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Starke Frauen der Geschichte

Romanbiografien von außergewöhnlichen Frauen

Bedeutende Frauen, die die Welt verändern

Würden Sie Anna Freud gerne einmal bei einem Gespräch mit Ihrem Vater belauschen? Wussten Sie, dass die Brooklyn Bridge von einer Frau erbaut wurde? 

Auf wahren Begebenheiten beruhend erschaffen unsere Autorinnen ein fulminantes Panormana aufregender Zeiten und erzählen von den großen Momenten und den kleinen Zufällen, von den schönsten Begegnungen und den tragischen Augenblicken, von den Träumen und der Liebe dieser inspirierenden Persönlichkeiten.

Emmi Pikler - eine mutige Kinderärztin, die die Pädagogik revolutionierte

Blick ins Buch
Die Pädagogin der glücklichen KinderDie Pädagogin der glücklichen Kinder

Emmi Pikler – Ihre Lehre war eine sanfte Revolution, ihr Leben unter den Nazis in höchster Gefahr

„Die Pädagogin der glücklichen Kinder“ | Historischer Roman über eine mutige Kinderärztin, die die Pädagogik revolutionierte

Laura Baldinis fesselnder Roman über die junge Emmi Pikler (1902-1984), die unter den Nazis um ihr Leben fürchtete und von den Eltern ihrer Schützlinge gerettet wurde

Wien, 1930er Jahre: Die frisch promovierte Emmi ist begeistert von den modernen Ansätzen der Kindermedizin, denn Ärzte, Analytiker und Pädagogen arbeiten zum Wohle der Kleinsten zusammen. Hier will sie ihre eigenen Ideen einer liebevollen Erziehung weiterentwickeln. Als sie ihren späteren Mann kennenlernt, scheint Emmis Glück vollkommen. Doch dann ergreifen die Nazis die Macht, und Emmi, die Jüdin ist, gerät in Lebensgefahr. Sie kann sich mit ihrer Tochter zur Familie eines „ihrer“ Kinder retten. Aber niemand weiß, ob das Versteck sicher ist. Und ob Emmi ihren Mann je wiederfinden kann …

Leserinnen von historischen Büchern können in dieser Romanbiografie das Schicksal der großen Kinderärztin Emmi Pikler entdecken.

Das friedliche und erfüllte Zusammenleben von Eltern und Kindern war eines der zentralen Anliegen von Emmi Pikler. Früh erkannte sie, dass Kinder, die in den Vorstädten Wiens auf der Straße spielten und auf Bäume und Eisenbahnpuffer kletterten, viel seltener Knochenbrüche und Gehirnerschütterungen hatten als Kinder aus wohlhabenden Familien, die sich ruhig verhalten und „benehmen“ mussten.. Also fing sie an, die Bewegungsentwicklung von Kindern zu beobachten. Was Emmi Pikler vor hundert Jahren erforschte, hat heute mehr Relevanz denn je. 

„Ein fesselnder Roman über eine mutige Frau, die für ihre bahnbrechenden Forschungen einstand und trotz starkem Gegenwind ihren Weg ging.“ Der Sonntag

Bedeutende Frauen, die die Welt verändern

Mit den historischen Romanen unserer Reihe entführen wir Sie in das Leben inspirierender und außergewöhnlicher Persönlichkeiten! Auf wahren Begebenheiten beruhend erzählen unsere Autor:innen von den großen Momenten und den kleinen Zufällen, von den schönsten Begegnungen und den tragischen Augenblicken, von den Träumen und der Liebe dieser starken Frauen.

Budapest, Februar 1945

Der Wasserfleck an der Decke der Gefängniszelle schien über Nacht weiter gewachsen zu sein. Im schummrigen Licht der Glühbirne war auch zu sehen, wie die Schimmelflecken an den Wänden beständig größer wurden.

Wie viel Zeit mochte vergangen sein, seit György in dieses Gefängnis im Norden Ungarns verlegt worden war? Er und die beiden Männer, mit denen er sich die triste Zelle teilte, hatten längst aufgehört, kleine Striche in den abblätternden Putz der Zellenwand zu kratzen.

Tage waren zu Wochen, Wochen zu Monaten und schließlich Monate zu Jahren verschwommen. In der ganzen langen Zeit hatte György die Hoffnung niemals aufgegeben. Er war davon überzeugt gewesen, dass er die verhasste Zelle mit den unbequemen Stahlrohrbetten und den kratzigen, stinkenden Decken eines Tages wieder verlassen würde. Mit einem schier grenzenlosen Optimismus hatte er sich in Form gehalten, hatte jeden Tag Liegestütze, Strecksprünge und Klappmesser gemacht. Als Sportlehrer wusste er, was seinem Körper guttat. In den Bibliotheken der Gefängnisse, in denen er die letzten Jahre verbracht hatte, hatte er sich unterschiedlichste Bücher ausgeliehen, um auch seinem Gehirn Nahrung zu geben. Er hatte über die Gefahren von Wundbrand gelesen und über die Fortpflanzung von Blattläusen und Nacktschnecken. Mit seinem erworbenen Wissen hatte György seine Mitinsassen aufgeheitert und sie in Diskussionen verwickelt. Sein Ziel war es, die Gefangenschaft gesund zu überstehen. Wenn er seine Frau und seine Tochter wieder in die Arme schloss, wollte er ihnen nicht wie ein klappriger Greis gegenübertreten. Er war davon überzeugt, dass die Faschisten nicht ewig an der Macht bleiben würden und Hitler irgendwann die Kraft ausgehen würde. Es konnte nicht mehr lange dauern. Mit dem Einstieg der Amerikaner in den Krieg war klar, dass Deutschland irgendwann in die Knie gezwungen werden würde. Es war bloß eine Frage der Zeit.

Doch gestern war Györgys Zuversicht mit einem Schlag zerstört worden. Seither hatte die Angst ihn fest im Griff und umklammerte sein Herz wie eine eisige Faust.

„Genießt die letzte Nacht in der feudalen Unterkunft“, hatte der Gefängniswärter zu ihm und den beiden Mitgefangenen gesagt. Er machte kein Geheimnis aus seiner judenfeindlichen Einstellung. „Ab morgen werdet ihr drei mit einem Haufen anderer Juden losmarschieren.“

Die Männer wussten, was diese Worte bedeuteten, denn die Gerüchte darüber, wohin die Gefangenen gebracht werden sollten, waren bis ins Gefängnis gedrungen. Seitdem weinte Peter, der Jüngere der beiden, fast ununterbrochen, während Karel, der Ältere, mit leerem Blick an die Zellenwand starrte und beharrlich schwieg. Beide schienen mit dem Leben abgeschlossen zu haben.

Sie hatten gehört, dass alle Gefangenen zu Fuß nach Deutschland geschickt wurden. Ihr Ziel war eines der Vernichtungslager. Hitler konnte den Krieg nicht mehr gewinnen, doch die Nazis wollten so viele Juden wie möglich mit in den Untergang nehmen, als trügen diese die Schuld an der Niederlage des „Tausendjährigen Reichs“.

György starrte zum Wasserfleck an der Decke. Ein weiterer Tropfen hatte sich gebildet, der auf den Fliesenboden klatschte und in den undichten Fugen versickerte. Es war Györgys letzte Nacht in einem ungarischen Gefängnis. Diesen Moment hatte er sich anders vorgestellt – freudig und optimistisch. Er hatte gehofft, wieder mit seiner Familie vereint zu werden und sein früheres Leben fortführen zu können. Stattdessen drohte ihm jetzt der Tod. Noch nie war er so real gewesen.

Draußen herrschte eisige Kälte. Keiner der Gefangenen war ausreichend warm gekleidet, um den Marsch unversehrt zu überstehen. Die meisten Männer würden noch vor dem Ziel sterben. Die Lager waren alle weit weg. Unter den Gefängnisinsassen wurde hinter vorgehaltener Hand gemunkelt, wie die Nazis mit ihren Gegnern umgingen. György hatte ausreichend Fantasie, um sich den Rest selbst auszumalen. Diejenigen, die überhaupt bis zum Lager gelangten, würde man dort töten. Die Nazis waren gründlich. Wer auf ihren Listen stand, wurde erbarmungslos umgebracht. Es erschien György wie ein böser Zynismus, dass er ausgerechnet jetzt, da der Krieg fast zu Ende war, doch noch sterben musste.

Budapest, Herbst 1920

Die Straßen waren vom Regen der letzten Tage noch matschig, und in den Vertiefungen hatten sich Schlammpfützen gebildet. Doch zum ersten Mal seit einer Woche war der Himmel über Budapest wieder blau und wolkenlos. Die Sonne glitzerte auf den sanften Wellen der Donau, die die Stadt in die beiden Teile Buda und Pest teilte, und der Blick auf den Festungsberg mit der Matthiaskirche und dem imposanten Bau des Finanzministeriums war ungetrübt.

Während das altehrwürdige Buda im Glanz der herbstlichen Sonne erstrahlte, zeigte sich in Pest ein anderes Stadtbild. Im Stadtteil Taban, wo sich die Anlegestellen der „Donaudampfschiffahrtsgesellschaft“ befanden, drängten sich am Abhang des Gellértbergs niedrige Lagerhallen. Die Gebäude hatten schon bessere Zeiten gesehen. Der Putz blätterte hier und dort ab, die Dächer hatten Löcher, und es stank nach Unrat. Ratten huschten über die unbefestigte Straße, die zum Frachthafen am Franz-Josefs-Kai führte.

Emmi und Eva versuchten, die braunen Pfützen auf dem Weg geschickt zu umrunden. Trotzdem versanken die Absätze ihrer Schuhe im weichen Untergrund und beschmutzten das teure Leder. Dem Jungen neben ihnen erging es noch schlimmer. Die Räder seines einfachen Handkarren steckten fest, und das kleine Fässchen mit Essiggurken, das er damit transportiert hatte, war auf die Straße gerollt. Zum Glück hatten die Metallringe die Dauben zusammengehalten, doch der Bursche fluchte trotzdem. Hätte es die Zeit zugelassen, hätten Emmi und Eva ihm ihre Hilfe angeboten. Aber so konnten sie ihm bloß mitleidige Blicke zuwerfen und an ihm vorbeilaufen. Sie waren spät dran. Bereits in einer Stunde sollte das Frachtschiff Richtung Wien ablegen.

„Wäre es nicht klüger gewesen, du hättest ein Personenschiff genommen?“, fragte Eva besorgt.

Emmi schüttelte entschieden den Kopf. Dabei rutschte ihr das kinnlange Haar in die Stirn, und sie schob es mit der freien Hand energisch zurück. Mit der anderen trug sie einen kleinen Reisekoffer, in dem sich alles befand, was sie für die nächsten Wochen benötigte. Es war nicht viel: zwei Kleider, Strümpfe, eine Strickjacke, Unterwäsche, ein Notizblock und Stifte.

„Das wäre zu riskant“, sagte sie. „Ich habe keine Ahnung, wann wieder ein Personenschiff Richtung Wien fährt. Die ersten Vorlesungen beginnen schon in drei Tagen.“

Im Juni hatte Emmi sich an der medizinischen Fakultät in Wien eingeschrieben, denn als Jüdin konnte sie in Budapest nicht studieren. Seit Miklós Horthy die linke Räteregierung unter Béla Kun mit Gewalt abgelöst und die Macht übernommen hatte, galten für Juden strenge Zulassungsbeschränkungen. Zahlreiche Wissenschaftler und Künstler hatten im letzten Jahr Ungarn verlassen. Es hatte eine wahre Auswandererwelle gegeben, deren Ende nicht in Sicht war. „Ich werde mir von diesem Herrn Horthy ganz gewiss nicht meine Zukunft verbauen lassen“, hatte Emmi gesagt und war im Juni in ihre Geburtsstadt Wien gereist, wo sie sich problemlos an der Universität hatte immatrikulieren können. Doch als sie wieder nach Budapest gekommen war, hatte man den Personenverkehr zwischen den beiden Städten fast vollständig eingestellt, weshalb es jetzt schwieriger war, außer Landes zu gelangen.

Ängstlich ergriff Eva Emmis Hand. „Ich mache mir Sorgen. Es ist nicht ungefährlich, illegal mit einem Frachtschiff zu reisen. Was passiert, wenn man dich erwischt? Oder wenn der Kapitän bloß das Geld von dir kassiert und dich dann an die Behörden ausliefert?“

Die beiden jungen Frauen verband seit Jahren eine enge Freundschaft. Sie hatten die Schulzeit gemeinsam gemeistert und sich durch alle Krisen ihres bisherigen Lebens begleitet. Eva war Emmi zur Seite gestanden, als diese mit nur zwölf Jahren ihre Mutter verloren hatte, und später, als Eva kleine Streitereien mit irgendwelchen Klassenkameradinnen gehabt hatte, war Emmi für sie da gewesen. Jetzt würden sich Emmis und Evas Wege zum ersten Mal trennen. Während Emmi nach Wien ging, würde Eva in Budapest Chemie studieren, denn sie war keine Jüdin und unterlag damit auch nicht dem Numerus clausus.

„Ach, das wird schon alles gut gehen“, versicherte Emmi und bemühte sich um ein sorgloses Lächeln. „Der Kapitän hat mir versprochen, dass ich sicher in Wien ankommen werde. Er wird mich gewiss nicht verraten oder den Behörden ausliefern.“

„Aber ich werde dich vermissen“, sagte Eva.

„Und ich dich erst“, antwortete Emmi.

Von ihrem Vater hatte sie sich schon am Vorabend verabschiedet. Er war stolz, dass sein einziges Kind Emmi in seine alte Heimat Wien zurückkehrte, um dort Ärztin zu werden. Vor vielen Jahren war er nach Budapest gegangen, wo er sich erfolgreich eine Existenz als Tischler aufgebaut hatte. Es war ihm gelungen, mit der Herstellung von Brotschiebern so viel Geld zu verdienen, dass er Emmi ein gutes Leben ermöglichen konnte. Der Abschied war Vater und Tochter überraschend leichtgefallen.

Ganz anders gestaltete sich die Trennung von der Freundin. Emmi spürte, wie sich Tränen ankündigten, doch sie hielt sie tapfer zurück. Mit dem Tod ihrer Mutter hatte sie gelernt, ihre Gefühle vor anderen zu verbergen. Es war ihr unangenehm gewesen, ständig zu erklären, dass sie einen tragischen Verlust hatte hinnehmen müssen. Inzwischen fiel es ihr leicht, gute Laune vorzutäuschen, auch wenn ihr elend zumute war. Niemals würde sie in der Öffentlichkeit weinen. Eva war aus weniger hartem Holz geschnitzt. Sie schniefte so laut, dass sogar die Hafenarbeiter, die ihnen entgegenkamen, sie voller Mitleid ansahen.

„Wien ist nicht aus der Welt“, beruhigte Emmi die Freundin. „Wenn du Sehnsucht nach mir hast, kommst du mich besuchen.“

„Du weißt, dass das so nicht stimmt und wir uns höchstens in den Ferien sehen können.“

„Und an langen Wochenenden oder einfach so, wenn uns danach ist“, entgegnete Emmi und bemühte sich um eine fröhliche Stimme, auch wenn Evas Traurigkeit ansteckend wirkte.

Mittlerweile hatten die beiden den Hafen erreicht. Mehrere Schiffe lagen hintereinander am Kai.

„Welches ist deins?“, fragte Eva. Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Nase und sah sich um.

„Das dahinten“, erklärte Emmi und zeigte mit ausgestrecktem Arm auf das hinterste Schiff. Es hatte Kohle gelagert, das in riesigen Haufen auf der Ladefläche lag.

„Wo um Himmels willen willst du da Platz finden?“, fragte Eva ungläubig.

„Ich werde schon irgendwo sitzen können“, versicherte Emmi. „Schließlich habe ich keine Luxusfahrt auf der Donau gebucht. Hauptsache, ich komme rasch nach Wien.“

Wenn alles nach Plan lief, würde sie schon morgen Abend bei der Familie ihrer Mutter sein. Emmi kannte die Verwandten nur flüchtig. Trotzdem hatte man nicht gezögert, sie aufzunehmen, als sie um Unterstützung gebeten hatte. Auf lange Sicht sollte Emmi bei einer ledigen Cousine der Mutter unterkommen, Tante Leopoldine, die derzeit im Salzkammergut auf Sommerfrische war. Sie würde in zwei Wochen wieder in Wien sein.

Eva zwang Emmi, den Koffer abzustellen. Dann nahm sie sie in den Arm und schluchzte laut. „Spätestens zu Allerheiligen bin ich bei dir! Ganz egal, was passiert. Wenn keine Züge fahren und die Personenschifffahrt eingestellt wird, setze ich mich auch auf so einen Haufen dreckiger Kohlen.“

„Oder du nimmst dein Fahrrad“, erwiderte Emmi lachend.

Eva liebte ihr Fahrrad, auch wenn es nach wie vor als skandalös galt, wenn Frauen damit herumfuhren. Doch diese Freiheit ließ sich Eva, die sonst nicht die Tapferste war, nicht nehmen.

„Gute Idee“, meinte Eva. „Entlang der Donau kann das nicht so lange dauern. Vielleicht wäre ich sogar schneller als so ein altes Frachtschiff.“ Sie wischte sich erneut die Tränen aus den Augen. „Und du versprichst mir, dass du gut auf dich aufpasst.“

„Versprochen.“

„Und du schreibst mir, sobald du in Wien angekommen bist.“

„Es ist das Erste, was ich machen werde.“

„Und wenn es dir nicht gefällt, dann kommst du sofort wieder zurück nach Budapest.“

Emmi trat einen Schritt zurück und sah Eva ernst an. Eine blonde Strähne hatte sich aus ihrem geflochtenen Zopf gelöst und hing der schmächtigen kleinen Freundin in die helle Stirn. Eva wirkte viel jünger, als sie tatsächlich war.

„Bitte mach dir keine Sorgen um mich“, bat Emmi. „Mir fällt es doch auch schwer, dich zu verlassen.“

„Den Eindruck habe ich nicht“, schniefte Eva.

„Was denkst du denn? Aber wenn ich Ärztin werden will, muss ich nach Wien gehen. Hier in Ungarn sind mir die Hände gebunden. Horthys Judenhass ist schier grenzenlos. Wenn er könnte, würde er uns alle des Landes verweisen.“

„Aber du kommst doch wieder zurück, oder?“ Evas Stimme klang weinerlich.

„Ja, natürlich kehre ich zurück. Ich kann dich doch nicht alleinlassen.“ Sie zwinkerte Eva aufmunternd zu. „So, und jetzt muss ich an Bord gehen!“

Bevor Emmi Gefahr lief, von Evas Gefühlen angesteckt zu werden, löste sie sich aus der Umarmung. Sie schnappte ihren Koffer, schickte der Freundin eine letzte Kusshand und lief dann zielstrebig auf das Frachtschiff zu, ohne sich umzudrehen. Auf keinen Fall wollte sie weinend das Schiff betreten.

