Helge Timmerberg: Autorenporträt und Bücher
„Timmerberg ist ein ewiger Hippie, aber ein guter, einer mit Humor.” Literatur Spiegel
Helge Timmerberg war nie ein Pauschaltourist: Schon früh bereiste er Länder, von denen andere nur träumen, traf Menschen, denen andere nie begegnen. Er hat Waffenschieber, Flamencotänzerinnen und Gurus getroffen, ist nach Indien, Japan, Marokko und Andalusien gereist, um in seinen Reisereportagen den Geist verschiedener Kulturen, Länder und Menschen einzufangen. In seinem neuen Buch widmet er sich einem Thema, das er sehr gut kennt - Canabis.
Pointierter Standpunkt zu einer überfälligen Debatte
„Ich kenne die Droge zu gut, um sie zu verherrlichen oder zu verteufeln. Ich kenne die Kiffer-Paranoia, ich kenne die Abhängigkeit, ich kenne den Krümel zu viel, der dich zum Esel macht, wie den korrekten Krümel, der die Kreativität entfacht – und ich schreibe darüber, ich lass da nichts aus. Glücklicherweise habe ich keine Mission. Ich mache mich nur auf: Schaut her, so ist das Kifferleben.“
Helge Timmerberg
Helge Timmerberg feiert Geburtstag und schenkt sich selbst und uns allen ein Buch zum Thema „Siebzig“.
„Fast siebzig Sommer liegen hinter mir, und wenn dieser hier der letzte wär, was würde ich dann tun? Ohne akute Schmerzen zum Zahnarzt gehen? Nein. Das Buch weiterschreiben? Ja. Aber nur zum Spaß. Und was ist mit der Zukunft und all ihren Belangen? Geld, Gesundheit, Beziehungsstatus? Würde ich in meinem letzten Sommer noch heiraten? Warum nicht, wenns keine Umstände macht. Kinder zeugen? Auch das, wenns noch klappt. Muss aber nicht sein, wirklich nicht. Es ist interessant zu beobachten, was passiert, wenn man die Gedanken an morgen nicht mehr akzeptiert.“ Helge Timmerberg
Das Mantra gegen die Angst
Das Mantra „Om Gam Ganapataye Namaha" vertont von Manfred Holub und Helge Timmerberg zu seinem Buch „Das Mantra gegen die Angst -Ready for everything".
Helge Timmerberg über die Arbeit zu seinem Buch „Das Mantra gegen die Angst ...”
In meinem Beruf gibt es kein Erst-mal-ankommen-und-dann-an-die-Arbeit. Es gibt auch keinen Feierabend, kein Päuschen zwischendurch, kein Wochenende, keinen Krankenstand, kein Blaumachen. Es gibt nicht mal den Dienst nach Vorschrift. Sobald ein Reiseschriftsteller den heiligen Boden seines Themas betritt, ist Schluss mit lustig. Durchgehend. Vom Start weg bis zur Rückreise ackert er sich durch sein Buch. Vielleicht geht er darin verloren, vielleicht kommt er wieder raus, vielleicht geht er den Weg der Helden. Ich erzähle der Runde gern davon.
„Seit Homer sind alle guten Bücher und seit › Rocky I ‹ alle guten Filme nach demselben archaischen Muster gestrickt. Man nennt es den Mythos des Helden. Erst gammelt er rum, dann kommt die Aufgabe, und er geht los. Als Nächstes hat er es mit Prüfungen zu tun, eine schwerer als die andere, und wenn er sie besteht, kriegt er das halbe Königreich und fickt die Prinzessin.”
„Es sei denn, er ist schwul“, sagt Scarlett. „Dann ist der Prinz fällig“.
