Einleitung
Dreitausend. Dreitausend Häuser wurden bei der Flutkatastrophe 2021 von der Ahr überschwemmt, ihre Keller mit Schlamm gefüllt, ihre Gärten mit giftigem Schlick bedeckt, manche ihrer Bewohnerinnen und Bewohner sind ertrunken. Trotzdem sollen sie bald wieder so aufgebaut werden, als sei nichts geschehen. Als hätte das idyllische Tal mit den Weinbergen nicht gerade erst die tödlichste und teuerste Hochwasserkatastrophe der Bundesrepublik erlebt.
Dass diese Stadt und das Land es offenbar in Kauf nehmen, Menschen wieder in der Gefahrenzone anzusiedeln, hat selbst uns überrascht, obwohl wir als Journalistinnen schon seit Jahren zur Klimakrise recherchieren – und deshalb wissen, wie mangelhaft wir auf ihre Folgen vorbereitet sind. Diese Menschen in den 3000 Häusern, die nun vor jedem Starkregen Angst haben müssen, waren ein wichtiger Anlass, dieses Buch zu schreiben. Diese Menschen und alle Bürgerinnen und Bürger, die künftige Hitzewellen überstehen, Hochwasser überleben und Erdrutsche aushalten müssen. Denn sie alle sind es, deren Leben mit der Klimakrise in Gefahr gerät – nur: Bislang spricht kaum jemand darüber, wie wir uns auf diese Veränderungen einstellen müssen. Dabei sprechen die Weltklimaberichte mittlerweile eine recht deutliche Sprache. Deren Autorinnen und Autoren aus aller Welt geben klare Hinweise, wie Extremwetterereignisse als Folge der Klimakrise unsere Lebenswelt bedrohen. Im Sommer 2021 enthielt der erste Teil des 6. Weltklimaberichtes erstmals ein eigenes Kapitel über Wetterextreme. Gleichzeitig werden die Klimamodelle immer besser, sodass regionale Phänomene besser abgeschätzt werden können. Und es gibt verlässliche Berechnungen, die den Anteil des Klimawandels an einem Wetterereignis beschreiben – und zeigen, dass solche Katastrophen wie im Ahrtal keine „Ausreißer“ oder Zufall sind.[i]
Dennoch: Die nötige Anpassung an die Wetterextreme der Klimakrise ist in Deutschland kaum ein Thema, weder im Bundestag noch in den Medien, ja selbst bei Fridays for Future nicht. Doch unsere Recherchen zeigen: Wir müssen darüber ins Gespräch kommen und Maßnahmen ergreifen. International betrachtet gibt es längst ganze Staaten, die von Extremwetter bedroht sind – erinnert sei etwa an die verheerenden Brände in Kalifornien oder die Überschwemmungen in Bangladesch. Oder kleinere Länder wie Puerto Rico, Myanmar und Haiti, die im jährlichen Klima-Risiko-Index ganz oben stehen und in einem Jahr gleich mehrere Ereignisse verarbeiten müssen.[ii]
Doch auch wir werden nicht verschont. Dieses Buch will darüber aufklären, wie wir in Deutschland Wetterextreme nicht nur überleben, sondern uns vor ihnen schützen und uns rechtzeitig vorbereiten können. Denn dass die Welt, unsere Städte und unser Alltag sich ändern müssen in einer heißeren Welt, ist inzwischen unstrittig. Es dämmert nun Politikerinnen und Bürgern, dass auch Deutschland kein so sicheres Land ist, wie alle immer geglaubt haben. Die Vorstellung, die Republik sei ein sicherer Hafen, an der der Klimawandel vorbeigehe, ist obsolet geworden. Deutschland ist vielleicht beim Katastrophenschutz besser gerüstet als weit entfernte Dörfer in Mittelamerika oder in Bangladesch – aber trotzdem schlecht auf die Naturgewalten vorbereitet, an deren Frequenz man hierzulande nicht gewöhnt ist. Auch das hat uns bei den Recherchen für dieses Buch erstaunt: Wir sind auf die Veränderungen, die mit rasender Geschwindigkeit auf uns zukommen, nicht vorbereitet. Aus Geiz, Unwissenheit und Profitgier treffen wir an vielen Stellen nicht die nötigen Vorbereitungen, um unsere Bevölkerung zu schützen. Das grenzt an Fahrlässigkeit.