Es gab keinen Grund zur Trauer. Emmi ging nach Wien. Seit dem Zerfall des Vielvölkerstaats war Wien mehr denn je ein Magnet für Wissenschaftler und Künstler aus allen Teilen der einstigen Habsburgermonarchie. Und Emmi würde dazugehören.

Geschickt kletterte sie über eine schmale Brücke aufs Schiff. Sobald sie den sicheren Boden des Hafens verlassen hatte, spürte sie, wie ein freudiges Kribbeln ihren Körper durchzog. Ihr Abenteuer hatte begonnen. Emmi konnte es kaum erwarten.


Wien, Januar 1924

Erbarmungslos schrill läutete der Wecker und riss Emmi aus ihren Träumen. So schnell es ihr müder Körper erlaubte, beendete sie das grelle Geräusch. Sie wollte Tante Poldi, bei der sie nun schon seit gut drei Jahren wohnte, nicht wecken. Die alleinstehende Frau schlief morgens gerne länger, da sie abends meist spät ins Bett ging. Sie war eine begeisterte Theaterbesucherin, aber auch Tanzveranstaltungen, Kabaretts und Konzerten gegenüber nicht abgeneigt. Ihre privilegierte finanzielle Lage erlaubte ihr Vergnügen dieser Art.

Ein Teil der Wiener Bevölkerung kämpfte auch gut fünf Jahre nach Kriegsende noch mit Armut und Arbeitslosigkeit, der große Hunger der ersten Nachkriegsjahre war jedoch für die meisten überstanden. Trotz hoher Inflation und herrschenden Mangels waren in Wien erste Ansätze einer Aufbruchsstimmung erkennbar. Grund dafür war das Trennungsgesetz vom Land Niederösterreich, das der roten Stadtregierung die Entscheidungsfreiheit über die Steuereinnahmen ermöglichte. Seither wurden große Pläne geschmiedet, um der sozialen Ungerechtigkeit die Stirn zu bieten. Das Geld sollte in den sozialen Wohnbau, in die Bildung und die Gesundheit der Bevölkerung investiert werden.

Eines dieser Vorzeigeprojekte sollte Emmi heute kennenlernen – im Rahmen ihres Praktikums in der neu gegründeten Heilpädagogischen Abteilung der Universitätsklinik im Allgemeinen Krankenhaus. Der Gedanke daran vertrieb mit einem Schlag ihre Müdigkeit. Sie rappelte sich im Bett auf und lauschte. Aus der Küche drangen bereits die ersten Geräusche. Tante Poldi war schon munter. Das konnte nicht an Emmis Wecker gelegen haben.

Sie zog die Decke weg und bereute es schon im nächsten Moment. Eisige Kälte schlug ihr entgegen. Tante Poldis Wohnung wurde über einen zentralen Kachelofen im Wohnzimmer geheizt. Dort herrschten auch nachts angenehme Temperaturen. Emmi hatte gestern Abend dummerweise vergessen, die Tür zu ihrem Zimmer offen zu lassen, damit etwas von der Wärme auch in ihr Zimmer gelangte. Jetzt bekam sie die Rechnung präsentiert.

Rasch sprang sie aus dem Bett. Auch der Parkettboden war eisig. Da half es nichts, sich auf den bunten orientalischen Teppich zu stellen, der unter dem kleinen Schreibtisch lag. Beim Anziehen stellte sie fest, dass auch ihre Kleidung klamm war vor Kälte. Ein Blick aus dem Fenster verriet den Grund. Es hatte letzte Nacht wieder angefangen zu schneien. Mindestens zwanzig Zentimeter Neuschnee waren gefallen, und noch immer rieselten dicke Flocken vom grauen Himmel. Emmi konnte sich nicht daran erinnern, in Budapest jemals so viel Schnee erlebt zu haben.

Als sie fertig angezogen war, ging sie ins Badezimmer. Tante Poldi hatte sich vor Jahren fließendes Wasser in die Wohnung leiten lassen. Ein Luxus, der den meisten Wienern fremd war. Leider war das Wasser, das aus der Leitung kam, eisig kalt. Heute fühlte es sich an, als wäre es gefroren. Emmi begnügte sich mit einer raschen Katzenwäsche. Mit einer Bürste kämmte sie ihren Pagenkopf, klemmte die vorderen Strähnen mit einer Haarspange aus der Stirn und begutachtete kritisch ihr Spiegelbild, doch sie war mit dem Ergebnis zufrieden.

In der Küche duftete es nach frisch aufgebrühtem Kaffee und getoastetem Weißbrot.

„Guten Morgen“, begrüßte Emmi ihre Tante Poldi, die am Herd stand und gerade zwei Eier in eine Pfanne gleiten ließ. Sie trug einen flauschigen Morgenmantel und hatte ihr graues Haar nachlässig zusammengebunden.

Poldi galt in Emmis Familie als Enfant terrible. Sie hatte sehr früh sehr reich geheiratet, war aber nie schwanger geworden. Als ihr Ehemann schon drei Jahre nach der Hochzeit einer Lungenkrankheit zum Opfer gefallen war, hatte Poldi auf einen weiteren Bund der Ehe verzichtet. Sie hatte zwar eine Ausbildung zur Lehrerin gemacht, war aber nie im Lehramt tätig gewesen. „Warum sollte ich mich noch einmal an einen Mann binden oder mich den Regeln einer Schule unterwerfen?“, pflegte sie zu sagen. „Mein Leben ist perfekt, so wie es ist. Ich verfüge über genügend Geld, um das tun und lassen zu können, wonach mir der Sinn steht.“ Wie es Poldi gelungen war, ihren Reichtum während des Krieges weiter auszubauen, wusste niemand so genau, und Emmi fragte nicht nach. Sie war froh, dass sie bei der unkonventionellen Tante ein Dach über dem Kopf gefunden hatte. Noch nie zuvor in ihrem Leben hatte Emmi so viele Freiheiten genossen wie bei Tante Poldi.

„Ich hoffe, ich habe dich nicht aufgeweckt“, sagte Emmi.

„Aber nein. Ich habe mir extra den Wecker gestellt, damit ich dir vor Beginn deines ersten Praktikums ein ordentliches Frühstück richten kann.“

Tante Poldi schenkte Kaffee in ein Häferl und goss Milch dazu. „Hier, bitte!“ Sie stellte die dampfende Tasse vor Emmi auf den Tisch.

„Das ist lieb von dir. Vielen Dank“, sagte Emmi gerührt. In den letzten Jahren war ihr immer wieder schmerzlich bewusst geworden, wie sehr sie ihre Mutter vermisste. Sie war viel zu früh gestorben, und zur älteren Cousine der Mutter, die der Vater dann ins Haus geholt hatte, um Emmi versorgt zu wissen, war nie eine warme Beziehung entstanden. Ganz anders war nun ihr Verhältnis zu Tante Poldi in Wien.

„Bist du sehr aufgeregt?“, fragte die Tante und setzte sich an den Tisch, nachdem sie für Emmi und sich je ein fertiges Spiegelei auf einen Teller geschoben und ein geröstetes Weißbrot vom Vortag dazugelegt hatte.

Emmi überlegte. Ursprünglich hatte sie sich für Frauenheilkunde interessiert, doch dann hatte sie sich für Kinderheilkunde entschieden. Maßgeblich dazu beigetragen hatte ein Vortrag von Dr. Pirquet, dem Leiter der Universitätskinderklinik des Allgemeinen Krankenhauses, in dem er die Heilpädagogische Abteilung vorgestellt hatte. Dort arbeiteten erstmals Ärzte, Pädagogen und Psychologen zusammen. Kinder, die lange Zeit auf der Station verbringen mussten, wurden nicht nur medizinisch versorgt, sondern erhielten auch Unterricht. Das war einzigartig in ganz Europa. Emmi freute sich darauf, Dr. Lazar zu begegnen, dem Leiter der Heilpädagogischen Abteilung. Ja, sie war ein wenig angespannt, aber es war eine freudige Aufregung.

„Ein bisschen“, gab sie zu.

„Du musst mir heute Abend alles über die Universitätskinderklinik erzählen“, bat Tante Poldi sie. „Meine Freundin Lili Roubiczek hat von der Heilpädagogischen Abteilung geschwärmt. Eines der Kinder, das sie in ihrem Kinderhaus betreut, musste ins Krankenhaus. Sie hat es dort besucht und war begeistert. Lili meinte, dass Kinder dort besser aufgehoben seien als in so manchem Kindergarten dieser Stadt.“

Offenbar hatte Emmi etwas ratlos ausgesehen, denn Tante Poldi schob gleich eine Erklärung hinterher: „Lili und ihre Freundin haben das Kinderhaus in der Troststraße gegründet. Es ist das erste Haus, in dem nach den Methoden von Maria Montessori gearbeitet wird.“

„Den Namen Maria Montessori habe ich noch nie gehört“, gab Emmi zu. Ihre Tante erzählte von so vielen interessanten Menschen aus ihrem Bekanntenkreis – Ärzten, Malern, Musikern –, dass Emmi sich nicht alle merken konnte. Manchmal hatte sie den Eindruck, als gäbe es nichts, wofür Tante Poldi sich nicht interessierte. Ihr Talent, Menschen einander vorzustellen und so für hilfreiche Verbindungen zu sorgen, war einzigartig.

„So genau weiß ich über die Italienerin auch nicht Bescheid“, räumte Tante Poldi ein. „Sie ist Ärztin und hat ein neues pädagogisches Konzept entwickelt. So hat es zumindest Lili erzählt.“

„Klingt interessant“, sagte Emmi.

„Ich muss Lili noch einmal genauer fragen“, meinte Tante Poldi nachdenklich. „Auf alle Fälle muss die Heilpädagogische Abteilung gut sein, wenn Lili davon begeistert ist. Sie hat einen sehr kritischen Blick. Außerdem habe ich gehört, dass Sigmund Freuds Tochter Anna dort vor Kurzem ein Praktikum absolviert hat.“

Emmi stopfte sich das letzte Stück Toast in den Mund und spülte mit Milchkaffee nach. Dann wischte sie sich mit der Serviette über den Mund.

„Deshalb freue ich mich ja so auf die Arbeit“, sagte sie. „Ich habe bis jetzt nur Gutes von der Abteilung gehört.“

„Ich kann mir vorstellen, dass viele Studenten in die Klinik wollten“, meinte Tante Poldi.

„Das stimmt. Ich hatte wirklich großes Glück“, bestätigte Emmi und warf einen Blick auf die Küchenuhr an der Wand. In zwei Stunden musste sie in der Universitätsklinik sein. „Denkst du, dass heute die Straßenbahnen pünktlich fahren werden?“

Tante Poldi lachte. „Emmi, schau mal aus dem Fenster. Es liegt so viel Schnee, dass die Männer mit dem Schneeräumen gar nicht nachkommen.“

„Das heißt, ich sollte besser zu Fuß gehen?“

„Wenn du nicht gleich am ersten Tag zu spät kommen willst, würde ich dir das dringend raten!“

Also machte sich Emmi mit doppelter Geschwindigkeit über ihr zweites Stück Toastbrot her. Das schmutzige Geschirr stellte sie in die Spüle. Noch bevor sie mit dem Abwasch anfangen konnte, hielt Tante Poldi sie zurück.

„Lass nur, ich mach das schon“, sagte sie. „Schau du lieber, dass du rechtzeitig in der Kinderklinik bist.“

„Du bist die Beste!“ Emmi lief ins Vorzimmer, wo ihr dicker Wintermantel hing. Sie setzte ihre Mütze auf und griff nach Schal und Fäustlingen. Über die neuen Winterstiefel, die sie sich kurz nach Chanukka gekauft hatte, war sie heute besonders dankbar.

 

Genau wie Tante Poldi es vorhergesagt hatte, herrschte Chaos auf den Straßen. Kinder, die unterwegs in die Schule waren, bewarfen sich mit Schneebällen und genossen die weiße Pracht, die das Leben in der Stadt verlangsamte. Ihr fröhliches Lachen wurde ebenso gedämpft wie alle anderen Geräusche. Was des einen Freud, war des anderen Leid. Die Straßenfeger hatten ihre Besen gegen Schaufeln eintauschen müssen und bemühten sich redlich, die Gleise der Straßenbahnen frei zu bekommen. Ihr Erfolg war überschaubar, denn kaum war eine Strecke schneefrei, wurde sie schon wieder zugeschneit.

Emmi verzichtete lieber auf öffentliche Verkehrsmittel. Das Risiko, stecken zu bleiben, war einfach zu groß. Auf gar keinen Fall wollte sie am ersten Tag ihres Praktikums zu spät kommen. Tante Poldis Wohnung lag in der Taborstraße in der Nähe des Karmelitermarkts, einer Gegend, wo in den letzten Jahren der Anteil der jüdischen Bevölkerung gestiegen war. Nur die wenigsten von ihnen waren strenggläubig. Auch Tante Poldi und Emmi gingen nicht sonderlich oft in die Synagoge und aßen durchaus Gerichte, die nicht koscher waren. Nur an den traditionellen Feiern hielten sie fest. Der nächste Höhepunkt im Kalender war Purim, ein Fest, das Emmis Vater gerne als jüdischen Fasching bezeichnete.

Emmi stapfte Richtung Universität und versank dabei stellenweise knöcheltief im Schnee. Die Äste der Pappeln, die im Sommer für ausreichend Schatten sorgten, bogen sich unter der Last des nassen Schnees. Ein humpelnder Mann kam Emmi entgegen. Er stützte sich auf eine Krücke, eine Prothese ersetzte ein Bein. Mittlerweile hatte Emmi sich an den Anblick verstümmelter Männer gewöhnt. Der größte und schrecklichste Krieg aller Zeiten hatte eine ganze Generation von ihnen als Krüppel zurückgelassen. Wer körperlich unversehrt geblieben war, hatte seelische Narben davongetragen. Emmi hatte von Männern gehört, die nächtelang nicht schliefen oder schweißgebadet aus Albträumen aufschreckten, in denen sie sich wieder in einem Schützengraben befanden.

Sie ließ die trüben Gedanken hinter sich und überquerte den Ring. Der Prachtboulevard, der die Wiener Altstadt umschloss, war für gewöhnlich voll von flanierenden Passanten, Fuhrwerken und vereinzelten Automobilen, denen man eine große Zukunft voraussagte. Heute wirkte er geradezu verwaist. Nur hin und wieder kamen Emmi Fußgänger entgegen, die genau wie sie selbst auf die Tram verzichteten und zu Fuß zur Arbeit gingen. Die Bettler, die für gewöhnlich an der Mölkerbastei hockten, einem der letzten Überbleibsel der alten Stadtmauer, waren heute nicht gekommen. Emmi pflegte ihnen Wechselmünzen aus ihrem Portemonnaie in die verbeulten Blechdosen zu werfen. Sie hoffte inständig, dass die armen Menschen irgendwo ein trockenes Plätzchen gefunden hatten. Immer noch lebten viel zu viele Obdachlose auf den Straßen Wiens. Da halfen auch die Maßnahmen der Stadtregierung nichts. Es würde noch Jahre in Anspruch nehmen, bis alle Menschen mit bezahlbaren Wohnungen und ausreichend Arbeit versorgt waren.

Emmi zog den Schal enger um den Hals. Geschmolzene Schneeflocken hatten die Wolle durchnässt, sodass sie kaum noch wärmte. Gut, dass Emmi ihr Ziel bald erreicht hatte. Das Gebäude der Universitätsklinik lag bereits vor ihr.

Über die Stufen stapfte sie zum Eingang hinauf, schüttelte den Schnee von ihrem Mantel und marschierte zum Portier. Ein Mann mittleren Alters sah kurz von seiner Zeitung auf und musterte Emmi über den Rand seiner Brille hinweg. Der eine Ärmel steckte leer in der Sakkotasche. Noch bevor Emmi nach dem Weg fragen konnte, wies er mit der verbliebenen Hand zu den Stufen. „Dr. Lazar erwartet die Praktikanten vor seinem Büro.“ Dann widmete er sich wieder seinem Artikel. Offenbar war Emmi nicht die erste Studentin, die heute von ihm hatte wissen wollen, wohin sie gehen sollte. Sie bedankte sich und stieg in den ersten Stock hinauf. Es roch nach Desinfektionsmittel, aber in einem viel dezenteren Ausmaß, als sie es aus anderen Krankenhäusern gewohnt war.

Über einen Gang gelangte sie zu einem Büro. Vor einer offenen Tür hatten sich bereits sechs junge Männer versammelt. Zwei davon kannte sie aus dem Anatomiekurs und winkte ihnen fröhlich zu. Hans, ein Student, mit dem sie im Sezierkurs zusammengearbeitet hatte, trat zu ihr.

„So ein Sauwetter“, schimpfte er. „Ich wäre beinahe zu spät gekommen. Die Tram ist stecken geblieben, und wir mussten alle aussteigen.“

„Ich habe gleich auf die Straßenbahn verzichtet und bin den ganzen Weg gelaufen.“

„Kluges Mädchen!“, kommentierte Hans grinsend.

Da trat ein kleiner, schlanker Mann im Arztkittel auf den Gang. Er zog eine Metallbrille aus der Manteltasche und setzte sie sich auf die spitze Nase. Freundlich sah er in die Runde.

„Wie schön, dass Sie es alle pünktlich geschafft haben“, sagte er und zog eine Taschenuhr aus der anderen Kitteltasche. „Da Sie alle hier sind, können wir gleich mit unserem Rundgang durch die Abteilung starten.“ Er schob die Uhr zurück in die Tasche. „Aber erst einmal zeigt Fräulein Zak Ihnen die Garderobe. Dort können Sie Ihre Straßenkleidung ablegen. Wir haben Arbeitskittel für Sie vorbereitet.“

Eine hübsche junge Frau in Schwesterntracht, mit einem weißen Häubchen auf dem dunklen Haar, kam den Gang entlang. Sie hielt ein Klemmbrett im Arm und grüßte in die Runde.

„Guten Tag. Ich bin Viktorine Zak, die leitende Stationsschwester. Kommen Sie mit.“ Sie winkte die Studenten mit sich und las im Gehen die Namen vor. Als sie bei Emmis Namen angelangt war, lächelte sie. „Ich nehme an, dass Sie Emmi Reich sind. Sie sind der einzige weibliche Praktikant.“

Emmi bejahte.

„Aber keine Angst, es gibt noch mehr Frauen in der Abteilung. Bei uns arbeiten neben den Pflegekräften auch zwei Ärztinnen“, erklärte Fräulein Zak stolz. „Das ist deutlich mehr als in allen anderen Abteilungen. Sie werden Frau Dr. Weiss und Frau Dr. Bruck bald kennenlernen.“

„Ich freue mich darauf“, sagte Emmi.

