Vorwort
Kaum etwas auf der Welt bewegt unser Herz so sehr wie ein in Worte gefasstes Liebesgeständnis – umso mehr, wenn es handgeschrieben ist, auf einem Blatt Papier und in einem schönen Kuvert, das wir voller Spannung und Ungeduld aufreißen. Auch im Zeitalter von E‑Mails und SMS hat der Liebesbrief nichts von seinem Zauber verloren. Er ist ein greifbares Stück unserer Lebens- und Liebesgeschichte, das wir überall herumtragen, in unser Lieblingsbuch oder unters Kopfkissen legen können; das wir in Momenten der Verzweiflung vielleicht in Stücke reißen oder verbrennen wollen; das wir aber auch jahrzehntelang aufbewahren und immer wieder hervorholen können, wenn uns danach ist – auch dann, wenn wir alt und grau geworden sind.
Die Liebe mag flüchtig sein wie das Leben, Liebesbriefe sind unsterblich.
Das vorliegende Buch versammelt Liebesbriefe berühmter Frauen und Männer aus neun Jahrhunderten – vom Liebesgeständnis der Ordensschwester Heloïse an den Mönch Abaelard aus dem Jahr 1133 bis hin zum Trostbrief des Journalisten Stieg Larsson an seine Lebensgefährtin Eva Gabrielsson von 1977, der erst siebenundzwanzig Jahre später geöffnet und gelesen wurde. Unter den Verfassern sind Schriftstellerinnen und Schriftsteller der Weltliteratur, Komponisten und Sängerinnen, Politiker und Salonièren, Journalistinnen und Wissenschaftler, Stars von der Bühne und der Leinwand. Auch eine Herzogin, zwei Könige, eine Zarin und ein Zar finden sich darunter. Ihnen allen gemeinsam ist, dass sie ihrer Liebe und Sehnsucht in wunderbaren Worten Ausdruck verliehen haben.
Eigentlich gehen Briefe und insbesondere Liebesbriefe nur die etwas an, die sie schreiben und für die sie bestimmt sind. Eine Prise Voyeurismus mag also im Spiel sein, wenn wir die intime Korrespondenz anderer lesen, zumal die von berühmten Menschen, aber das ist nicht das Entscheidende. „Jeder schreibt einen Brief gleichsam als Abbild seiner eigenen Seele“, konstatiert der antike Philosoph Demetrios in seiner Anleitung „Über den Stil“. „In jeder anderen Form der Rede ist es möglich, den Charakter des Schreibers zu sehen, in keiner aber so deutlich wie im Brief.“ So erscheinen uns manche Berühmtheit und manche große Gestalt der Geschichte in ihren Briefen in neuem Licht. Als Liebende sind auch die Berühmtesten dieser Welt einfache Menschen wie alle anderen auch. Das ist es, was die Lektüre ihrer Briefe so faszinierend und anrührend macht.
Dass nur Frauen zu romantischen Gefühlen neigen und diese in Worte zu fassen wissen – dieses Vorurteil vermag das vorliegende Buch zu widerlegen. Auch große Männer schweben gelegentlich im siebten Himmel und überschütten die Angebetete (oder den Angebeteten) ihrer Wahl mit romantischen Liebesbekundungen. Sie sind voller Erfindungsgeist, die geliebte Person mit zauberhaften Worten zu umgarnen und ihr zärtliche Kosenamen zu geben, die doch nur das eine sagen wollen: Du bist einzigartig! Wenn der allzeit entschlossene britische Premierminister Winston Churchill Briefe an seine Frau adressiert, schreibt „Mops“ an „Miezevogel“. Mozart schreibt an sein „Spitzignas“ und „Bagatellerl“, seine Frau Constanze, und Erich Maria Remarque an sein „Puma“, Marlene Dietrich. Für die wiederum war Remarque ihr „Schnupsilein“. So manches berühmte Liebespaar bedient sich Geheimwörter, die für Außenstehende kaum zu entziffern sind, wie Lola Montez und der bayerische König Ludwig I.: „Mein Herz gehört dir, auch mein cuño, alles!“, schreibt sie „ihrem geliebten Louis“ und löst mit ihrer Liebe eine Staatskrise aus.
