie das alles kaum wahr. Seit dem Tod ihres geliebten Großvaters steht sie neben sich. Selbst das Kochen köstlicher italienischer Gerichte, sonst ihre Leidenschaft, ist ihr jetzt zu viel. Hier, am Ende der Welt, will sie sich neu erfinden.

Doch das erweist sich als schwierig, denn ihr Nachbar ist ein attraktiver russischer Klavierlehrer, der lautstark bis in die Nacht komponiert. Nur zaghaft knüpft Marisa neue Freundschaften. So zu Polly, deren kleine Bäckerei am Strandweg dringend neue Ideen bräuchte. Mehr Pep ist gefragt, mehr Leichtigkeit, mehr ... dolce vita?

„Niemand versteht sich so gut auf gemütliche Eskapismus-Romance wie Jenny Colgan“ Sunday Express

Jenny Colgans warmherzige und gleichzeitig erfrischenden Romane um „Die kleine Bäckerei am Strandweg“ und „Die kleine Sommerküche am Meer“ sind wie Urlaub: voller Sonne, Freundschaft, Liebe und gutem Essen. Marisa, die Heldin in Colgans neuem Frauenroman, sucht nach einem Neuanfang und die kleine Bäckerei nach einem neuen Erfolgsrezept. So entsteht ein sommerlich leichter Roman mit Herz!

„Wohlfühlfaktor: Sehr hoch, wie immer bei Jenny Colgan, der Meisterin der Romane, in die man immer gleich einziehen will, weil ihre Welten sich so kuschelig anfühlen beim Lesen.“ Berner Zeitung

Teil 1

Kapitel 1


Vor einer Weile war die Sonne rausgekommen, und die ganze Familie war zum Spielen nach draußen gegangen.

Wenn man sie sich so ansah, fiel einem auf den ersten Blick gar nichts Seltsames auf.

Die meisten Leute lächelten, wenn sie bemerkten, dass es sich bei den Kindern um Zwillinge handelte, von denen jeder eindeutig einem Elternteil ähnelte – der Junge mit dem rebellischen blonden Haar und der offenen, strahlenden Miene war seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Das kleine Mädchen wirkte zurückhaltender und hatte die helle, mit Sommersprossen übersäte Haut und das rotblonde Haar der Mutter.

Bei genauerem Hinsehen würde man allerdings etwas um sie herumflattern sehen und annehmen, dass man sich wohl verguckt haben musste. Denn was, um alles in der Welt, sollte ein Papageientaucher hier zu suchen haben?

***

 

Während der ersten ein oder zwei Jahre ihres Lebens hatte ein Schutzgitter an der Treppe den Lebensraum von Avery und Daisy quasi auf die helle Küche im ebenerdigen Anbau beschränkt.

Denn Polly Miller, geborene Waterford, hatte furchtbare Angst davor gehabt, dass sie die Wendeltreppe des Leuchtturms hinunterfallen könnten.

In einem Leuchtturm zu leben war mit Kindern eine noch blödere Idee als vorher, so toll sie es auch finden mochten.

Pollys Hoffnung, die Sicherheit ihrer Sprösslinge möglichst lange durch das Gitter gewährleisten zu können, war dahin, als sie die etwa achtzehn Monate alten Zwillinge mal eine Sekunde lang aus den Augen ließ.

Als Polly sich wieder zu ihnen umdrehte, betätigte Avery gerade die Verschlussvorrichtung, während Daisy das Törchen öffnete.

Neil (der Papageientaucher) stand auf dem Gitter, beinahe so, als wäre das Ganze seine Idee gewesen. Immerhin flatterte er schuldbewusst durchs Treppenhaus davon, als Polly ihre Kinder wieder einfing.

Die Zeit des Treppengitters war damit jedoch definitiv vorbei.

Polly setzte sich auf das abgewetzte alte Sofa und hob sich beide Kinder auf den Schoß – den blonden Avery, der Huckle so ähnelte, und Daisy, die aussah wie Polly selbst. „Nein“, erklärte sie geduldig zum millionsten Mal. „Nein, wir gehen nicht nach oben.“

„Oben!“, wiederholte Avery.

Daisy nickte. „Oben … NEIN?“

In dem Moment kam Huckle zum Mittagessen und grinste, als die Zwillinge vom Schoß ihrer Mutter rutschten und über den steinernen Fußboden auf ihn zusausten. „DADDY!“

„Bringst du ihnen mal wieder bei, dass oben der spannendste Ort der Welt ist?“

„Sie haben das Treppengitter geöffnet. In Teamarbeit.“

Huckle hob die beiden kleinen Menschen hoch und hielt einen von ihnen in jedem Arm.

„Ihr seid wirklich genial“, sagte er und drückte seine kichernden Kinder an sich.

„Genial ist daran überhaupt nichts“, wandte Polly ein. „Wenn sie jetzt dauernd nach oben krabbeln wollen, wird irgendwann jemand die Treppe hinunterfallen und dabei draufgehen.“

„Ich dachte, deshalb hätten wir zwei“, sagte Huckle und ging zum Herd hinüber.

***

 

In den folgenden vier Jahren purzelten sie tatsächlich etliche Male die Treppe hinunter, ohne sich dabei je nennenswerte Verletzungen zuzuziehen. Auch die Zusammensetzung der Gang – Junge, Mädchen, Papageientaucher – blieb gleich, und die drei brachten sich gemeinsam in immer neue, immer unerhörtere Schwierigkeiten.

„Eigentlich hatte ich am Anfang gedacht, dass Neil auf die Babys eifersüchtig sein würde“, sagte Polly jetzt, als Huckle und sie in der angenehm warmen Frühlingssonne saßen und dabei zusahen, wie ihre Kinder mit Neil Twistball spielten. Der Vogel flatterte dabei um die Stange herum und jedes Mal nach oben, wenn sich ihm der Ball näherte.

Die Rasenfläche erstreckte sich bis zu den Klippen, und normalerweise war es hier viel zu windig, um draußen zu sitzen. Aber es gab eine windgeschützte Stelle direkt hinter einem niedrigen Mäuerchen. Da konnte man sich ausstrecken, sich die Sonne ins Gesicht scheinen lassen und einfach einen wunderbar wohligen Moment genießen.

Allerdings hatte Polly von dort aus die Zwillinge nicht mehr im Blick, wenn sie sich hinlegte, daher richtete sie sich alle paar Minuten wie ein Erdmännchen auf und trotzte dem kalten Wind.

„Neil war doch furchtbar eifersüchtig auf die Babys!“, sagte Huckle und konnte nicht fassen, dass sie das vergessen hatte. „Allerdings hast du am Anfang ja im Milchkoma vor dich hin gedämmert. Damals hätte eine Atombombe explodieren können, und du hättest es nicht mitbekommen. Außer natürlich, wenn dadurch auch nur ein Staubkorn auf den Kindern gelandet wäre. Was glaubst du denn, woher die ganzen Macken an den Babybettchen stammen?“

„Ich dachte, das wäre Dekoration!“

„Das sind Schnabelspuren.“

„O Gott! Böser Vogel!“

„Ja, er ist ein ganz böser Vogel“, bestätigte Huckle gleichmütig. „Komisch, da könnte man fast denken, es wäre keine gute Idee, sich einen wilden Seevogel als Haustier zuzulegen.“

„Das sollte man ja auch nicht“, nickte Polly. „Aber er hat sich eben mich zugelegt.“

Vor Jahren war innerhalb kürzester Zeit nicht nur Pollys Firma, sondern auch die Beziehung zu ihrem damaligen Verlobten den Bach runtergegangen, weshalb sie allein und nervös nach Mount Polbearne gezogen war. Eines Nachts war ein Papageientaucherjunges in das Lokal gekracht, in dem sie inzwischen ihre Bäckerei hatte.

Sie hatte das Tier gepflegt, bis sein gebrochener Flügel geheilt war, und es dann freizulassen versucht.

Davon hatte der Vogel aber nichts wissen wollen. Neil hatte beschlossen, dass es viel besser war, bei einer Bäckerin zu leben, als jeden Tag ins kalte Seewasser tauchen zu müssen. Und das konnte Huckle durchaus verstehen.

Jetzt schauten Polly und er dabei zu, wie Neil um ihre Kinder herumsauste.

„Ich meine, er könnte vielleicht …“

„Nein, Neil kann nicht babysitten!“, versetzte Polly streng.

„Schon klar, schon klar“, sagte Huckle. „Ich hab nur überlegt, wie schön es doch wäre, sich mal bei Andy draußen hinzusetzen.“

Andy gehörte nicht nur der Pub des Ortes, sondern auch die Imbissbude, bei der es köstliche Pommes gab.

„Oder vielleicht sogar in das schicke Restaurant zu gehen und dort ein Glas Wein zu trinken. Ohne dass die ganze Zeit kleine Monster auf uns herumturnen.“

„Wir könnten doch Kerensa anrufen“, schlug Polly vor.

Das war die Frau von Reuben, ihrem reichen Freund, der auf dem Festland wohnte.

„Im Moment bin ich nicht in der Stimmung dazu, mich mit Reuben herumzuschlagen“, sagte Huckle. „Ganz zu schweigen von … Lowin.“

Obwohl die Zwillinge meilenweit weg gewesen waren, hüpften sie bei der Erwähnung dieses Namens sofort herbei.

„GEHEN WIR RÜBER ZU LOWIN?“

Lowin, der Sohn von Reuben und Kerensa, war inzwischen acht und der große Held der Zwillinge. Was auch kein Wunder war, schließlich lebte er in einer riesigen Villa, die aussah wie die von Tony Stark, und besaß jedes Computerspiel und jedes einzelne Playmobil-Set auf Erden.

Lowin seinerseits duldete die Zwillinge mehr oder weniger, solange sie beim Spielen genau seinen Befehlen Folge leisteten und ihm wie das Dienstpersonal jeden verrückten Wunsch von den Lippen ablasen.

Daisy und Avery stellten sich mit Begeisterung als willige Sklaven zur Verfügung und ließen sich nur zu gern auf jede von Lowins neuen Phasen ein.

Und das war auch kein Problem, solange sein Interesse zum Beispiel den Avengers oder Rennautos galt.

Seit Neuestem war Lowin allerdings ganz verrückt nach Schlangen. Und trotz Kerensas Beteuerungen war Polly sich nie hundertprozentig sicher, ob Reuben seinem Sohn nicht doch eine riesige Königsboa kaufen würde. Es fehlte gerade noch, dass er sie wie einen Schal um den Hals überallhin mitnehmen und die Schlange am Ende gar noch Neil verspeisen würde.

„Heute nicht“, antwortete Polly auf die Frage ihrer Kinder.

Enttäuschung machte sich auf den Gesichtern der Zwillinge breit.

„Aber er kriegt doch eine riesige Rutsche, die aussieht wie eine Schlange! Die längste Rutsche der Welt!“

„Das klingt ganz schön gefährlich“, bemerkte Polly und stand auf. „Okay. Zum Essen gibt es nur was aus den Hähnchenresten, sorry.“

„Ist nicht schlimm“, erwiderte Huckle, der bald wieder losfahren würde, um für seinen Honigverkauf Klinken zu putzen. Die Zeiten waren hart – im Südwesten Englands hatte es etliche Überschwemmungen gegeben, und viele Geschäfte kämpften ums Überleben, aber er gab sein Bestes.

„Ich freue mich einfach über was selbst Gekochtes, schließlich stehen für mich in den nächsten zwei Wochen immer nur Mahlzeiten in Restaurants und Hotels an.“

„Tu doch wenigstens so, als würde dich das stören!“, bat Polly.

„Da brauche ich gar nicht so zu tun!“, versicherte Huckle. Dann wurde seine Miene ernster, während er nach ihrer Hand griff. „Und das weißt du genau!“

„Ich wünschte, ich könnte losziehen und in Hotels übernachten.“

„Wir reden hier nicht vom Ritz, sondern vom Travelodge an der A40!“

„Ich weiß. Aber in deiner Gesellschaft wirkt alles wie das Ritz.“

Sie küssten sich.

Huckle fand es furchtbar, dass er wegmusste, aber es ging nicht anders. Und auch so war es für sie schon schwierig genug, über die Runden zu kommen.

„Denk an die Fenster!“, sagte er.

„Ich weiß, ich weiß.“

Es würde ihre Lebensqualität enorm verbessern, wenn sie die alten, klapprigen Leuchtturmfenster mit Einfachverglasung gegen denkmalschutzgerechte Doppelglasfenster austauschen könnten. Nie wieder würden sie sich widerwillig aus dem Bett quälen und in eisiger Kälte durchs Treppenhaus laufen müssen.

Oder vielleicht doch? Wer konnte schon sagen, ob man den Turm je auf eine Temperatur bringen könnte, die andere Leute als warm bezeichnen würden – Pollys Mutter zum Beispiel oder Kerensa oder, na ja, so ziemlich jeder.

Aber für ihre kleine Familie war der Leuchtturm perfekt – und die Kinder kannten ja nichts anderes.

Huckle hatte einen alten Fernseher ins Elternschlafzimmer gestellt, und im Winter machten die vier es sich dort unter einer Heizdecke gemütlich. Dann schauten sie sich zusammen Vaiana an, während Neil auf dem Nachttisch herumhopste. In diesen Momenten war der Turm für Polly einer der glücklichsten Orte auf Erden, zugige Fenster hin oder her.