Mit diesem Buch wollen wir diese Verfehlungen sichtbar machen, aber wir wollen auch ganz praktisch dazu beitragen, dass Menschen in Deutschland sich auf die Krise vorbereiten können, ja, sie zu überleben lernen. Wir wollen zeigen, wie ein Land aussehen kann, in dem Bürgerinnen und Bürger städtische Hitzenächte überstehen, in denen unsere Ernte in dürren Zeiten sicher eingefahren werden kann und Menschen in Bergdörfern vor Steinschlägen geschützt werden. Denn die Klimaforschung kommt zu eindeutigen Prognosen: Die Ereignisse, die uns schon jetzt zusetzen, werden sich mehren und verstärken. Um zu erfahren, wie gut oder schlecht Deutschland für die Klimakrise gerüstet ist, haben wir monatelang die deutschen Behörden – von der Regierung in Berlin bis in die Stadtverwaltungen – mit Fragen gelöchert und unzählige Menschen vom hohen Norden bis in den tiefen Süden der Republik getroffen, die sich genau darüber bereits den Kopf zerbrechen: Wir sind mit Stadtplanerinnen durch betonlastige Innenstädte gelaufen, um Hitzeinseln zu verstehen, sind mit Biologen und Forstwissenschaftlern durch den bayerischen Forst gestreift, im Harz gewandert und haben abgebrannte Kiefernwälder in Brandenburg besichtigt. Wir sind mit Geografen im Hochgebirge über metertiefe Erdspalten geklettert, standen mit Landschaftsökologen im Wattenmeer und sind mit Geologen in eisige Tunnel an der Zugspitze geklettert. Wir standen mit Weinbäuerinnen an den Hängen der Mosel, sind mit Bodenökologen über Test-Äcker in Sachsen-Anhalt gelaufen und haben mit einem Hüttenwart des Alpenvereins über seine bedrohten Bergunterkünfte gesprochen. Dieses Buch ruht sich nicht darauf aus, die Zukunftsängste und Bedenken zu beschreiben. Wir wollten wissen, was jetzt getan werden müsste. Die Wissenschaftlerinnen, Landwirte und Umweltschützerinnen, die wir trafen, haben alle große Ideen, wie wir Deutschland krisenfest machen können. Die meisten sagten uns auch: Es geht nur mit der Natur und nicht gegen sie. Anpassung heißt nicht Betonbunker zu bauen und uns in Prepper-Manier vor der Katastrophe zu verstecken. Wir müssen unser Verhältnis zur Umwelt neu überdenken und unsere Infrastruktur umbauen. Beides schützt nicht nur uns, sondern hilft in den meisten Fällen auch der Natur, resilienter zu werden. Es ist ein Geben und Nehmen – keine Konfrontation. Und Expertinnen warnen: Wir dürfen keine Zeit verlieren. Wir müssten es jetzt anpacken.
Die Herausforderungen sind tatsächlich riesig. Folgende Klimarisiken könnten das Leben in Deutschland verändern – und damit der Bevölkerung gefährlich werden:
● Extreme Hitze bedroht unsere Gesundheit.
● Bei Trockenheit und Niedrigwasser mangelt es an Trinkwasser, Landwirte und wasserintensive Industrien wie Chemie- und Kraftwerke müssen den Betrieb einstellen.
● Starkregen, Sturzfluten und Hochwasser bringen kritische Infrastrukturen wie Krankenhäuser und Kraftwerke in Gefahr, und auch viele Häuser und Wohnungen sind hochwassergefährdet.
