Im Interview zu seinem Roman „Tote Helden“ kommt nicht nur der Autor zu Wort, sondern vor allem auch seine Protagonisten.
Nach elf Bänden in der Erdwelt – wie schwer ist es da, in eine neue Welt hineinzufinden?
Naja, man muss im Kopf einen Strich machen und sich sagen: Neue Welt, neues Spiel. Und man muss auch über den eigenen Schatten springen, denn nach Erdwelt zurückzukehren, war immer ein bisschen so, als käme man nach Hause. Aber es hat großen Spaß gemacht, in neues, unentdecktes Territorium vorzustoßen und das nach und nach zu erkunden – und die Entdeckungsreise ist ja noch längst nicht abgeschlossen.
Wie unterscheidet sich Erdwelt von Astray?
In mehrfacher Hinsicht … Entstehungstechnisch war Erdwelt work in progress – als ich den ersten Band schrieb, hätte ich mir nicht träumen lassen, dass es einmal 11 Bände werden würden, entsprechend hat sich dieser Kosmos mit jedem Band der Saga beständig erweitert. Bei Astray ist es so, dass der Arbeit am ersten Band eine lange Vorbereitungsphase vorausging ist, in der dies neue Welt mit ihren Landschaften, ihren Völkern, Kulturen und auch Sprachen – die liegen mir ja immer ganz besonders am Herzen – entstanden ist. Erst dann begann ich, die Geschichte zu schreiben.
Astray ist ja eine gebeutelte Welt – etwas Furchtbares ist dort in der Vergangenheit passiert. Ein bisschen so, wie nach einem großen Krieg. Was reizt dich daran, so eine Welt darzustellen?
„Tote Helden“ zäumt das Pferd gewissermaßen von hinten auf – der Roman stellt die Frage, wie eine Fantasygeschichte eigentlich weitergeht, wenn die Queste zu Ende und die böse Macht besiegt ist. Was ist aus den Helden geworden? Und was aus ihrer Welt? Im Fall von Astray ist es so, dass diese letzte große Auseinandersetzung im wahrsten Sinn des Wortes tiefe Spuren hinterlassen hat. Und diese zu erforschen, schien mir eine reizvolle Idee zu sein.
Was wird zuerst lebendig, die Figuren oder die Welt?
In diesem Fall ganz eindeutig die Welt. Wobei ich aber schon vorher sehr konkrete Vorstellungen davon hatte, wer meine 7 Helden sein würden – dieses Wissen hat auch zur Entstehung der Welt beigetragen. Aber so richtig lebendig wurden die Figuren erst, als sie eine Welt hatten, in der sie sich entfalten konnten.
Wie gehst du vor, wenn du eine neue Welt baust? Überlegst du dir zuerst, welche Machtverhältnisse herrschen? Oder denkst du zuerst über geografische Gegebenheiten nach?
Das eine bedingt das andere. Im Fall von Astray war klar, dass es eine geteilte Welt sein würde – und das bedingt natürlich auch ihren Aufbau und die Verhältnisse, die dort herrschen. Ich wollte, dass Astray auch als Metapher auf unsere eigene Zeit und Welt verstanden werden kann.
Im Roman spielen Religionen eine wichtige Rolle, werden aber kritisch beurteilt …
Es sind nicht generell Religionen, die im Roman kritisch beurteilt werden, sondern blinder Fanatismus. Der Orden der Exekutoren, der im Westen vorherrscht, lehnt eine Religion und den Glauben an alles Übernatürliche ja rundheraus ab, ist dabei aber nicht weniger fanatisch als der in Ostray regierende Feuerkult.
Der Titel „Tote Helden“, spielt das auf das Schicksal deiner Figuren an?
In mehrfacher Hinsicht, ja.
Entstehen die Karten für das Buch bereits vor dem Schreiben? Wie wichtig sind diese für dich?
Im Fall von Astray waren sie von grundlegender Bedeutung, schon deshalb, weil diese Welt mit echten Entfernungen, Klimazonen etc. arbeitet – mir war wichtig, dass es wirklich stimmig und auch historisch nachvollziehbar ist. Schon früh gab es deshalb eine Skizze dieser Welt, mit der ich während der ganzen Schreibphase gearbeitet habe. Leider war das Ding ziemlich groß, so dass es ein bisschen unpraktisch war – bei der Arbeit an Teil 2, den ich gerade abgeschlossen habe, hatte ich dann schon die schönen Karten von Helmut W. Pesch auf dem Computer, die auch im Buch enthalten sind. In Band 1 zeigen wir den Nordwesten und den Südosten von Astray, im nächsten Band werden es andere Karten sein. So wird sich diese neue Welt dem Leser nach und nach erschließen.
Da Autoren ja eh nur die Götter der Geschichten sind, kommen jetzt die Personen zu Wort, die es wirklich betrifft: die Helden der Geschichten.
Den Fragen stellten sich die junge Diebin Bray, der Sänger Rayan, der Halbling Lorymar Thinkling, die Prinzessin Nyasha pan Tyras, der Exekutor Thorgon-Syn sowie die Astara Dana Jennara.