Und jetzt kam ja endlich der Frühling! Wenn Huckle dieses Jahr genug verdiente, würden sie sich die Fenster und einen neuen Boiler leisten können, und dann würde es wirklich keinen Grund mehr zur Klage geben, dachte Polly, während sie in die Küche ging.

Sie hörte das fröhliche Geplapper der Zwillinge, die von ihrem Vater verlangten, dass er JETZTSOFORT zum Tiger wurde. Als Huckle dieser Aufforderung bereitwillig nachkam, brüllte er allerdings so wild und laut, dass Polly sich Sorgen um Avery machte. Aber im Notfall würde Daisy dessen Tränen schon trocknen.

Polly hatte aus den Resten des Brathähnchens eine Brühe gemacht, zu der sie jetzt Graupen und Gemüse gab.

Voller Vorfreude dachte Polly an den Sommer, wenn Huckle zurück zu Hause sein und erste Touristen die Saison einläuten würden. Dann würden sie alle Hände voll zu tun haben.

Sie konnte es kaum erwarten, wieder warme Sonnenstrahlen auf den Wangen zu spüren, nachdem im Winter gefühlt jedes einzelne Wochenende ein Unwetter über sie hereingebrochen war.

Wenn monatelang Regen gegen die Fenster klatschte, standen überall Gummistiefel herum, und die Kinder wurden gereizt, weil sie nicht genug an die frische Luft kamen. Zu Hause Höhlen zu bauen und Mama beim Backen zu helfen verlor im Laufe der Zeit seinen Reiz.

Die Stürme wurden schlimmer – was mit dem Klimawandel zu tun hatte, das war Polly klar – und die Winter härter.

Huckle kam in die Küche. „Und, was steht bei euch so an, während ich weg bin?“, fragte er und lauschte gleichzeitig mit einem Ohr Averys Geschichte darüber, dass Lowin zu seinem Geburtstag die größte Schlange der Welt bekommen würde.

„Das Übliche“, sagte Polly. „Ach, nein, das hab ich ja ganz vergessen! Reubens Streuner kommen!“


Kapitel 2


Auf dem Festland, drüben in Exeter, hatte eine von Reubens „Streunern“ noch keine Ahnung davon, dass sie bald in diese Kategorie fallen würde.

Dort trommelte gerade ohne jeden Erfolg Caius laut gegen die Tür seiner Mitbewohnerin. Sein Name wurde „Kies“ ausgesprochen, mit langem I, wie er bei der ersten Begegnung gern hochnäsig erklärte, außer in dem Fall, dass die andere Person es durch Zufall richtig gesagt hatte. Dann behauptete er stattdessen: „Ehrlich gesagt ist es ja ›Ki-us‹, okay?“

„Marisa!“, rief er. Über den ganzen Radau hinweg war es zugegebenermaßen kaum zu hören.

Theoretisch fand Caius es cool, dass er mit vielen DJs befreundet war, oder zumindest mit Leuten, die sich als solche bezeichneten. Aber er hatte leider den Fehler gemacht, sie ums Auflegen bei seinen Partys zu bitten.
Das Resultat war furchtbar, denn jetzt stritten sie darüber, wer die teuersten Kopfhörer hatte, brachten ihre albernen Lautsprecher durcheinander und wetteiferten darum, wer das bizarrste Zeug auflegte. Es herrschte absolutes Chaos.

Vielleicht hätte Caius sich auch überlegen sollen, was seine Nachbarn eigentlich von dem Theater hielten, wenn er sich denn um die Nachbarn geschert hätte.

Aber Caius war reich und gut aussehend, daher traf er selten jemanden, der ihn nicht mochte, und konnte sich kaum vorstellen, wie das wohl war.

Die Wohnung war proppenvoll, vor allem mit – zumindest entfernten – Bekannten von ihm. Aber am wichtigsten war ihm, dass hier alle gut aussehend und wohlhabend waren, mehr musste er über sie gar nicht wissen.

Und er brauchte für diese Leute nun das Zimmerchen, das er sowieso bloß vermietet hatte, weil seine Eltern darauf bestanden hatten – sie hatten irgendwas von „Verantwortung tragen“ und „vernünftig wirtschaften“ gefaselt. Schwer zu sagen, was genau es gewesen war, denn er hatte an dem Tag einen schlimmen Absturz hinter sich gehabt und bei dem Gespräch auch noch seine Kopfhörer getragen, es hätte also alles sein können.

„Marisa!“, brüllte er jetzt wieder, so laut er konnte. Caius verzog das Gesicht, weil er nicht gern laut wurde. Am liebsten sprach er ganz langsam und gedehnt oder sagte am besten gar nichts und gab einfach nur Kellnern ein Zeichen, damit sie ihm Sachen brachten.

„Marisa! Na, komm schon, das ist eine Party! Kannst du uns nicht ein paar Kanapees machen?“

Immer noch keine Antwort. Caius zog eine Schnute. Mittlerweile musste sie ihn doch gehört haben.

Früher hatte man mit Marisa noch Spaß haben können. Okay, so richtig auch wieder nicht, schließlich hatte sie einen echten Job und ging zu einer vernünftigen Uhrzeit ins Bett.

Aber sie hatte gekocht und gelächelt und war witzig gewesen, und es hatte ihm gefallen, dass sich jemand ein bisschen um ihn gekümmert hatte.

Irgendwann war sie jedoch ganz still geworden und hatte sich zurückgezogen. Er wusste, dass sie ihm den Grund dafür erklärt hatte, irgend so ein Familienscheiß, aber er vergaß es immer wieder, und die ganze Sache wurde wirklich lästig.

„Marisa! Die Gäste wollen dieses Zimmer benutzen! Für ihre Jacken!“

„Und auch für Sex und Drogen!“, erklärte eine von drei Personen mit dickem schwarzem Eyeliner, die gerade hinter Caius erschienen waren. Die anderen beiden nickten nachdrücklich.

„Quatsch, es geht wahrscheinlich echt nur um Jacken!“, versicherte Caius. Er runzelte die Stirn. „Du weißt schon, dass es hier draußen Tequila gibt, oder? Hier gibt es Tequila und da drin bei dir nicht, deshalb kann ich dich wirklich nicht verstehen.“

***

 

Na, da haben wir was gemeinsam, dachte Marisa. Sie selbst verstand sich nämlich auch nicht.

Eine dramatische Familiensaga vor der stimmungsvollen Kulisse der Nordseeküste

Blick ins Buch
Der Nordseehof – Als wir träumen durftenDer Nordseehof – Als wir träumen durften

Roman

„Wir müssen nach vorn sehen. Da liegt die Zukunft.“
In diesem ersten Band ihrer Saga um den ostfriesischen Nordseehof erzählt Regine Kölpin – spannend, bewegend und voller norddeutscher Atmosphäre – den Beginn einer dramatischen Emanzipationsgeschichte um drei Frauen aus drei Generationen.  

Ostfriesland, 1948: Johanna, Tochter eines Großbauern, verliebt sich in den Schlesien-Flüchtling Rolf – eine Liebe, die keine Zukunft hat, denn Johanna ist bereits dem wohlhabenden Hoferben Eike versprochen. Doch die beiden hören nicht auf zu träumen – von dem Glück der Heimat, der Wärme einer Familie und ihrer gemeinsamen Zukunft.

Der Nordseehof: Vor der stimmungsvollen Kulisse der norddeutschen Landschaft entfaltet sich eine opulente Familiensaga über die Macht der Träume und den Wunsch nach Freiheit, über verbotene Liebe und wahre Heimat.  

Band 1: Der Nordseehof – Als wir träumen durften
Band 2: Der Nordseehof – Als wir der Freiheit nahe waren
Band 3: Der Nordseehof – Als wir den Himmel erobern konnten

1948–1949


Kapitel 1

Das Unwetter war abgezogen, hatte die Luft gereinigt, und die verbliebenen wenigen Wolken sahen aus wie mit lässigen Strichen an den Himmel gewischt. Obwohl die Sonne an diesem Tag im Juni schien, war es ziemlich abgekühlt, sodass Johanna sich ein Wolltuch um die Schultern gelegt hatte. Nach dem Gewitter war es nötig gewesen, alle Kühe auf den Marschwiesen durchzuzählen und sich zu vergewissern, dass mit den Tieren alles in Ordnung war.

Kurz bevor Johanna zum Landwirtschaftsweg abbog, der zum Eilershof, dem Gehöft ihrer Eltern, führte blieb sie stehen, denn Rolf Menzel winkte zu ihr herüber. Er hatte gerade das Gatter der Schafweide verschlossen.

„Ist bei euch alles in Ordnung, Hanna?“, rief er, schob sich eine dunkle Strähne aus dem Gesicht und setzte die Schiebermütze wieder auf. „Das war aber ein Regen und ein Donnern! Ich habe eben nach den Tieren geschaut.“ Er stellte den Eimer neben dem Gatter ab und kam auf sie zu. Verlegen und ein wenig unbeholfen. Er fixierte sie mit seinem einzigartigen Blick. Genau das mochte Johanna an ihm. Sie hatte noch nie einen Menschen mit so schönen blauen Augen gesehen.

„Ja, danke!“ Johannas Stimme zitterte. Wie immer, wenn sie ihm nah war.

Rolf nahm die Schiebermütze wieder vom Kopf und drehte sie mit den Händen. „Hauptsache, alles ist heil geblieben“, sagte er schließlich mit seinem schlesischen Akzent.

Rolf war nach Ende des Zweiten Weltkriegs mit vielen anderen Flüchtlingen nach Ostfriesland gekommen und lebte seit einem Jahr auf dem Nordseehof, der großen Deichschäferei von Thilo und Lientje Deeken, die nicht weit vom Eilershof entfernt ebenfalls in der Marsch lag.

„Ein Fremder, aber fleißig“, sagte Lientje Deeken immer. „Kann man was mit anfangen. Ist ja nun wirklich nicht mit allen so.“

Johanna stieß es ab, wenn die Schäferin derart abfällig über die Vertriebenen redete. Und noch weniger mochte sie es, wenn sie solche Dinge über Rolf sagte.

„Mit eurem Vieh ist doch auch nichts passiert, oder?“, riss er Johanna aus ihren Gedanken. „Keine Kuh durch den Draht gegangen? Keine vom Blitz erschlagen?“

„N… nein, alles gut“, stotterte Johanna und begann, mit einer Schuhspitze über den Schotter zu scharren. Sie suchte krampfhaft nach einem unverfänglichen Thema.

„Bist du später bei der Friesen-Jugend?“, fragte Rolf.

Erleichtert sah sie ihn an. Dort hatten sie sich kennengelernt, zur Akkordeonmusik zum ersten Mal zusammen getanzt – und sich dabei ineinander verliebt. Seitdem schlichen sie umeinander herum wie eine Katze um einen Topf Sahne, die genau wusste, dass sie Schläge bekommen würde, wenn sie auch nur einen winzigen Tropfen davon kostete.

Johanna, die Tochter des Großbauern Eilers, und ein schlesischer Vertriebener. Ein Ding der Unmöglichkeit!

Johanna nickte rasch. „Ich versuche es.“ Um jeden Preis, setzte sie in Gedanken hinzu. Es war ihre einzige Chance, sich zu sehen, herumzuflachsen und ab und zu ein Wort miteinander zu wechseln. Auch wenn das andere Jungvolk aus Neusiel dabei war.

Rolf lächelte sie an. „Das ist schön, dort können wir bestimmt in Ruhe und ein bisschen länger reden, weil keine Arbeit ruft.“ Er fügte mit dunkler Stimme hinzu: „Allein.“

Johannas Herz klopfte wie verrückt. „Ja, gern.“

Rolf setzte sich die Mütze wieder auf den Kopf. „Ich muss dann mal, sonst bekomme ich Ärger mit dem alten Deeken. Bis später, Hanna.“

„Bis dann.“ Johanna mochte es, wie er ihren Namen abkürzte, und auch, wie er ihn aussprach. Rolf nahm am Gatter den Eimer wieder auf und setzte seinen Weg fort. Immer mit leicht gebeugter Haltung und zugleich mit einem Stolz, der ihn unangreifbar erscheinen ließ.

Johanna wartete, bis Rolf um die Wegbiegung verschwunden war, und lehnte sich dann an ein Weidegatter. Sie sog die klare Luft tief ein und schaute über die Marsch, deren Grünfläche sich scheinbar endlos dahinzog und erst am Meer oder am nächsten Geestrücken endete.

Heute strich der Wind heftiger über die Wiesen und ließ das Gras in Wellen tanzen. Johanna liebte die Weite der Landschaft, die nur hin und wieder von vereinzelten Hecken oder Bäumen durchbrochen wurde. Oder von den paar Höfen und Katen, die wie kleine rote Sprenkel im Grün der Marsch wirkten.

Johanna liebte auch den Wind, der in Ostfriesland sein stetiges Lied sang, und sie liebte das Schreien der Möwen, wenn sie sich in seinen Armen wiegten. Hier war sie zu Hause, hier gehörte sie hin. Das Dorf, die Leute, der Hof …

Johanna wusste, was Heimat bedeutete, und hatte mit denen, die ihre verlassen mussten, unendliches Mitleid.

Bis zum Mittagessen dauerte es noch eine Weile, und so konnte sie die Zeit hier draußen in der Natur ein wenig genießen. Es war ohnehin besser, nicht derart aufgewühlt zu Hause zu erscheinen, denn Johanna hatte keine Lust, unangenehme Fragen beantworten zu müssen.

