My (book)Blog – my party (and I can cry if I want to)
„Blogs vs. Buchkritik“, „Klicks statt Klasse“ oder „Leser gegen die Literaturkritik“ – unter sehr schmissigen Titeln hat sich da rund um das geliebte Buch eine neue Kampfzone aufgetan. Gerade zur Buchmesse wurde in mehreren Beiträgen stets und immer wieder der von mir nur noch schwer zu ertragende Vergleich Literaturblogs d.h. Hobbyrezensenten zum klassischen Feuilleton hervorgezerrt. Nachdem die Ersteren inzwischen eine deutliche Größe erreicht haben, müssen sie sich gegenüber den bisherigen Profi-Nachfolgern von Marcel Reich-Ranicki rechtfertigen, allein die reine Anwesenheit soll auf beiden Seiten sinnvoll begründet werden.
Wann darf mit der finalen Vernichtung der klassischen Kritik gerechnet werden – dieses Print ist ja eh tot, wohin nun mit den armen Kulturjournalisten? Wie viel Geld hortet der durchschnittliche Buchblogger, man hört über diesen YouTubenachwuchs ja so einiges? Wie gedenkt man die eigene Unbestechlichkeit gegenüber den bekanntermaßen mit Geschenken und Schecks nur so um sich werfenden Verlagen nachzuweisen, da kann wohl offensichtlich selbst Sepp Blatter noch etwas lernen? Welche Lektoren und Chefredakteure täglich die Texte redigieren, die man da einfach in dieses Internet schreibt – Kontrolle, Überwachung, Maßregelung und Qualitätsmindestanforderungen. Vielleicht ist es ein deutsches Problem, dass wir immer zuerst die Regeln vor die Wünsche stellen, die Reihenfolge scheint mir falsch – das hatte ich mir mit der Literatur eigentlich anders vorgestellt.
Kreativität wird von den Autoren gefordert, auch der Leser möchte diesen Weg mitgehen, das Buch im Kopf nach ganz eigenen Ideen neu formen und dem Kritiker sollten wir dies ebenfalls zugestehen, dies sogar fördern. Ohne offiziellen Auftraggeber hat man nämlich glücklicherweise völlige Narrenfreiheit, erst recht auf den eigenen Kanälen sowie auf der nach persönlichen Wünschen und Ideen gestalteten Webseite. Ich stelle gern noch einmal klar, dass es kein offizielles Gesetz der Literaturkritik gibt, nach dem man sich im Rahmen einer Buchbesprechung zu halten hat und auch die Qualität eines Buchinhalts unterliegt nicht exakten und hoch heiligen Kriterien – im Gegensatz zu z.B. der aufwendigen und nur zu speziellen Jahreszeiten möglichen Herstellung der Mon Cheri Kirsche.
Aber wer ist denn eigentlich so ein Blogger und wer dann ein Kritiker – darf ich das sein, darfst Du das sein, welche Taxistudiengänge muss man besucht, welche Hildesheimer Professoren in jahrezehntelanger, liebevoller Kleinarbeit abgeleckt und welche Literaturhypes verrissen haben, damit man sich die offizielle Spottdrossel ans aus reiner Ironie getragene Cordsakko heften und eine Meinung haben darf?
Offensichtlich stellt sich der durchschnittliche Leser beim Erwerb der von ihm bevorzugten Seiten so deppert an (man sieht sie schon den Zombies aus „The Walking Dead“ ähnlich durch die Läden wanken), dass man ihm nun immer jemanden mit offiziellem Erziehungsauftrag davorsetzen muss, der es eben besser weiß, der nachgewiesen ein Experte auf dem Gebiet ist und diesen armseligen Buchkäufer in seinem Verhalten korrigiert. Zudem kann nicht nur nicht einfach nach Lust und Laune gelesen werden – nein, erst recht darf nicht irgendwie und irgendwo über irgendwelche Bücher geschrieben werden. Das bedeutet Krieg und wie bei allen legendären Auseinandersetzungen weiß auch hier schon niemand mehr so richtig, wer eigentlich angefangen hat, wer zuerst einen alternden Feuilletonisten zu einer plappernden Booktuberin in den Ring geworfen und „Auf die Klischees, fertig, los!“ gerufen hat. Aber mit den Ringen geht die Katastrophe erst so richtig los – auch da weiß die Literatur Schlimmes zu berichten und das meist in mehreren Teilen.
Eventuell habe aber auch ich ein grundlegendes Problem und anstatt dies mit dem Therapeuten meiner Wahl zu besprechen, wende ich mich vertrauensvoll an Euch: Ich will und werde mich nicht entscheiden, das „oder“ wird in meiner Lebenseinstellung bevorzugt durch ein „und“ ersetzt. Ich lese Printbücher UND Hörbücher UND EBooks. Ich verlege UND lese UND blogge UND kritisiere, noch schlimmer, ich lobe Bücher. Lasst uns an dieser Stelle ehrlich miteinander sein – ich habe dabei stets den heimtückischen Hintergedanken, dass der Leser das von mir gelobte Buch kauft, eine schöne Zeit damit hat und diese Erfahrung im Idealfall weiterträgt – schieben Sie das ruhig auf mein bekannt einfaches Gemüt! Ich genieße Schmachtfetzen von Marian Keyes, blutige Splatterromane von Ketchum bis Fitzek, ich bade in den tief verwinkelten Schachtelsätzen von Gila Lustiger und Katharina Hartwell UND exakt diese Mischung führt zu meiner perfekten und vollkommenen Befriedigung. Ebenso geht es mir mit den Buchempfehlungen, die ich völlig wild und frei von Journalisten, Bloggern, Freunden und der Lieblingsbuchhändlerin beziehe und wenn ich mal einen richtig frechen Tag habe, lese ich sogar Amazonrezensionen nach. Man möge mir diese heiter ausgelebte Selbständigkeit lassen und auch allen anderen Lesern samt Twitteranten, Facebookern, BookTubern, und bitte, gerne, danke auch den Kulturedakteuren eine für ihn/sie passende Lektüreauswahl samt deren Besprechung zutrauen.
Pro Jahr gibt es mindestens 100.000 Neuerscheinungen – es ist also genug für alle da und auch das Internet findet für jeden ein Plätzchen. Vielfalt bedeutet Mehrwert und dies gilt für all unsere Lebensbereiche. Lasst die neuen Möglichkeiten, Netzwerke und Fürsprecher der Literatur eine willkommene Ergänzung sein und arbeitet mit-, nicht gegeneinander. Schreibt, lest, besprecht wie und wann und wo Ihr wollt, it’s your blog and your party, aber redet über Bücher, Himmel noch eins – BITTE sprecht miteinander über Bücher!
Bis zur nächsten Sitzung,
Eure Karla
Über Karla Paul
Karla Paul ist am Welttag des Buches geboren, seit mehr als einem Jahrzehnt literarisch im Netz aktiv.
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