Sie hatten die Garderobe erreicht, wo alle ihre Mäntel ausziehen und in die vorbereiteten Arztkittel schlüpfen konnten. Dass hier auch weibliche Kollegen arbeiteten, hatte sich bei der Schneiderei noch nicht herumgesprochen. Die Ärmel waren für Emmi so lang, dass sie sie zweimal aufkrempeln musste, und auch an den Schultern war der Mantel deutlich zu breit. Sie kam sich vor wie ein Kind in der Kleidung des Vaters.

Viktorine Zak bemerkte ihr Unwohlsein. „Ich werde Frau Dr. Weiss bitten, Ihnen morgen einen ihrer Kittel zur Verfügung zu stellen“, sagte sie entschuldigend.

„Das ist sehr freundlich. Vielen Dank.“

In den weißen Kitteln ging es zurück zu Dr. Lazars Büro, wo für jeden Studenten ein Stuhl bereitstand. Emmi betrat den Raum als Letzte und musste sich ganz nach vorne setzen. Es war ihr nur recht. So verpasste sie keines von Dr. Lazars Worten. Der Arzt sprach sehr leise.

„Sie haben sich für ein Praktikum an der Universitätskinderklinik entschieden“, fing er an. „Diese Klinik wurde 1911 gegründet und wird seither von Dr. Pirquet geleitet.“ Er räusperte sich. „Seit einigen Jahren gibt es an der Klinik eine Heilpädagogische Abteilung, der ich vorstehen darf. Der Name der Abteilung verrät auch schon die Besonderheit. Es ist ein Ort, an dem Ärzte, Pädagogen und Psychologen zusammenarbeiten.“

„Warum Pädagogen?“, fragte einer der Studenten.

„Die meisten Kinder, die wir betreuen, verbringen mehrere Wochen bei uns“, erklärte Dr. Lazar. „Wir haben festgestellt, dass es nicht reicht, sie medizinisch zu versorgen. Die Kinder müssen auch kognitiv gefordert werden. Sie erhalten bei uns ganz normalen Unterricht. Genau wie in den Schulen.“

„Aber sind sie denn dazu in der Lage, wenn sie doch krank sind?“, wollte ein anderer Student wissen.

„Ein gebrochenes Bein hindert einen nicht am Lernen.“

„Aber in Ihrer Abteilung befinden sich auch schwachsinnige Kinder. Wie und vor allem was sollen die lernen?“, widersprach der Student.

„Auch diese Kinder, oder besser gesagt gerade diese Kinder bedürfen einer speziellen Förderung. Während ein gesundes Kind selbstständig in einem Buch lesen kann, braucht ein schwachsinniges Kind unsere Unterstützung.“

„Und was machen die Psychologen?“, wollte der Student wissen. Unter dem offenen weißen Kittel trug er einen feinen Anzug. Die Schuhe waren aus feinstem Leder, und am Handgelenk prangte eine wertvolle Uhr. Sein zur Schau getragener Reichtum war nicht zu übersehen.

„Ich bin davon überzeugt, dass es exogene und endogene Wurzeln für Probleme aller Art gibt“, sagte Dr. Lazar. „Um zu erkennen, wo die Schwierigkeiten liegen, benötigen wir differenzierte Beobachtungen. Niemand kann das besser als unsere Kollegen aus der Psychologie.“

„Arbeiten etwa auch Psychoanalytiker bei Ihnen?“ Der Student sprach das Wort wie eine Beschimpfung aus.

Neugierig drehte sich Emmi nun zu ihm um. Er war ihr schon in anderen Vorlesungen aufgefallen und hatte einmal sehr abfällige Bemerkungen über Juden gemacht. Über seine rechte Wange zog sich eine hässliche Narbe, wahrscheinlich das Ergebnis eines Initialrituals einer schlagenden Burschenschaft. Emmi hatte von diesen Bünden gehört, denen ausschließlich Männer angehörten.

„Ja“, sagte Dr. Lazar. „Ich schätze die Meinung der Kollegen. Es ist mir in den letzten Jahren gelungen, unseren Klinikleiter Dr. Pirquet davon zu überzeugen, dass eine Zusammenarbeit verschiedener Professionen befruchtend ist. Wir erzielen erfreuliche Ergebnisse.“

„Es gibt Stimmen, die behaupten, dass die Psychoanalyse jüdischer Unsinn sei“, warf der Student ein.

„Noch vor hundert Jahren war man davon überzeugt, dass der Aderlass die einzig richtige Methode sei, Menschen zu heilen. Zum Glück entwickelt die Wissenschaft sich weiter.“ Dr. Lazar klang immer noch freundlich.

„Aber birgt es nicht Gefahren, wenn so viele verschiedene Professionen an einem Patienten herumdoktern?“, beharrte der Student.

„Jeder neue Blickwinkel erweitert die Sicht und ermöglicht ein tieferes Verstehen“, widersprach Dr. Lazar ruhig. Seine Geduld war offenbar grenzenlos. Emmi hätte den Studenten an seiner Stelle schon längst in die Schranken gewiesen. „Wir halten wöchentlich einen runden Tisch ab. Bei diesen Besprechungen wird über jeden unserer kleinen Patienten gesprochen. Die Meinung unseres Pflegepersonals ist dabei ebenso wichtig wie die der Ärzte, der Pädagogen und der Psychologen.“

„Wie kann denn wohl eine Krankenschwester oder eine Lehrerin den Gesundheitszustand eines Kindes beurteilen?“, entgegnete der Student provokant.

Dr. Lazar schüttelte kaum merklich den Kopf. „Sobald Sie an einer unserer Besprechungen teilgenommen haben, werden Sie verstehen, was ich meine. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Kürzlich wurde ein Kind bei uns eingeliefert, das nicht redete. Es war in einer Pflegefamilie untergebracht gewesen. Man attestierte ihm eine schwere geistige Behinderung. Es starrte die ganze Zeit über an die Wand.“

„Also ein schwachsinniges Kind“, sagte der Student.

„Schwester Viktorine Zak beschäftigte sich mit dem Kind und fand heraus, dass es lesen und schreiben konnte.“

„Dann war es vielleicht bloß stumm“, schlug ein anderer Student vor.

„Die Frage ist doch: Was führte dazu, dass dieses Kind aufgehört hatte zu sprechen?“ Dr. Lazar sah nun in die Runde.

„Die Stimmbänder wurden verletzt“, mutmaßte ein dritter Student.

„Eine Krankheit, die den Kehlkopf befallen hat“, riet ein anderer.

„Es sind nicht immer Krankheitserreger oder Unfälle, die zu körperlichen Symptomen führen“, erklärte Dr. Lazar. „Dr. Weiss, die auch Analytikerin ist, hat sich auf die Suche nach dem Übel begeben. Es hat sich herausgestellt, dass das Kind kurz vor Kriegsende eine schreckliche Gewaltszene mit ansehen musste. Die eigene Mutter war vor seinen Augen misshandelt und danach getötet worden. Es haben dem Kind schlicht die Worte gefehlt, um diese Bilder zu beschreiben.“

Für einen Moment schwiegen alle betreten.

Emmi war die Erste, die sich zu Wort meldete. „Hat das Kind seine Sprache wiedergefunden?“

„Es ist gerade dabei“, sagte Dr. Lazar und schenkte Emmi ein Lächeln. „So ein Prozess der Verarbeitung braucht seine Zeit. Was ich Ihnen mit diesem Beispiel sagen will: Die einfachste Lösung ist nicht immer die richtige. Um ein Krankheitsbild zu verstehen, muss man mehr untersuchen als bloß die nicht funktionierende Stelle im Körper. Wir betrachten unsere kleinen Patienten möglichst ganzheitlich.“

Fasziniert hing Emmi an den Lippen des Arztes. Alles, was er sagte, klang für sie plausibel.

„Es steht Ihnen allen frei, sich für eine andere Praktikumsstelle zu entscheiden“, meinte Dr. Lazar. „Wer hier mitarbeiten und von uns lernen will, der muss sich an unsere Regeln halten.“

Er wandte sich an den vorlauten Studenten. Doch statt zu widersprechen, hatte der seinen Kopf eingezogen und schwieg, tief über seinen Notizblock gebeugt.

„Fein“, sagte Dr. Lazar zufrieden. „Dann lade ich Sie alle zu einem Rundgang durch unsere Abteilung ein.“

Emmi war vom ersten Tag an von der Universitätsklinik begeistert. Ihr Praktikum in der Heilpädagogischen Abteilung glich einer abenteuerlichen Reise, auf der sie täglich etwas Neues dazulernte. Fasziniert saugte sie die Erklärungen von Dr. Lazar und Dr. Pirquet auf. Doch niemand in der Abteilung verstand es besser, die Kinder zu beobachten, als Viktorine Zak. Haargenau protokollierte die Krankenschwester das Verhalten der Kinder und trug ihre Beobachtungen in die wöchentlichen Besprechungen, an denen auch die Praktikanten teilnehmen durften. Jeden Tag wurde Emmi bewusster, dass man hier nicht nur Diagnosen stellte und die kleinen Patienten mit Medikamenten behandelte. Man war bemüht, die Kinder zu verstehen und dem auffälligen Verhalten auf den Grund zu gehen.

Nach einem der wöchentlichen runden Tische sagte Viktorine Zak zu Emmi: „Jedes Kind ist individuell. Es gibt einen ganz speziellen Schlüssel, der zu seinem Inneren führt und der uns hilft, es zu verstehen. Unsere Aufgabe ist es, diesen Schlüssel zu finden.“

Emmi notierte diesen Satz in ihrem Tagebuch und strich ihn rot an. Es überraschte sie nicht, dass Besucher aus ganz Europa und sogar aus den Vereinigten Staaten nach Wien kamen, um diese einzigartige Abteilung zu besuchen. Im Schreibwarengeschäft neben Tante Poldis Wohnung besorgte sie sich ein Notizbuch. Sofort fing sie an, genau wie Viktorine Zak es ihr zeigte, alle Beobachtungen minutiös darin zu protokollieren. Schon bald ging ihr das Notieren in Fleisch und Blut über. Beim Schreiben fielen ihr Dinge auf, die sie sonst übersehen hätte.

Als das Praktikum am Ende des Semesters vorbei war, fühlte Emmi Wehmut. Sie verließ die Station nur ungern, war sie doch überzeugt, dass sie hier doppelt so viel über die Entwicklung von Kindern gelernt hatte wie in den letzten Jahren in den Hörsälen der Universität.

Ihre Begeisterung schlug sich auch in ihren Noten nieder. Emmi war eine der Besten ihres Jahrgangs. Mehr als über die guten Zeugnisse freute sie sich über Dr. Lazars lobende Worte bei ihrem Abschied. „Es steckt großes Potenzial in Ihnen“, sagte er voller Überzeugung. „Sie haben die notwendige Empathie und Beobachtungsgabe, um eines Tages eine sehr gute Ärztin zu werden.“

Derart motiviert verbrachte Emmi den Großteil ihrer freien Zeit mit Lernen. Nur hin und wieder gönnte sie sich eine Pause. Es war Eva und Tante Poldi zu verdanken, dass sie nicht ausschließlich vor ihren Büchern hockte.

Wie versprochen kam ihre Freundin in den Ferien nach Wien. Die beiden machten Ausflüge in die nähere und weitere Umgebung. In nur zwei Stunden Bahnfahrt erreichten sie die Hausberge der Wiener, den Semmering, die Rax oder den Schneeberg. Die alpine Landschaft war neu für sie beide. Sie genossen die Wanderungen durch dichte Wälder und bestaunten die schroffen Felsformationen, die sie an Illustrationen in Märchenbüchern erinnerten.

Tante Poldi sorgte dafür, dass Emmi auch am gesellschaftlichen Leben der Stadt teilnahm. Sie lud sie ins Theater ein, nahm sie in Konzerte und Ballettaufführungen mit und überredete sie sogar zu einem Ball. Emmi tanzte die ganze Nacht durch und war hinterher davon überzeugt, dass der Walzer der schönste Tanz der Welt sei.

Kämpferin gegen Krebs - Mildred Scheel

Kämpferin gegen den KrebsKämpferin gegen den Krebs

Mildred Scheel – Sie gründete die Deutsche Krebshilfe und veränderte das Leben von Millionen

Krebs: vom Tabu zum wichtigen Vorsorgethema 

In ihrem Beruf als Radiologin hat Mildred Scheel es immer wieder mit Krebspatienten zu tun und ist entsetzt von den tragischen Schicksalen. Nicht nur gibt es kaum Therapiemöglichkeiten, Krebs gilt auch als Tabu und wird oft bis zum bitteren Ende verheimlicht. Als ihr Ehemann und FDP-Politiker Walter Scheel Bundespräsident wird, sieht Mildred ihre Chance: Sie gründet die Deutsche Krebshilfe und sagt so dem Krebs in aller Öffentlichkeit den Kampf an. Unter Ärzten stößt sie auf Skepsis und Widerstand, doch sie bleibt fest entschlossen. Es ist höchste Zeit für ein Umdenken beim Thema Krebs!

Bedeutende Frauen, die die Welt verändern

Mit den historischen Romanen unserer Reihe »Bedeutende Frauen, die die Welt verändern" entführen wir Sie in das Leben inspirierender und außergewöhnlicher Persönlichkeiten! Auf wahren Begebenheiten beruhend erschaffen unsere Autor:innen ein fulminantes Panormana aufregender Zeiten und erzählen von den großen Momenten und den kleinen Zufällen, von den schönsten Begegnungen und den tragischen Augenblicken, von den Träumen und der Liebe dieser starken Frauen.

Kapitel 1

Sorgfältig studierte Mildred Wirtz die Röntgenbilder, die vor ihr am Leuchtschirm hingen. Gelegentlich nahm sie die Lupe zur Hand, um einen Bereich noch besser erkennen zu können. Auch wenn die Diagnose hier offensichtlich war, wollte sie nichts übersehen. Vor allem wenn ein Merkmal geradezu ins Auge sprang, war die Gefahr groß, dass man etwas anderes, vielleicht ein kleines Detail, nicht beachtete. Eine der schlimmsten Vorstellungen für sie als Ärztin war, vor ein oder zwei Jahre alten Röntgenbildern zu stehen und sich eingestehen zu müssen, dass man einen Befund, der das Leben des Patienten erheblich einschränken oder sogar verkürzen würde, bereits auf den ersten Aufnahmen hätte sehen können. Also zu einem Zeitpunkt, als die therapeutischen Optionen noch vorhanden oder wenigstens größer gewesen wären. Solch einen Fehler würde sie sich nicht verzeihen. Niemals. Also machte sie ihre Arbeit gründlich. Immer und ohne Ausnahme.

Die Bilder am Leuchtschirm zeigten in mehreren Abschnitten den rechten und linken Oberschenkelknochen von der Hüfte bis zum Kniegelenk. Ihr fiel der Professor für Pathologie an der Universität in Innsbruck ein, der seinen Studenten immer eingeschärft hatte: „Was gesund ist, sieht schön aus.“ Tatsächlich traf diese Aussage auch im Umkehrschluss zu, gerade in der Radiologie. Ein gesunder, unverletzter Knochen war ästhetisch: Die feine Zeichnung der Trabekel, der inneren Knochenstruktur, die wie ein dickes Polster schützende Knorpelschicht an den Gelenkflächen und schließlich die Knochenhaut, die sich wie eine zarte Hülle um den Knochen schmiegte – ein Wunderwerk der Natur. In diesem Fall aber sah gar nichts mehr schön aus.

Beide Hüft- und Kniegelenke auf den Aufnahmen wiesen alle Anzeichen einer fortgeschrittenen Arthrose auf. Es gab Ausziehungen am Rand der Gelenkflächen, zahlreiche Defekte, die aussahen, als hätte eine Maus kleine Stücke vom Knochen abgenagt. Außerdem war die Knorpelschicht kaum oder überhaupt nicht mehr vorhanden, und die Gelenkspalte waren an allen Gelenken bis auf Bruchteile eines Millimeters zusammengeschrumpft. Mildred musste nicht auf das Geburtsdatum schauen, um zu wissen, dass die Bilder von einem alten Menschen stammten. Einem Menschen, der sich in seinem Alltag nur noch mühsam bewegen konnte, weil in Hüften und Knien Knochen auf Knochen aneinanderrieben, statt von Knorpel und Gelenkflüssigkeit geschützt zu werden. Entzündungen und ständige Schmerzen waren die Folge. Zusätzlich zur fortgeschrittenen Arthrose gab es aber noch einen zweiten Befund.

Auf den Aufnahmen des linken Oberschenkels sprang eine spiralförmige Bruchkante am Schenkelhals in der Nähe des Hüftkopfes ins Auge. Die beiden Knochenfragmente waren um etwa zwei Zentimeter gegeneinander verschoben. Mildred sah förmlich, wie die Patientin eingeliefert worden war – auf dem Rücken liegend, das linke Bein nach innen verdreht und optisch kürzer als das rechte. Sie warf einen Blick auf die Anamnese, die der Kollege in der Notaufnahme auf den Anforderungsschein gekritzelt hatte. Die achtundsiebzigjährige Dame war beim Verlassen der Kirche auf den Stufen ausgerutscht und auf die linke Hüfte gefallen. Mildred überlegte, wie die Behandlung dieser Fraktur aussehen könnte. Eine Versorgung mit Schrauben und Nägeln dürfte an dieser Stelle schwierig bis unmöglich sein. Doch sie hatte schon einiges über die neue Behandlung von Schenkelhalsfrakturen gelesen. Bei der sogenannten Totalendoprothese wurde das Hüftgelenk durch ein Gelenk aus Stahl ersetzt, das mit medizinischem Zement im Oberschenkelknochen verankert wurde. Auch schon hier an der Klinik hatten die chirurgischen Kollegen den Hüftgelenksersatz mit Erfolg durchgeführt. Ob man in diesem Fall die Operation wagen würde, hing allerdings von der allgemeinen Konstitution der alten Frau ab – ihrer Herz-, Lungen- und Nierenfunktion, ihrem Ernährungszustand, dem Blutbild, möglichen Infekten. Informationen, die sie den Röntgenbildern des Oberschenkels beim besten Willen nicht entnehmen konnte. Aus diesem Grund hatten die Chirurgen noch eine Aufnahme des Brustkorbs angefordert, von vorne und von der Seite, wie es sich gehörte.

Mildred hängte die Thoraxaufnahmen an den Leuchtschirm, betrachtete sie, maß ab, erst mit den Fingern und dann, zur Sicherheit, auch noch mit einem Lineal.

„Das Herz ist nur geringfügig verbreitert“, murmelte sie vor sich hin. „Lungenzeichnung regelrecht, keine Anzeichen für Stauung.“ Ein ausgezeichneter Befund für eine fast achtzigjährige Dame. Mildred nahm wieder ihre Lupe zur Hand.

