„Scherbengericht“ ist Commissario Laurentis zehnter Fall
Interview mit dem Commissario
Anlass genug, einmal nicht den Autor zu befragen, sondern sich direkt an seine Hauptfigur zu wenden
Laut „Spiegel special“ ein sturer, sympathischer Dickschädel, der sich weder von selbstgefälligen Würdenträgern noch von beamteten Wichtigtuern in seine Ermittlungen hineinreden lässt.
Sie ermitteln schon seit vielen Jahren in Triest. Hat sich Ihre Arbeit in dieser Zeit verändert? Haben Sie sich verändert?
Verändert, ich? Meine Frau sagt, es sei immer das gleiche mit mir. Nur die Arbeit ändert sich, alles wird immer schneller. Und eine Stadt in einer derartigen strategischen Position folgt zwangsläufig der Entwicklung Europas und der globalen Probleme – das organisierte Verbrechen kennt keine Grenzen. Ohne den Austausch mit den Kollegen der Sicherheitsbehörden in Slowenien, Kroatien, Österreich oder auch Deutschland sind Ermittlungserfolge heute schlicht undenkbar.
... Kollegen? Wie man liest, tauschen Sie sich eher mit den Kolleginnen aus...
Natürlich. Die sind einfach besser als Männer, unkonventioneller, wendiger. Um den großen Schachzügen auf die Spur zu kommen, muss man der Spur des Geldes folgen. Das ist das A und O. Und Teamarbeit ist zentral. Allerdings wird die Hektik größer, dabei zählt Geschwindigkeit genauso wie Ausdauer.
Und da sind Kolleginnen raffinierter?
Aber sicher. Die haben doch ein viel breiteres Repertoire. Und sie sind entspannter, einfach angenehmer. Es stimmt schon: Die Sehnsucht nach Harmonie lässt sich mit zunehmendem Alter immer weniger verdrängen. Dem allerdings steht das wirkliche Leben im Weg.
Wieso sind Sie eigentlich all die Jahre Triest treu geblieben?
Als ich nach vielen anderen Stationen in Italien hierher versetzt wurde, wollte ich eigentlich gleich wieder weg, weil mir hier die Welt zu eintönig, zu geordnet schien. Abgesehen davon, dass ich dann meine Frau kennenlernte, wir drei Kinder bekamen, musste ich bereits nach kurzer Zeit begreifen, dass der schöne Schein trügt.
Inwiefern?
Die vielen politischen und auch ideologischen Grenzen, der Hafen, die unverarbeitete Geschichte seit der Nazibesatzung warfen ein ganz eigenes Muster an Kriminalität auf, das mir neu war. Sehr europäisch und damit eben nicht nur an diese Stadt und ihr Umland gebunden. Dazu kamen rechtsradikaler Terror, Waffenschmuggel, der Handel mit menschlichen Organen, die Ausbeutung von Flüchtlingen… Das erzeugt andere Aufregungen als in den Hochburgen der Mafia, wo Gewalt täglich offensichtlich ist. Hier wird sie hinter den Kulissen gesteuert.
Und was gefällt Ihnen an der Stadt?
Die hohe Lebensqualität Triests! Es ist eine der reichsten Städte Italiens, mit einem sauberen, warmen Meer vor der Tür und den kulinarischen Verlockungen des Karsts im Rücken, die einem das Arbeiten nicht immer leicht machen. Das angenehme Leben hier und die Familie spenden mir Trost und Kraft, um all den Turbulenzen standzuhalten – auch ein Polizist ist schließlich nur ein Mensch.
Dabei eilt Ihnen der Ruf voraus, es mit der ehelichen Treue nicht so genau zu halten.
Das sind doch alles Erfindungen eines Romanautors, der mich ständig über Berufsgeheimnisse ausfragt und mir dann viel Unsinn andichtet. Selbst meine Frau fragt mich inzwischen danach. Das ist wirklich lästig. Zur Ruhe kann man so nicht finden.
Beizeiten würde ich diesen Autor am liebsten einsperren, doch liegt außer seinen ständigen Verkehrssünden bisher nichts gegen ihn vor.
Sie hoffen also, seiner habhaft zu werden? Immerhin hat er Sie berühmt gemacht.Wenn er mich reich gemacht hätte, könnte ich es ihm vielleicht verzeihen. Er hält sich für schlauer als er ist, aber eines Tages krieg ich ihn, das ist sicher. Und dann diktiere ich ihm seine Bücher.
Hört sich nach versuchter Zensur an.
Wenn’s der Wahrheitsfindung dient, nennt man das anders.
Welcher Fall ist Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben – und warum?
Der einer taubstummen Ukrainerin, die von einer europaweiten Bettlermafia ausgebeutet wurde. Irina war nur die Begleiterscheinung einer weit größeren Ermittlung und als endlich Zeit blieb, mich um sie zu kümmern, war sie bereits spurlos verschwunden. Eigentlich vergisst man es nie, wenn man während der Ermittlungen völlig richtig liegt und es trotzdem nicht gelingt, den Täter zu überführen. Oder man überführt ihn und er kommt dank einer Unzahl an Tricks seiner Anwälte und Ärzte doch davon. Manchmal muss ich mich zwingen, die Gesetze einzuhalten und mich daran zu erinnern, ein Diener der Demokratie zu sein.
In Ihrem neuen Fall holt die Vergangenheit Sie ein, Sie haben vor 17 Jahren möglicherweise einen großen Fehler gemacht…
Ja, Aristèides Albanese ist im Grunde kein schlechter Kerl und mir durchaus sympathisch. Vielleicht hätte ich verhindern können, dass er ein Drittel seines Lebens im Knast verbringen musste, wenn ich mich damals gegen den Druck von oben durchgesetzt hätte. Heute habe ich das Rückgrat und auch die Selbstsicherheit dagegen zu halten, die fehlten mir damals. Aber dass ich deshalb ihm zuliebe das Recht beuge, kann er vergessen.
Denken Sie manchmal daran, sich demnächst zur Ruhe zu setzen?
Eigentlich sollte man Leute wie mich nicht einfach in den Ruhestand schicken. Erfahrungen und Standvermögen sind unersetzbar. Auch wenn ich zugeben muss, dass ich mit der rasenden technischen Entwicklung nicht standhalten kann. Wofür aber gibt es jüngere Kollegen? Nein, arbeiten werde ich bis zuletzt, das wäre ja noch schöner.
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