Scarletts britischer Humor in Kombination mit einer eigenwilligen Fastenkur, die Essen verbietet, aber Alkohol nicht, ist eine Oase in der Wüste meiner Ernsthaftigkeit. Bin ich wirklich hier, um von Kashinath für ein Buch über sein Mantra gegen die Angst autorisiert zu werden? Oder bin ich hier, weil ich hier sein wollte? Oder, auch das könnte ich mich fragen, bin ich hier, weil ich hier bin. Endlich wieder im Himalaja. Endlich wieder in Götternähe. Endlich wieder zu Haus. In der alten Heimat. Ich war jahrzehntelang davon überzeugt, die Gegend aus einem meiner früheren Leben wie meine Westentasche zu kennen, mittlerweile glaube ich nicht mehr an Reinkarnation, aber sobald ich hier bin, geht es wieder los. Ich will das nicht. Aber ich genieße das Gefühl.
Auf dem Rückweg zum Gokarna Forest Resort verstärkt es sich. In Bodnath klappt man früh die Bürgersteige hoch, es ist noch längst nicht Mitternacht, aber auf der Straße sind nur noch Hunde zu sehen. Menschenleer, kein Verkehr, ein Taxi und ich hintendrin. Für meinen Rücken ist das möglicherweise weiter schlimm, aber ich merke es nicht mehr so sehr, weil ich beschwipst bin. Der Rotwein federt die Schlaglöcher ab, das Heimatgefühl breitet sich wie eine Fruchtblase im Wagen aus, der Fahrer schweigt. On the road again.
Aus „Das Mantra gegen die Angst oder Ready for everything”
Vier Fragen an Helge Timmerberg
Reisen bedeutet für mich …
R wie raus,
E wie endlich,
I wie immerfort,
S wie Süden,
E wie erleben,
N wie No problem
Mein schönster Moment auf Reisen war …
... wenn Vergangenheit und Zukunft keine Rolle mehr spielten.
Darauf freue ich mich noch …
… Indien zum 70.Geburtstag.
Was habe ich auf Reisen gelernt?
Es gibt kein Heimweh, das nicht in einer Nacht besiegt werden kann.
„Die Geschichte hätte auch meine Oma hingekriegt, weil so viel schiefgelaufen ist. Nur wenn alles glattläuft, wird es nachher schwer. Wenn ein Zuckerguss jede Erinnerung an die Reise versüßt, kriegt kein Schwein die Geschichte hin, ohne langweilig zu werden und ohne dass die Brillantine aus den Zeilen quillt. Wenn es hingegen vom Start weg Scheiße regnet und durchgehend bei diesen Wetterverhältnissen bleibt, erwarte ich für die Schreibtischarbeit normalerweise keine Probleme.“ Helge Timmerberg über seine Reportage „Straße nach Indien“ für Tempo
„Es gibt nur drei große Themen des Lebens. Sie heißen Liebe, Geld und Tod.“
„Einen Tag Arbeit, sechs Tage frei. Ich machte es umgekehrt wie Gott, was nicht heißt, dass ich in meiner freien Zeit untätig war.“ Helge Timmerberg über seine Zeit in Kuba
„Männer verlieren Frauen hin und wieder, so what. Und Männer verlieren auch Frauen, die sie verlieren wollten, weil ihnen ihre Freiheit wichtiger ist. Außerdem verlieren Männer Frauen, weil sie der Teufel ritt. Unterm Strich geht ihnen der Arsch auf Grundeis.“ Aus „Die Märchentante, der Sultan, mein Harem und ich.“
„Ich entwickelte eine faschistische Verachtung für Amateure. Ich hob in Richtung Hochmut ab. Das konnte nicht gut gehen.“ Helge Timmerberg über Kokain
Helge Timmerberg, Sie sind in Ihrem Leben immer viel gereist. Was verändert sich beim Reisen, wenn man älter wird?
Erstens, die Kondition. Als ich so um die vierzig Jahre alt war, schlug ich mich mit Goldsuchern zwei Wochen durch den Amazonas. Solche Trips kann ich heute getrost vergessen. Zweitens, die werten Nerven sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Ich schmeiße sie heute viel schneller weg. Drittens, die Naivität des jungen Reisenden. Früher glaubte ich oft, dass ich losfahre und nicht wieder zurückkomme, weil ich irgendwo unterwegs mein dauerhaftes Paradies finden werde. Das hat nie geklappt, weil es keine Paradiese gibt. Positive Veränderungen gibts im Alter natürlich auch. Ich hab es weniger eilig. Ich muss nicht mehr von Sensation zu Sensation hetzen. Es muss nicht mehr die Wüste, der Dschungel oder Lagos sein. Mittlerweile kann ich wieder Italien genießen. Sogar Österreich. Ich suche eher den Genuss als den Thrill.