Wie immer hatte Rolf sie arg durcheinandergebracht, und allein die Vorstellung, ihn später wiederzusehen, machte sie nervös. Ihre Hände zitterten, sie konnte sich einfach nicht gegen diese Gefühle wehren. „Du musst ihn dir aus dem Kopf schlagen“, sagte sie zu sich selbst, als sie sich wieder etwas beruhigt hatte. „Egal, ob nun die neue Zeit anbricht oder nicht. In Neusiel wird es noch ein wenig länger dauern, bis alle die Veränderungen akzeptiert haben.“

Die neue Zeit, in der jetzt, nach der Währungsreform, alles besser werden sollte. Davon sprachen alle. Die Welt hatte sich in den letzten Jahren mit einer Geschwindigkeit gedreht, die Johanna, nein, allen im Dorf fast Angst machte. Die Wunden des Krieges waren noch zu präsent, hatten auch auf dem Land ihre Spuren hinterlassen. Vor allem die Bombardierungen von Wilhelmshaven und die vereinzelten Stabbrandbomben, die zwar keine größeren Schäden angerichtet hatten, aber über Neusiel abgeworfen worden waren, hatten zu großer Verunsicherung geführt.

Dann waren nach dem Krieg unzählige Flüchtlinge aus dem Osten gekommen. Von den Behörden wurde angeordnet, dass die Menschen auf den Höfen und bei anderen Familien im Dorf untergebracht werden mussten. Jede Kammer wurde genutzt. Und nicht nur das: Die Menschen lebten auf Dachböden, in Stallungen und Kammern. Gefreut hatte es keinen, aber es nützte ja nichts, den Vertriebenen musste geholfen werden, und alle packten irgendwie mit an.

Viele gingen freundlich und hilfsbereit mit den Neuankömmlingen um, andere reagierten weniger positiv und redeten verächtlich über die Ostländer.

Obwohl es den Menschen hier während des Krieges noch recht gut gegangen war, vor allem den Bauern, hatte es ohne den Schwarzmarkt auch bei ihnen an vielen Dingen gefehlt, und nicht alle waren gut über die Runden gekommen. Und nun sollten sie das wenige auch noch mit den Fremden teilen. Etliche Familien auf dem Land waren Teilselbstversorger und hielten das ein oder andere Schwein, von denen so manches schwarzgeschlachtet worden war. Für alles andere hatte es Lebensmittelmarken gegeben.

Inzwischen hatte sich das Leben recht gut eingespielt, und Johanna war davon überzeugt, dass die Menschen nach und nach Teil der heimischen Bevölkerung werden würden. Spätestens, wenn sie endlich eigene Häuser und Wohnungen hätten und nicht mehr bei den Neusielern in den Häusern und auf den Höfen untergebracht waren. Nur würde das bestimmt noch eine Weile dauern. Trotz der neuen Zeit.
Seit einer Woche hatte sich mit der Währungsreform über Nacht allerdings viel verändert. Glaubte man den Neusielern, die in Oldenburg oder Wilhelmshaven gewesen waren, so waren die Lager in den Geschäften aufgefüllt, ja, diese brachen unter der Last des Angebots förmlich zusammen. Auch im Dorfladen war plötzlich alles zu haben.

Das Land wirkte wie befreit von einer festen Kette, deren Glieder noch vor ein paar Wochen unzerstörbar gewirkt hatten.

Johanna atmete einmal tief ein und aus.

Die Wunden heilten trotzdem nicht von heute auf morgen, und das Bedürfnis nach Sicherheit und festen Strukturen war nach wie vor das höchste Gebot. Ihre Eltern und viele andere im Dorf hielten deshalb weiter an ihren Traditionen fest und würden davon keinen Fingerbreit abweichen. Egal, ob das Herz ihrer einzigen Tochter für einen Vertriebenen aus Schlesien schneller schlug.

Wenn Keno da gewesen wäre, wäre die Lage gewiss anders. Er hätte sie verstanden, sie unterstützt … Johanna schluckte die aufkommenden Tränen hinunter, wie immer, wenn sie an ihren Bruder dachte. Sie hoffte wie ihre Eltern Tag für Tag, dass er noch lebte, denn Keno war nach dem Krieg bisher noch nicht zurückgekehrt. Er war 1943 bei der Schlacht vor Stalingrad dabei gewesen und entweder gefallen, oder er befand sich wie so viele andere in sowjetischer Gefangenschaft. Sie hatten seitdem kein Lebenszeichen mehr von ihm erhalten. Die Angst um den Erben war überall auf dem Eilershof spürbar. Lautes Lachen wurde augenblicklich verschluckt, und aus jeder Ecke kroch die unausgesprochene Trauer wie eine fette Spinne und wickelte die ganze Familie fest in ihren Kokon.

Mutter und Vater hatten natürlich alles darangesetzt, Keno zu finden, und durchforsteten ständig sämtliche Vermissten-Listen des Suchdienstes vom Roten Kreuz. Und jedes Mal, wenn die Suche wieder erfolglos war, legte sich eine weitere Schicht Schwermut über den Eilershof, sodass Johanna oft glaubte, darunter zu ersticken. Vielleicht wäre es gut gewesen, endlich Klarheit zu haben.

Johanna schob die Gedanken beiseite und ließ ihren Blick lieber noch etwas über das flache Land schweifen, genoss das Summen der Bienen und Hummeln und den Schrei des Bussards über ihr.

Es war nicht nur Kenos Abwesenheit, auch ihr Vater war nach seiner Rückkehr aus Frankreich verändert.

Er war still geworden. Schlich tagsüber wie ein Schatten über den Hof, gab mechanisch seine Anweisungen und zog sich zurück, sobald er konnte. Einzig wenn er mit den anderen Männern aus dem Dorf oder den Nachbarhöfen über die politische Lage sprechen konnte, taute er kurzzeitig auf, um sich danach noch mehr zurückzuziehen. Johanna verstand ihren Vater oft nicht.

Mitten in der Nacht aber schrie er, weil ihn böse Träume quälten. Zudem hatte ihr Vater den „komischen Blick“, wie Johanna ihn nannte – alle Heimkehrer im Dorf schauten anfangs so. Die Augen wirkten wie tot, und sah man hinein, erkannte man das Dunkel der Seele. Was auch immer die Männer in diesem vermaledeiten Krieg erlebt hatten: Danach war mit ihnen eine Veränderung vorgegangen, die Angst machte. Keiner sprach über seine Erlebnisse. Aber diese Leere im Blick spiegelte deutlicher als jedes Wort wider, dass die Seelen der Männer zerstückelt worden waren. Zerhackt von Erlebnissen, die zu grausam waren, als dass man sie je aussprechen durfte.

Ob die Heimkehrer je wieder die Alten wurden, konnte keiner sagen. Wo die Söhne und Ehemänner noch nicht nach Hause gekommen waren, hoffte einfach jeder, dass sie überhaupt zurückkehrten. Gleichgültig, in welcher Verfassung.

Ihre Mutter sagte, irgendwann würde Vater vergessen können. Und da er auch bessere Tage und Nächte hatte, gab Johanna die Hoffnung nicht auf, dass sie recht hatte.

„Wenn Keno zurückkommt, wird alles gut“ – auch das sagte ihre Mutter Tag für Tag. Was sein würde, wenn es nicht so wäre, wurde totgeschwiegen. „Bis dahin belastest du deinen Vater nicht und bist eine gute und folgsame Tochter. Dann wird es schon werden.“

Rolf Menzel zu lieben, sich gar mit ihm einzulassen und auf dieser Liebe zu bestehen, war da sicher keine gute Idee. Ihr Vater brauchte die alten Strukturen, um gesund zu werden. Und Johanna wollte nicht schuld sein, wenn er seine trüben Gedanken nicht loswurde.

Sie seufzte so laut, dass einer der Schafböcke sie erstaunt anblickte. „Guck du nur!“ Johanna lachte auf. „Deine Frauen grasen alle am Deich des Jadebusens, und du hast keinen Kummer mit der Liebe!“ Der Bock gab einen kurzen Ton von sich und fraß weiter.

Johanna schrak zusammen, als die Glocke der Kirche in Neusiel zwölfmal schlug. Wenn sie sich jetzt nicht beeilte, kam sie zu spät zum Mittagessen. Das würde ihre Mutter verärgern, und dann könnte sie ihr vielleicht verbieten, heute Nachmittag zur der Friesen-Jugend zu gehen. Johanna umfasste ihr Tuch und sputete sich.

Kapitel 2

Schon wenige Minuten später war sie am Hofeingang angekommen. Vor ihr lag der Gulfhof ihrer Eltern.

Das Wohnhaus klebte wie eine Nase vorn rechts am breiteren Scheunen- und Stalltrakt. In der angrenzenden Scheune befand sich unten die große Diele, wo auch das Korn gedroschen wurde, und am Ende des Ganges das Plumpsklo. In einem weiteren Raum lagerten Futtervorräte. Von der Diele aus gelangte man in die rechts und links abgetrennten Kuhställe.

Oben auf der Tenne stapelten sich Heu und Stroh.

Als Johanna näher trat, glänzte das große grüne Scheunentor an der Giebelseite in der Sonne. Der Eilershof verfügte auch über Nebengelasse wie die geschlossene Remise, in der die Kutschen und Gerätschaften untergestellt waren. In einem Stalltrakt war Platz für die zehn Kutsch- und Arbeitspferde.

Im hinteren Teil des Hofes gab es ein paar Schweinekoben mit Auslauf. Der Obstgarten schloss sich der Scheune an, dort war auch der Hühnerstall zu finden.

Links vom Eilershof ging ein Weg zu einem kleinen Haus ab, das einmal das Altenteil der Eltern werden sollte.

Die Hühner stoben gackernd auseinander, als Johanna über das rot geklinkerte Pflaster des Hofes rannte. Ihre Mutter schaute ihr schon ungeduldig aus der Haustür entgegen. Sie hatte einen derben Leinenrock mit einer Strickjacke an, und ihr aschblodes Haar war zu einem Kranz geflochten. „Johanna!“, rief sie. „Was träumst du herum? Wir wollen essen!“

„Ich beeile mich!“ Sie hastete in die Waschküche, wusch sich dort die Hände und stand kurz darauf in der Küche, wo auf dem weißen Ofen in einem großen Topf eine Hühnersuppe blubberte. Ihre Mutter hatte gestern zwei der Hennen geschlachtet.

Der rechteckige, grobe Holztisch war für vier Leute gedeckt. Ihre Mutter stellte Kenos Teller täglich mit dazu. Schließlich konnte er jederzeit überraschend zurückkehren und sollte sich dann sofort zu Hause fühlen. Immer diese Hoffnung. Diese grausame, verratene Hoffnung.

„Füllst du bitte etwas von der Suppe um, und bringst es nach nebenan?“ Ihre Mutter sagte immer nebenan und nicht Diele. Sie zeigte auf einen schwarzen Emailletopf, der erheblich kleiner als der andere war.

Johanna nickte. Das Essen, das sie nach nebenan auf die Diele bringen sollte, war für die anderen, wie ihre Mutter sich ebenfalls stets ausdrückte, ohne auch sie genau zu benennen. Vielleicht fühlte sie sich dann besser.

Die anderen waren das Gesinde und die bei ihnen untergebrachte Flüchtlingsfamilie. Dem Eilershof war eine Frau mit zwei Kindern zugewiesen worden. Martha Selig und ihre beiden fünf- und siebenjährigen Jungs waren ruhige Mitbewohner. Frau Selig versuchte, so gut es mit den Kindern eben ging, auf dem Hof mitzuhelfen.

Die Unterkunft der Familie befand sich in der Achterkök, einem Anbau hinter der eigentlichen Hofküche. Johannas Mutter hatte sie notdürftig hergerichtet. Es war zwar eng, aber Frau Selig verfügte so über eine kleine Küche mit Brennhexe, eine Bank, einen Tisch mit Stühlen und einen alten, zerschlissenen Sessel. Hinter einem notdürftigen Vorhang aus alten Bettlaken standen zwei Feldbetten, die sie sich zu dritt teilten. Wasser bekamen sie aus der Pumpe. Es war leider sehr eisenhaltig, zum Teekochen taugte es ebenso wenig wie zum Wäschewaschen. Für richtig gutes Wasser mussten alle zum Brunnen hinter dem Feld laufen. Das Mittagsmahl brauchte Martha Selig aber nicht selbst zubereiten, das wurde stets von Johannas Mutter in der großen Hofküche für sie mitgekocht. „Den Rest bekommt Frau Selig dann schon hin“, sagte sie immer.

Nur mochte sie es nicht, Fremde am Tisch sitzen zu haben, weshalb die anderen eben in der Diele essen mussten.

Johanna bemerkte, dass ihre Mutter sie mit kritischem Blick ansah, als sie den Topf mit einer großen Schöpfkelle füllte. „Du wirkst noch immer völlig verschwitzt.“

„Der Weg war weit“, erwiderte Johanna ausweichend. „Ich habe alle Weiden kontrolliert, mit dem Vieh ist alles in Ordnung.“ Sie nahm den Topf und brachte ihn in die Diele, wo die beiden Mägde, die Knechte und Frau Selig mit ihren Kindern schon sehnsüchtig warteten. Frisches Brot und Butter hatte ihre Mutter bereits hingestellt.