„Frau Dr. Wirtz!“

Sie wandte sich der Sekretärin zu, die im Mantel und mit Handtasche im Türrahmen stand. Sie war eine der drei jungen Frauen, die im Schreibzimmer am Ende des Flurs die diktierten Befunde der Medizinalassistenten der radiologischen Abteilung abtippten. Der Chef der Abteilung, Professor Doktor Hainmayr, hatte selbstverständlich eine eigene Sekretärin, eine Mittfünfzigerin mit grauem Haarknoten und Hornbrille, von den jungen Frauen als „Drachen“ bezeichnet – natürlich nur hinter ihrem Rücken.

„Was kann ich für Sie tun, Fräulein Huber?“

„Es ist schon zehn nach zwei. Ich würde gern gehen, wenn es Ihnen nichts ausmacht, Frau Doktor.“

„Warum sollte es mir etwas ausmachen? Schließlich ist Freitag. Gehen Sie ruhig in Ihr verdientes Wochenende. Die beiden Befunde hier können auch noch Montag getippt werden. Die Kurzbefunde bringe ich gleich selbst noch in die chirurgische Abteilung.“

„Ach, das ist aber nett von Ihnen.“ Die junge Frau strahlte. „Dann auch Ihnen ein schönes Wochenende, Frau Doktor, und bis Montag!“

„Danke, ebenso. Aber am Montag ist der Dr. Bergmüller aus dem Urlaub zurück.“

„Oh, dann sind die zwei Wochen schon um? Das ist aber schade! Hoffentlich kommen Sie wieder?“

„So wie es aussieht, ja. In vier Wochen geht Dr. Vogl in den Urlaub, dann werde ich wieder die Vertretung übernehmen.“ Mildred lächelte. „Sie dürfen sich also schon bald wieder über meine Diktate ärgern.“

„Ärgern? Ach wo, Frau Doktor. Sie diktieren so deutlich, das ist eine wahre Freude. Da gibt es ganz andere, die nuscheln, die Hälfte der Worte verschlucken oder ständig schnaufen.“ Fräulein Huber hängte sich die Handtasche über die Schulter. „Dann alles Gute für Sie, Frau Doktor, und bis in vier Wochen.“

„Für Sie auch, Fräulein Huber.“

Einen Moment lauschte Mildred dem Geräusch der Absätze auf dem Linoleum, die sich rasch entfernten. Offenbar hatte Fräulein Huber es eilig, in ihr Wochenende zu kommen.

Es war schön zu wissen, dass der Chef ihre Arbeit schätzte; er hatte ihr aus freien Stücken die Urlaubsvertretung für den nächsten Kollegen angeboten. Dass sie mit den meisten ärztlichen Kollegen und medizinisch-technischen-Assistenten der Abteilung wirklich gut auskam, war keineswegs selbstverständlich. Doch mindestens ebenso froh war sie, dass die Sekretärinnen aus dem Schreibzimmer sie mochten. Das vereinfachte das Arbeiten.

Die Sekretärinnen waren es, die im Klinikalltag einer radiologischen Abteilung für einen reibungslosen Ablauf sorgten. Ärzten, die sie nicht mochten oder über die sie sich ärgerten, konnten sie jederzeit Steine in den Weg legen: ständige Nachfragen zum Diktat wegen unverständlicher Passagen, nicht sofort abgetippte Befunde oder gar verlorene Bänder. Die Möglichkeiten waren subtil und vielfältig, und die Ärzte konnten nichts dagegen tun.

Mildred widmete sich wieder dem Leuchtschirm, schaute sich Lunge, Herz und die sichtbaren Rippen sorgfältig an, fand aber nichts, was ihr Sorgen bereitet hätte. Die alte Dame hatte eine Schwiele am Zwerchfell, was darauf hinwies, dass sie irgendwann in ihrem Leben eine Lungenentzündung durchgemacht hatte, aber das war bei Geburtsjahr 1889 nichts Ungewöhnliches. Sie nahm das Mikrofon in die Hand und schaltete die Stenorette ein. Zehn Minuten später hatte sie die Befunde von den Oberschenkeln und dem Brustkorb diktiert. Die Kurzbefunde, mit deren Hilfe die Kollegen der Chirurgie ihre Therapieentscheidung treffen würden, schrieb sie mit der Hand auf die dafür vorgesehenen Zeilen der Anforderungsscheine. Dann nahm sie die Röntgenbilder vom Leuchtschirm und steckte sie in zwei Tüten, die sie mit Namen und Geburtsdatum der Patientin beschriftete.

Mildred holte das Band aus der Stenorette, legte es zusammen mit einer kleinen Schachtel Pralinen in den Ablagekorb für die Sekretärinnen und ging in den kleinen Raum, in dem ein Bett für den diensthabenden Radiologen stand und jeder Medizinalassistent einen schmalen Schrank für die persönlichen Sachen hatte. Der einzige Schrank ohne Namensschild war ihrer. Sie öffnete ihn, leerte die Taschen ihres Kittels, steckte Füller, Bleistifte, Lineal und die Anstecknadel mit ihrem Namen in ihre Handtasche und ließ den Kittel in den bereitstehenden Wäschesack fallen. Mit einem Griff in das obere Schrankfach vergewisserte sie sich, dass dort nichts mehr lag, dann nahm sie ihren Mantel und verließ den Raum. Auf dem Weg nach draußen ging sie an Professor Hainmayrs Büro vorbei. Mildred klopfte.

„Ja?“

Frau Büchner, die Sekretärin des Chefs, stand über ihren Schreibtisch gebeugt und sortierte Akten. Der Blick, den sie Mildred über den Rand ihrer dunklen Hornbrille zuwarf, war streng und missbilligend. Diese Frau war ihr nicht grün, das wusste Mildred seit ihrer ersten Begegnung. Ob sie ihr mit einem Wort oder unangemessenem Verhalten auf die Füße getreten war oder ob es an ihrem Haar oder ihrer Kleidung lag, wusste Mildred nicht. Wahrscheinlich gab es gar keinen konkreten Grund für diese Abneigung. Vielleicht war Frau Büchner einfach der Meinung, dass Frauen entweder berufstätig oder Mutter sein sollten, aber auf keinen Fall beides. Dass Mildred es sogar wagte, ihr Kind allein großzuziehen, ohne jemals den Kindsvater geheiratet zu haben, brachte viele Menschen an die Grenzen ihrer Toleranz, möglicherweise auch Frau Büchner. In der Schlange beim Bäcker oder Metzger hätte Mildred sie entweder überhaupt nicht beachtet oder ihr mit einer schlagfertigen Antwort die Stirn geboten. Doch leider bewachte diese Frau den Zugang zum Chef.

Wieso nennen die anderen Sekretärinnen sie eigentlich einen Drachen?, fragte sich Mildred nicht zum ersten Mal. Zerberus würde viel besser passen …

„Guten Tag, Frau Büchner.“ Mildred schob ihre Mundwinkel nach oben und lächelte. Sie mochte die Frau mindestens ebenso wenig wie diese sie, doch das war noch lange kein Grund, die Regeln der Höflichkeit zu vergessen. „Ist der Herr Professor kurz zu sprechen? Ich habe heute meinen letzten Tag und würde mich gern von ihm verabschieden und ihm danken.“

Das Wunder geschah, und das Gesicht der Sekretärin wurde weicher, fast milde – was bestimmt nicht an Mildred lag. Tatsächlich verhielt Frau Büchner sich dem Chef gegenüber, als wäre sie allein für sein Wohlergehen verantwortlich.

„Der Professor hat sehr viel zu tun und muss in zehn Minuten bei einer Besprechung mit Herrn Professor Neugebauer von der internistischen Abteilung sein. Aber ich kann ihn fragen, ob er ein paar Minuten erübrigen kann.“

„Danke. Ich brauche auch nicht lange.“

Frau Büchner rauschte davon. Mildred hörte ein beinahe zärtliches Klopfen, das Murmeln von Stimmen. Dann war die Sekretärin auch schon wieder zurück.

„Der Herr Professor erwartet Sie.“

Das Zimmer von Professor Hainmayr erinnerte Mildred immer ein bisschen an das Sprechzimmer ihres Vaters: Die Regale waren vollgestopft mit medizinischer Fachliteratur unterschiedlicher Disziplinen und gebundenen Jahrgängen der wichtigsten medizinischen und radiologischen Fachzeitschriften. Der Schreibtisch war zwar etwas größer als der ihres Vaters, aber ebenfalls aus Palisander gefertigt, und hatte die gleiche Form und die gleichen schlichten Verzierungen, bis hin zur eingearbeiteten schwarzen Lederauflage.

Professor Hainmayr erhob sich, schob sich die runde Brille im Gesicht zurecht und kam auf Mildred zu.

„Frau Dr. Wirtz!“ Er schüttelte ihr herzlich die Hand. „Die Büchner sagte mir gerade, dass Sie sich verabschieden wollen. Sind denn die zwei Wochen Vertretungszeit schon um?“

„Ja, Herr Professor, leider. Ich möchte Ihnen herzlich für die freundliche Aufnahme in Ihrer Abteilung danken.“

„Ach, nicht der Rede wert. Wir haben zu danken. Sie sind eine hervorragende Diagnostikerin, Frau Dr. Wirtz. Ich hätte Sie wirklich gern dauerhaft in meiner Abteilung. Leider wird auf absehbare Zeit keine Stelle frei, aber die nächste ist bereits für Sie reserviert. Solange müssen wir uns eben mit Urlaubsvertretungen trösten. Wann sind Sie denn wieder bei uns?“

„In vier Wochen, Herr Professor. Ich vertrete dann Herrn Dr. Vogl.“

„Jetzt erinnere ich mich wieder. Das freut mich. Wo arbeiten Sie in der Zwischenzeit?“

„Im Alpenpark-Sanatorium am Tegernsee.“

Professor Hainmayr hob eine seiner buschigen Augenbrauen.

„Das Alpenpark-Sanatorium. So, so. Da werden Sie bestimmt den ein oder anderen prominenten Gast aus Wirtschaft, Kultur und Politik kennenlernen. Wer weiß, vielleicht finden Sie so viel Gefallen am Umgang mit der illustren Gesellschaft, dass es Ihnen in einer Klinik wie der unserigen langweilig wird?“

Mildred lachte. „Das glaube ich kaum, Herr Professor.“

„Ganz ehrlich, das kann ich mir bei Ihnen auch nicht vorstellen.“ Der Professor lächelte und streckte ihr seine Hand entgegen. „Alles Gute, Frau Dr. Wirtz. Wir sehen Sie dann in vier Wochen.“

„Auf Wiedersehen, Herr Professor.“

Sie verließ das Sprechzimmer und nickte Frau Büchner zu, die auf einer Bibliotheksleiter stand und sie von oben herab streng durch ihre Brillengläser musterte.

„Falls jemand fragt, die Befunde von heute sind alle diktiert. Und diese Kurzbefunde und die Bilder“, sie winkte leicht mit den gelben Formularen, „bringe ich jetzt gleich direkt in die Chirurgie, Sie brauchen sich also um nichts zu kümmern. Auf Wiedersehen und bis in vier Wochen.“

Frau Büchner antwortete nicht, aber es klang, als seufzte sie. Glücklicherweise hielt Professor Hainmayr deutlich mehr von ihr als seine Sekretärin.

Mildred musste schmunzeln und machte sich auf den Weg in die Abteilung für Chirurgie.

Nur wenige Minuten später war sie auf dem Weg zum Kindergarten, in dem ihre vierjährige Tochter betreut wurde. Es regnete, und natürlich hatte sie am Morgen den Regenschirm zu Hause vergessen, doch das machte ihr nichts aus. Sie hielt sich einfach die Freitagsausgabe der Tageszeitung über den Kopf. Wegen des Anzeigenteils war sie so umfangreich, dass sie sie fast so gut schützte wie ein Schirm. Außerdem war der Regen warm und der Weg zum Kindergarten nicht weit. Während sie einer Frau mit Schirm auswich, dachte sie darüber nach, was der Professor über die nächste frei werdende Assistentenstelle gesagt hatte.

Dauerhaft im Innenstadt-Klinikum zu arbeiten, würde manches erleichtern – die ständige Suche nach Vertretungsstellen in Kliniken und Praxen in und um München herum würde wegfallen. Eine Festanstellung bedeutete auch ein geregeltes Einkommen. Außerdem lag die Klinik wirklich günstig. Weder zu ihrer Wohnung noch zum Kindergarten war es weit, und das Cornelchen fühlte sich dort wohl. Sie hatte Freundinnen gefunden, und die Betreuerinnen waren nett. Allerdings bedeutete eine feste Stelle auch, dass sie an den Nacht- und Wochenenddiensten teilnehmen und auch kurzfristig für erkrankte Kollegen einspringen musste. Das blieb ihr jetzt erspart, sodass sie die Betreuung ihrer kleinen Tochter leichter organisieren konnte. Darüber hinaus plante sie ihre Vertretungen so, dass zwischendurch ein paar Tage bis zu zwei Wochen Zeit war, die sie gar nicht arbeitete, sondern sich stattdessen voll und ganz auf Cornelia konzentrieren konnte. Sie verbrachten dann Stunden auf Spielplätzen, im Zoo und in Eisdielen, besuchten für einige Tage Mildreds Mutter in Amberg oder unternahmen kleine Reisen an den Rhein oder in die Berge. Sie saßen im Wohnzimmer auf dem Boden und spielten Memory, Mensch ärgere Dich nicht oder verarzteten Cornelias Teddy. Sie lasen und hörten gemeinsam Musik.

Mildred genoss diese Tage mit Cornelia, sie waren ihr kostbar. Wollte sie diese Freiheit wirklich aufgeben? Dann war da natürlich auch noch die finanzielle Seite: Vertretungen wurden sehr gut bezahlt, besser als die meisten Medizinalassistentenstellen, und mittlerweile hatte sie sich einen Stamm von Praxen und Kliniken erarbeitet, die bei ihr nachfragten, anstatt umgekehrt. Es gab also einiges zu bedenken.

Aber das sind alles noch ungelegte Eier, dachte sie und überquerte die Straße.

Vor ihr lag die Kirche aus rotem Backstein, direkt daneben der quadratische Neubau, in dem der Kindergarten untergebracht war. Vielleicht wurde in den nächsten drei Jahren in Professor Hainmayrs Abteilung keine Stelle frei. Dann wäre das Cornelchen sieben, ginge zur Schule und sie müssten ihren Alltag ohnehin neu ordnen. Es hatte also keinen Wert, sich jetzt schon den Kopf darüber zu zerbrechen.

Mildred rollte die durchweichte Zeitung zusammen und lief die Stufen zum Kindergarten hinauf. Es war gerade erst zwanzig vor drei, sie lag fantastisch in der Zeit. Mildred zog die schwere Eingangstür auf. Im Flur war es still, keine Kinderstimmen waren zu hören, kein Singen, kein Klappern von Spielzeug. Es roch nach Mittagessen, grüner Seife und Bohnerwachs, und an der Garderobe hingen nur noch wenige Jacken und Mäntelchen – ausnahmslos Kleidung von Kindern mit berufstätigen Müttern. Die anderen, deren Mütter sich zu Hause um Küche, Wäsche, Kinder und Haustiere kümmerten, wurden freitags meistens schon eher abgeholt.

Mildred ging leise zu dem Raum, in dem die vierjährigen Kinder betreut wurden, und schaute durch die in der Tür eingelassene Glasscheibe. Es war ein seltener Anblick, denn Cornelia saß ganz ruhig hinten im Raum, an einem der niedrigen Tische in der Nähe des Fensters. Vor ihr lag ein Blatt Papier, gleich daneben ein ganzes Bündel Wachsstifte. Sie hatte ihren Kopf tief über das Blatt geneigt, malte mit äußerster Konzentration und ließ sich auch durch das andere kleine Mädchen nicht stören, das einen Puppenwagen durch den Raum schob und dabei Kommt ein Vogel geflogen sang.

Eine junge Nonne in der Tracht der Novizinnen half einem kleinen Jungen, bunte Bauklötze vom Boden in eine Holzkiste zu räumen. Als Mildred gegen die Scheibe klopfte, schaute sie hoch, lächelte ihr zu und kam zur Tür.

„Guten Tag, Frau Doktor!“ Schwester Christine hatte eine wohlklingende, sanfte Stimme. Die Kinder, Cornelia eingeschlossen, liebten sie. Auch Mildred war sie die Liebste der sieben Nonnen, die neben den weltlichen Erzieherinnen hier im Kindergarten tätig waren. „Sie sind heute früh dran, Cornelia malt noch.“

Mildred legte einen Zeigefinger an die Lippen und schlich sich an ihre Tochter heran, die ihre Anwesenheit immer noch nicht bemerkt hatte. So leise wie möglich ging sie hinter dem Mädchen in die Hocke.

„Hallo, mein Cornelchen!“, flüsterte sie ihm ins Ohr.

Cornelias Kopf flog herum. Sie sah Mildred aus großen Augen an, dann begann sie zu strahlen, ließ den Wachsstift auf die Tischplatte fallen, sprang auf und breitete die Arme aus. „Mama!“

Sie schlang die Arme um Mildreds Hals und bedeckte ihr Gesicht mit feuchten Küssen, die nach Vanillepudding schmeckten.

„Wie sieht es aus? Bist du fertig mit deinem Bild? Können wir los?“

Cornelia runzelte die Stirn und betrachtete aufmerksam ihr Bild. Dann nickte sie ernsthaft. „Ja, bin fertig.“ Sie lächelte. „Das ist ein Geschenk für Tante Irene. Das bist du.“ Sie deutete mit ihrem bunt beschmierten Zeigefinger auf ein Strichmännchen mit einer wilden gelben Haarpracht, die Mildred spontan an einen Stubenbesen erinnerte. „Das ist Tante Irene.“ Das Strichmännchen hatte einen braunen Mopp auf dem Kopf. „Und das bin ich. Wir gehen in den Tierpark.“

„Das hast du toll gemacht. Die Tante Irene wird sich freuen.“ Mildred drückte ihre Tochter an sich. „Jetzt räum schnell auf, und wasch dir die Hände. Dann ziehst du dich an, und wir machen uns auf den Weg. Tante Irene wartet bestimmt schon auf uns.“

Cornelia gab Mildred das Bild, schob die Wachsstifte in die Schachtel und brachte sie zusammen mit der Malunterlage aus dicker Pappe zum Bastelschrank. Dann stürmte sie ins Bad. Mildred musste schmunzeln: Das war eher die Gangart, die sie von ihrer Tochter gewohnt war – hüpfen, rennen oder klettern.

Als Cornelia wieder herauskam, hob sie ihre Hände hoch und zeigte sie ihr.

„Schau, alles sauber.“ Cornelia strahlte.