Wie hängen Reisen und Schreiben für Sie zusammen?
Es begann mit meiner Leidenschaft fürs Reisen. Mit siebzehn overland nach Indien. Mit dreißig war ich längst professioneller Journalist, und als ich mitbekam, dass ich mit Reisereportagen meine Leidenschaft finanzieren konnte, fand ich das natürlich ideal. Schreiben und Reisen sind seitdem meine Flügel. Und das ging wunderbar. Bis Corona kam. Deshalb reise ich grad durch mein Alter. Das geht ja auch. Erst einmal. Reisen sind überall möglich. Ob innen, außen, nah oder fern spielt dabei nicht die entscheidende Rolle. Zu Hause geht man mehr in die Tiefe, unterwegs mehr in die Weite, beides kann ein großes Abenteuer sein. Übers Reisen schreibe ich noch immer am liebsten.
Wie sieht man die Welt, wenn man ein Kind ist, wenn man erwachsen ist und wenn man älter wird?
Als Kind war die Welt für mich ein ziemlich großer Spielplatz, und das Ende der Welt stellte ich mir als einen Bretterzaun vor. Diese Weltsicht hielt sich ziemlich lang, nur der Bretterzaun fiel weg. Mittlerweile habe ich den Ernst der Lage erkannt.
Gibt es bestimmte Orte, die Sie mehrfach in Ihrem Leben besucht haben, die Sie immer wieder angezogen haben?
Immer wieder Istanbul, immer wieder Bangkok, immer wieder Wien, in Marrakesch fühlte ich mich vom ersten Tag an so zu Hause, dass ich zehn Jahre blieb, dasselbe in Havanna, aber da waren es nur zwei Jahre. Und natürlich war ich viele, viele Male in NeuDelhi, denn am wohlsten fühle ich mich in Indien. Gestern, heute, morgen, das hört nicht auf. Neulich habe ich mir auf Netflix noch mal Gandhi angeschaut. Und ich hab fast geheult. Schon auch wegen Mahatma Gandhi, aber hauptsächlich wegen Indien. Richard Attenborough liebt den Subkontinent anscheinend wie ich.
Wie schreiben Sie Ihre Bücher? Suchen Sie zum Schreiben bestimmte Orte auf, die Sie inspirieren?
Ich sag Ihnen was: Ich brauche einen Schreibtisch. Und einen Raum. Als man in ihnen noch rauchen durfte, schrieb ich gerne in Hotelzimmern, und das beste Office dieser Art hatte ich im Hotel Riviera, Havanna. Es liegt direkt am Malecón, mein Riesenfenster ging zum Karibischen Meer hinaus, das war bei jedem Wetter dem Schreiben zuträglich, denn der Horizont löste verknotete Sätze quasi von selbst. Der Innenhof eines Riads in Marokko ist mit seinen Orangen- oder Zitronenbäumen und mit den Vögelchen, die zwischen den Blättern zwitschern, auch eine gute Schreibstube, wenn sonst niemand zugegen ist, aber all das und noch mehr muss nicht wirklich sein. Ein Raum, ein Tisch, ein Stuhl. Das reicht. Der Rest ist Disziplin. Vier Stunden am Tag sind das Minimum. Bei harten Deadlines bringen mich acht Stunden ernsthaft voran. Die Strategie, nur zu schreiben, wenn man inspiriert ist, funktioniert nicht. Das ist Hobby-Quatsch.
Ihre Vorbilder, was das Schreiben angeht?