● In den Hochgebirgen drohen Hangrutsche und Steinschlag, wenn es eine Häufung von Starkregenereignissen gibt und in hohen Zonen zudem der Permafrost schmilzt.
● Durch höhere Meeresspiegel sind Küstenzonen größeren Hochwasser- und Flutrisiken ausgesetzt, Städte und Dörfer können überschwemmt werden.
● Wälder könnten durch Wassermangel anfällig für Schädlinge werden und weiter großflächig absterben – und damit ihre Funktionen für Biodiversität, für Tierarten, saubere Luft und CO2-Speicherung verloren gehen. Waldbrände können Siedlungen gefährden und die Luftqualität stark belasten.
● Moore könnten weiter ausgasen und zu gefährlichen Brandherden und degradierten Böden werden
Wie stark diese klimatischen Veränderungen das Leben in Deutschland einschränken werden, hängt davon ab, wie gut wir gegen diese Risiken gewappnet sind. Es gibt eine Fülle an potenziellen Gefahrenquellen durch Extremwetter – aber bisher werden die Risiken nur begrenzt erfasst. So will das Bundesumweltministerium in den nächsten Jahren zwar ein Klima-Schadenskataster aufbauen. Dort sollen langfristige Schäden und Schadenskosten durch den Klimawandel gebündelt werden. Man wolle wissen, wer am meisten unter den Folgen des Klimawandels leidet und was Schäden und Vorsorgemaßnahmen wirklich kosten. Nur so könne man die Bedarfe besser abschätzen. Das verkündete das Ministerium im Sommer 2021 nach der Katastrophe im Ahrtal, als Tausende Menschen ihr Zuhause verloren hatten. Die Politik scheint den Ereignissen hinterherzueilen, statt ihnen voraus zu sein.
Welchen praktischen Nutzen dieses Kataster hat, und ob nach der Erkenntnis auch konkrete Maßnahmen folgen – was ja das Entscheidende wäre –, ist noch offen.
Für Prävention fehlen der Wille und das Geld
Wie viel Geld in den nächsten Jahren wirklich gebraucht wird, um Deutschland fit für die Folgen der Klimakrise zu machen, ist ebenfalls noch nicht beziffert. Klar ist nur, dass die bisherigen Summen im Gegensatz zur Schadensbeseitigung bei bereits stattgefundenen Katastrophen lächerlich gering sind: Die alte Bundesregierung hat einer einzelnen Region – dem Ahrtal – im August 2021 mit ihrem Wiederaufbaupaket 30 Milliarden Euro zugesagt. Bei der Vorsorge ist man nicht so großzügig. Zählt man die reinen Anpassungsprogramme für ganz Deutschland zusammen – ausgehend von den Förderungen des Bundes –, kommt man gerade einmal auf 1,5 Milliarden Euro zusätzliche Mittel pro Jahr.[iii]
Die neue Bundesregierung hat den Mangel erkannt, aber auch ihre Pläne wirken angesichts der enormen Aufgabe noch relativ ambitionslos: Das Sofortprogramm von Umweltministerin Steffi Lemke, das sie im Frühjahr 2022 vorstellte,[iv] sieht bis 2026 zusätzliche 60 Millionen Euro vor, um Städte und Gemeinden für Extremwetterereignisse zu wappnen. Nach unseren Recherchen ist diese Summe bei Weitem nicht ausreichend – geht es doch um einen umfassenden Umbau von Innenstädten, Küstengebieten und Anbauweisen in der Landwirtschaft. Auch Klimaexperten erklärten uns auf Nachfrage, dass bei 11.000 Kommunen rechnerisch nur eine Summe von 1250 Euro pro Kommune für jeweils vier Jahre bereitgestellt würde – ein Witz angesichts der Herausforderungen. Die Kleckerpolitik geht also auch unter der Ampel weiter.