Es gab ja einige Actionszenen in diesem Buch. Wie halten Sie sich fit, damit Sie diese auch durchhalten?
Lorymar: Für mich ist das kein Problem. Halblinge altern anders und übrigens auch sehr viel vorteilhafter als Menschen. Da viele Szenen vorkommen, in denen ich trinken muss, trainiere ich viel und regelmäßig – morgens zwei Schoppen Wein und am Abend gleich noch zwei …
Jennara: Das war es nicht, was sie wissen wollte.
Lorymar: Nein?
Jennara: Sie wollte wissen, wie es um deine Fitness bestellt ist.
Lorymar: Das müsstest du doch am besten wissen. [lacht anzüglich]
Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist ja nicht immer ganz einfach. Wie erleben Sie Ihren Alltag?
Jennara: Da viele Szenen in Skaradag im Haus des Doppelten Mondes angesiedelt sind, kann ich gewissermaßen an meinem Wohnort arbeiten, ohne deshalb den Betrieb des Hauses unterbrechen zu müssen. Es handelt sich um ein Etablissement zur Vertiefung gesellschaftlicher …
Lorymar: Es ist ein Puff.
Jennara [beleidigt]: Das war unnötig.
Lorymar: Aber wahr.
Das Rollenbild der Frau erlebt in diesem Buch ja verschiedene Ausprägungen. Wir haben die quasi versklavte Nichte/Schwester, die keinerlei Selbstbestimmungsrecht hat bis zur selbstbewussten Diebin, die sich ihre Partner wählt, wie sie möchte. Wie haben Sie das für sich erlebt?
Bray: Für mich, die ich zum ersten Mal dabei bin, ist es eine großartige Erfahrung. Vor allem auch, weil ich mich von verschiedenen Seiten zeigen darf. Anfangs bin ich noch sehr unerfahren und naiv, bis ich dann nach und nach Fähigkeiten an mir entdecke, die ich nie für möglich gehalten hätte …
Jennara: Als Astara stehe ich über den Dingen. Zwar ist mir nichts Menschliches fremd, aber im Grunde betrachte ich die Menschen und ihr Treiben …
Lorymar [lacht wiederum anzüglich]
Jennara: … stets aus einer gewissen Distanz. Deshalb habe ich auch kein Problem damit, eine junge, unschuldige Prinzessin in meinem Haus arbeiten zu lassen.
Nyasha: Du vielleicht nicht – für mich ist es eine sehr erniedrigende Erfahrung, auf die ich nicht näher eingehen möchte. Man muss es gelesen haben, um es zu glauben.
Würden Sie sich als Feministin bezeichnen? Und falls ja, wie definieren Sie Feminismus?
Jennara: Das sind nicht die Kategorien, in denen ich denke. Ich bin eine Astara – und als solche stehe ich wie gesagt über den Dingen.
Bray: Aber ich denke in diesen Kategorien. Und ich kann es nicht ausstehen, wenn Kerle denken, dass sie besser sind als wir. Ich kenne viele männliche Diebe, die im Salz geendet sind und jetzt tot von den Zinnen der Eisernen Zitadelle hängen – ich dagegen bin immer noch da.
Was halten Sie von Sexszenen in Romanen? Speziell natürlich von denen in „Tote Helden“.
Jennara: Ich habe damit kein Problem. Solange sie durch die Geschichte gerechtfertigt sind.
Thorgon: Dazu möchte ich mich nicht äußern, das ist zu persönlich.
Rayan, Sie geben in dem Buch ja einige Lieder zum Besten. Was war denn bisher Ihr erfolgreichster Auftritt?
Rayan: Das erste Kapitel – mit diesem Lied trete ich seither bei Stammtischabenden und Junggesellenabschieden auf. Aber auch das Lied der Sieben ist ein echter Evergreen …
Bray: Den ich auch lernen musste. Was nicht einfach war, da ich keinerlei musikalische Ausbildung habe – ich wuchs als Diebin in Skaradag auf.
Rayan: Du bist ein Naturtalent.
Bray: Danke sehr.
Woher kommen Ihnen denn die Ideen zu Ihren Liedern?
Rayan: Einerseits greife ich natürlich auf traditionelles Liedgut zurück, das in manchen Landstrichen schon ganz in Vergessenheit geraten ist. Andere Texte improvisiere ich auch zu bekannten Melodien. Ich reime dann, was mir gerade in den Sinn kommt – was manchmal leider unabsehbare Folgen hat… [wird leiser und schüttelt den Kopf, will nicht weiter sprechen]
Sind Sie heute noch vor Auftritten aufgeregt?
Rayan: Tut mir leid. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.
Es gibt ja die unterschiedlichen Rassen in diesem Buch: Menschen, Dwarge, Halblinge, Astari und andere. Sind Sie denn schon mal aufgrund Ihrer Herkunft diskriminiert worden?
Lorymar: Soll das ein Witz sein? Ständig! Es fängt schon damit an, dass ich immer diesen dämlichen, viel zu großen Turban tragen muss. Und alle sagen, dass ich ein Dwarg sei! Dabei bin ich ein Halbling, verstanden? Das schreibt man H – A – L – B …
Jennara [mit genervtem Augenaufschlag]: Sie weiß, wie man das schreibt. Sie schreibt für einen Verlag, der Fantasy-Bücher macht.