Jack London. So geht Abenteuer. Oscar Wilde. Eleganter Humor. Hemingway. Der Großmeister des Auslassens. Der alte Mann und das Meer ist so etwas wie eine Bibel für mich. Bukowski. Ich liebe ihn. Mit niemand sonst hätte ich so gern ein paar Bier gezischt wie mit ihm. Hermann Hesse, auch wenn die Zeit seine Sprache überholt hat. Steven King. Ich finde ihn unheimlich lustig. Bei den Reiseschriftstellern ist Rudyard Kipling mein Vorbild Nummer eins. Was die Lebenden angeht: Michel Houellebecq. Bei den Frauen: Coco Chanel. Beste Biografie ever. Joanne K. Rowling und der 1. Band von Harry Potter. Suzanne Collins. Die Tribute von Panem. Solche Sachen halt.
Spiritualität, aber auch Drogen spielen für Ihr Leben eine wichtige Rolle. Wie hängen beide zusammen?
Es gibt spirituelle Drogen. Psychedelische Pilze, auch „Depperl Schwammerl“ genannt, wurden von den Priestern eigentlich aller schamanischen Religionen gern als Türöffner zur Götterwelt verteilt. LSD macht dasselbe, es ist derselbe Wirkstoff, nur im Labor hergestellt, und ginge es nach den alten Schamanen, würde ein Trip völlig ausreichen. Einmal auf der Spitze des Berges stehen, endlos weit in alle Richtungen sehen und danach den Weg gehen, den man da oben gewählt hat. Es gibt aber auch umgekehrt die Droge Spiritualität. Das Opium des Volkes. Den frommen Rausch. Und ich bin ein Wanderer zwischen den Welten. Weniger, weil ich das gut finde, eher, weil es so ist. Ich suche die Nähe zu Heiligen und zu Dealern. Ich meditiere morgens und kiffe abends. Das hält mich in einer Art Gleichgewicht. Bei uns hört sich das ein bisschen merkwürdig an, in Indien ist es normal. Fast alle Sadhus sind THC-abhängig.
Gewinnt man im Alter Freiheit?
Erstens, die Freiheit von der Diktatur des Testosterons. Ich entscheide vernunftorientierter, weniger getrieben. Und vermisse es gar nicht so sehr. Zweitens, die Freiheit von der Freiheit. Reine Erfahrungssache. Egal, aus welchen Unfreiheiten ich mich in meinem Leben schon befreit habe: In einer Falle steckt man immer. Ich finde das nicht deprimierend, es erleichtert mich. Wirklich. Es macht mein Leben einfacher. Ein Kampf weniger. Außerdem stimmt es natürlich auch, dass es da große Unterschiede gibt zwischen der Freiheit des Egos und der Freiheit vom Ego. Deshalb drittens, die Freiheit von mir selbst. Das wäre der Hit. Dann hätte ich überhaupt keine Probleme mehr. Buddha sagte mal: „Alles Leiden ist Unwissenheit.“ Weil man im Alter mehr als in der Jugend weiß, gewinnt man im Alter etwas Freiheit von der Dummheit. Das ist keine Frage des IQ , sondern der Erfahrung.
Was ist Ihnen im Leben am wichtigsten, worauf würden Sie freiwillig niemals verzichten?
Auf die Fähigkeit loszulassen. Das kann ich ganz gut. Das Leben ist ja eh ein Kommen und Gehen, ein ewiger Wandel, und wenn ich da nicht mitmache, schaue ich blöd aus der Wäsche. Die Papageien auf meinen Hawaii-Hemden mag ich ebenfalls nicht missen, außerdem das Menschenrecht, spät aufzustehen. Und spät ins Bett zu gehen. Ich liebe Nachtschichten. Schreiben unter Sternen. Und der Mond dichtet mit. Und ich liebe den Kaffee nach dem Aufstehen. Wenn ich den nicht kriege, könnt ich gleich wieder ins Bett gehen.
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Das ist jetzt aber ganz großes Kino, ich lese dich jetzt schon so lange und bisher war das alles gehobene Unterhaltung aber jetzt hast du meinem Leben einen shift gegeben, das liegt an deiner Erzählkunst, deiner Offenheit, und deiner weit entwickelten Seele, Ich verneige mich in Dankbarkeit und hau dir auf die Schulter, du humorvoller, sensibler als Reiseschriftsteller getarnter Guru!
LG
Anno