„Dann komm, anziehen.“ Mildred schob ihre Tochter in den Flur. Cornelia setzte sich auf die niedrige Bank unter ihrem Haken und zog ihre Hausschuhe aus. „Schwester Christine …“

„Ja, Frau Doktor?“

„Nächste Woche bringt Frau Jäschke das Cornelchen in den Kindergarten und holt sie auch wieder ab. Ich arbeite außerhalb von München.“

„Cornelia hat uns schon davon erzählt“, sagte Schwester Christine und lächelte. „Aber gut, dass Sie das auch noch bestätigen, Kinder denken sich ja zuweilen die abenteuerlichsten Geschichten aus und halten sie für wahr. Ich trage es gleich in unser Buch ein, dann wissen alle Bescheid.“

„Danke.“

„Cornelia scheint sich jedenfalls schon sehr auf den Übernachtungsbesuch bei Frau Jäschke zu freuen.“

„Ja, zum Glück kommen die beiden sehr gut miteinander aus.“

„Den Eindruck habe ich auch immer, wenn Frau Jäschke sie abholt.“

Mildred half Cornelia, die Schleife an den Schuhen zu binden. Meistens war sie so locker, dass sie schon nach wenigen Schritten wieder aufging. Aber Cornelia gelang es von Tag zu Tag besser. Nicht mehr lange, und sie konnte es ganz allein. Und das war ebenfalls Schwester Christine zu verdanken, die mit nie enden wollender Geduld diese kleinen alltäglichen Dinge mit den Kindern übte – Knöpfe schließen, Pullover oder Bluse anziehen, Schuhe zubinden.

Mildred half ihrer Tochter in den Regenmantel und nahm dann die Reisetasche und den Kinderkoffer, den sie schon gestern gemeinsam gepackt hatten mit allem, was Cornelia unentbehrlich schien: Wachsstifte, ihre beiden Lieblingsbücher, den kleinen Arztkoffer und ihren Teddy. Das, was Mildred unentbehrlich schien – Schlafanzug, Wäsche, Kleidung, Zahnputzzeug –, befand sich in der Reisetasche.

„Auf Wiedersehen, Schwester Christine!“ Cornelia winkte der Nonne zu, dann nahm sie Mildreds Hand, und gemeinsam verließen sie den Kindergarten.

Der Bus, mit dem sie zu Irenes Wohnung fahren konnten, hielt nicht weit entfernt, und zum Glück hatte es aufgehört zu regnen. Mildred warf die feuchte Zeitung in einen Mülleimer an der Bushaltestelle. Unterdessen erzählte Cornelia alles, was an diesem Tag im Kindergarten vorgefallen war – dass Susanne sich das Knie auf der Rutsche aufgeschürft und Andreas seine Milch umgeworfen hatte, dass sie ein neues Lied gelernt und Blumen aus Papier gebastelt hatten und dass es Pfannkuchen zu Mittag gegeben hatte und zum Nachtisch Vanillepudding. Mildred schmunzelte. Wenn Cornelia mit Erzählen fertig war, hatte sie immer den Eindruck, selbst den Vormittag im Kindergarten verbracht zu haben.

„Und was hast du heute getan, Mama?“

„Ich habe Röntgenbilder gemacht, sie mir genau angesehen und den anderen Ärzten erzählt, woran der Mann oder die Frau erkrankt ist.“

„Zum Beispiel?“

„Da war zum Beispiel eine alte Frau, die auf einer Treppe ausgerutscht ist und sich das Bein gebrochen hat.“

„Oh. Tut das sehr weh?“

„Ja. Das tut sogar ganz fürchterlich weh. Deshalb ist sie ja auch ins Krankenhaus gekommen.“

„Und wie wird sie wieder gesund?“

„Weißt du, im Grunde könnten Knochen auch ganz von selbst wieder zusammenwachsen. Aber manchmal werden sie dann krumm. Deshalb kümmern sich die Chirurgen um diese Frau.“

„Was sind Chirurgen, Mama?“

„Das sind die Ärzte, die gebrochene Beine oder Arme eingipsen. Und manchmal operieren sie auch, um die Leute wieder gesund zu machen.“

„Was werden die Chi … Chigur …“

„Chirurgen.“

„Was werden die Chirurgen mit der Frau machen?“

„Das entscheiden sie anhand der Röntgenbilder, die wir gemacht haben. Ich nehme an, dass sie die Frau operieren werden.“

Cornelia nickte ernsthaft, dann hüpfte sie über die Gehwegplatten. Schließlich hob sie den Kopf. „Mama! Der Bus kommt!“


Kapitel 2

Darf ich drücken?«, fragte Cornelia, kaum dass sie vor dem Haus standen, in dem Mildreds Freundin Irene Jäschke wohnte.

„Natürlich.“ Sie hielt ihrer Tochter die schwere Haustür auf, und das Mädchen hüpfte an ihr vorbei auf den Fahrstuhl zu. Wenn Mildred ihre Freundin um etwas beneidete, dann die Annehmlichkeiten, die das moderne Apartmenthaus bot. Während sie selbst eine Wohnung in einem Haus Baujahr 1895 bewohnte und alles, egal ob Einkaufstüten, Kinderwagen, ein schlafendes Mädchen oder sich selbst, nach einem langen Arbeitstag in den vierten Stock hochschleppen musste, konnte Irene ganz bequem mit dem Fahrstuhl fahren. Dass Irenes Wohnung dafür sehr viel kleiner war und lediglich aus einem Raum mit Bettnische sowie einem winzigen Bad und ebenso kleiner Küche bestand, war allerdings ein Nachteil, den nicht einmal ein Fahrstuhl wieder wettmachen konnte. Es gab eben immer irgendeinen Haken.

Der Fahrstuhl sauste heran, und Mildred öffnete die glänzende Edelstahltür. Cornelia nahm ihre Hand und trat vorsichtig in den Fahrstuhl. Egal, wie gern sie mit dem Gerät fuhr – der schmale Spalt zwischen dem Treppenhaus und der Fahrstuhlkabine war ihr nicht geheuer. Sobald sie aber in der Kabine standen, kehrte ihre Lebendigkeit zurück.

„Ich drücke!“ Cornelia musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um an den Knopf mit der großen schwarzen Drei zu gelangen. Ihr Zeigefinger schaffte es eben gerade, die nötige Kraft aufzuwenden. Dann begann der Knopf zu leuchten, die innere Tür schloss sich, und mit Ruckeln und Summen setzte sich der Fahrstuhl in Bewegung.

Im dritten Stock angekommen, rannte Cornelia durch den langen Flur zu Irenes Wohnung.

Die Klingel schrillte. Licht fiel in den Hausflur, als sich die Tür öffnete.

„Cornelchen!“ Irene hob das Mädchen hoch und wirbelte sie einmal herum. „Ihr seid schon da!“

„Heute bin ich tatsächlich pünktlich losgekommen.“ Mildred stellte die Reisetasche auf die Fußmatte und umarmte ihre Freundin.

„Und ich bin natürlich noch nicht fertig.“ Irene lachte. „Aber vielleicht kannst du mir beim Tischdecken helfen?“ Sie streichelte Cornelia über den Kopf.

„Was gibt es denn?“

„Kaffee, Streuselkuchen vom Bäcker und für dich Kakao.“

„Hurra!“

Irene schaute dem Mädchen nach und lachte.

„Dieses Kind kann sich nicht langsam bewegen, oder?“ Dann verzog sie das Gesicht und seufzte. „Wieder diesen kindlichen Elan haben! Das würde ich mir wünschen.“

Mildred sah die Freundin prüfend von der Seite an. Unter dem dunkelbraunen Pony wirkte Irene etwas blasser als sonst, vielleicht sogar schmaler. Sie sah müde aus, abgekämpft.

„Ist alles in Ordnung, Irenchen?“ Besorgt berührte Mildred die Schulter der Freundin. „Wenn es dir zu viel wird, kann ich das Cornelchen auch mitnehmen an den Tegernsee …“

„Ach was. Willst du mich etwa beleidigen? Seit einem Monat freue ich mich auf die Woche mit der Kleinen!“ Sie lächelte. „Da werde ich doch jetzt keinen Rückzieher machen. Außerdem fehlt mir nichts.“

„Wirklich?“

„Ja. Wir haben ein paar Krankheitsfälle unter den Kollegen. Nichts Ansteckendes, sonst hätte ich dir wegen dem Cornelchen natürlich Bescheid gesagt. Nur eine Verkettung unglücklicher Zufälle – der eine Kollege hatte einen Herzanfall. Zum Glück war es nur ein Warnschuss, dennoch ist er vier Wochen lang ausgefallen. Ein weiterer Kollege musste zu seiner kranken Mutter nach Hamburg eilen, und der dritte ist in seinem Garten über einen Rechen gestolpert und hat sich den rechten Arm gebrochen.“ Sie hob resigniert die Schultern. „Du weißt ja, wie das ist, die Arbeit wird nicht weniger, nur weil drei Ärzte fehlen. Zum Glück ist der Kollege mittlerweile aus Hamburg zurück, und der mit dem Herzanfall fängt nächste Woche wieder an zu arbeiten. Ich kann meinen Urlaub also wie geplant am Montag antreten. Und ganz unter uns – ich brauche die freien Tage!“ Irene lächelte. „Ich freue mich schon auf den Tiergarten Hellabrunn, den Englischen Garten und kiloweise Eiscreme.“

„Sicher?“

„Ganz sicher.“

„Also gut.“ Mildred nickte erleichtert. Der Alltag in der Internistischen Abteilung eines Krankenhauses war auch ohne krankheitsbedingte Personalausfälle anstrengend genug. Dass Irene nach vier Wochen doppeltem Einsatz nicht gerade wie das blühende Leben aussah, konnte sie nachvollziehen. Und wenn ihre Freundin sagte, dass Cornelia bei ihr bleiben konnte, dann stimmte das. Sie hatten keine Geheimnisse voreinander und schwindelten einander auch nicht an, das hatten sie nicht nötig. Sie und Irene waren seit den ersten Tagen des Studiums miteinander befreundet. Dass sie beide gebürtige Kölnerinnen waren, hatte sie schnell zueinanderfinden lassen, sie hatten sich sogar lange Zeit eine Wohnung geteilt.

Irene war erst zum Studium nach München gekommen. Ihr Vater war einer der ungezählten Männer, die aus dem Russlandfeldzug nicht zurückgekehrt waren, und ihre Mutter arbeitete als Bürokraft in einer Tischlerei. Das Geld bei den Jäschkes war deshalb knapp. Mildred hingegen lebte bereits seit dem Krieg mit ihrer Familie in Bayern. Doch trotz der mehr als zwanzig Jahre hatte sie sich den bayrischen Dialekt nicht angewöhnt, man hörte ihr die Rheinländerin immer noch an. Und egal, wie gern sie in München lebte und arbeitete, der Kölner Dom, der Rhein, das offene, ehrliche Wesen der Kölner, das Außenstehende oft als schroff empfanden, die Kölner Mundart und – vor allem – der Karneval fehlten ihr. Natürlich feierte man den – als „Fasching“ – auch in Bayern. Sowohl in Amberg, wo sie mit ihren Eltern und ihrer Schwester Lilian ein paar Jahre gelebt hatte und ihre Mutter immer noch wohnte, als auch in München gab es im Fasching Umzüge und zahlreiche Festlichkeiten. Aber das war nichts im Vergleich zu den närrischen Tagen in Köln, die immer schon am Donnerstag vor Rosenmontag mit der Weiberfastnacht begannen. Mildred und Irene hielten sich „in der Fremde“, wie sie es scherzhaft nannten, aneinander fest, quatschten Kölsch miteinander und reisten jedes Jahr zum Karneval in die Heimat. In den letzten Jahren hatten sie bei Irenes Mutter übernachtet, doch die lebte nun auch seit Kurzem in München. Sie war chronisch herzkrank, und Irene wollte sie lieber in ihrer Nähe haben, damit sie sich um sie kümmern konnte.

Mildred und Irene vertrauten einander bedingungslos, halfen sich gegenseitig, wann immer es nötig war, waren ehrlich zueinander, feierten, lachten und weinten gemeinsam. Als Mildred aus Berlin zurückkam, schwanger von einem verheirateten Mann, war es Irene, die, wie sie selbst auch, davon überzeugt war, dass Mildred keinen Ehemann brauchte, um das Kind großzuziehen. Irene hatte ihr auch beigestanden, als Mildreds Mutter und andere Verwandte sie bedrängten, das Kind doch wenigstens zur Adoption freizugeben. Irene war Cornelias Patin und kümmerte sich liebevoll um die Kleine, wenn Mildred zu einer abendlichen Fortbildung gehen wollte oder – so wie jetzt – einen Vertretungsauftrag außerhalb von München übernahm. Irene selbst war aus eigener Entscheidung unverheiratet und kinderlos und freute sich über ihre „Wochenend-und-Ferien-Tochter“, und Cornelia liebte ihre Tante Irene heiß und innig.

Mildred hängte ihren Mantel an die Garderobe und ging in das Zimmer, das Ess-, Arbeits-, Wohn- und Schlafzimmer zugleich war. Mit dem ihr eigenen Sinn fürs Praktische hatte Irene ihre kleine Wohnung so eingerichtet, dass all ihre Bedürfnisse erfüllt wurden und die Wohnung trotzdem nicht vollgestellt wirkte. Die Möbel waren modern und übernahmen meistens mehrere Funktionen. So war der Esstisch zugleich der Schreibtisch, der sich bei Bedarf in die zierliche Regalwand klappen ließ, in der sich auch noch eine Bar verbarg. Der Couchtisch war zugleich Bücher- und Schallplattenregal, und das Sofa konnte mit wenigen Handgriffen in ein Gästebett verwandelt werden. Ein überaus bequemes Bett, wie Mildred aus eigener Erfahrung wusste.

„Wo soll ich schlafen, Tante Irene?“

„Dieses Mal schläfst du in meinem Bett, Cornelchen.“

„Juhu!“ Mildred konnte sie verstehen. Für ein Kind war die Nische, in der Irenes Bett stand, vor Licht und Blicken geschützt von einem schweren, geschmackvollen Vorhang, ein Traum. Wie eine eigene kleine Höhle. „Danke.“

Cornelia umarmte ihre Patin, und Irene wirkte gerührt. Sie goss Wasser in den Kaffeefilter.

„Der Kaffee ist gleich fertig, und die Milch sollte jetzt auch heiß genug sein.“

Mildred holte Teller und Tassen aus dem Küchenschrank und deckte den Tisch, Cornelia half Irene, den Kuchen anzuschneiden.

„Ich hoffe, dass er schmeckt. Ich habe ihn heute aus einer anderen Konditorei geholt als sonst.“

Das kleine Mädchen beugte sich über den Kuchen und sog die Luft ein.

„Er riecht schon mal gut.“

„Außerdem ist es Kuchen!“ Mildred lachte. „Da ist es dir doch beinahe egal, wie er schmeckt.“

 

Der Kuchen war aufgegessen, und Cornelia richtete sich in Irenes Bettnische häuslich ein. Mildred konnte hören, wie sie hinter dem Vorhang mit ihrem Teddy flüsterte. Sie und Irene saßen noch bei einer Tasse Kaffee zusammen.

„Wann musst du los?“, fragte Irene.

„In ein paar Minuten. Mein Zug geht um sechs, und vorher muss ich noch meinen Koffer von zu Hause holen.“

„So spät? Ist dann noch jemand in der Klinik? Und wo hast du dein Quartier?“

„Irgendjemand wird schon noch da sein.“ Mildred lachte. „Ich werde jedenfalls am Bahnhof abgeholt und erhalte ein Zimmer in der Klinik. Und morgen früh um neun treffe ich mich mit Frau Klitzsch, der Inhaberin des Sanatoriums, und dem Ärztlichen Direktor und werde in meine Aufgaben eingewiesen. Ich denke, du kannst nachvollziehen, dass ich morgen nicht vor fünf aufstehen will, um rechtzeitig um neun in Bad Wiessee zu sein.“

„Vollstes Verständnis.“ Irene nickte. „Alpenpark-Sanatorium … Ist das nicht die Kurklinik für Prominente?“

„Ja.“ Mildred seufzte und fuhr sich durchs Haar. „Und du bist, weiß Gott, nicht die Erste, die das anspricht. Dabei ist es doch völlig wurscht, ob vor mir ein Showmaster liegt oder ein Maurer. Krank ist krank. Und auf dem Röntgenschirm sind Herkunft und Beruf sowieso egal. Da sehen alle gleich aus.“

„Trotzdem.“ Irene schmunzelte. „Wenn du mal nicht mit einem berühmten Schauspieler oder Künstler an deiner Seite aus der Vertretungszeit zurückkommst!“

„Irene!“ Mildred wusste nicht, ob sie lachen oder sich ärgern sollte. „Deine Fantasie möchte ich haben! Das wäre bestimmt lustig.“

„Wir werden sehen. Wollen wir wetten?“

„Nein.“ Mildred warf einen kurzen Blick auf ihre Armbanduhr und stand auf. „Außerdem muss ich jetzt los. Kann ich dich mit dem Abwasch allein lassen?“

„Selbstverständlich. Ich habe ja heute Hilfe.“

Mildred ging zu der Bettnische. „Klopf, klopf!“

Der Vorhang wurde ein Stück zur Seite gezogen, und dahinter kam Cornelias Gesicht zum Vorschein. „Guten Tag, was wünschen Sie?“

„Ich bin die Mama und möchte mich von meinem Cornelchen verabschieden.“

Das Mädchen sprang vom Bett und ihr in die Arme.

„Tschüss, mein Schatz! Viel Spaß in der Woche und tanz der Tante Irene nicht auf der Nase herum.“

„Mach ich nicht.“

„Glaub ich dir sogar. Ich werde versuchen, jeden Abend anzurufen. Ob das klappt, kann ich aber nicht versprechen, je nachdem, wie krank die Leute dort sind und wie viel ich arbeiten muss. Ich werde dir aber schreiben. Und am nächsten Sonntag bin ich schon wieder da.“

„Ich freue mich schon, Mama!“ Cornelia schlang ihre Arme um Mildreds Hals, und sie trug ihr Töchterchen durch den Hausflur bis zum Fahrstuhl.

„Tschüss, Cornelchen.“ Mildred gab ihrer Tochter noch einen Kuss, dann umarmte sie Irene. „Danke, dass ich sie dir wieder einmal anvertrauen darf.“

Der Fahrstuhl hielt. Das war immer der Moment, in dem es für sie am schwersten war, Cornelia zurückzulassen – egal ob nur für einen Abend oder eine ganze Woche.

„Sehr gerne, Mildred. Du weißt, wie gern ich Cornelia bei mir habe. Mach dir keine Sorgen, wir beide kommen zurecht.“

„Ich weiß.“ Mildred ging in den Fahrstuhl und drückte den Knopf ins Erdgeschoss. „Dann bis nächsten Sonntag!“

Cornelia und Irene winkten, Mildred winkte zurück, dann schloss sich die Fahrstuhltür, und sie fuhr nach unten.

