Frauenrechte in Marokko
Autorin Kristina Herzog über den Hintergrund ihres neuen Krimis „Haremsblut“
In diesem Blogbeitrag beleuchtet Autorin Kristina Herzog den Hintergrund zu ihrem neuen Kriminalroman „Haremsblut“, in dem die Kommissare Alexander Rosenberg und Kathleen Neubauer in einem mysteriösen Vermisstenfall in Marokko ermitteln:
Ach Quatsch, einen Harem in Marokko gibt es doch nicht mehr, habe ich gedacht, bevor meine Freundin Gisela begann, mir ihre Geschichte zu erzählen. Doch dann begann ich, mich eingehender mit dem Thema zu befassen und die Rechte der Frauen in Marokko zu erforschen. Und gelinde gesagt ist das Thema Gleichberechtigung dort noch ferne Zukunftsmusik.
In Marokko ticken die Uhren noch ein bisschen anders als bei uns in unserer vermeintlich aufgeklärten westlichen Welt. Zwar hat der König 2004 das marokkanische Familienrecht reformiert, aber ein Gesetz reicht eben nicht aus, um die seit Jahrhunderten verinnerlichten patriarchalen, chauvinistischen Denkmuster zu ändern.
Die erste Amtshandlung des marokkanischen Königs Mohammed VI. war, Papas Harem aufzulösen, nachdem er 1999 an die Macht kam. Polygamie ist in Marokko bis heute erlaubt, wenn die Ehefrau und ein Richter zustimmen.
Obwohl Frauen in der marokkanischen Gesellschaft noch immer massiv diskriminiert werden, haben sich Frauen in den Städten durchaus höhere Positionen, z.B. als Professorinnen erkämpft. Trotzdem ist der öffentliche Raum von Männern dominiert. Frauen sind für gewöhnlich auch nicht in Cafés zu sehen, einem wichtigen Ort des Austausches in Marokko.
„Eine Frau, die in der Öffentlichkeit raucht, hohe Absätze und starke Schminke trägt, ist eine Prostituierte. Eine, die sich im teuren Kostüm und mit Laptop ins Café setzt, ist Ausländerin. Und eine, die sich besonders extrovertiert gibt, laut lacht oder singt, ist verrückt.“
So eine marokkanische Frauenrechts-Aktivistin (In: Frauen in Marokko: Die Minztee-Revolution, Goethe-Institut, Juni 2011).
Frauen sind nach der neuen Verfassung gleichberechtigt. Trotzdem sind Vergewaltigungen sehr weit verbreitet. Selten werden sie bestraft, meistens in dem von ausufernder Macht der Richter und von Korruption beherrschten System auch nicht angeklagt. Wenn eine Frau vergewaltigt wurde, muss sie in den Augen der in dieser Hinsicht gnadenlosen marokkanischen Gesellschaft entweder Prostituierte werden oder ihren Peiniger heiraten. Nach landesweiten Demonstrationen wurde §475 des marokkanischen Gesetzbuches von 1963, der eine Straflosigkeit des Täters regelte, abgeschafft, nachdem sich die 16jährige Amina Filali umbrachte, als sie gezwungen wurde, ihren Vergewaltiger zu heiraten.
Auch nichteheliche Kinder, geschätzt eine Million in Marokko, sind in einer katastrophalen Situation. Sie gelten als nicht existent und können so in der Regel keine Schule und keine ärztliche Praxis besuchen. Ebenso wie ihre Mütter werden sie oft von den Familien verstoßen und extrem diskriminiert, da der nichteheliche Geschlechtsverkehr verboten ist. Abtreibungen sind jedoch illegal.
Auch wenn es nur ein kleiner Prozentsatz ist, der sich der Belästigung von Frauen schuldig macht: In Marokko können sich Männer vieles erlauben, ohne dass es Reaktionen hervorruft. Die Frau ist in Marokko immer noch kein selbständiges Wesen, sondern Eigentum. Nur diejenigen, die bereits unter der Gewalt eines anderen stehen, entkommen den Belästigungen auf den Straßen. Immer noch weit verbreitet ist die Annahme, dass wenn Frauen ihre Freiheit haben wollen, sie dafür einen Preis zahlen müssen und die Männer nicht mit ihrer Kleidung und ihrem Körper provozieren dürfen.
2015 spazierten zwei junge marokkanische Studentinnen durch einen Souk. Der Besitzer einer Boutique begann plötzlich, sie lautstark zu beschimpfen. Immer mehr Männer eilten herbei und beleidigten die Frauen wegen ihrer angeblich zu kurzen Röcke. Sogar ein Stein soll geflogen sein. Als die Frauen verängstigt die Polizei riefen, wurden die beiden in Gewahrsam genommen und sollten wegen „unsittlicher Handlungen“ angeklagt werden, worauf bis zu zwei Jahren Gefängnis drohen. Nach landesweiten Demonstrationen wurden sie schließlich freigesprochen.
Vor allem Stadtmarokkanerinnen kämpfen gegen die Übergriffe und Ungleichbehandlung der Gesellschaft. Auf dem Land hat der Großteil der Frauen immer noch keine Schulbildung und kaum Chancen, sich zu wehren. Sie kennen die Gesetze oft gar nicht und haben auch keine Möglichkeit, ihre Rechte wahrzunehmen. Zum einen wegen des schlecht funktionierenden Justizapparats und zum anderen aus materieller Not. Knapp die Hälfte der Marokkaner muss mit einem Euro am Tag zum Leben auskommen. Laut Aussagen des Familienministeriums werden 6 Millionen Frauen, also zwei Drittel, regelmäßig Opfer von Gewalt. Die meisten Übergriffe gehen auf das Konto der Ehemänner.
Diese geduldeten Übergriffe durch Männer haben nichts mit dem Koran oder der Religion zu tun, auch wenn sich viele darauf berufen. Es ist vielmehr ein jahrhundertealtes Konstrukt von Männern für Männer, das sich erst sehr, sehr langsam zum Besseren wendet. Die Feministin Mona Eltahawy sagt: Feministin sein ist nahezu eine Notwendigkeit geworden, um in der arabischen Welt überleben zu können. Es muss sich etwas ändern und nur Feministinnen können das bewirken.
Kristina Herzog studierte nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr Jura und Mediation in Berlin und Heidelberg. Sie hat diverse Kurzgeschichten in Zeitschriften und Anthologien veröffentlicht. Ihr Kurzkrimi „Weit draußen“ wurde für den NordMordAward 2011 des Deich-Verlages nominiert, „Schlaf Lubo“ für den Kurzgeschichtenpreis des Candela-Verlages. 2013 erschien ihr Politthriller „Führers Vermächtnis“, im Jahr 2015 folgte ihr Krimi „Abschiedskonzert“, der erste Fall für das Ermittlerduo Rosenberg und Neubauer.
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