Dabei hieß es noch im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung, man wolle die Klimaanpassung mit „ausreichend finanziellen Mitteln ausstatten“. Aber auf Anfrage, wie viel Geld in Deutschland eigentlich dafür gebraucht wird, gab es auch hier beim Wirtschafts- und Umweltministerium nur ausweichende Antworten.
Die Verzögerungstaktik übersieht auch einen finanziellen Faktor: je fragiler und anfälliger die Infrastruktur, desto höher auch die Verluste. Fehlende Vorsorge wird richtig teuer. Die Kosten für Klimaschäden in einem „normalen Jahr“ ohne Jahrhundertflut wie 2019 beziffern Versicherer bereits auf mehr als das Doppelte – auf rund 2,7 Milliarden Euro.[v] Hinzu kommen steigende Gesundheitskosten bei Hitzewellen oder durch Verletzte bei Extremwetterereignissen. Nicht eingerechnet sind auch wirtschaftliche Verluste, beispielsweise durch das Waldsterben. In einem Katastrophenjahr wie 2021 oder dem Hitzejahr 2018 vervielfachen sich dann die Kosten entsprechend.
Dabei spricht der Weltklimarat seit seiner Gründung von „Mitigation AND Adaption“ – also von der Abmilderung der Klimakrise durch reduzierte Emissionen UND der Anpassung an die Folgen der Krise. Der 6. Bericht des internationalen Klimarates IPCC hat die Anpassung als unerlässlich bezeichnet: „Die Gesundheit von Menschen und das Bestehen von Eigentum, kritischer Infrastruktur und Transportsystem sind zunehmend bedroht von Wetterextremen wie Hitzewellen, Stürmen, Dürren und Überschwemmungen.“ Lebensbedrohliche Konsequenzen der Klimakrise könnten nur verhindert werden, wenn alle Menschen daran beteiligt werden, sich auf diese Ereignisse vorzubereiten.[vi] Schon heute sind bis zu 3,6 Milliarden Personen besonders verwundbar. Sie leben in Regionen, die besonders von den Folgen des Klimawandels betroffen sind – das ist fast die Hälfte der Weltbevölkerung. Und damit sind nicht nur ferne Länder gemeint: „Es gibt keinen Kontinent, der verschont bleibt“, sagt Hans-Otto Pörtner, einer der Leitautoren des Weltklimaberichts und Klimaforscher am Alfred-Wegener-Institut (AWI).
Einige Informanten in Behörden, die nicht namentlich genannt werden wollen, sprechen von einer jahrelangen Vernachlässigung des Themas – gerade beim Katastrophenschutz. „Während die Diskussionen im Bereich des Klimaschutzes immer differenzierter werden, haben sie, was Prävention angeht, zum Bevölkerungsschutz noch nicht einmal begonnen“, sagt Martin Voss, Leiter der Katastrophenforschungsstelle (KFS) an der Freien Universität Berlin.[vii] Unsere Gesellschaft sei insgesamt darauf gepolt, Risiken auszublenden und sich zugleich kein Bild davon zu machen, wo die Grenzen der Schutzmöglichkeiten liegen. Voss fällt ein hartes Urteil: „Insgesamt kann in Deutschland von einem präventiv ausgerichteten Bevölkerungsschutz, wie in internationalen Vereinbarungen gefordert, nicht gesprochen werden.“ Bevölkerungsschutz müsse zum „Dreh- und Angelpunkt“ nachhaltiger Entwicklungen werden. Voss versteht darunter weit mehr als nur bessere Notfallpläne – für ihn gehört auch dazu, die Verbraucherinnen und Verbraucher vor schädlichen Produkten zu schützen, die Raumplanung auf Katastrophen auszurichten oder zu bewerten, was bestimmte staatliche Leistungen für den Schutz des Einzelnen bringen. Ein umfassendes Konzept, das seiner – und unserer – Einschätzung nach fehlt.