Der Liebesbrief überwindet die kleinsten und größten Distanzen. Man kann ihn dem Angebeteten – wie Jean Cocteau seinem Geliebten Jean Marais – unter der Tür im Nachbarzimmer zuschieben oder ihn per Airmail über den Ozean fliegen lassen. Denn meist sind die Briefe das Zeugnis einer – freiwilligen oder durch äußere Umstände erzwungenen – Trennung. Zumal in einer Zeit, in der es noch nicht die Möglichkeiten der Kommunikation gab, wie wir sie heute kennen. Durch einen Boten überbracht, per Postkutsche, Eisenbahn, Automobil, Schiff oder Flugzeug transportiert, stellt der Brief Nähe und Verbundenheit her, selbst über Kontinente hinweg. Wer glücklich in den Armen des Anderen liegt, schreibt sich keine Briefe.
Die hier versammelten Schreiben erzählen von pulsierender Leidenschaft und bitterer Eifersucht, von den Gipfelstürmen der Liebe und Momenten stillen Glücks, vom Rausch der Sinne, von Verlustängsten und Zweifeln und von der Kälte des Verlassenwerdens. Jedes einzelne Schicksal ist anders, und doch scheinen die Spielarten der Liebe immer gleich. Die Verfasserinnen und Verfasser sehnen sich nach Geborgenheit, verzehren sich nach dem oder der Geliebten, fiebern vor Erwartung, rasen vor Eifersucht oder leiden an einem gebrochenen Herzen. Sie zeigen uns die Liebe in all ihren Schattierungen und Aggregatzuständen, vom Augenblick des Sich-Verliebens und Sich-Findens bis hin zum Moment des Sich-Verlierens und Abschiednehmens. Manchmal liegen dazwischen nur ein paar Tage, Wochen oder Monate, manchmal währt die Liebe ein ganzes Leben.
Ein Liebesbrief ist ein Fenster zu einer Liebesgeschichte. Wie alles angefangen hat, welchen Verlauf die Liebe nimmt, ob sie traurig endet oder glücklich, ob die Leidenschaft erlischt, die Ehe hält, der Nebenbuhler das Feld räumt, der geliebte Mensch zurückkehrt – davon berichten die Texte, die den vorgestellten Briefen beigegeben sind. Manche der Geschichten in diesem Buch sind so abenteuerlich, wie sie nur das Leben zu schreiben vermag.
Illustriert werden die Briefe darüber hinaus durch eine Vielzahl von Abbildungen – zeitgenössischen Gemälden ebenso wie Fotografien – sowie Autografen, die für dieses Buch aus Archiven aus aller Welt, aus privaten Sammlungen und Tresoren beschafft wurden.
„Bis dass der Tod euch scheidet“: So lautet das Versprechen und mit ihm die Hoffnung auf die Liebe, die ein ganzes Leben hält. Auch von solch glücklichen Geschichten erzählt dieses Buch. Doch Sicherheiten gibt es in der Liebe und im Leben nicht. Das Glück ist ein fragiles Gut. Und manchmal erweist sich erst ganz am Ende des Wegs, welche Liebe die große, die wahre, die Liebe des Lebens war. „Oh, mein lieber Freund, hellen Sie diese Zweifel auf, oder ich sterbe“, schreibt die siebzehnjährige Manon Balletti an ihren Liebhaber – kein Geringerer als Giacomo Casanova. Und weiter: „Ist es so schwer, sich zu lieben?“ Ja, es ist schwer zu lieben – auch dann, wenn man schon etwas Liebeserfahrung hat und es nicht ein Casanova ist, der einem den Kopf verdreht. Aber das Glück der Liebe wiegt alles andere auf.
Petra Müller & Rainer Wieland, Berlin im Juni 2016