Jetzt im Sommer war es still hier. Im Winter konnte man durch die Wände die Kühe in dem dahinterliegenden Stall rumoren hören.

Johannas Eltern saßen mit gefalteten Händen am Tisch, als sie zurückkam. Kenos leerer Platz wirkte wie immer bedrückend, und Johanna mied den Blick dorthin.

Sie lauschte dem Gebet des Vaters und wartete dann, bis ihre Eltern sich von der Suppe genommen hatten, bevor sie sich selbst einen Teller auftat. Der salzige Duft der Brühe zog durch ihre Nase, und sie merkte, wie hungrig sie nach dem langen Weg durch die Marsch war.

„Morgen gehen wir zum Tee zu den Deekens“, sagte ihre Mutter unvermittelt und, wie Johanna fand, eine Spur zu beiläufig. Sie schob ihrer Tochter den Brotkorb rüber. Dabei zitterten ihre Finger ein wenig.

Johanna starrte in die Fettaugen der Suppe und schob mit dem Löffel ein Stück Hühnerhaut beiseite. Sie ahnte, was der Besuch in der Deichschäferei bedeutete.

Ihre Mutter bestätigte ihre Befürchtung, als sie hinzufügte: „Eike wird auch da sein. Der Jung hat sich ja wieder gefangen. Hat lange genug gedauert. Nun müssen wir, wo das auch mit der D-Mark angelaufen ist, so langsam wieder an die Zukunft denken. An deine Zukunft!“

Johanna schluckte.

„Wie meinst du das?“

Ihre Mutter lächelte versonnen. „So, wie ich es sage. Denk mal nach. Du und Eike, wäre das nicht schön? Ihr kennt euch schon so lange. Du hättest ausgesorgt. Und Vadder wäre wirklich glücklich.“ Sie sah zu ihrem Mann, der unmerklich nickte, aber weiter schweigend seine Suppe aß.

Johanna umklammerte den Löffel so fest, dass er ihre Hand fast einschnitt. Sie wollten sie also wirklich mit Eike, dem Erben vom Nordseehof, verkuppeln. Sie hatte schon lange damit gerechnet. Sie und Eike, ihr Kinderfreund. Inzwischen hatten sie sich aber aus den Augen verloren, und auch er war nach dem Krieg ein anderer geworden.

Johanna wusste nur, dass er irgendwo in Afrika und anderswo gekämpft hatte und wie ihr Vater völlig verändert zurückgekommen war. Es gab den alten Spielkameraden von früher nicht mehr. Eike war in den ersten Monaten nach seiner Heimkehr stundenlang mit gesenktem Kopf durch die Marsch spaziert und hatte nicht mal ein „Moin“ für seine Nachbarn übriggehabt. „Der wird schon wieder“, hieß es dennoch.

Und er wurde wieder, denn mittlerweile grüßte Eike die Nachbarn, und er legte auch Hand auf dem Hof an. Aber er lachte kaum, und wenn, wirkte es nicht echt.

„Der Jung kann ja man froh sein, dass er nicht in Gefangenschaft geraten ist wie unser Keno“, sagte Johannas Mutter nun. „Und man muss schließlich nach vorn sehen. Nie aufgeben, weißt du? Immer den nächsten Schritt machen.“ Sie klang sehr zufrieden. „Nun sach du doch auch mal was, Marten!“

Johannas Vater nickte nur. „Jo“, kam es schließlich mit einem versuchten Lächeln.

Als seine Frau die Brauen hochzog und ihn noch einmal eindringlich ansah, wählte er langsam und bedächtig seine Worte: „Foline, also deine Mutter, hat recht. Eike ist eine gute Partie für dich, mien Deern.“ Er tätschelte Johannas Hand. „Dir soll es ja mal besser gehen. Kein Krieg mehr, keine Angst und keine unnützen Toten. Alles in Butter. Überleg es dir, du würdest uns mit dieser Verbindung eine große Freude machen. Und für dich wäre es eine gute Absicherung!“ Er tauchte den Löffel wieder in die Suppe und schlürfte sie ab. „Thilo Deeken findet die Idee, dass ihr heiratet, genauso gut wie ich, und Lientje wird sich schon fügen und sich an den Gedanken gewöhnen. Dieses eine Mal hat sie keine Wahl.“ Ihr Vater nahm sich Suppe nach. „Am liebsten würde sie Reent den Hof geben, aber das ist nun mal ausgeschlossen, er ist der jüngere Sohn. Also braucht Eike eine Frau, damit das alles seinen Weg geht.“ Er atmete tief ein, denn das war für ihn eine übermäßig lange Rede gewesen.

„Siehst du! Dein Vater würde sich freuen. Genau wie ich.“ Ihre Mutter lächelte. „Bei Eike passt alles. Du kennst ihn seit deiner Kindheit, er ist ein guter Mensch.“ Sie bemerkte Johannas skeptischen Blick und fügte hastig hinzu: „Herzklopfen ist keine Basis für ein ganzes Leben – und muss es auch nicht sein. Die Liebe kommt von allein, wenn man sich erst aneinander gewöhnt hat.“

Johanna war der Appetit vergangen. Sie legte den Löffel weg, starrte auf den Teller und schwieg. Was sollte sie auch erwidern? Sie wusste keinen Weg, wie sie ihren Eltern diesen Wunsch abschlagen sollte, ohne sich mit ihnen zu überwerfen. Trotzdem ging es doch um sie!

Der Nordseehof war ein zwar imposantes, aber auch düsteres Gebäude, und Eikes Eltern waren keine herzlichen Menschen, vor allem Lientje Deeken war eine unangenehme Frau. Zudem war Johanna Eikes jüngerer Bruder Reent suspekt. Sie konnte ihn nicht einordnen. Nach außen hin wirkte er freundlich, aber da lag etwas in seinem Blick, was Johanna nicht mochte. Es erinnerte sie an eine ihrer Katzen, die schnurrend auf alle Besucher zukam, ihnen dann aber ohne Warnung die Krallen in die Hand hieb.

Woher Eike sein freundliches Gemüt hatte, wusste Johanna nicht. Vielleicht war Thilo Deeken ein umgänglicher Mann, nur tat der es ihrem Vater gleich und sprach nur dann, wenn ihn etwas wirklich interessierte.

Weil Johanna immer noch schwieg, plauderte ihre Mutter munter weiter. Jede Silbe aber erschien Johanna wie ein winziger Nadelstich.

„Wenn Keno erst aus dem Krieg zurück ist, kann der unseren Hof übernehmen. Du hast dann ein neues Zuhause und eine Aufgabe. Das wünscht man sich in diesen Zeiten für seine Kinder! Absicherung.“ Es klang, als wäre alles längst beschlossene Sache. „Von uns kriegst du eine Kuh, das unterschreibst du, und damit ist das mit dem Erbe geklärt. So wird es seit Generationen gemacht, das weißt du.“

Jetzt sah Johanna von ihrem Teller auf. Sie wollte ihren Eltern klarmachen, dass sie Eike nicht heiraten konnte. Dass sie Rolf Menzel mochte. Aber ihr blieben die Worte im Hals stecken. Nein, das konnte sie ihren Eltern nicht sagen. Es wäre bestimmt gut, erst einmal den Mund zu halten und mitzuspielen.

„Mach dich morgen ein bisschen hübsch. Wie sich das gehört.“

Johanna schluckte. „Ja.“ Sie hegte noch den Funken Hoffnung, dass Eike sie vielleicht gar nicht wollte. Johanna fand selbst, dass sie keine Schönheit war. Sie hatte langes, leicht gewelltes aschblondes Haar, das sie meist unter einem Kopftuch zu einem Dutt zusammenband. Manchmal zog sie es auch vor, alles sorgsam zu flechten und zurückzustecken. Ihren Po fand sie eine Spur zu breit, die Schenkel zu dick. Es gab hübschere Mädchen im heiratsfähigen Alter. Und die Männer waren in der Unterzahl und konnten wählen.

„Was hast du heute noch vor?“, fragte ihre Mutter jetzt. „Der erste Heuschnitt ist eingefahren, wir haben ein bisschen Luft, bevor die Getreideernte beginnt.“

„Ich möchte mal wieder zur Friesen-Jugend. Die anderen sind aus dem Zeltlager in Upschört zurück. Mal sehen, was sie erzählen. Es waren nicht alle mit, aber ich habe gehört, dass es lustig gewesen ist.“

Johanna war auch nicht mitgefahren, weil Rolf auf dem Nordseehof arbeiten musste und sie ohne ihn keine Lust gehabt hatte. So konnten sie sich zumindest zwischendurch mal von Weitem sehen. Warum sollte sie im Zeltlager mit einem anderen tanzen, wenn ihr Herz bereits vergeben war?

Außerdem war auf dem Hof wegen der Heuernte eine Menge zu tun gewesen, weil das Gras vor dem Regen in die Scheune gebracht werden musste. Sie hatten es gerade noch geschafft. Manchmal beneidete sie die jungen Menschen in der Friesen-Jugend, deren Eltern keine Landwirtschaft hatten und die deshalb an viel mehr Aktivitäten teilnehmen konnten.

„Langsam bist du mit deinen zwanzig Jahren für die Friesen-Jugend eigentlich zu alt“, sagte ihre Mutter. „Aber gut, dann geh hin. Die Briten wollen es ja nicht anders mit ihrer demokratischen Umerziehung. Als ob wir das nicht selbst hinkriegen könnten.“

Johanna mochte die Treffen der Friesen-Jugend, weil sie eine Abwechslung zum anstrengenden Hofalltag darstellten. Unter Aufsicht der Britischen Militärregierung hatte sich dieser Jugendbund aus der Gruppe „Waterkant“ gebildet. Die Besatzer legten Wert darauf, dass die jungen Menschen etwas über Demokratie lernten und auch, wie die Eingliederung der Vertriebenen unterstützt werden konnte. In Deutschland sollte ein anderer Wind wehen als während der Jahre des Faschismus. Und da wollten sie bei der Jugend beginnen. Deshalb waren alle im Dorf angehalten, den jungen Leuten keine Steine in den Weg zu legen, wenn sie sich treffen wollten.

Es war eine bunt gemischte Gruppe, die keine Unterschiede zwischen Einheimischen und Fremden machte. Dort herrschte Lockerheit. Lebendigkeit. Das Stück Freiheit, das ihnen abhandengekommen war und ihnen auch jetzt zu Hause oft fehlte. Bei der Friesen-Jugend durfte man unbeschwert lachen und fröhlich sein. Beides war dort ehrlicher als anderswo. Sie machten außerdem viel Musik, sangen und tanzten Volkstänze. Ja, Johanna war nicht mehr jugendlich, aber auch noch nicht volljährig.

Mittlerweile hatte sie die Suppe doch aufgegessen und wartete, bis auch die Eltern so weit waren. Dann stand sie auf und verabschiedete sich höflich. Sie wollte in ihr Zimmer gehen und sich ein wenig frisch machen.

In der Waschkumme befand sich noch ein Rest Wasser vom Morgen, und in der Schublade hatte sie ein kleines Stück Lavendelseife versteckt. Sie wollte gut riechen, wenn sie Rolf gegenüberstand.

Johanna schlüpfte aus dem derben Leinenrock und der Bluse, wusch sich gründlich, putzte die Zähne und suchte aus dem schweren Eichenschrank ihr Sommerkleid mit den halblangen Armen heraus. Es war aus dunkelgrünem, leichtem Stoff, auf dem sich ein paar rosafarbene Blumen verteilten. Vorn geknöpft umschmeichelte es Johannas Oberkörper, von der Hüfte an war es leicht ausgestellt und umspielte ihre Waden.

Als sie das Kleid angezogen hatte, nahm sie sich die Haare vor. Es dauerte, ehe sie die ausgebürstet hatte.

Johanna entschied sich für einen geflochtenen Zopf, den sie nach vorn über die Schulter legen konnte. Die Kühle vom Morgen hatte sich verflüchtigt, und der Wind war abgeflaut, sodass sie auf ihr Schultertuch verzichten konnte.

Als sie fertig war, blieb ihr noch eine volle Stunde, die sich endlos vor ihr ausdehnte. Johanna legte sich aufs Bett.

In der Ruhe war es allerdings schwer, die dunklen Gedanken zu vertreiben. Also richtete sie sich wieder auf und trat ans Fenster.

Morgen würde sie zu Eike auf den Nordseehof gehen müssen. Aber heute war heute. Und gleich würde sie erst einmal Rolf treffen.

Cosy Crime und Nordsee-Atmosphäre pur

„Die Nordsee ist die Landschaft meiner Seele. Nirgendwo lässt sich besser träumen,...“

Blick ins Buch
Das alte Hotel an der NordseeküsteDas alte Hotel an der Nordseeküste

»Die Nordsee ist die Landschaft meiner Seele. Nirgendwo lässt sich besser träumen, streiten oder lieben als in ihrer unmittelbaren Nähe.«

Eigentlich hat Isabell, 32, geschiedene Mutter von zwei Kindern, fast nur schlechte Erinnerungen an ihre Kindheit an der deutschen Nordseeküste. Und auch mit der Liebe hat sie nach ihrer Scheidung und einer heftigen Enttäuschung abgeschlossen. Doch als ihr Vater stirbt und sie gemeinsam mit ihrer Schwester das alte Familienhotel erbt, zögert Isabell trotz allem keine Sekunde, ihr ruhiges Leben in Bozen gegen zu erwartenden Streit und drohende Feindseligkeiten in der alten Heimat einzutauschen.