Deutschland ist keinesfalls der Musterschüler, der er zu sein vorgibt. Nach einer Liste mit Best-Practice-Beispielen für die Vorsorge vor Extremwetterereignissen des Umweltbundesamtes sind auch Länder dabei, die vielleicht auf den ersten Blick erstaunen. So hat beispielsweise Mexiko bereits seit 2009 einen nationalen Risikoatlas.[viii] Deutschland sticht nur beim Thema interaktive Hochwasserkarten heraus – doch wie wir zeigen, nützen die schönsten Karten nichts, wenn trotzdem auf den Flächen gebaut wird.
Außerdem werden wir für technische Regeln für Anlagensicherheit gelobt, die aber nicht einmal verbindlich sind. Für das Buch haben wir uns durch sperrige Dokumente gearbeitet, immer auf der Suche nach verbindlichen Vorschriften für Chemiefabriken, für Zwischenlager von Atommüll, für Kraftwerksbetreiber und Krankenhäuser – um dann festzustellen: Die Pläne sind vorhanden, die Expertise ist vorhanden, aber auf sie folgt nur sehr wenig Einsatz.
Auch bei wichtigen Themen wie Frühwarnsystemen sind andere Länder bereits viel weiter.[ix] Deutschland hat noch viel nachzuholen, bestätigen uns Expertinnen und Experten – etwa bei der Warnung vor Sturzflutereignissen. Das wird nach der tödlichen Überschwemmung im Ahrtal auch niemand mehr abstreiten. Doch muss immer erst eine Katastrophe passieren, damit wir uns solche unbequemen Wahrheiten eingestehen?
Was fehlt, ist nicht nur Verbindlichkeit, sondern auch Koordination und Verantwortung. Anpassung funktioniert bisher nach dem Motto „alles kann, wenig muss“. Deutschland hat zwar bereits seit 2008 eine nationale Anpassungsstrategie – abgekürzt DAS –, allerdings existiert erst seit Juni 2021 ein Zentrum für Klimaanpassung, das Gemeinden und Kommunen berät. Wer sein Dorf oder seine Stadt an die Klimafolgen anpassen will, kann dafür Geld vom Bund oder den Ländern bekommen und an wirklich spannenden Programmen teilnehmen – aber muss sich häufig durch mehrstufige Bewerbungen quälen. Bei dem zentralen Förderprogramm DAS gingen 2020 189 Anträge ein – bei insgesamt rund 11.000 Gemeinden in Deutschland. Alles in allem wurden in den Jahren 2020 und 2021 gerade einmal 40 Anträge positiv beschieden. Das bedeutet: Weniger als ein halbes Prozent der Kommunen wurde darin gefördert, sich auf Hitzewellen und Hochwasser vorzubereiten.[x]
Andere Programme sind enorm kleinteilig: So können sich soziale Einrichtungen um die Förderung eines „Sonnensegels“ oder Wasserspenders bewerben. Im ersten Antragsjahr gingen 600 Anträge dafür ein – angeblich eine „unerwartet hohe Nachfrage“, wie es vom Bundesumweltministerium heißt. In Wahrheit ist auch diese Zahl angesichts des eigentlichen Bedarfs vollkommen ernüchternd: Denn allein die Freie Wohlfahrtspflege zählt über 100.000 Einrichtungen in ganz Deutschland.[xi]
Bereits seit 13 Jahren gibt es die „Deutsche Anpassungsstrategie an den Klimawandel“. Damit soll die „Verletzlichkeit der deutschen Gesellschaft“ verringert und die Anpassungsfähigkeit erhalten oder „sogar gesteigert“ werden. Doch was konkret dabei herauskommt, ist eher etwas für Fachleute als für Praktiker. Und dort, wo Klimaanpassung stattfinden muss, in den Städten, ist kaum Geld da. Ein langjähriger Experte, der schon Dutzende Kommunen beraten hat, erzählt uns von den hoffnungslos niedrigen Budgets, die Städte für diese Zukunftsaufgabe bereithalten: Viele sehen dafür ein paar Tausend Euro vor – „während sie für Hunderttausende jedes Loch im Asphalt füllen“. Mit ein paar Tausend Euro aber, so der Experte, der anonym bleiben will, ließe sich gerade einmal eine Broschüre drucken – selbst zum Verteilen außerhalb des Rathauses aber reiche das Budget oft nicht. Und so passiert in vielen Kommunen bislang einfach nichts.