Emmi Pickler - Eine mutige Kinderärztin, die die Pädagogik revolutionierte

Blick ins Buch
Die Pädagogin der glücklichen KinderDie Pädagogin der glücklichen Kinder

Emmi Pikler – Ihre Lehre war eine sanfte Revolution, ihr Leben unter den Nazis in höchster Gefahr

„Die Pädagogin der glücklichen Kinder“ | Historischer Roman über eine mutige Kinderärztin, die die Pädagogik revolutionierte

Laura Baldinis fesselnder Roman über die junge Emmi Pikler (1902-1984), die unter den Nazis um ihr Leben fürchtete und von den Eltern ihrer Schützlinge gerettet wurde

Wien, 1930er Jahre: Die frisch promovierte Emmi ist begeistert von den modernen Ansätzen der Kindermedizin, denn Ärzte, Analytiker und Pädagogen arbeiten zum Wohle der Kleinsten zusammen. Hier will sie ihre eigenen Ideen einer liebevollen Erziehung weiterentwickeln. Als sie ihren späteren Mann kennenlernt, scheint Emmis Glück vollkommen. Doch dann ergreifen die Nazis die Macht, und Emmi, die Jüdin ist, gerät in Lebensgefahr. Sie kann sich mit ihrer Tochter zur Familie eines „ihrer“ Kinder retten. Aber niemand weiß, ob das Versteck sicher ist. Und ob Emmi ihren Mann je wiederfinden kann …

Leserinnen von historischen Büchern können in dieser Romanbiografie das Schicksal der großen Kinderärztin Emmi Pikler entdecken.

Das friedliche und erfüllte Zusammenleben von Eltern und Kindern war eines der zentralen Anliegen von Emmi Pikler. Früh erkannte sie, dass Kinder, die in den Vorstädten Wiens auf der Straße spielten und auf Bäume und Eisenbahnpuffer kletterten, viel seltener Knochenbrüche und Gehirnerschütterungen hatten als Kinder aus wohlhabenden Familien, die sich ruhig verhalten und „benehmen“ mussten.. Also fing sie an, die Bewegungsentwicklung von Kindern zu beobachten. Was Emmi Pikler vor hundert Jahren erforschte, hat heute mehr Relevanz denn je. 

„Ein fesselnder Roman über eine mutige Frau, die für ihre bahnbrechenden Forschungen einstand und trotz starkem Gegenwind ihren Weg ging.“ Der Sonntag

Bedeutende Frauen, die die Welt verändern

Mit den historischen Romanen unserer Reihe entführen wir Sie in das Leben inspirierender und außergewöhnlicher Persönlichkeiten! Auf wahren Begebenheiten beruhend erzählen unsere Autor:innen von den großen Momenten und den kleinen Zufällen, von den schönsten Begegnungen und den tragischen Augenblicken, von den Träumen und der Liebe dieser starken Frauen.

Budapest, Februar 1945

Der Wasserfleck an der Decke der Gefängniszelle schien über Nacht weiter gewachsen zu sein. Im schummrigen Licht der Glühbirne war auch zu sehen, wie die Schimmelflecken an den Wänden beständig größer wurden.

Wie viel Zeit mochte vergangen sein, seit György in dieses Gefängnis im Norden Ungarns verlegt worden war? Er und die beiden Männer, mit denen er sich die triste Zelle teilte, hatten längst aufgehört, kleine Striche in den abblätternden Putz der Zellenwand zu kratzen.

Tage waren zu Wochen, Wochen zu Monaten und schließlich Monate zu Jahren verschwommen. In der ganzen langen Zeit hatte György die Hoffnung niemals aufgegeben. Er war davon überzeugt gewesen, dass er die verhasste Zelle mit den unbequemen Stahlrohrbetten und den kratzigen, stinkenden Decken eines Tages wieder verlassen würde. Mit einem schier grenzenlosen Optimismus hatte er sich in Form gehalten, hatte jeden Tag Liegestütze, Strecksprünge und Klappmesser gemacht. Als Sportlehrer wusste er, was seinem Körper guttat. In den Bibliotheken der Gefängnisse, in denen er die letzten Jahre verbracht hatte, hatte er sich unterschiedlichste Bücher ausgeliehen, um auch seinem Gehirn Nahrung zu geben. Er hatte über die Gefahren von Wundbrand gelesen und über die Fortpflanzung von Blattläusen und Nacktschnecken. Mit seinem erworbenen Wissen hatte György seine Mitinsassen aufgeheitert und sie in Diskussionen verwickelt. Sein Ziel war es, die Gefangenschaft gesund zu überstehen. Wenn er seine Frau und seine Tochter wieder in die Arme schloss, wollte er ihnen nicht wie ein klappriger Greis gegenübertreten. Er war davon überzeugt, dass die Faschisten nicht ewig an der Macht bleiben würden und Hitler irgendwann die Kraft ausgehen würde. Es konnte nicht mehr lange dauern. Mit dem Einstieg der Amerikaner in den Krieg war klar, dass Deutschland irgendwann in die Knie gezwungen werden würde. Es war bloß eine Frage der Zeit.

Doch gestern war Györgys Zuversicht mit einem Schlag zerstört worden. Seither hatte die Angst ihn fest im Griff und umklammerte sein Herz wie eine eisige Faust.

„Genießt die letzte Nacht in der feudalen Unterkunft“, hatte der Gefängniswärter zu ihm und den beiden Mitgefangenen gesagt. Er machte kein Geheimnis aus seiner judenfeindlichen Einstellung. „Ab morgen werdet ihr drei mit einem Haufen anderer Juden losmarschieren.“

Die Männer wussten, was diese Worte bedeuteten, denn die Gerüchte darüber, wohin die Gefangenen gebracht werden sollten, waren bis ins Gefängnis gedrungen. Seitdem weinte Peter, der Jüngere der beiden, fast ununterbrochen, während Karel, der Ältere, mit leerem Blick an die Zellenwand starrte und beharrlich schwieg. Beide schienen mit dem Leben abgeschlossen zu haben.

Sie hatten gehört, dass alle Gefangenen zu Fuß nach Deutschland geschickt wurden. Ihr Ziel war eines der Vernichtungslager. Hitler konnte den Krieg nicht mehr gewinnen, doch die Nazis wollten so viele Juden wie möglich mit in den Untergang nehmen, als trügen diese die Schuld an der Niederlage des „Tausendjährigen Reichs“.

György starrte zum Wasserfleck an der Decke. Ein weiterer Tropfen hatte sich gebildet, der auf den Fliesenboden klatschte und in den undichten Fugen versickerte. Es war Györgys letzte Nacht in einem ungarischen Gefängnis. Diesen Moment hatte er sich anders vorgestellt – freudig und optimistisch. Er hatte gehofft, wieder mit seiner Familie vereint zu werden und sein früheres Leben fortführen zu können. Stattdessen drohte ihm jetzt der Tod. Noch nie war er so real gewesen.

Draußen herrschte eisige Kälte. Keiner der Gefangenen war ausreichend warm gekleidet, um den Marsch unversehrt zu überstehen. Die meisten Männer würden noch vor dem Ziel sterben. Die Lager waren alle weit weg. Unter den Gefängnisinsassen wurde hinter vorgehaltener Hand gemunkelt, wie die Nazis mit ihren Gegnern umgingen. György hatte ausreichend Fantasie, um sich den Rest selbst auszumalen. Diejenigen, die überhaupt bis zum Lager gelangten, würde man dort töten. Die Nazis waren gründlich. Wer auf ihren Listen stand, wurde erbarmungslos umgebracht. Es erschien György wie ein böser Zynismus, dass er ausgerechnet jetzt, da der Krieg fast zu Ende war, doch noch sterben musste.

Budapest, Herbst 1920

Die Straßen waren vom Regen der letzten Tage noch matschig, und in den Vertiefungen hatten sich Schlammpfützen gebildet. Doch zum ersten Mal seit einer Woche war der Himmel über Budapest wieder blau und wolkenlos. Die Sonne glitzerte auf den sanften Wellen der Donau, die die Stadt in die beiden Teile Buda und Pest teilte, und der Blick auf den Festungsberg mit der Matthiaskirche und dem imposanten Bau des Finanzministeriums war ungetrübt.

Während das altehrwürdige Buda im Glanz der herbstlichen Sonne erstrahlte, zeigte sich in Pest ein anderes Stadtbild. Im Stadtteil Taban, wo sich die Anlegestellen der „Donaudampfschiffahrtsgesellschaft“ befanden, drängten sich am Abhang des Gellértbergs niedrige Lagerhallen. Die Gebäude hatten schon bessere Zeiten gesehen. Der Putz blätterte hier und dort ab, die Dächer hatten Löcher, und es stank nach Unrat. Ratten huschten über die unbefestigte Straße, die zum Frachthafen am Franz-Josefs-Kai führte.

Emmi und Eva versuchten, die braunen Pfützen auf dem Weg geschickt zu umrunden. Trotzdem versanken die Absätze ihrer Schuhe im weichen Untergrund und beschmutzten das teure Leder. Dem Jungen neben ihnen erging es noch schlimmer. Die Räder seines einfachen Handkarren steckten fest, und das kleine Fässchen mit Essiggurken, das er damit transportiert hatte, war auf die Straße gerollt. Zum Glück hatten die Metallringe die Dauben zusammengehalten, doch der Bursche fluchte trotzdem. Hätte es die Zeit zugelassen, hätten Emmi und Eva ihm ihre Hilfe angeboten. Aber so konnten sie ihm bloß mitleidige Blicke zuwerfen und an ihm vorbeilaufen. Sie waren spät dran. Bereits in einer Stunde sollte das Frachtschiff Richtung Wien ablegen.

„Wäre es nicht klüger gewesen, du hättest ein Personenschiff genommen?“, fragte Eva besorgt.

Emmi schüttelte entschieden den Kopf. Dabei rutschte ihr das kinnlange Haar in die Stirn, und sie schob es mit der freien Hand energisch zurück. Mit der anderen trug sie einen kleinen Reisekoffer, in dem sich alles befand, was sie für die nächsten Wochen benötigte. Es war nicht viel: zwei Kleider, Strümpfe, eine Strickjacke, Unterwäsche, ein Notizblock und Stifte.

„Das wäre zu riskant“, sagte sie. „Ich habe keine Ahnung, wann wieder ein Personenschiff Richtung Wien fährt. Die ersten Vorlesungen beginnen schon in drei Tagen.“

Im Juni hatte Emmi sich an der medizinischen Fakultät in Wien eingeschrieben, denn als Jüdin konnte sie in Budapest nicht studieren. Seit Miklós Horthy die linke Räteregierung unter Béla Kun mit Gewalt abgelöst und die Macht übernommen hatte, galten für Juden strenge Zulassungsbeschränkungen. Zahlreiche Wissenschaftler und Künstler hatten im letzten Jahr Ungarn verlassen. Es hatte eine wahre Auswandererwelle gegeben, deren Ende nicht in Sicht war. „Ich werde mir von diesem Herrn Horthy ganz gewiss nicht meine Zukunft verbauen lassen“, hatte Emmi gesagt und war im Juni in ihre Geburtsstadt Wien gereist, wo sie sich problemlos an der Universität hatte immatrikulieren können. Doch als sie wieder nach Budapest gekommen war, hatte man den Personenverkehr zwischen den beiden Städten fast vollständig eingestellt, weshalb es jetzt schwieriger war, außer Landes zu gelangen.

Ängstlich ergriff Eva Emmis Hand. „Ich mache mir Sorgen. Es ist nicht ungefährlich, illegal mit einem Frachtschiff zu reisen. Was passiert, wenn man dich erwischt? Oder wenn der Kapitän bloß das Geld von dir kassiert und dich dann an die Behörden ausliefert?“

Die beiden jungen Frauen verband seit Jahren eine enge Freundschaft. Sie hatten die Schulzeit gemeinsam gemeistert und sich durch alle Krisen ihres bisherigen Lebens begleitet. Eva war Emmi zur Seite gestanden, als diese mit nur zwölf Jahren ihre Mutter verloren hatte, und später, als Eva kleine Streitereien mit irgendwelchen Klassenkameradinnen gehabt hatte, war Emmi für sie da gewesen. Jetzt würden sich Emmis und Evas Wege zum ersten Mal trennen. Während Emmi nach Wien ging, würde Eva in Budapest Chemie studieren, denn sie war keine Jüdin und unterlag damit auch nicht dem Numerus clausus.

„Ach, das wird schon alles gut gehen“, versicherte Emmi und bemühte sich um ein sorgloses Lächeln. „Der Kapitän hat mir versprochen, dass ich sicher in Wien ankommen werde. Er wird mich gewiss nicht verraten oder den Behörden ausliefern.“

„Aber ich werde dich vermissen“, sagte Eva.

„Und ich dich erst“, antwortete Emmi.

Von ihrem Vater hatte sie sich schon am Vorabend verabschiedet. Er war stolz, dass sein einziges Kind Emmi in seine alte Heimat Wien zurückkehrte, um dort Ärztin zu werden. Vor vielen Jahren war er nach Budapest gegangen, wo er sich erfolgreich eine Existenz als Tischler aufgebaut hatte. Es war ihm gelungen, mit der Herstellung von Brotschiebern so viel Geld zu verdienen, dass er Emmi ein gutes Leben ermöglichen konnte. Der Abschied war Vater und Tochter überraschend leichtgefallen.

Ganz anders gestaltete sich die Trennung von der Freundin. Emmi spürte, wie sich Tränen ankündigten, doch sie hielt sie tapfer zurück. Mit dem Tod ihrer Mutter hatte sie gelernt, ihre Gefühle vor anderen zu verbergen. Es war ihr unangenehm gewesen, ständig zu erklären, dass sie einen tragischen Verlust hatte hinnehmen müssen. Inzwischen fiel es ihr leicht, gute Laune vorzutäuschen, auch wenn ihr elend zumute war. Niemals würde sie in der Öffentlichkeit weinen. Eva war aus weniger hartem Holz geschnitzt. Sie schniefte so laut, dass sogar die Hafenarbeiter, die ihnen entgegenkamen, sie voller Mitleid ansahen.

„Wien ist nicht aus der Welt“, beruhigte Emmi die Freundin. „Wenn du Sehnsucht nach mir hast, kommst du mich besuchen.“

„Du weißt, dass das so nicht stimmt und wir uns höchstens in den Ferien sehen können.“

„Und an langen Wochenenden oder einfach so, wenn uns danach ist“, entgegnete Emmi und bemühte sich um eine fröhliche Stimme, auch wenn Evas Traurigkeit ansteckend wirkte.

Mittlerweile hatten die beiden den Hafen erreicht. Mehrere Schiffe lagen hintereinander am Kai.

„Welches ist deins?“, fragte Eva. Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Nase und sah sich um.

„Das dahinten“, erklärte Emmi und zeigte mit ausgestrecktem Arm auf das hinterste Schiff. Es hatte Kohle gelagert, das in riesigen Haufen auf der Ladefläche lag.

„Wo um Himmels willen willst du da Platz finden?“, fragte Eva ungläubig.

„Ich werde schon irgendwo sitzen können“, versicherte Emmi. „Schließlich habe ich keine Luxusfahrt auf der Donau gebucht. Hauptsache, ich komme rasch nach Wien.“

Wenn alles nach Plan lief, würde sie schon morgen Abend bei der Familie ihrer Mutter sein. Emmi kannte die Verwandten nur flüchtig. Trotzdem hatte man nicht gezögert, sie aufzunehmen, als sie um Unterstützung gebeten hatte. Auf lange Sicht sollte Emmi bei einer ledigen Cousine der Mutter unterkommen, Tante Leopoldine, die derzeit im Salzkammergut auf Sommerfrische war. Sie würde in zwei Wochen wieder in Wien sein.

Eva zwang Emmi, den Koffer abzustellen. Dann nahm sie sie in den Arm und schluchzte laut. „Spätestens zu Allerheiligen bin ich bei dir! Ganz egal, was passiert. Wenn keine Züge fahren und die Personenschifffahrt eingestellt wird, setze ich mich auch auf so einen Haufen dreckiger Kohlen.“

„Oder du nimmst dein Fahrrad“, erwiderte Emmi lachend.

Eva liebte ihr Fahrrad, auch wenn es nach wie vor als skandalös galt, wenn Frauen damit herumfuhren. Doch diese Freiheit ließ sich Eva, die sonst nicht die Tapferste war, nicht nehmen.

„Gute Idee“, meinte Eva. „Entlang der Donau kann das nicht so lange dauern. Vielleicht wäre ich sogar schneller als so ein altes Frachtschiff.“ Sie wischte sich erneut die Tränen aus den Augen. „Und du versprichst mir, dass du gut auf dich aufpasst.“

„Versprochen.“

„Und du schreibst mir, sobald du in Wien angekommen bist.“

„Es ist das Erste, was ich machen werde.“

„Und wenn es dir nicht gefällt, dann kommst du sofort wieder zurück nach Budapest.“

Emmi trat einen Schritt zurück und sah Eva ernst an. Eine blonde Strähne hatte sich aus ihrem geflochtenen Zopf gelöst und hing der schmächtigen kleinen Freundin in die helle Stirn. Eva wirkte viel jünger, als sie tatsächlich war.

„Bitte mach dir keine Sorgen um mich“, bat Emmi. „Mir fällt es doch auch schwer, dich zu verlassen.“

„Den Eindruck habe ich nicht“, schniefte Eva.

„Was denkst du denn? Aber wenn ich Ärztin werden will, muss ich nach Wien gehen. Hier in Ungarn sind mir die Hände gebunden. Horthys Judenhass ist schier grenzenlos. Wenn er könnte, würde er uns alle des Landes verweisen.“

„Aber du kommst doch wieder zurück, oder?“ Evas Stimme klang weinerlich.

„Ja, natürlich kehre ich zurück. Ich kann dich doch nicht alleinlassen.“ Sie zwinkerte Eva aufmunternd zu. „So, und jetzt muss ich an Bord gehen!“

Bevor Emmi Gefahr lief, von Evas Gefühlen angesteckt zu werden, löste sie sich aus der Umarmung. Sie schnappte ihren Koffer, schickte der Freundin eine letzte Kusshand und lief dann zielstrebig auf das Frachtschiff zu, ohne sich umzudrehen. Auf keinen Fall wollte sie weinend das Schiff betreten.

Es gab keinen Grund zur Trauer. Emmi ging nach Wien. Seit dem Zerfall des Vielvölkerstaats war Wien mehr denn je ein Magnet für Wissenschaftler und Künstler aus allen Teilen der einstigen Habsburgermonarchie. Und Emmi würde dazugehören.