Schließlich ist es ihr Kindheitstraum, den Ballsaal des Hotels endlich wieder zum Leben zu erwecken. Dumm nur, dass ihre Schwester bereits beschlossen hat, aus dem gemeinsamen Erbe ein Tagungshotel zu machen. Und dass der neue Freund ihrer Schwester ausgerechnet Isabells einstige große Liebe ist. Doch Isabell gibt die Hoffnung nicht auf, dass über verschlungene Wildrosenpfade alles irgendwie noch gut werden kann…

Ein herrlich romantischer Roman um eine Frau, ihre Vergangenheit und einen traumhaften Ballsaal.

  • Für alle Leser*innen von Jenny Colgan und Sontje Beerman
  • Erschien bereits 2018 unter dem Titel „Die Wahrheit über Wildrosen“
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Eine Liebesgeschichte wie ein Sommertag am Meer

Blick ins Buch
Die kleine Hundepension an der KüsteDie kleine Hundepension an der Küste

Ein Ostsee-Roman

Von Chaos, Glück und einem Neuanfang auf vielen Pfoten. Romantisch-witziger Sommerroman für Fans von Sophie Kinsella und Meike Werkmeister 

„Sein Gesicht nähert sich meinem und mein Herz pocht wie wild an meine Brust. Unsere Lippen berühren sich sanft … In einem sich äußert realistisch anfühlenden Déjà-vu prallt die gesamte Hundepower von Ouzo in mich hinein.“ 

Job weg, Perspektive weg: Notgedrungen krempelt Jennifer ihr Leben um und wagt einen Neuanfang an der Ostsee. Dass sie hier kurzentschlossen eine Hundepension aufbaut, hatte sie dabei selbst nicht erwartet. Zwar hat sie wenig Ahnung von Hunden, aber wie schwer kann das schon sein? Ziemlich schwer, wie sie feststellen muss. Aber das braucht der süße Amerikaner Nick mit seinem herausfordernden Hund Ouzo nicht unbedingt zu wissen … Schon bald bringt der Vierbeiner Jennifers Pension ganz schön durcheinander, während sein Herrchen dasselbe mit ihrem Herzen tut. 

Kapitel 1

Kann man eine versendete Mail löschen?

Wo finde ich einen guten Hacker?

Wie melde ich mich arbeitslos?

Verdammt, verdammt, verdammt!

Ich habe es versaut. Wenn selbst Google mir nicht weiterhilft, muss es ernst sein. Tief durchatmen. Krisen bin ich gewöhnt. Wobei das nie meine eigenen sind, sondern die meiner Klienten. Okay, ich darf kein großes Aufsehen erregen. Diesen Fehler muss ich diskret und schnell ausbügeln, bevor Oliver das rausbekommt.

„Geht’s dir nicht gut?“, fragt Daniel mich. „Du siehst blass aus.“

Noch ehe ich reagiere, springt Tabea von ihrem Bürostuhl auf und ihre vielen Armreifen fangen zu klackern an. „Soll das eine Anspielung sein, dass sie heute kein Make-up trägt? Dass alle Frauen hässlich sind, die sich für einen natürlichen Look und entgegen dieser gesellschaftlich auferlegten Konvention entscheiden, sich Tonnen von Farben ins Gesicht zu klatschen? Möchtest du das wirklich sagen?“

Ihre schrille Stimme schallt durch das Büro und erreicht selbst Tim, den neuen Praktikanten, der seine Kopfhörer aus den Ohren zieht.

Das war’s mit dem Kein-Aufsehen-Erregen.

„Nein!“ Daniel steht mit hoch erhobenen Händen auf, als hätte Tabea ihm eine Knarre vors Gesicht gehalten. „Um Himmels willen, nein! Das wollte ich nicht sagen.“

Sie mustert ihn abschätzig. „Frauen tragen Make-up für sich und nicht für die Blicke von Männern. Und wenn Jennifer sich heute dagegen entschieden hat, ist das allein ihre Entscheidung.“

„Ich trage Make-up“, werfe ich ein.

„Ich wollte nur sichergehen, dass es ihr gut geht und ihr meine Hilfe anbieten, falls es nicht der Fall sein sollte.“ Daniels Wangen färben sich in ein tiefes Rot. Jetzt wünscht er sich wahrscheinlich doch, die Abteilung vor einem Monat gewechselt zu haben, als es ihm angeboten wurde.

„Natürlich.“ Tabeas Augen blitzen hinter ihrer übergroßen Brille angriffslustig hervor. Unter den Blicken der Redaktion zieht sich der sonst so entschlossen wirkende Daniel stammelnd in die Küche zurück.

Ich nutze die Gunst der Stunde, wo keiner mich mehr beachtet und schleiche mich in den Meetingraum hinter meinem Schreibtisch, den wir nur für unsere Abteilungstreffen oder Kundenpräsentationen nutzen. Die Luft steht träge im Raum und ich reiße das Fenster auf, um einen tiefen Atemzug aus Smog, Frittengeruch und Schweiß zu nehmen.

Schweiß? Automatisch fasse ich unter meine Achseln und wünschte, es nicht getan zu haben. Iih, alles nass. Ich muss mich zusammenreißen. Wie schlimm kann es schon sein? Wahrscheinlich halb so wild.

Entschlossen zücke ich mein Handy und wähle fast lässig Jonas Nummer. Nach dem zweiten Klingeln nimmt er ab. „Rheinische Post Düsseldorf, Jonas Stegner …“

„Hast du meine Mail schon gelesen?“

Hoppla, das klingt nicht mehr so lässig.

„Jennifer Ahrns.“ Ich kann sein Grinsen förmlich hören. „Dir auch hallo. Wie du weißt, bin ich ein vielbeschäftigter Mensch und deswegen noch nicht dazu gekommen …“

„Nimm die Füße vom Papierkorb und guck in dein Postfach.“

„Woher weißt du, dass ich …? Wie auch immer. Warte …“

Stille. Das Klicken der Maus, Tippgeräusche auf der Tastatur. Stille.

Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Wie ein Tiger im Käfig fange ich an, im langen Meetingraum auf- und abzuwandern. Das Klackern meiner Absätze macht mich noch wahnsinnig, aber stehen bleiben ist auch keine Option. Wie lange braucht ein Mensch, um eine Mail zu lesen? Oder sind Sekunden schon immer so langsam vergangen?

„Und?“, platzt es aus mir heraus, bevor ich den Verstand verliere.

„Ja“, setzt er vage an. „Das ist … verdammt übel.“

Was nicht mehr so vage ist.

Der letzte Funke Hoffnung in mir erlischt. Ich umklammere gewaltsam mein Handy, versuche, mich darauf zu besinnen, was ich hier bei Sturmstopper vom ersten Tag gelernt habe: cool bleiben, hoch pokern, gewinnen.

Ich wähle als Fixpunkt ausgerechnet das hässliche Bild an der Wand mir gegenüber, das mich immer an den Versuch eines Dreijährigen erinnert, einen Orang-Utan auf einem Segelboot zu malen. Es hilft, um meinen Atem wieder unter Kontrolle zu bringen. „Kannst du die Mail löschen?“

Jonas reguliert seine Emotionen nicht ganz so gut und prustet los, was wie Husten und Lachen gleichzeitig klingt. „Von allen Rechnern aus deinem Journalistenverteiler? Eher unwahrscheinlich.“

Meine Hand fängt wild zu gestikulieren an. „Ich könnte sagen, dass der Text ironisch gemeint ist. Ein Aprilscherz. Er soll die Leute zum Lachen bringen. Menschen lachen gern.“

„Wir haben Anfang Juni.“

Genervt stöhne ich auf. „Logische Argumente helfen mir nicht weiter, falls du es nicht bemerkt hast.“

Aus der Leitung ertönt Menschengemurmel im Hintergrund. Ich höre eine Frau schrill lachen und sofort entwickle ich die Paranoia, dass sie mich damit meint. Jonas senkt seine Stimme und klingt viel dumpfer, als halte er seine Hand an den Lautsprecher. „Jetzt mal ganz im Ernst: Was hat dich geritten, so was zu schreiben? Das kann man sich in deinem Job vielleicht denken und dann genau das Gegenteil behaupten, aber nicht andersherum.“

„Ich weiß, ich weiß, ich weiß!“ Ich schlage im Takt mit meinem Kopf gegen die Wand und komme mir wie eine Comicfigur vor.

All die Jahre, all die Überstunden, all die Arbeit bei der besten Agentur für Krisenkommunikation. Alles für die Katz. Wie eine kleine Göre stampfe ich wütend auf dem Boden auf und unterdrücke den Drang zu schreien.

„Ich störe deinen Nervenzusammenbruch wirklich ungern, aber stimmt es?“, hakt Jonas vorsichtig nach. „Ist Carter&Connor ein, und ich zitiere, Pharmakonzern, der mehr nach Geld lechzt als eine Prostituierte in der Rethelstraße, bevor die Großbordelle in Düsseldorf Champagner gegen billigen Sekt tauschten?“

Eine Hitzewallung nach der anderen durchströmt mich. Mit dem leichten Stoff meiner Bluse wedle ich mir verzweifelt Luft zu, aber es kommt in diesem stickigen Raum nicht mal ein Lüftchen zu mir an. „Damit kritisiere ich mehr die Kommerzialisierung von Prostitutionsstätten als unsere Kundinnen und Kunden.“

„Und was ist mit dem Absatz, wo du schreibst, dass Carter&Corner Trump den Titel ›Herr der Lügen‹ bereits mit ihrem ersten Twitter-Beitrag streitig machen? Kritisierst du da nur das amerikanische Wahlsystem? Oder wie möchtest du dich da rausreden?“

Ich stocke in meiner Bewegung. „Meinst du, damit käme ich als Begründung durch?“

„Nein!“ Am anderen Ende der Leitung höre ich ein schweres Seufzen. „Verdammt, Jennifer. Egal, wie sehr mir dein Schreibstil gefällt, aber das bekommst selbst du nicht mehr zurechtgebogen. Hast du die Mail als eine Art therapeutischen Stressausgleich verfasst? An wen wolltest du sie schicken?“

„An Anna“, gebe ich kleinlaut zu.

„Vielleicht solltest du deinen Arbeitslaptop nicht für Privatgespräche mit deiner Freundin nutzen. Egal, wie scharf sie ist.“

Den letzten Teil überhöre ich. „Danke, das weiß ich auch. Hilf mir lieber!“ Ich presse das Telefon an mein Ohr, aber am liebsten würde ich es mitsamt meiner Mail aus dem Fenster werfen.

„Kann ich nicht.“ Jonas zögert kurz. „Und auf die Gefahr hin, dass du mich tötest: Ich muss darüber schreiben. Bevor es die hundert anderen Journalisten tun. Die Story ist zu gut.“

Mein Puls schnellt in die Höhe, mein Kreislauf verabschiedet sich. Sterne tanzen vor meinen Augen und ich lehne mich an die Fensterbank. Meine Stimme klingt weiterhin ruhig. „Es gibt keinerlei Beweise für diese Aussagen.“

„Wirklich nicht?“

„Kein Kommentar.“

„Dafür ist es zu spät, Liebes. Spätestens, nachdem du Kim das geschickt hast. Wusstest du, dass sie seit zwei Wochen bei der BILD arbeitet?“

Just in dem Moment klopft es an der Tür und ich lege reflexartig auf. Oliver tritt mit seinem gewohnt geschäftsmäßigen Gesichtsausdruck ein, den es zu seiner Beförderung als Abteilungsleiter inklusive gab. „Brauchst du den Raum gerade?“

Ich schüttle nur den Kopf, weil ich meiner Stimme nicht traue.

Er schließt die Tür hinter sich. „Gut, denn gleich kommt noch eine potenziell neue Kundin. Wenn wir das Unternehmen für uns gewinnen, dann regnet es für alle Boni.“

Ich lächle und verziehe mich Richtung Tür, während Oliver seinen Laptop an den Bildschirm anschließt und seine Präsentation überträgt.

Bloß weg hier!

„Jennifer? Warte noch kurz, bitte.“

Ich verharre in meiner Bewegung. „Hm?“

Oliver wendet sich mir in seinem Maßanzug zu, der ihm eine gewisse Autorität verleiht, die es nicht gebraucht hätte, um mich noch mehr zu verunsichern. „Nach der angenehmen Zusammenarbeit mit dem Schauspielhaus ist dein jetziges Projekt ein ganz schöner Brocken.“ Seine Worte klingen wie aus einem Lehrbuch für Mitarbeitermanagement und sein Gesichtsausdruck strahlt Mitgefühl aus. „Mir ist bewusst, dass sich deine Überstunden stapeln und Carter&Corner einen Kurs für Höflichkeit belegen sollten, aber du schlägst dich hervorragend. Superprofessionell. Dein verfasstes Statement für den CEO gefällt mir so gut, dass ich es unverändert an den Konzern geschickt habe.“

Jetzt sind wir scheinbar bei dem Teil angelangt, seine Mitarbeiter zu motivieren, damit sie weiter am Ball bleiben.

„Wenn morgen die Medienansprache reibungslos über die Bühne geht, kannst du dir erst einmal eine Woche Urlaub nehmen. Hoffentlich ist das ein kleiner Trost für dich. Okay?“

Ich nicke und lächle.

Lächle und nicke und schließe die Tür hinter mir.

Dann stürme ich aus der Agentur.