Wir sind verwundbar
Was es bedeutet, den Naturgewalten ungeschützt ausgeliefert zu sein, erzählten uns Betroffene im Ahrtal. Ihre Geschichten warnen eindringlich davor, Bedenken wegzuwischen und sich darauf zu verlassen, dass es schon nicht so schlimm wird. Deshalb sollte man den Menschen aufmerksam zuhören, die bereits Opfer solcher Naturkatastrophen geworden sind. Ihre Geschichten zeigen, dass es nicht nur um Leben und Tod, sondern auch um traumatische Erlebnisse und den Verlust von privatem Besitz und Erinnerungen geht. Bei solch einem Ereignis gibt es für die Betroffenen nur ein Leben vorher und ein Leben nachher.
Im August 2021 treffen wir Frau Stahl auf der Terrasse ihres zerstörten Hauses in Ahrweiler. Sie hat Tränen in den Augen und erzählt von der Nacht, als das Wasser kam. Es sind Szenen, die ihr Leben für immer veränderten. Wenige Stunden, die ihre Existenz zerstörten.
Erst floss nur wenig Wasser langsam die Straße vor ihrem Haus hinunter, es regnete in Strömen, die Wolken hingen tief im Tal. „Niemand rechnete mit einem Hochwasser.“ Dann riet die Nachbarin ihr, das Auto wegzufahren. Doch selbst da glaubte noch niemand an eine Katastrophe. Wie jeden Abend saß ihr lungenkranker Mann im Garten, die Hühner hatten sich in ihren Stall zurückgezogen, der Hund hielt ein Nickerchen. Alles wie immer. Doch dann folgte der Albtraum: Frau Stahl fuhr das Auto auf eine Anhöhe. Ihr Mann blieb allein zurück, als plötzlich das Wasser stieg. Es gluckste und zischte, erst trieben Möbel vorbei, dann Autos, der Strom fiel aus, Lastwagen verfingen sich in Bäumen, Menschen riefen in der Dunkelheit um Hilfe, Leichen trieben vorüber.
Erst am nächsten Morgen konnte sie ihren Mann aus dem überschwemmten Haus retten, er hatte sich in das obere Stockwerk begeben. Noch heute sei er traumatisiert, erzählt Stahl, weil er sich so schrecklich hilflos gefühlt habe. Das Telefon funktionierte nicht, und bis Stahl ihren Mann schließlich aufsuchen konnte, bangte sie jede Minute mehr um sein Leben.
Der 61-Jährigen sitzt der Schreck immer noch in den Knochen, doch sie will ihre Geschichte erzählen. Viele Betroffene im Ahrtal wollen bei unserem Besuch im Krisengebiet mit uns reden – alles ist besser, als nach ein paar Monaten wieder vergessen zu werden. Als wir Frau Stahl besuchen, stecken wir mitten in unserer Recherche für dieses Buch. Die Realität hatte uns dabei überholt. Das Hochwasser im Juli 2021 produzierte apokalyptische Bilder mitten im Wahlkampf für die neue Bundesregierung. Ihre Botschaft war eindeutig: Wir sind verwundbar. All unsere SUVs, Klimaanlagen, iPhones und Wetter-Apps können uns nicht schützen, wenn das Wetter verrücktspielt. Und das Wetter spielt immer häufiger verrückt in der Klimakrise.