Geschickt kletterte sie über eine schmale Brücke aufs Schiff. Sobald sie den sicheren Boden des Hafens verlassen hatte, spürte sie, wie ein freudiges Kribbeln ihren Körper durchzog. Ihr Abenteuer hatte begonnen. Emmi konnte es kaum erwarten.


Wien, Januar 1924

Erbarmungslos schrill läutete der Wecker und riss Emmi aus ihren Träumen. So schnell es ihr müder Körper erlaubte, beendete sie das grelle Geräusch. Sie wollte Tante Poldi, bei der sie nun schon seit gut drei Jahren wohnte, nicht wecken. Die alleinstehende Frau schlief morgens gerne länger, da sie abends meist spät ins Bett ging. Sie war eine begeisterte Theaterbesucherin, aber auch Tanzveranstaltungen, Kabaretts und Konzerten gegenüber nicht abgeneigt. Ihre privilegierte finanzielle Lage erlaubte ihr Vergnügen dieser Art.

Ein Teil der Wiener Bevölkerung kämpfte auch gut fünf Jahre nach Kriegsende noch mit Armut und Arbeitslosigkeit, der große Hunger der ersten Nachkriegsjahre war jedoch für die meisten überstanden. Trotz hoher Inflation und herrschenden Mangels waren in Wien erste Ansätze einer Aufbruchsstimmung erkennbar. Grund dafür war das Trennungsgesetz vom Land Niederösterreich, das der roten Stadtregierung die Entscheidungsfreiheit über die Steuereinnahmen ermöglichte. Seither wurden große Pläne geschmiedet, um der sozialen Ungerechtigkeit die Stirn zu bieten. Das Geld sollte in den sozialen Wohnbau, in die Bildung und die Gesundheit der Bevölkerung investiert werden.

Eines dieser Vorzeigeprojekte sollte Emmi heute kennenlernen – im Rahmen ihres Praktikums in der neu gegründeten Heilpädagogischen Abteilung der Universitätsklinik im Allgemeinen Krankenhaus. Der Gedanke daran vertrieb mit einem Schlag ihre Müdigkeit. Sie rappelte sich im Bett auf und lauschte. Aus der Küche drangen bereits die ersten Geräusche. Tante Poldi war schon munter. Das konnte nicht an Emmis Wecker gelegen haben.

Sie zog die Decke weg und bereute es schon im nächsten Moment. Eisige Kälte schlug ihr entgegen. Tante Poldis Wohnung wurde über einen zentralen Kachelofen im Wohnzimmer geheizt. Dort herrschten auch nachts angenehme Temperaturen. Emmi hatte gestern Abend dummerweise vergessen, die Tür zu ihrem Zimmer offen zu lassen, damit etwas von der Wärme auch in ihr Zimmer gelangte. Jetzt bekam sie die Rechnung präsentiert.

Rasch sprang sie aus dem Bett. Auch der Parkettboden war eisig. Da half es nichts, sich auf den bunten orientalischen Teppich zu stellen, der unter dem kleinen Schreibtisch lag. Beim Anziehen stellte sie fest, dass auch ihre Kleidung klamm war vor Kälte. Ein Blick aus dem Fenster verriet den Grund. Es hatte letzte Nacht wieder angefangen zu schneien. Mindestens zwanzig Zentimeter Neuschnee waren gefallen, und noch immer rieselten dicke Flocken vom grauen Himmel. Emmi konnte sich nicht daran erinnern, in Budapest jemals so viel Schnee erlebt zu haben.

Als sie fertig angezogen war, ging sie ins Badezimmer. Tante Poldi hatte sich vor Jahren fließendes Wasser in die Wohnung leiten lassen. Ein Luxus, der den meisten Wienern fremd war. Leider war das Wasser, das aus der Leitung kam, eisig kalt. Heute fühlte es sich an, als wäre es gefroren. Emmi begnügte sich mit einer raschen Katzenwäsche. Mit einer Bürste kämmte sie ihren Pagenkopf, klemmte die vorderen Strähnen mit einer Haarspange aus der Stirn und begutachtete kritisch ihr Spiegelbild, doch sie war mit dem Ergebnis zufrieden.

In der Küche duftete es nach frisch aufgebrühtem Kaffee und getoastetem Weißbrot.

„Guten Morgen“, begrüßte Emmi ihre Tante Poldi, die am Herd stand und gerade zwei Eier in eine Pfanne gleiten ließ. Sie trug einen flauschigen Morgenmantel und hatte ihr graues Haar nachlässig zusammengebunden.

Poldi galt in Emmis Familie als Enfant terrible. Sie hatte sehr früh sehr reich geheiratet, war aber nie schwanger geworden. Als ihr Ehemann schon drei Jahre nach der Hochzeit einer Lungenkrankheit zum Opfer gefallen war, hatte Poldi auf einen weiteren Bund der Ehe verzichtet. Sie hatte zwar eine Ausbildung zur Lehrerin gemacht, war aber nie im Lehramt tätig gewesen. „Warum sollte ich mich noch einmal an einen Mann binden oder mich den Regeln einer Schule unterwerfen?“, pflegte sie zu sagen. „Mein Leben ist perfekt, so wie es ist. Ich verfüge über genügend Geld, um das tun und lassen zu können, wonach mir der Sinn steht.“ Wie es Poldi gelungen war, ihren Reichtum während des Krieges weiter auszubauen, wusste niemand so genau, und Emmi fragte nicht nach. Sie war froh, dass sie bei der unkonventionellen Tante ein Dach über dem Kopf gefunden hatte. Noch nie zuvor in ihrem Leben hatte Emmi so viele Freiheiten genossen wie bei Tante Poldi.

„Ich hoffe, ich habe dich nicht aufgeweckt“, sagte Emmi.

„Aber nein. Ich habe mir extra den Wecker gestellt, damit ich dir vor Beginn deines ersten Praktikums ein ordentliches Frühstück richten kann.“

Tante Poldi schenkte Kaffee in ein Häferl und goss Milch dazu. „Hier, bitte!“ Sie stellte die dampfende Tasse vor Emmi auf den Tisch.

„Das ist lieb von dir. Vielen Dank“, sagte Emmi gerührt. In den letzten Jahren war ihr immer wieder schmerzlich bewusst geworden, wie sehr sie ihre Mutter vermisste. Sie war viel zu früh gestorben, und zur älteren Cousine der Mutter, die der Vater dann ins Haus geholt hatte, um Emmi versorgt zu wissen, war nie eine warme Beziehung entstanden. Ganz anders war nun ihr Verhältnis zu Tante Poldi in Wien.

„Bist du sehr aufgeregt?“, fragte die Tante und setzte sich an den Tisch, nachdem sie für Emmi und sich je ein fertiges Spiegelei auf einen Teller geschoben und ein geröstetes Weißbrot vom Vortag dazugelegt hatte.

Emmi überlegte. Ursprünglich hatte sie sich für Frauenheilkunde interessiert, doch dann hatte sie sich für Kinderheilkunde entschieden. Maßgeblich dazu beigetragen hatte ein Vortrag von Dr. Pirquet, dem Leiter der Universitätskinderklinik des Allgemeinen Krankenhauses, in dem er die Heilpädagogische Abteilung vorgestellt hatte. Dort arbeiteten erstmals Ärzte, Pädagogen und Psychologen zusammen. Kinder, die lange Zeit auf der Station verbringen mussten, wurden nicht nur medizinisch versorgt, sondern erhielten auch Unterricht. Das war einzigartig in ganz Europa. Emmi freute sich darauf, Dr. Lazar zu begegnen, dem Leiter der Heilpädagogischen Abteilung. Ja, sie war ein wenig angespannt, aber es war eine freudige Aufregung.

„Ein bisschen“, gab sie zu.

„Du musst mir heute Abend alles über die Universitätskinderklinik erzählen“, bat Tante Poldi sie. „Meine Freundin Lili Roubiczek hat von der Heilpädagogischen Abteilung geschwärmt. Eines der Kinder, das sie in ihrem Kinderhaus betreut, musste ins Krankenhaus. Sie hat es dort besucht und war begeistert. Lili meinte, dass Kinder dort besser aufgehoben seien als in so manchem Kindergarten dieser Stadt.“

Offenbar hatte Emmi etwas ratlos ausgesehen, denn Tante Poldi schob gleich eine Erklärung hinterher: „Lili und ihre Freundin haben das Kinderhaus in der Troststraße gegründet. Es ist das erste Haus, in dem nach den Methoden von Maria Montessori gearbeitet wird.“

„Den Namen Maria Montessori habe ich noch nie gehört“, gab Emmi zu. Ihre Tante erzählte von so vielen interessanten Menschen aus ihrem Bekanntenkreis – Ärzten, Malern, Musikern –, dass Emmi sich nicht alle merken konnte. Manchmal hatte sie den Eindruck, als gäbe es nichts, wofür Tante Poldi sich nicht interessierte. Ihr Talent, Menschen einander vorzustellen und so für hilfreiche Verbindungen zu sorgen, war einzigartig.

„So genau weiß ich über die Italienerin auch nicht Bescheid“, räumte Tante Poldi ein. „Sie ist Ärztin und hat ein neues pädagogisches Konzept entwickelt. So hat es zumindest Lili erzählt.“

„Klingt interessant“, sagte Emmi.

„Ich muss Lili noch einmal genauer fragen“, meinte Tante Poldi nachdenklich. „Auf alle Fälle muss die Heilpädagogische Abteilung gut sein, wenn Lili davon begeistert ist. Sie hat einen sehr kritischen Blick. Außerdem habe ich gehört, dass Sigmund Freuds Tochter Anna dort vor Kurzem ein Praktikum absolviert hat.“

Emmi stopfte sich das letzte Stück Toast in den Mund und spülte mit Milchkaffee nach. Dann wischte sie sich mit der Serviette über den Mund.

„Deshalb freue ich mich ja so auf die Arbeit“, sagte sie. „Ich habe bis jetzt nur Gutes von der Abteilung gehört.“

„Ich kann mir vorstellen, dass viele Studenten in die Klinik wollten“, meinte Tante Poldi.

„Das stimmt. Ich hatte wirklich großes Glück“, bestätigte Emmi und warf einen Blick auf die Küchenuhr an der Wand. In zwei Stunden musste sie in der Universitätsklinik sein. „Denkst du, dass heute die Straßenbahnen pünktlich fahren werden?“

Tante Poldi lachte. „Emmi, schau mal aus dem Fenster. Es liegt so viel Schnee, dass die Männer mit dem Schneeräumen gar nicht nachkommen.“

„Das heißt, ich sollte besser zu Fuß gehen?“

„Wenn du nicht gleich am ersten Tag zu spät kommen willst, würde ich dir das dringend raten!“

Also machte sich Emmi mit doppelter Geschwindigkeit über ihr zweites Stück Toastbrot her. Das schmutzige Geschirr stellte sie in die Spüle. Noch bevor sie mit dem Abwasch anfangen konnte, hielt Tante Poldi sie zurück.

„Lass nur, ich mach das schon“, sagte sie. „Schau du lieber, dass du rechtzeitig in der Kinderklinik bist.“

„Du bist die Beste!“ Emmi lief ins Vorzimmer, wo ihr dicker Wintermantel hing. Sie setzte ihre Mütze auf und griff nach Schal und Fäustlingen. Über die neuen Winterstiefel, die sie sich kurz nach Chanukka gekauft hatte, war sie heute besonders dankbar.

 

Genau wie Tante Poldi es vorhergesagt hatte, herrschte Chaos auf den Straßen. Kinder, die unterwegs in die Schule waren, bewarfen sich mit Schneebällen und genossen die weiße Pracht, die das Leben in der Stadt verlangsamte. Ihr fröhliches Lachen wurde ebenso gedämpft wie alle anderen Geräusche. Was des einen Freud, war des anderen Leid. Die Straßenfeger hatten ihre Besen gegen Schaufeln eintauschen müssen und bemühten sich redlich, die Gleise der Straßenbahnen frei zu bekommen. Ihr Erfolg war überschaubar, denn kaum war eine Strecke schneefrei, wurde sie schon wieder zugeschneit.

Emmi verzichtete lieber auf öffentliche Verkehrsmittel. Das Risiko, stecken zu bleiben, war einfach zu groß. Auf gar keinen Fall wollte sie am ersten Tag ihres Praktikums zu spät kommen. Tante Poldis Wohnung lag in der Taborstraße in der Nähe des Karmelitermarkts, einer Gegend, wo in den letzten Jahren der Anteil der jüdischen Bevölkerung gestiegen war. Nur die wenigsten von ihnen waren strenggläubig. Auch Tante Poldi und Emmi gingen nicht sonderlich oft in die Synagoge und aßen durchaus Gerichte, die nicht koscher waren. Nur an den traditionellen Feiern hielten sie fest. Der nächste Höhepunkt im Kalender war Purim, ein Fest, das Emmis Vater gerne als jüdischen Fasching bezeichnete.

Emmi stapfte Richtung Universität und versank dabei stellenweise knöcheltief im Schnee. Die Äste der Pappeln, die im Sommer für ausreichend Schatten sorgten, bogen sich unter der Last des nassen Schnees. Ein humpelnder Mann kam Emmi entgegen. Er stützte sich auf eine Krücke, eine Prothese ersetzte ein Bein. Mittlerweile hatte Emmi sich an den Anblick verstümmelter Männer gewöhnt. Der größte und schrecklichste Krieg aller Zeiten hatte eine ganze Generation von ihnen als Krüppel zurückgelassen. Wer körperlich unversehrt geblieben war, hatte seelische Narben davongetragen. Emmi hatte von Männern gehört, die nächtelang nicht schliefen oder schweißgebadet aus Albträumen aufschreckten, in denen sie sich wieder in einem Schützengraben befanden.

Sie ließ die trüben Gedanken hinter sich und überquerte den Ring. Der Prachtboulevard, der die Wiener Altstadt umschloss, war für gewöhnlich voll von flanierenden Passanten, Fuhrwerken und vereinzelten Automobilen, denen man eine große Zukunft voraussagte. Heute wirkte er geradezu verwaist. Nur hin und wieder kamen Emmi Fußgänger entgegen, die genau wie sie selbst auf die Tram verzichteten und zu Fuß zur Arbeit gingen. Die Bettler, die für gewöhnlich an der Mölkerbastei hockten, einem der letzten Überbleibsel der alten Stadtmauer, waren heute nicht gekommen. Emmi pflegte ihnen Wechselmünzen aus ihrem Portemonnaie in die verbeulten Blechdosen zu werfen. Sie hoffte inständig, dass die armen Menschen irgendwo ein trockenes Plätzchen gefunden hatten. Immer noch lebten viel zu viele Obdachlose auf den Straßen Wiens. Da halfen auch die Maßnahmen der Stadtregierung nichts. Es würde noch Jahre in Anspruch nehmen, bis alle Menschen mit bezahlbaren Wohnungen und ausreichend Arbeit versorgt waren.

Emmi zog den Schal enger um den Hals. Geschmolzene Schneeflocken hatten die Wolle durchnässt, sodass sie kaum noch wärmte. Gut, dass Emmi ihr Ziel bald erreicht hatte. Das Gebäude der Universitätsklinik lag bereits vor ihr.

Über die Stufen stapfte sie zum Eingang hinauf, schüttelte den Schnee von ihrem Mantel und marschierte zum Portier. Ein Mann mittleren Alters sah kurz von seiner Zeitung auf und musterte Emmi über den Rand seiner Brille hinweg. Der eine Ärmel steckte leer in der Sakkotasche. Noch bevor Emmi nach dem Weg fragen konnte, wies er mit der verbliebenen Hand zu den Stufen. „Dr. Lazar erwartet die Praktikanten vor seinem Büro.“ Dann widmete er sich wieder seinem Artikel. Offenbar war Emmi nicht die erste Studentin, die heute von ihm hatte wissen wollen, wohin sie gehen sollte. Sie bedankte sich und stieg in den ersten Stock hinauf. Es roch nach Desinfektionsmittel, aber in einem viel dezenteren Ausmaß, als sie es aus anderen Krankenhäusern gewohnt war.

Über einen Gang gelangte sie zu einem Büro. Vor einer offenen Tür hatten sich bereits sechs junge Männer versammelt. Zwei davon kannte sie aus dem Anatomiekurs und winkte ihnen fröhlich zu. Hans, ein Student, mit dem sie im Sezierkurs zusammengearbeitet hatte, trat zu ihr.

„So ein Sauwetter“, schimpfte er. „Ich wäre beinahe zu spät gekommen. Die Tram ist stecken geblieben, und wir mussten alle aussteigen.“

„Ich habe gleich auf die Straßenbahn verzichtet und bin den ganzen Weg gelaufen.“

„Kluges Mädchen!“, kommentierte Hans grinsend.

Da trat ein kleiner, schlanker Mann im Arztkittel auf den Gang. Er zog eine Metallbrille aus der Manteltasche und setzte sie sich auf die spitze Nase. Freundlich sah er in die Runde.

„Wie schön, dass Sie es alle pünktlich geschafft haben“, sagte er und zog eine Taschenuhr aus der anderen Kitteltasche. „Da Sie alle hier sind, können wir gleich mit unserem Rundgang durch die Abteilung starten.“ Er schob die Uhr zurück in die Tasche. „Aber erst einmal zeigt Fräulein Zak Ihnen die Garderobe. Dort können Sie Ihre Straßenkleidung ablegen. Wir haben Arbeitskittel für Sie vorbereitet.“

Eine hübsche junge Frau in Schwesterntracht, mit einem weißen Häubchen auf dem dunklen Haar, kam den Gang entlang. Sie hielt ein Klemmbrett im Arm und grüßte in die Runde.

„Guten Tag. Ich bin Viktorine Zak, die leitende Stationsschwester. Kommen Sie mit.“ Sie winkte die Studenten mit sich und las im Gehen die Namen vor. Als sie bei Emmis Namen angelangt war, lächelte sie. „Ich nehme an, dass Sie Emmi Reich sind. Sie sind der einzige weibliche Praktikant.“

Emmi bejahte.

„Aber keine Angst, es gibt noch mehr Frauen in der Abteilung. Bei uns arbeiten neben den Pflegekräften auch zwei Ärztinnen“, erklärte Fräulein Zak stolz. „Das ist deutlich mehr als in allen anderen Abteilungen. Sie werden Frau Dr. Weiss und Frau Dr. Bruck bald kennenlernen.“

„Ich freue mich darauf“, sagte Emmi.

Sie hatten die Garderobe erreicht, wo alle ihre Mäntel ausziehen und in die vorbereiteten Arztkittel schlüpfen konnten. Dass hier auch weibliche Kollegen arbeiteten, hatte sich bei der Schneiderei noch nicht herumgesprochen. Die Ärmel waren für Emmi so lang, dass sie sie zweimal aufkrempeln musste, und auch an den Schultern war der Mantel deutlich zu breit. Sie kam sich vor wie ein Kind in der Kleidung des Vaters.