Kapitel 2

„In wenigen Minuten erreichen wir Rostock. Dieser Zug endet hier. Wir bitten Sie, alle auszusteigen.“

In einer Art Phantomschmerz greife ich zum Tisch des Vierersitzes, aber mein Laptop liegt nicht drauf. Warum auch? Ich benötige ihn nicht mehr. Nicht mal mein Handy ist an.

Die anderen Passagiere bilden eine Schlange, während ich mit einem Ruck meinen Koffer aus der Ablage ziehe. Zu meiner Überraschung schlage ich ihn niemandem auf den Kopf. Er platzt auch nicht samt Inhalt auf. Es würde gerade zu meinem Leben passen.

Das Treiben am Gleis ist für einen Donnerstagmittag beträchtlich. Ich bahne mir meinen Weg durch die Menschenmenge, umgehe das Kind, was sich vor mir zu Boden wirft und die Zeitungsstände, die mich vorwurfsvoll mustern. Mein Bus kommt in zehn Minuten und ich trage eindeutig die falschen Schuhe, um auf unebenen Pflastersteinen zu warten. Meine Augen fallen immer wieder zu, meinen Morgenkaffee habe ich zu Beginn der Fahrt um halb sechs Uhr morgens im Zug getrunken. Und es stehen mir noch zwei Stunden Fahrt bevor.

Nur wenige Menschen folgen mir in den Bus, auch drinnen sitzt kaum jemand. Ich pfeffere meinen Koffer halb unter den Sitz, denn für mehr reicht der Platz nicht. In einer akrobatischen Meisterleistung verrenke ich meine Füße, um meinen Bleistiftrock nicht an die Grenzen seiner Nähte zu führen. Ich hätte meine Bürokleidung von gestern wirklich wechseln sollen, aber das hätte vorausgesetzt, dass ich noch zu irgendeinem klaren Gedanken fähig gewesen wäre.

Das Ruckeln des Busses lässt mich schnell eindösen, während das Fluchen des Fahrers und dessen abrupte Bremsversuche einen dauerhaften Schlaf verhindern. Nach über dreißig Haltestellen verlasse ich halb komatös den Bus und stehe da – am Bahnhof Rerik.

Wie lange war ich nicht mehr hier?

Ich kann es gar nicht sagen, aber ich spüre förmlich, wie das Salz des vertrauten Windes meine Naturkrause zum Vorschein holt, die ich sonst täglich mit einem Glätteisen bändige.

Ich ziehe meinen Koffer hinter mir her und gehe vorbei an der kleinen Bäckerei, bei der ich mir jeden Morgen in den Sommerferien frische Croissants besorgt habe. An dem Angelladen, wo ich meine ersten Gummistiefel gekauft habe. Und an der Fahrradwerkstatt, die mein Rad mehr als einmal flicken mussten, nachdem ich in die Blumenfelder gerast war. Doch erst als ich das rostige Tor beiseiteschiebe und auf das Holzhäuschen meiner Oma schaue, wo früher Rosen auf den Fensterbrettern standen und Lichterketten den Balkon schmückten, zieht sich mein Magen zusammen. Nach ihrem Tod bin ich nicht mehr hier gewesen und mir wird bewusst, warum.

Schritt für Schritt nähere ich mich der Eingangstür und meinen Erinnerungen, die ich bis heute in einer kleinen Schachtel in meinem Herzen verstaut habe. Das Knacken des Bodens beim Eintreten erinnert mich genauso an den Verlust meiner Oma wie der fehlende Geruch von selbst gebackenem Brot.

Alles steht noch an seinem Platz, wie damals. Meine Eltern halten das Haus gut in Schuss, das muss ich ihnen lassen. Auch nach unzähligen Vermietungen büßt es nicht an Charme ein. Ich fasse an die Vorhänge, die meine Oma selbst gestrickt hat. Sie sind noch warm von der hereinscheinenden Sonne, die am Horizont auf das Blau des Meeres trifft.

Der Anblick macht mir Lust auf mehr, deshalb streife ich die Schuhe ab, schnappe mir ein Handtuch und marschiere geradewegs zum Strand. Besonders Mütter mit kleinen Kindern tummeln sich auf ihren Handtüchern. Bälle fliegen durch die Gegend, Drachen steigen auf und Babys weinen. Aber ich höre nur das Rauschen des Meeres und spüre den warmen Sand zwischen meinen Zehen. Das weiche Handtuch lässt meine erschöpften Glieder entspannen und es dauert nicht lange, bis meine Augenlider langsam schwerer werden.

 

Als ich aufwache, steht die Sonne um einiges tiefer. Viele sind gegangen, der Strand ist weniger voll. Ich recke die Arme nach oben und drehe mich wie eine Robbe auf meinem Handtuch herum auf den Bauch. Irgendwann nach der Wasserschlacht der zwei Mädchen und dem vorbeifahrenden Eiswagen muss ich eingeschlafen sein. Ich gähne, um den restlichen Schlaf aus meinen Gliedern zu verjagen und frage mich, wann ich mich das letzte Mal so ausgeschlafen und entspannt gefühlt habe.

Die Entspannung findet ihr jähes Ende, als ich zu Hause in den Spiegel schaue. Mein Gesicht gleicht einer Tomate und auch meine Schultern und der Nacken glühen. Nichts, was ich nicht mit zwei Packungen Quark und einer Weinflasche lösen könnte, die ich mir kurzerhand aus dem nächstgelegenen Supermarkt schnappe. Wobei das, was der Quark mir an Röte aus der Haut zieht, mit dem Wein bestimmt wiederkommt. Wenn alles in meinem Leben so ausgeglichen wäre …

Der Anblick meiner bereits nach einer Stunde geleerten Weinflasche lässt mich schuldbewusst zum Altglas-Container laufen. Dabei entdecke ich an der Straßenecke an einem unauffälligen Haus ein Schild mit der gelben Aufschrift „Bar“, mehr nicht. Ob in Rerik alle Inhaber vor solcher Kreativität strotzen? Mir reicht das Marketing, niemand muss mich heute zum weiteren Trinken überreden. Wie zu erwarten, sitzen an den Tischen nur zwei Besucher, ältere Herren, die mich neugierig mustern. Ich nicke ihnen zu und setze mich an die Theke.

Die Barkeeperin schiebt mir die verlotterte Karte zu. „Lübzer und Rostocker sind vom Fass.“

Ich massiere mir die Schläfe. „Bitte einen Gin Tonic.“

„Haben wir nicht.“

„Dann gern einen Tequila Sunrise.“

„Keine Cocktails.“

„Gut, dann einen Weißwein. Irgendeinen.“

Ich schaue in die Augen einer verärgerten Walküre, die mich ohne Probleme samt Weinfass aus der Bar katapultieren könnte. Kleinlaut schrumpfe ich auf meinem Sitz zusammen. „Dann nehme ich gern ein Pils. Die klingen lecker.“

Keine Ahnung, welches der Biere sie mir einschenkt und sich in meinem Glas schäumt, aber ich leere es auf Anhieb um die Hälfte, wodurch ich mir ein wenig Respekt in der Bar zurückgewinne. Zumindest bilde ich mir das ein.

Zwei Schlucke später traue ich mich, mein Handy aus der Tasche zu holen und es auf die Theke zu legen.

„Scheiß drauf“, murmle ich und mache es an. Sechs verpasste Anrufe, fünfzehn Nachrichten. Das hält sich fast noch im Rahmen. Wer sagt mir, dass das nicht einfach Versuche waren, mir zum Geburtstag zu gratulieren, statt mich wegen der Story zu terrorisieren?

Ach ja, die Tatsache, dass ich im Februar Geburtstag habe.

Mit zusammengekniffenen Augen blende ich alle anderen Nachrichten aus und scrolle hektisch zum Chat mit Anna. Ich schreibe ihr, wo ich bin und dass sie sich keine Sorgen machen muss, ich aber für einige Zeit abtauche, um den Schlamassel hinter mir zu lassen. Anna weiß wahrscheinlich besser als ich, dass ich Abstand zur Situation brauche. Wie ich sie kenne, wird sie das respektieren. Bis es ihr zu bunt wird und sie mich mit Vollkaracho zwingt, mich alledem zu stellen.

Kaum fasse ich den Entschluss, meine weiteren Nachrichten anzusehen, da reißt der Stuhl unter mir weg und – wusch! – knalle ich mit dem Hintern auf den harten Steinboden. Mein Bier verteilt sich in alle Richtungen, die Flugkurve meines Handys verfolge ich, bis es an der Wand aufprallt. Auf einmal stürzt etwas Sabberndes auf mich zu und drückt mich zu Boden. Schreiend halte ich mir die Hände vors Gesicht und versuche, mich herauszuwinden.

„Runter von der Frau, Ouzo!“

Durch meine Finger schaue ich in braune Augen, umgeben von Fell, Fell und Fell. Sobald sich unsere Blicke kreuzen, richten sich seine spitzen Ohren nach hinten und ein kehliges Bellen schallt mir entgegen. Wie versteinert starre ich auf das Fellknäuel, das ein Mann im nächsten Moment am Halsband packt und hinter sich zieht.

Mein Überlebensinstinkt meldet sich zu Wort, ich springe in einem Satz auf und bringe so viel Abstand wie nur möglich zwischen mir und dem Kläffer.

„Es tut mir wahnsinnig leid! Mir fiel die Leine aus den Händen und schon war er weg. Sind Sie verletzt?“, fragt der Mann mit amerikanischem Akzent.

Automatisch taste ich mich ab, mein Herz rast. Überall auf dem Boden sind Glassplitter von meinem Bier verteilt, aber keiner steckt in meinem Körper.

Ich nicke erleichtert und reibe mir das Steißbein. „Den Adrenalinschub hätte ich heute zwar nicht gebraucht, aber alles gut. Alles noch dran. Wie geht es Ihrem …“

Ich betrachte das rötliche Fell, den weißen Bauch und den puscheligen Schwanz dieses Tieres, bei dem ich nicht sicher bin, was es genau ist. Auf jeden Fall ein unglaublich süßer Kerl. Wenn er mich nicht hätte umbringen wollen.

„… Fuchs?“

Der Mann lacht. „Fast. Ouzo ist wahrscheinlich ein Border-Collie-Mix. Mitarbeiter aus dem Tierschutz fanden ihn auf einer Straße in Griechenland. Von Fuchs war nie die Rede, aber ich könnte schwören, dass in ihm auch eine Katze steckt. Er macht diesen Buckel und kann seine Krallen gut ausfahren.“

Zur Bekräftigung bellt Ouzo mich noch mal an. Vielleicht doch ein Hund.

„Offensichtlich.“

Ich löse den Blick vom Fuchshund und nehme erst jetzt den Mann vor mir richtig wahr. Und wow, noch ein unglaublich süßer Kerl.

„Mir ist das so unangenehm. Ich schwöre Ihnen, wir machen einen großen Bogen um Sie. Und das ist an einem so kleinen Ort wie Rerik gar nicht leicht. Hier trifft man immer dieselben Leute. Manchmal glaube ich, der ganze Ort besteht nur aus Rentnern. Und Hunden.“

Wozu er glücklicherweise zu beiden nicht zählt.

Er holt einmal tief Luft und fährt sich verlegen durch das kastanienbraune Haar, das modisch wirr absteht. „Es tut mir wirklich leid, dass Ouzo Sie so erwischt hat.“

Dieser Mund. Gibt es Mund-Models? Er könnte definitiv eines sein, so voll und perfekt geschwungen sind seine Lippen.

Mir mein schmerzendes Steißbein nicht anmerkend, winke ich dümmlich lächelnd ab. „Kein Problem. Ich bin das gewöhnt.“

„Hunde?“, versteht er mich falsch, aber ich bin noch zu sehr auf sein viel zu hübsches Gesicht fixiert, dass ich den Moment verpasse, das klar zu stellen.

„Das ist ja toll!“, fährt er begeistert fort. „Es gibt hier viele Hundebesitzer, aber ich bekomme den Eindruck, dass keiner seinen Begleiter so richtig versteht.“

Ich beiße mir auf die Lippen. Eigentlich meinte ich, dass ich Kummer und Leid gewöhnt bin, nicht Hunde. Aber spielt das eine Rolle, wenn vor mir ein Mann mit schokoladen­braunen Augen und einem Zahnpasta­lächeln steht?

Ich lächle zurück. „Genau, ich bin Hunde gewöhnt. Egal, welche Rasse. Große, kleine, dicke, dünne. Ich liebe alle.“

„Wie kommt das?“, fragt er mich ehrlich interessiert.

„Ähm, das kommt daher, dass ich …“ Ich streiche über meinen Rock, um Zeit zu schinden, räuspere mich und höre mich selbst sagen: „Ich bin Hundetrainerin.“

Spannend, gefühlvoll, idyllisch

Blick ins Buch
Das kleine Haus am KüstenwegDas kleine Haus am Küstenweg

Ostsee-Roman

Berührender Roman über Träume, Familie und Neuanfang an der Ostsee für alle Leser:innen von Jenny Colgan und Meike Werkmeister 

„Aber das Boot, das wusste sie, war trotz allem noch immer ihr Sehnsuchtsort. Und Moritz noch immer die Liebe ihres Lebens.“ 

Was passiert nach dem Happy End? Diese Geschichte beginnt dort, wo andere aufhören: Hannas großer Traum vom gemeinsamen Leben mit Moritz wird wahr. Doch die Realität holt sie schnell wieder ein. Moritz ist als alleinerziehender Vater gefordert und Hanna hat das Zerbrechen ihrer Kindheitsfamilie nur verdrängt, nie verwunden. Als ihre Liebesbeziehung zu scheitern droht, begreift Hanna, dass Träume allein fürs Leben nicht reichen, und beginnt aktiv um ihr Glück zu kämpfen. 