Lorymar: Na und? Das sagt gar nichts!
Wenn wir uns die politische Lage im Land betrachten, wie groß schätzen Sie die Spaltung zwischen oben und unten, arm und reich ein?
Bray: Bei uns in Skaradag gibt es nur oben und unten, und nichts dazwischen. Die reichen Kaufleute und Saliger leben in Rikstedt, die armen Tagelöhner in den Rattenlöchern von Darlik. Das ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit.
Lorymar: In Ostray, wo ich zu Beginn der Geschichte lebe, ist es besser – hier hat sich ein großes Reich etabliert, in dem die Menschen in Frieden und Wohlstand leben. Hier gibt es sogar Universitäten und Badehäuser – davon kann man in meiner alten Heimat nur träumen.
Wenn Sie die Herrscher im Buch mit Regierungschefs wie Erdogan, Trump oder Putin vergleichen – wie fällt das auf?
Thorgon: Großartige Leute! Jeder einzelne ein Quell der Inspiration!
Wie reagiert Ihr Umfeld, Ihre Familie, Ihre Freunde auf Ihren Erfolg als Exekutor?
Thorgon: Großexekutor, bitte. Eine Familie, die mir meinen Erfolg neiden könnte, habe ich nicht. Und übrigens auch keine Freunde. Nur Diener und Speichellecker, und die finden mich alle großartig.
Lorymar, Sie übernehmen in „Tote Helden“ ja eine recht zwiespältige Figur. Kein Sympathieträger auf den ersten Blick. Wie würden Sie Ihre Figur beschreiben? Was hat Sie an der Rolle interessiert?
Lorymar: Im Grunde spiele ich mich ja selbst … ich bin dieser Halbling, der von seiner Vergangenheit verfolgt wird, der einsam ist und zerrissen ist zwischen den Welten und der seinen Kummer im Alkohol zu ertränken sucht … Vielleicht wollen wir uns ja nachher noch in aller Ruhe darüber unterhalten. Nur wir beide, bei einem Schoppen Wein …
Jennara: Schwerenöter!
Welche Rollen würden Sie in Zukunft gerne mal spielen?
Lorymar: Ich hatte schon viele Angebote auf dem Tisch, die ich alle abgelehnt habe – der Kerl, der diesen Ring findet, wollte ich ebenso wenig sein wie der, der ihn am Ende wieder wegschmeißt. Aber ich glaube, als Rhett Butler in Vom Winde verweht könnte ich ganz gut sein …
Bray [prustet leise]
Lorymar: Daran ist nichts witzig.
Sie sprechen in dem Buch ja dem Wein in besonderem Maße zu. Welches Getränk würden Sie sich in einer Bar bestellen?
Lorymar: Ambrosiak. Das Zeug trinken sie in Altashar, und es haut wirklich rein.
Wenn es eine Sache gäbe, die Sie an sich ändern könnten, welche wäre das?
Lorymar: Ehrlich, ich habe keine Ahnung.
Jennara, was würden Sie Ihrem jüngeren Selbst empfehlen?
Jennara: Die Finger von Dingen zu lassen, die es nichts angehen.
Lorymar: Dito.
Wenn Sie Ihr Leben mit einer Titelmelodie untermalen könnten, was für einen Song würden Sie nehmen?
Rayan: Abba – Thank You For The Music.
Thorgon: Frank Sinatra – My Way.
Jennara: Elvis – You Are Always On My Mind.
Bray: Aretha Franklin – Respect.
Nyasha: Michael Jackson – Stranger in Moscow.
Lorymar: Wieso? Wir gehen doch gar nicht nach Moskau. Das kommt noch nicht mal vor.
Nyasha: Aber ich bin in der Geschichte eine Fremde.
Lolymar: Blödes Lied, blöder Sänger. Meins ist Man In The Mirror. Von wem war das noch mal?
Wer kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie das Wort erfolgreich hören?
Lorymar: Was glauben Sie, warum mein Lieblingssong Man In The Mirror heißt?
Glauben Sie an Wunder?
[alle blicken nervös zu Thorgon-Syn]
Rayan: Ich denke, dazu will sich zu diesem Zeitpunkt niemand von uns äußern.
Rayan, welche Jugenderinnerung hat Sie besonders geprägt?
Rayan: Ohne Frage diese hier [auf die Narbe in seinem Gesicht deutend].
Was hat Sie dazu bewegt, das zu tun, was Sie heute tun?
Rayan: Ich hatte offen gestanden nie die Wahl. So ist das, wenn man … [blickt erneut in Thorgons Richtung] Nun ja, wenn man ein wenig anders ist …
Haben Sie Angst vor dem Tod?
Thorgon: Soll das eine Fangfrage sein?
Welchen Toten würden Sie gern wiedersehen?
Jennara: Wissen Sie … Ich glaube, wir alle sollten sehr vorsichtig sein mit dem, was wir uns wünschen.
Vielen Dank für dieses Gespräch!
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