Viktorine Zak bemerkte ihr Unwohlsein. „Ich werde Frau Dr. Weiss bitten, Ihnen morgen einen ihrer Kittel zur Verfügung zu stellen“, sagte sie entschuldigend.

„Das ist sehr freundlich. Vielen Dank.“

In den weißen Kitteln ging es zurück zu Dr. Lazars Büro, wo für jeden Studenten ein Stuhl bereitstand. Emmi betrat den Raum als Letzte und musste sich ganz nach vorne setzen. Es war ihr nur recht. So verpasste sie keines von Dr. Lazars Worten. Der Arzt sprach sehr leise.

„Sie haben sich für ein Praktikum an der Universitätskinderklinik entschieden“, fing er an. „Diese Klinik wurde 1911 gegründet und wird seither von Dr. Pirquet geleitet.“ Er räusperte sich. „Seit einigen Jahren gibt es an der Klinik eine Heilpädagogische Abteilung, der ich vorstehen darf. Der Name der Abteilung verrät auch schon die Besonderheit. Es ist ein Ort, an dem Ärzte, Pädagogen und Psychologen zusammenarbeiten.“

„Warum Pädagogen?“, fragte einer der Studenten.

„Die meisten Kinder, die wir betreuen, verbringen mehrere Wochen bei uns“, erklärte Dr. Lazar. „Wir haben festgestellt, dass es nicht reicht, sie medizinisch zu versorgen. Die Kinder müssen auch kognitiv gefordert werden. Sie erhalten bei uns ganz normalen Unterricht. Genau wie in den Schulen.“

„Aber sind sie denn dazu in der Lage, wenn sie doch krank sind?“, wollte ein anderer Student wissen.

„Ein gebrochenes Bein hindert einen nicht am Lernen.“

„Aber in Ihrer Abteilung befinden sich auch schwachsinnige Kinder. Wie und vor allem was sollen die lernen?“, widersprach der Student.

„Auch diese Kinder, oder besser gesagt gerade diese Kinder bedürfen einer speziellen Förderung. Während ein gesundes Kind selbstständig in einem Buch lesen kann, braucht ein schwachsinniges Kind unsere Unterstützung.“

„Und was machen die Psychologen?“, wollte der Student wissen. Unter dem offenen weißen Kittel trug er einen feinen Anzug. Die Schuhe waren aus feinstem Leder, und am Handgelenk prangte eine wertvolle Uhr. Sein zur Schau getragener Reichtum war nicht zu übersehen.

„Ich bin davon überzeugt, dass es exogene und endogene Wurzeln für Probleme aller Art gibt“, sagte Dr. Lazar. „Um zu erkennen, wo die Schwierigkeiten liegen, benötigen wir differenzierte Beobachtungen. Niemand kann das besser als unsere Kollegen aus der Psychologie.“

„Arbeiten etwa auch Psychoanalytiker bei Ihnen?“ Der Student sprach das Wort wie eine Beschimpfung aus.

Neugierig drehte sich Emmi nun zu ihm um. Er war ihr schon in anderen Vorlesungen aufgefallen und hatte einmal sehr abfällige Bemerkungen über Juden gemacht. Über seine rechte Wange zog sich eine hässliche Narbe, wahrscheinlich das Ergebnis eines Initialrituals einer schlagenden Burschenschaft. Emmi hatte von diesen Bünden gehört, denen ausschließlich Männer angehörten.

„Ja“, sagte Dr. Lazar. „Ich schätze die Meinung der Kollegen. Es ist mir in den letzten Jahren gelungen, unseren Klinikleiter Dr. Pirquet davon zu überzeugen, dass eine Zusammenarbeit verschiedener Professionen befruchtend ist. Wir erzielen erfreuliche Ergebnisse.“

„Es gibt Stimmen, die behaupten, dass die Psychoanalyse jüdischer Unsinn sei“, warf der Student ein.

„Noch vor hundert Jahren war man davon überzeugt, dass der Aderlass die einzig richtige Methode sei, Menschen zu heilen. Zum Glück entwickelt die Wissenschaft sich weiter.“ Dr. Lazar klang immer noch freundlich.

„Aber birgt es nicht Gefahren, wenn so viele verschiedene Professionen an einem Patienten herumdoktern?“, beharrte der Student.

„Jeder neue Blickwinkel erweitert die Sicht und ermöglicht ein tieferes Verstehen“, widersprach Dr. Lazar ruhig. Seine Geduld war offenbar grenzenlos. Emmi hätte den Studenten an seiner Stelle schon längst in die Schranken gewiesen. „Wir halten wöchentlich einen runden Tisch ab. Bei diesen Besprechungen wird über jeden unserer kleinen Patienten gesprochen. Die Meinung unseres Pflegepersonals ist dabei ebenso wichtig wie die der Ärzte, der Pädagogen und der Psychologen.“

„Wie kann denn wohl eine Krankenschwester oder eine Lehrerin den Gesundheitszustand eines Kindes beurteilen?“, entgegnete der Student provokant.

Dr. Lazar schüttelte kaum merklich den Kopf. „Sobald Sie an einer unserer Besprechungen teilgenommen haben, werden Sie verstehen, was ich meine. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Kürzlich wurde ein Kind bei uns eingeliefert, das nicht redete. Es war in einer Pflegefamilie untergebracht gewesen. Man attestierte ihm eine schwere geistige Behinderung. Es starrte die ganze Zeit über an die Wand.“

„Also ein schwachsinniges Kind“, sagte der Student.

„Schwester Viktorine Zak beschäftigte sich mit dem Kind und fand heraus, dass es lesen und schreiben konnte.“

„Dann war es vielleicht bloß stumm“, schlug ein anderer Student vor.

„Die Frage ist doch: Was führte dazu, dass dieses Kind aufgehört hatte zu sprechen?“ Dr. Lazar sah nun in die Runde.

„Die Stimmbänder wurden verletzt“, mutmaßte ein dritter Student.

„Eine Krankheit, die den Kehlkopf befallen hat“, riet ein anderer.

„Es sind nicht immer Krankheitserreger oder Unfälle, die zu körperlichen Symptomen führen“, erklärte Dr. Lazar. „Dr. Weiss, die auch Analytikerin ist, hat sich auf die Suche nach dem Übel begeben. Es hat sich herausgestellt, dass das Kind kurz vor Kriegsende eine schreckliche Gewaltszene mit ansehen musste. Die eigene Mutter war vor seinen Augen misshandelt und danach getötet worden. Es haben dem Kind schlicht die Worte gefehlt, um diese Bilder zu beschreiben.“

Für einen Moment schwiegen alle betreten.

Emmi war die Erste, die sich zu Wort meldete. „Hat das Kind seine Sprache wiedergefunden?“

„Es ist gerade dabei“, sagte Dr. Lazar und schenkte Emmi ein Lächeln. „So ein Prozess der Verarbeitung braucht seine Zeit. Was ich Ihnen mit diesem Beispiel sagen will: Die einfachste Lösung ist nicht immer die richtige. Um ein Krankheitsbild zu verstehen, muss man mehr untersuchen als bloß die nicht funktionierende Stelle im Körper. Wir betrachten unsere kleinen Patienten möglichst ganzheitlich.“

Fasziniert hing Emmi an den Lippen des Arztes. Alles, was er sagte, klang für sie plausibel.

„Es steht Ihnen allen frei, sich für eine andere Praktikumsstelle zu entscheiden“, meinte Dr. Lazar. „Wer hier mitarbeiten und von uns lernen will, der muss sich an unsere Regeln halten.“

Er wandte sich an den vorlauten Studenten. Doch statt zu widersprechen, hatte der seinen Kopf eingezogen und schwieg, tief über seinen Notizblock gebeugt.

„Fein“, sagte Dr. Lazar zufrieden. „Dann lade ich Sie alle zu einem Rundgang durch unsere Abteilung ein.“

Emmi war vom ersten Tag an von der Universitätsklinik begeistert. Ihr Praktikum in der Heilpädagogischen Abteilung glich einer abenteuerlichen Reise, auf der sie täglich etwas Neues dazulernte. Fasziniert saugte sie die Erklärungen von Dr. Lazar und Dr. Pirquet auf. Doch niemand in der Abteilung verstand es besser, die Kinder zu beobachten, als Viktorine Zak. Haargenau protokollierte die Krankenschwester das Verhalten der Kinder und trug ihre Beobachtungen in die wöchentlichen Besprechungen, an denen auch die Praktikanten teilnehmen durften. Jeden Tag wurde Emmi bewusster, dass man hier nicht nur Diagnosen stellte und die kleinen Patienten mit Medikamenten behandelte. Man war bemüht, die Kinder zu verstehen und dem auffälligen Verhalten auf den Grund zu gehen.

Nach einem der wöchentlichen runden Tische sagte Viktorine Zak zu Emmi: „Jedes Kind ist individuell. Es gibt einen ganz speziellen Schlüssel, der zu seinem Inneren führt und der uns hilft, es zu verstehen. Unsere Aufgabe ist es, diesen Schlüssel zu finden.“

Emmi notierte diesen Satz in ihrem Tagebuch und strich ihn rot an. Es überraschte sie nicht, dass Besucher aus ganz Europa und sogar aus den Vereinigten Staaten nach Wien kamen, um diese einzigartige Abteilung zu besuchen. Im Schreibwarengeschäft neben Tante Poldis Wohnung besorgte sie sich ein Notizbuch. Sofort fing sie an, genau wie Viktorine Zak es ihr zeigte, alle Beobachtungen minutiös darin zu protokollieren. Schon bald ging ihr das Notieren in Fleisch und Blut über. Beim Schreiben fielen ihr Dinge auf, die sie sonst übersehen hätte.

Als das Praktikum am Ende des Semesters vorbei war, fühlte Emmi Wehmut. Sie verließ die Station nur ungern, war sie doch überzeugt, dass sie hier doppelt so viel über die Entwicklung von Kindern gelernt hatte wie in den letzten Jahren in den Hörsälen der Universität.

Ihre Begeisterung schlug sich auch in ihren Noten nieder. Emmi war eine der Besten ihres Jahrgangs. Mehr als über die guten Zeugnisse freute sie sich über Dr. Lazars lobende Worte bei ihrem Abschied. „Es steckt großes Potenzial in Ihnen“, sagte er voller Überzeugung. „Sie haben die notwendige Empathie und Beobachtungsgabe, um eines Tages eine sehr gute Ärztin zu werden.“

Derart motiviert verbrachte Emmi den Großteil ihrer freien Zeit mit Lernen. Nur hin und wieder gönnte sie sich eine Pause. Es war Eva und Tante Poldi zu verdanken, dass sie nicht ausschließlich vor ihren Büchern hockte.

Wie versprochen kam ihre Freundin in den Ferien nach Wien. Die beiden machten Ausflüge in die nähere und weitere Umgebung. In nur zwei Stunden Bahnfahrt erreichten sie die Hausberge der Wiener, den Semmering, die Rax oder den Schneeberg. Die alpine Landschaft war neu für sie beide. Sie genossen die Wanderungen durch dichte Wälder und bestaunten die schroffen Felsformationen, die sie an Illustrationen in Märchenbüchern erinnerten.

Tante Poldi sorgte dafür, dass Emmi auch am gesellschaftlichen Leben der Stadt teilnahm. Sie lud sie ins Theater ein, nahm sie in Konzerte und Ballettaufführungen mit und überredete sie sogar zu einem Ball. Emmi tanzte die ganze Nacht durch und war hinterher davon überzeugt, dass der Walzer der schönste Tanz der Welt sei.

Interview mit den Autorinnen Romy Seidel und Petra Hucke

Sie beide schreiben über bedeutende Frauen, die der Welt etwas Bleibendes geschenkt haben. Was macht Ihre Protagonistinnen so besonders? Was hat Sie am meisten an ihnen beeindruckt? 

Romy Seidel: An Anna Freud hat mich definitiv am meisten beeindruckt, dass sie in die Fußstapfen ihres berühmten Vaters Sigmund Freud getreten ist und dabei, wie ich finde, sehr klug und bedacht vorging. Sie hat ihn bewundert und dennoch versucht, sich von ihm abzugrenzen und ihren eigenen Weg zu gehen. Und das, obwohl sie sich immer nach seiner Anerken­nung, seinem Wohlwollen gesehnt hatte. 
In der Psychoanalyse hat sie sich von traditionellen Mustern gelöst und einen Schritt in eine neue Rich­tung gemacht. 
Was mich ebenfalls sehr beeindruckt hat, ist, wie selbstlos und liebevoll sie sich um ihren Vater geküm­mert hat, als er krank wurde. Ich glaube, es hat ihr einiges abverlangt, dennoch hat sie es als selbstver­ständlich erachtet und sich nie beklagt. 

Petra Hucke: An Emily Warren Roebling faszinieren mich ihre Durchsetzungskraft und ihr Humor. Eine Freundin von mir ist Architektin, und sie erzählt manchmal, wie es ist, sich als Frau im Büro und auf der Baustelle durchsetzen zu müssen. Im 21. Jahrhun­dert. Wie muss das erst im 19. Jahrhundert gewesen sein?
Alle (männlichen) Zeitzeugen schwärmen von Emilys Takt und ihrer Zurückhaltung - diesen ach so weiblichen Eigenschaften -, aber ich denke mir, dass ziemlich viel Hartnäckigkeit dabei gewesen sein muss, denn Takt allein hätte sie nicht weitergebracht. Ihr Humor spricht aus erhaltenen Briefen - von ihr selbst gibt es leider nur wenige, aber von ihrem Mann Wa­shington sind zahlreiche überliefert, und der Ton da­rin ist herzerwärmend und wird ihrem eigenen sehr entsprochen haben. 

Was fasziniert die Leserinnen in der heutigen Zeit an diesen Frauen? Warum sind sie noch immer - oder aber erst jetzt - so spannend und inspirierend? 

Romy Seidel: Ich glaube, sie sind nach wie vor inspirie­rend, weil sie ihrer Zeit voraus waren und sich etwas getraut haben. Viele haben auf Konventionen gepfif­fen, wollten unbeirrt und mutig ihren Weg gehen. Sie haben sich von dem frei gemacht, was sie eingeengt hat und zeigen uns Frauen noch heute, was möglich ist, wenn man an sich glaubt und etwas wagt. 

Petra Hucke: Emily hätte bestimmt auch schon Lese­rinnen früherer Generationen interessiert. Doch wie auch so viele andere Frauen musste sie erst „wieder­entdeckt" werden. In einer Monografie über den Bau der Brooklyn Bridge aus den 196Der Jahren wird sie nicht einmal erwähnt. In einem Buch aus den 1970er Jahren wird gesagt, sie habe ein paar Briefe zwischen ihrem Mann und der Baustelle hin und her getragen. Aus den 1980ern gibt es in den USA zum Glück schon eine Biografie über sie, aber ein Roman musste bis heute warten. 

Warum sind genau diese Frauen so perfekte Romanfiguren? 

Petra Hucke: Für mich war Emily perfekt, weil man recht viel über ihr Umfeld weiß - der Bau der Brook­lyn Bridge ist in dicken Wälzern beschrieben und aus vielen Richtungen erforscht, über John A. Roebling und Washington Roebling gibt es Biografien.
Emily selbst war, denke ich, zu bescheiden oder einfach zu pragmatisch, um eine Autobiografie oder sonsti­ge Schriften zu hinterlassen. Und so kann man sich leicht ein erstes Bild über sie machen, ohne aber all­zu viel über sie persönlich zu wissen. Genug Freiraum für das Autorinnenhirn, eine Geschichte zu finden. 

Romy Seidel: Auf mich als Schriftstellerin üben diese Frauen schon lange einen großen Reiz aus. Weil sie ein aufregendes, bewegendes Leben hatten, weil sie Mut, Ein­fallsreichtum und Klugheit bewiesen und weil sie sich ge­traut haben, aus dem Schatten ihrer Männer oder Väter zu treten.
Sie mussten Hürden überwinden, Ketten sprengen und sich Gehör verschaffen. Für mich die perfekten Ro­manheldinnen - und ich muss sie nicht mal erfinden. 

Was meinen Sie, kann man Wissen in Roman­form vermitteln? 

Petra Hucke: Mit dem Wissen aus einem Roman sollte man wohl nicht in eine Quizshow gehen, in der Daten abgefragt werden, denn es soll vorkommen, dass die Autorin mal ein Jahr oder zwei streicht, wenn es dem Spannungsbogen im Weg steht. Auch dass das Fundament auf der Brooklyn-Seite in 13,56 Metern Tiefe steht, auf der Manhattan-Seite jedoch in 23,93 Metern, kann man anderswo sicher besser erfahren.
Denn da­rum geht es in einem Roman natürlich nicht, sondern darum, ein Gefühl für die Menschen und ihre Zeit zu bekommen und in ihre Geschichte einzutauchen. 

Romy Seidel: Ich glaube, die Romanform ist die perfekte Möglichkeit, Wissen zu vermitteln, weil man als Autor Tatsachen und Fiktion miteinander verbinden kann. Man kann Fakten spannend erzählen und im besten Fall dafür sorgen, dass beim Leser das Kopfkino anspringt und er oder sie das Wissen ganz automatisch aufnimmt. 

Geschichte wurde immer von Frauen und Männern gemacht, das Verdienst von Frauen jedoch oft unterschlagen. Nicht zuletzt seit Filme wie „Hidden Figures“ einen anderen Fokus gewählt haben, ändert sich das. Bekommen die starken Frauen schon genug Aufmerksamkeit? 

Romy Seidel: Ich finde es großartig, dass die starken Frauen seit ein paar Jahren Aufmerksamkeit bekom­men. Aber es gibt noch immer eine Menge Frauen, die es verdienen, dass ihre Geschichte erzählt wird. 

Petra Hucke: Die Aufmerksamkeit darf gern noch eine ganze Weile auf sie gerichtet bleiben. Ich bin sicher, es gibt noch so einige Frauen zu entdecken, die mit ihrem Mut und ihrer Chuzpe auch heute noch als Vor­bild dienen können.  

Kurzbiografien bedeutender Frauen
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12 Porträts

Wagemutige Abenteurerinnen überwinden Grenzen

In seinem neuen Buch nimmt uns Armin Strohmeyr mit auf die tollkühnen Wagnisse von zwölf der mutigsten Abenteurerinnen des 16. bis 20. Jahrhunderts. Er führt uns hinaus aufs offene Meer, u. a. mit der Piratenkönigin Granuaile O'Malley, lässt uns mit Rosita Forbes die todbringende Libysche Wüste auf der Suche nach der verbotenen Oase Kufra durchreiten und entführt uns in die Weiten der Lüfte mit der Fliegerpionierin Amelia Earhart. Alle porträtierten furchtlosen Frauen einte der Drang, die Grenzen des Denkbaren zu weiten und sich die Welt gegen alle Widerstände zu eigen zu machen.

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