Prolog

Jetzt

Als sie erwachte, lag er noch neben ihr, den Kopf in der Armbeuge, die Augen geschlossen, der Atem tief und regelmäßig. Er schlief. In ihrem Traum war er fort gewesen. Allein irrte sie durch die Wohnung, verlassen, verzweifelt, und dann klingelte es, und er stand vor der Tür. Ich will bei dir bleiben, sagte er. Für immer, wenn du willst.

Damit endete ihr Traum.

Über seine nackte Schulter hinweg spähte sie auf die Leuchtanzeige des Weckers. 3.15 Uhr. In Kürze würde es dämmern. Sie sollte ihn wecken. Er musste gehen. Dass er so lange blieb, war nicht geplant gewesen. Alles war nicht geplant gewesen.

Aber sie brachte es nicht über sich, ihn wegzuschicken. Nur noch fünf Minuten, dachte sie. Fünf Minuten, in denen sie seine Haut an ihrem Körper spürte. Fünf Minuten, in denen sie seine Nähe roch, diesen ganz besonderen Duft nach Holz, nach Meer und Wind. Fünf Minuten, während er neben ihr lag, als gehöre er nur zu ihr.

So hatte sie auch am Abend zuvor gedacht. Nur noch dieses eine Essen. Nur noch dieser eine Kuss. Nur noch diese eine Stunde.

Und dann war es irgendwie diese Nacht geworden. Weil es eben nie genug war.

Der erste Vogel begann zu singen. Das Dunkel im Zimmer veränderte sich fast unmerklich, verblasste zu einem allerersten Grau. Sie hatten sich ausgerechnet die kürzeste Nacht des Jahres ausgesucht.

Er schlug die Augen auf.

„Ich muss los!“ Von einer Sekunde zur anderen hellwach, sprang er aus dem Bett und ging ins Bad. Ihr wurde kalt, und das trotz sommerlicher Temperaturen und der Decke, die sie sich bis zum Hals heraufzog. Sie hörte, wie er die Dusche anstellte. Er wusch die Nacht von sich ab, ihren Geruch, ihre Liebe.

Als wären ihre Glieder über Nacht erstarrt, quälte sie sich aus dem Bett, sammelte Hemdchen und Höschen vom Fußboden auf, schlüpfte hinein, tappte in die Küche. Ihr Kreislauf machte schlapp, sie musste sich an der Wand abstützen. In der Spüle türmten sich Töpfe, die Pfanne zuoberst in gefährlicher Schieflage. Topflappen, Geschirrtuch und Spülbürste bildeten ein chaotisches Stillleben auf der Arbeitsplatte. Auf dem Tisch ihrer Wohnküche standen noch die heruntergebrannten Teelichter, die leer gegessenen Teller, die Weingläser, gefüllt für einen letzten Tropfen, zu dem es dann nicht mehr gekommen war.

Sie ließ sich auf einen Stuhl fallen. Als sie seine Schritte hörte, verschob sie den Tisch bei dem hastigen Versuch, sich wieder hochzustemmen.

„Ich kann dir einen Kaffee machen“, sagte sie. Ihre Stimme bebte.

„Danke, nicht nötig.“

Sie spürte einen Luftzug vom offenen Fenster her und merkte plötzlich, dass sie kaum etwas am Leib trug. Unsicherheit überkam sie, zumal er inzwischen wieder komplett bekleidet war. Ein dunkles T-Shirt, Cargohose, Bootsschuhe, sein üblicher lässiger Stil, der sie immer dazu verführte, die Hand auszustrecken und ihn zu berühren. Am Abend zuvor hatte sie diesem Impuls nachgegeben. Jetzt wäre sie am liebsten ins Bad gerannt und hätte sich in ihren Morgenmantel gehüllt.

Sie sahen sich an, während draußen das Vogelkonzert anschwoll und das Grau heller wurde. Er sagte weder Tschüs noch Mach’s gut oder Leb wohl. Sie sagte nicht: Bleib! Schweigend wandte er sich um und ging zur Tür. Sie biss sich auf die Unterlippe und schwieg ebenfalls. Was passieren würde, wenn sie noch ein Wort miteinander wechselten, war klar. Und das durfte nicht sein.

Die Tür schlug hinter ihm zu. Sie rannte ans Fenster und spähte nach draußen. Einen Moment lang fragte sie sich, ob dort wieder dieser Unbekannte stand. Doch die Straße war leer. Außer den Vögeln regte sich noch kein Leben draußen.

Dann beobachtete sie ihn, wie er aus dem Haus kam, mit weit ausgreifenden Schritten, die Hände in den Hosentaschen, den Kopf gesenkt, entschlossen. Sein ungebändigtes Haar tanzte im Nacken.

Dann war er verschwunden, und sie irrte durch die Wohnung, verlassen, verzweifelt. Blut sammelte sich auf ihrer Unterlippe.

Erster Teil

Zuvor

1

Die erste Rakete stieg genau um neunzehn Minuten vor zwanzig Uhr. Funken sprühend zischte sie in den Nachthimmel und verteilte sich zu bunten Leuchtkugeln.

Es war wie zu Silvester, aber man schrieb den einundzwanzigsten März, und es war noch lange nicht Mitternacht.

„Ihr seid ja verrückt!“, rief Nika mit diesem ganz speziellen leisen Quietschen in der Stimme.

Hanna lehnte am Stamm des noch kahlen Kirschbaums, eingemummelt in ihre Winterjacke, die Arme um den Körper geschlungen, und beobachtete ihre Schwester, wie sie da im Garten ihres zauberhaften Reetdachhauses stand, die Hände staunend vor den Mund geschlagen, während sie mit leuchtenden Augen ihre Gäste anstrahlte.

Die Stimmlage verwandelte die erfolgreiche Geschäftsfrau in ein bezauberndes Mädchen. Ihre Hände verrieten die Überraschung, die Blicke ihr Glück. Nika konnte das in Perfektion. Alles wirkte vollkommen natürlich.

Ihr Freund Thorsten, der Nika an Schönheit und Eloquenz in nichts nachstand, stimmte Happy Birthday to you an, und die anderen Geburtstagsgäste fielen mit ein. Gleichzeitig entsandte jemand die zweite Rakete in den Himmel.

„Mögen alle deine Träume im neuen Lebensjahr in Erfüllung gehen, mein Schatz.“ Thorsten nahm Nika in die Arme und küsste sie zärtlich.

Hanna dachte an ihre eigenen Träume, die meistens mit einer Bruchlandung geendet hatten. Das war jetzt vorbei. Gerade nahm sie einen neuen Anlauf, mit neuen Träumen, und diesmal würde sie erfolgreich sein. Nicht ganz so erfolgreich wie ihre Schwester, natürlich nicht, das maßte sie sich auch nicht an. Aber sie wollte endlich auf eigenen Füßen stehen. Das war mehr, als sie in den letzten Jahren geschafft hatte.

„Ist das nicht unglaublich?“ Ihre Eltern näherten sich, Mutter Barbara mit dem für sie typischen rheumatisch steifbeinigen Gang und ihr Stiefvater Theo, der sie fürsorglich am Ellbogen festhielt. „Das Feuerwerk hat genau zu Nikas Geburtszeit begonnen“, stellte Barbara fest.

„Ja, Mama, das ist mir auch aufgefallen.“ Hanna drehte sich wieder zu Nika um. Eine ganze Traube von Gratulanten hatte sich mittlerweile um sie gebildet.

„Ihre Freunde müssen das gewusst haben“, fuhr ihre Mutter bewundernd fort.

„Sie haben mich gefragt.“ Theo zwinkerte Hanna zu. Sie lächelte zurück.

„Dass sie auf diese Idee gekommen sind! Nika hat so gute Freunde. Sie hat einfach ein Händchen für alles, Mann, Geschäft, und neben allem immer noch Zeit für uns …“

Barbaras Wortschwall rauschte nieder wie ein Wolkenbruch, und Hanna hörte daraus nicht nur das hymnische Lob auf Nika, sondern wurde sich dabei gleichzeitig ihrer eigenen Fehlerpalette bewusst. Wann würde sie endlich einer geregelten Arbeit nachgehen? Wann einen Mann finden? Wann überhaupt einfach nur mal echte Freunde?

„Ich bin gespannt, was das neue Lebensjahr bringt.“ Um den Lärm des Feuerwerks, das Stimmengewirr und die Ah- und Oh-Rufe zu übertönen, redete Barbara ziemlich laut. „Wer weiß, vielleicht sogar ein Enkelchen für mich? An der Zeit wäre es ja.“

„Mama!“, stieß Hanna gequält hervor. Sie kannte die Enkelerwartungen ihrer Mutter sehr gut. Noch dazu war sie die ältere der beiden Schwestern.

„Schon gut, Bärbel.“ Theo war der Einzige, der Barbaras Namen so abkürzen durfte. „Aber wir sollten auch Hanna nicht vergessen.“

Barbara unterbrach sich und ließ den Blick überrascht vom Ehemann zur Tochter schweifen.

„Ihren Neuanfang“, erinnerte Theo sie.

Hanna wurde warm ums Herz. Es war so typisch für ihn, er machte keinen Unterschied zwischen seiner Tochter und seiner Stieftochter. Nika und sie waren beide seine Mädchen, die er liebte und mit allem unterstützte, was ihm möglich war. Mit Liebe, Geld, Beistand, manchmal auch mit Strenge. Sie konnten immer auf ihn zählen.

„Aber natürlich denke ich an Hannas Neuanfang“, beteuerte Barbara, jetzt mit Wärme in der Stimme. „Bestimmt wird alles klappen. Wann fängst du bei der neuen Arbeitsstelle an?“

„Übermorgen.“ Schon bei diesem einen Wort bekam Hanna Herzklopfen.

„Viel Glück, meine Große!“ Barbara tätschelte ihr den Arm, dann wurde sie plötzlich so beweglich, wie ihr Rheuma es zuließ, und schlüpfte in eine Lücke, die sich in der Gratulantenschar um Nika geöffnet hatte. „Monika, Kind, herzlichen Glückwunsch!“ Sie nahm Nika in die Arme und drückte sie an sich.

„Danke. Es ist so schön, dass ihr dabei seid. Mama, du zerquetschst mich!“

„Ja, ja, schon gut, ich beherrsche mich. Aber wenn das eigene Kind so groß wird … du weißt schon … Dreißig!“ Barbara wischte sich die Augen.

„Sie ist und bleibt eine Glucke.“ Auch Theo umarmte Nika. „Alles Gute, mein Mädchen.“

„Danke, Papa.“ Innig erwiderte Nika die Umarmung.

„Guck sie dir an, die beiden!“, seufzte Barbara und wischte sich noch einmal die Augen. „Sie war schon immer ein Papakind.“

Ich auch, dachte Hanna. Ich auch! Sie hatte Nika sonst nie etwas geneidet, weder die gut aussehenden Männer noch den Erfolg mit ihrem Geschenkeladen. Um die Tatsache, dass Theo ihr leiblicher Vater war, beneidete sie ihre Schwester allerdings glühend.

Laute Musikrhythmen drangen aus dem Haus. Thorsten war hineingegangen und hatte die Musikanlage aufgedreht. Jetzt erschien er wieder auf der Terrasse. „Der Tanz ist eröffnet!“, rief er.

Theo verbeugte sich vor Nika, sie knickste lachend, und gemeinsam tanzten sie vom Garten ins Wohnzimmer hinein. Der gesamte Pulk, der zum Feuerwerk nach draußen geströmt war, folgte ihnen und drängte sich wieder nach drinnen.

Hanna stand an derselben Stelle wie zuvor. Sie hatte ihrer Schwester immer noch nicht gratuliert. Aus dem Wohnzimmer rief jemand „Es ist kalt!“ Die Terrassentür wurde zugezogen, aber sie rührte sich noch immer nicht.

Auf den Wangen spürte sie die sanfte Brise, die vom Meer herüberwehte. Sie liebte die Seeluft, die stets eine besondere Verheißung zu enthalten schien, aber es war wirklich kalt. Fröstelnd schlang sie die Arme fester um den Körper. Warum klopfte sie nicht an die Glasscheibe der Terrassentür? Warum ging sie nicht ums Haus und klingelte an der Haustür?

Doch sie tat nichts dergleichen. Stattdessen betrat sie den saftig grünen Grasteppich, der an die Terrasse anschloss, und spazierte langsam durch den Garten. Auch die Zweige der Sträucher waren noch kahl, aber im Dunkeln leuchtete ein Feld gelber Osterglocken. Die große Gartenbank in der hintersten, lauschigsten Ecke war schon mit einem Kissen versehen. Hanna atmete tief durch und ließ sich mit geschlossenen Augen darauf nieder.

Aber es war kein Kissen, es bewegte sich. „Ah!“

„Uh!“, stieß Hanna erschrocken hervor und schoss in die Höhe.

So lernte sie Moritz kennen.


2

Die Nacht war kurz gewesen, kürzer, als Hanna es vertrug, denn ihr Hals kratzte, und die Nase lief. Nachwirkungen des gestrigen Gesprächs auf der Gartenbank, das länger gedauert hatte als bei den derzeitigen Temperaturen ratsam. Trotzdem machte sie sich frühzeitig wieder auf den Weg zu Nika. Die Straße am Küstenweg entlang war die schönste im Ort, ein reetgedecktes Haus reihte sich an das nächste, alle ähnlich und doch jedes anders in seiner Besonderheit. Nikas Haus wirkte wie einem Werbefilm für die schönste Urlaubsregion entsprungen, alles war frisch, aufgeräumt, glänzend. Fein bestickte Vorhänge zierten die Fenster, im Vorgarten leuchteten farblich aufeinander abgestimmte Zwiebelblumen. An der Haustür hing ein Blumenkranz, und die Hausnummer war eine geschmackvolle blau-weiß gemusterte Kachel. Beim Haus nebenan dagegen lehnten Fahrräder unterschiedlicher Größe am Zaun, im Vorgarten lag eine umgekippte Schubkarre. Die Hausnummer, ebenfalls auf einer Kachel notiert, ließ sich wegen eines Sprungs nicht mehr entziffern. Selbst die Blumen im Vorgarten sahen irgendwie gerupft aus. Alles machte einen leicht chaotischen Eindruck, und doch erschien es Hanna gerade deshalb liebenswert.

In einem solchen Haus wollte sie einmal wohnen. Irgendwann in ferner Zukunft, wenn sich ihre Träume erfüllten.

Sie sah auf die Uhr, es war Punkt neun. Ziemlich früh für den Morgen nach einer Party, aber ihre Schwester besaß eine eiserne Konstitution. Nach Hannas Berechnung war sie um diese Zeit mit dem Frühstück fertig und duldete keine Minute länger das Chaos in ihrem Haus.

„Guten Morgen“, sagte Hanna, als sich die Tür öffnete.

Nika stand vor ihr, auch äußerlich das exakte Gegenteil ihrer Schwester. Hanna war mittelgroß, mit braunen Augen und brünettem Haar, das sie mit einem Wirbel am Hinterkopf ärgerte und ihr bis knapp über die Schulter hing. Nika dagegen war zierlich, blond und hatte graublaue Augen. Sie trug eine weite Baumwollhose und hatte ihr glattes langes Haar zu einem ordentlichen Pferdeschwanz gebunden. Die Feier hatte keinerlei Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen. „Was willst du denn hier?“, fragte sie und biss in ein marmeladenbeschmiertes Croissant.

„Ich möchte dir beim Aufräumen helfen.“ Ein Gedanke durchzuckte Hanna. „Oder hast du etwa schon gestern Nacht …?“ Zuzutrauen war es ihr.

Zu Hannas Erleichterung zog Nika die Tür auf. „Nein, Thorsten hat mich erfolgreich daran gehindert und mir Hilfe versprochen, wenn ich bis heute Morgen warte.“ Sie schnaubte. „Rat mal, wer jetzt noch im Bett liegt!“

Hanna hätte auch gern noch im Bett gelegen und ihre diffusen nächtlichen Träume entwirrt. „Dafür bin ich ja jetzt da.“

„Lieb von dir.“ Nika führte sie in die Küche und wies mit dem Ende ihres Croissants zum Tisch, der sich unter seiner Geschirrlast geradezu bog. „Wir haben gestern“ – sie lächelte – „oder besser gesagt heute kurz vor Morgengrauen alles hier zusammengestellt. Du kannst schon anfangen. Die Teller in die Spülmaschine, die Gläser mit der Hand sauber machen. Am besten räumst du aber vorher noch die Flaschen weg, Bier in die Kästen, Weinflaschen in den Korb. Nein!“, hielt sie Hanna auf. „Das ist alkoholfreies Bier, das kommt in den anderen Kasten.“

Hanna nieste und sortierte folgsam die Flaschen um. „Das war eine tolle Feier gestern“, begann sie.

„Ja, ziemlich toll. Allein das Feuerwerk!“ Nika, die gerade Haushaltshandschuhe überstreifte, hielt kurz inne und lächelte verzückt.

„War das Thorstens Idee?“

„Glaubst du, Thorsten hat solche Ideen?“ Wieder schnaubte Nika.

Irgendwie klang das nicht so, als wären bald Enkelchen für Barbara in Sicht.

„Also der Einfall deiner Freunde? Mama sagte gestern, du hättest richtig tolle Freunde.“

„Ja, da hat sie recht. Aber das weißt du doch. Du kennst meine Freunde.“

„Nicht alle.“ Da war sie, die Gelegenheit, auf die sie gehofft hatte. Die Gelegenheit, wegen der sie sich aus dem Bett gequält und unter das Kommando ihrer Schwester begeben hatte. „Einer zum Beispiel, er heißt Moritz …“

„Du hast dich in den letzten Jahren ja total zurückgezogen. Ein Wunder, dass du gestern aufgetaucht bist.“

Und heute, dachte Hanna, die sich langsam fragte, ob das kein Fehler gewesen war. „Ich hatte eben viel zu tun.“

„Du hast irgendwie immer wahnsinnig viel zu tun.“

Hanna presste die Lippen aufeinander. „Ich habe eben studiert, das geht nicht so nebenbei.“

„Du hast davor schon mal studiert. Du bist doch schon seit Ewigkeiten an der Uni.“

So konnte man das auch nennen. „Da hatte ich Jobs, aber immer nur befristet. Deswegen das Zweitstudium, das weißt du doch. Und das wollte ich so schnell wie möglich durchziehen. Für anderes hatte ich keine Zeit.“ Nun gut, vielleicht hatte sie auch keine Lust gehabt, sich in Nikas gediegenes Umfeld zu begeben, ihren tollen Freundeskreis kennenzulernen und sich mit Thorsten zu unterhalten, dessen Gesprächsthemen sich auf Sport und mögliche Geldquellen beschränkten. „Willst du mir das jetzt vorwerfen?“

„Nein, um Himmels willen!“ Nika hob beide Hände. „Tut mir leid, Hanna, so war das nicht gemeint. Ist morgen nicht dein erster Arbeitstag?“

Hanna nickte. „Logopädie Seiler.“

„Das wird bestimmt großartig. Frau Seiler ist sehr sympathisch, sie kauft öfter bei mir ein.“ Nika lächelte versöhnlich.

Hanna rang sich ebenfalls ein Lächeln ab und putzte sich erneut die Nase. Sie hasste jede Form von Streit. Sowieso hatte sie eigentlich über etwas ganz anderes sprechen wollen.

Nika ließ Wasser ins Spülbecken laufen und gab großzügig Spülmittel dazu. „Bringst du jetzt die Flaschen im Korb weg?“, fragte sie.

„Wenn ich am heiligen Sonntag die Flaschen in den Container werfe, lynchen mich deine Nachbarn.“

„Du sollst die Flaschen auch in den Schuppen neben die Mülltonnen stellen. Wir sammeln sie dort in einer Kiste und bringen sie jeden Montag zum Container.“ Wie immer war bei Nika alles perfekt durchorganisiert.

Hanna schleppte den Korb mit den Flaschen nach draußen in den Vorgarten, wo sich der Schuppen unauffällig an die Hauswand schmiegte. Woher kennst du eigentlich Moritz?, übte sie in Gedanken. Hab ihn noch nie bei dir gesehen.

War das unverfänglich genug?

Ich hab mich gestern mit Moritz unterhalten. Netter Kerl.

Nein, das war nicht gut.

Kannst du mir die Telefonnummer von Moritz geben? Ich wollte ihn etwas fragen.

Bloß was?

Sie öffnete den Schuppen. „Guten Morgen“, hörte sie die Stimme, deren Klang ihren Körper am Abend zuvor in Vibration versetzt hatte.

Moritz stand am Nachbarzaun, in der Hand ein zusammengerolltes Segeltau. Zum ersten Mal sah sie ihn bei Tageslicht, zum ersten Mal sah sie überhaupt mehr von ihm als nur eine schemenhafte Gestalt, und der Anblick löste dasselbe in ihr aus wie seine Stimme. Er war groß, von schlaksiger Lässigkeit und hatte eine sehr körperliche Ausstrahlung, mit kräftigen Armen und Händen, denen sie ansah, dass er zupacken konnte. Er war unrasiert, die Haare fielen ihm bis auf die Schultern, und seine graublauen Augen blitzten verwegen. Eine Piratenklappe hätte ihm gut gestanden.

„Du wohnst auch hier?“, fragte er und wies auf Nikas Haus. „Dann sind wir ja direkte Nachbarn.“

Er war also der Bewohner des liebenswert chaotischen Hauses. „Meine Schwester wohnt hier mit ihrem Freund. Ich helfe nur beim Aufräumen.“

„Ich bin erst vor einigen Wochen eingezogen. War nett von deiner Schwester, mich zu ihrer Feier einzuladen. Auch wenn ich nicht alle kennenlernen konnte.“

„Ich auch nicht.“ Sie lächelte unwillkürlich und musste gleich darauf niesen. „Entschuldigung, ich hab mich wohl erkältet.“

„Es war zu kalt.“

„Gestern.“

„Im Garten.“

„Ja.“

Ihre Sätze verhakten sich ebenso ineinander wie ihre Blicke. Am Abend zuvor war es zu lange zu kalt gewesen. Aber sie hatten so viel zu reden gehabt. Nichts Persönliches. Und doch Persönliches. Über den Nachthimmel. Über das geheime Wachstum im Garten, das man noch kaum sah, aber schon spürte. Über Bradebüll, den kleinen Nachbarort, in dem sie aufgewachsen war. Über das Meer, das sie so vermisst hatte, als ihr Lebensweg sie von dort wegführte. Über die Küstenbewohner, unter denen sie sich heimisch und gleichzeitig fremd fühlte, wie sie sich überhaupt überall irgendwie fremd fühlte. So hatte sie es ihm nicht wörtlich gesagt, aber sie spürte, dass er es verstanden hatte.

Ihretwegen hatte er nicht alle Anwesenden kennengelernt. Er hatte die ganze Zeit nur mit ihr gesprochen.

Und plötzlich fand sie die richtigen Worte. „Ich habe auch etwas zu feiern. Morgen ist mein erster Arbeitstag.“

Bevor sie weitersprechen konnte, hörte sie eine laute Kinderstimme. „Papa!“ Ein Junge rannte aus dem Nachbarhaus herbei. Neben Moritz blieb er stehen und sah Hanna an. „Papa, wer ist das?“

„Das ist Hanna. Sie war auch auf der Feier gestern.“ Liebevoll legte Moritz eine Hand auf den Kopf des Kleinen und lächelte Hanna an. „Yannick, mein Sohn. Er ist fünf.“

„Ich wollte auch feiern“, wandte sich der Kleine vorwurfsvoll an Hanna. Von den knapp schulterlangen Haaren über die graue Hose mit den vielen Taschen bis zu den flachen Bootsschuhen war er eine Miniaturausgabe seines Vaters. „Aber Pauline war krank, und Mama musste noch so viel arbeiten, und ich sollte ins Bett. Deshalb ist Papa ganz allein feiern gegangen.“

Trotz ihres auf einmal zentnerschweren Herzens musste Hanna sich ein Schmunzeln verkneifen. „Vielleicht klappt es ja beim nächsten Mal, und du kannst mitfeiern.“

Yannicks Aufmerksamkeit war schon abgelenkt, er hatte das Tau in der Hand seines Vaters entdeckt. „Papa, wann gehen wir?“

„Gleich. Wir müssen uns erst noch von Hanna verabschieden.“

Yannick hob die Hand zu einem lässigen Winken. „Tschüs, wir gehen jetzt zu den Booten. Papa repariert die nämlich alle.“

„Ich habe eine Werft“, übersetzte Moritz. „Kleiner Einmannbetrieb.“

„Na, dann viel Spaß. Macht’s gut, ihr beiden!“ Hanna lächelte, bis Vater und Sohn gegangen waren und ihr die Mundwinkel wehtaten.

Es wäre ja zu schön gewesen.

Wellen, Meeresbrise und Neuanfang

Blick ins Buch
Die kleine Ostsee-BäckereiDie kleine Ostsee-Bäckerei

Ein Küstenroman

Warmherziger Liebesroman um eine Bäckerei an der traumhaft schönen Ostseeküste. Für alle LeserInnen von Jenny Colgan und Meike Werkmeister

„Ich erinnerte mich nur zu gern an diese Ferien zurück. Das Meer, der Duft nach frischen Brötchen und die Liebe meiner Tante waren fest mit meiner Jugend verwoben.“

Liz zieht nach dem Tod ihres Freundes zu ihrer Tante an die See. Dort hofft sie, ihre Schuldgefühle besiegen zu können. Schnell steckt sie all ihre Energie in den Erhalt der kleinen Bäckerei. Trotz gebrochenem Herzen entwickelt sie Gefühle für den gut aussehenden Bjarne. Doch die beiden verfolgen unterschiedliche Ziele, denn Bjarne hat andere Pläne mit der Bäckerei. Hat die Liebe da überhaupt eine Chance?

„Eine wirklich romantische und unterhaltsame Geschichte, die ich jedem ans Herz legen kann, man spürt einfach dieses gewisse Küstenfeeling. Bitte mehr davon“  ((Leserstimme auf Netgalley))

Erschien bereits 2018 unter dem Titel „Glück hat viele Farben“

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Krimis an Nord- und Ostsee
22. April 2024
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