Einleitung
Im Nachhinein und mit dem heutigen Wissen fallen mir viele Anzeichen ein, die schon früh auf eine Parkinsonkrankheit hingewiesen haben. Damals, als diese Symptome erstmals auftraten, habe ich sie aber nicht als Vorboten einer heimtückischen Krankheit wahrgenommen, denn sie hatten sich harmlos gegeben, sich gut getarnt und wurden deshalb als leidige Begleiterscheinungen des Älterwerdens abgetan, gelegentlich auch auf Stress zurückgeführt. Oder als eine individuelle Note toleriert beziehungsweise auf die lange Liste angeborener Eigenarten geschoben, die mich schon ein Leben lang mehr oder weniger heftig begleiten. Wie das Zittern.
Dass meine Hände manchmal zitterten, war für mich nichts Ungewöhnliches, ebenso wenig, dass sie gelegentlich eiskalt waren – das war dem Lampenfieber geschuldet, das sich im Laufe der Jahrzehnte, trotz aller Erfahrung, vor jedem Auftritt, vor jeder Show und jeder Moderation einstellte. Was passiert, wenn man sich vor Millionen von Menschen präsentieren, aber auch blamieren kann? Das Gehirn schüttet Stresshormone aus. Je mehr, desto weniger Einfluss hat man auf eine Situation. Nehmen wir Shows wie „Wetten, dass ..?“ oder „Verstehen Sie Spaß?“: Man kann sich noch so gut darauf vorbereiten, die Möglichkeiten, dass in einer Livesendung etwas grandios danebengeht, sind nie ganz auszuschließen. Das Lampenfieber ist also tatsächlich berechtigt, und bei Lampenfieber zittern eben die eiskalten Hände. Bei mir zumindest. Überraschenderweise ist das Lampenfieber im Laufe der Jahre trotz zunehmender Routine gestiegen. Und damit die „Begleiterscheinungen“ wie das Zittern – dachte ich zumindest.
Dass der Tremor andere Ursachen haben könnte, konnte oder wollte ich nicht wahrhaben. Erleichtert wurde dieses Verdrängen auch durch die Tatsache, dass einige andere Symptome, die oft mit einer Parkinsonerkrankung verbunden sind, bis heute komplett fehlen oder sich nur sehr gering zeigen. Ich wurde beispielsweise von größeren körperlichen Defiziten verschont, habe glücklicherweise keine Schwierigkeiten, mich zu artikulieren, und auch keine außergewöhnlichen Gedächtnislücken. Aber im Nachhinein wird deutlich, dass es bereits Jahre vor der endgültigen Bestätigung der Diagnose neben dem Zittern eben doch noch weitere Indizien für eine mögliche Parkinsonerkrankung gegeben hatte. Beispielsweise quälte mich oft eine starke Unruhe in den Beinen, bekannt als Restless-Legs-Syndrom.
Restless-Legs-Syndrom
Das Restless-Legs-Syndrom (RLS, Syndrom der ruhelosen Beine) ist eine der häufigsten neurologischen Störungen, an der schätzungsweise 3 bis 10 Prozent der Bevölkerung leiden. Es äußert sich durch einen Bewegungsdrang der Beine, meist ausgelöst durch unangenehme Missempfindungen, die sich ausschließlich in Ruhephasen, überwiegend nachts, zeigen und sich bei Bewegung bessern. Das RLS kann man bei vielen internistischen, psychiatrischen oder neurologischen Erkrankungen feststellen, darunter auch die Parkinsonkrankheit. Bestimmte Parkinsonmedikamente, wie Levodopa oder Dopaminagonisten, sind in dessen Behandlung wirksam. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass das RLS ein Risikofaktor für die Entwicklung einer Parkinsonkrankheit ist, die mit 0,1 Prozent in der Bevölkerung viel seltener vorkommt als das RLS. Dennoch kann es ein Früherkennungszeichen sein, da etwa 5 bis 10 Prozent der Parkinsonpatienten auch am RLS leiden.
Gelegentlich erlebte ich auch extrem impulsive Träume – wer weiß schon, dass solche exzessiv ausgelebten Träume ein früher Hinweis auf Parkinson sein können? In der Rückschau vermute ich, dass sich die Krankheit bereits ab dem Jahr 2000 breitgemacht hat, wenn nicht noch früher. (Warum ich heute dennoch heilfroh bin, dass ich damals nichts davon wusste, erkläre ich später noch.)
Stutzig wurde ich erst, als ich registrierte, dass ich mich bei meinen Fernsehsendungen zunehmend unwohler fühlte, wenn ich beispielsweise ein Glas hochheben sollte – weil unübersehbar war, dass es deutlich zitterte. Natürlich habe ich die Ursachen dafür bei meinem Hausarzt abklären lassen, der war sich schnell sicher, dass es sich bei dem Zittern nicht um Parkinson handeln würde, und verabreichte mir einige Vitaminspritzen. Kurz darauf holte ich mir eine zweite Meinung ein, danach noch eine dritte. Und siehe da – die Ergebnisse widersprachen sich. Unter anderem wurde ich nach einer weiteren Untersuchung bei einer bekannten Neurologin mit jeder Menge Fachbegriffe konfrontiert, das Wort „Parkinson“ allerdings war nicht darunter.
Auch weitere Tests kamen zu dem Ergebnis, dass Parkinson sicher ausgeschlossen werden könne. Heute weiß ich: Das liegt an dem diffusen Krankheitsbild, also daran, dass es so viele unterschiedliche Symptome gibt, die mal stärker, mal schwächer und manchmal gar nicht ausgeprägt sind. Aber jeder kann sich vorstellen, wie man sich fühlt, wenn allmählich Schmerzen zunehmen, die auf alle möglichen Krankheiten schließen lassen – von einer harmlosen Verspannung bis hin zu einem Gehirntumor. Diese Verunsicherung geht schnell an die Substanz. Und ich kann jeden verstehen, den die unterschiedlichsten Ängste plagen, weil er nicht weiß, was da in seinem Körper eigentlich los ist.
Die Untersuchung beim Neurologen an jenem 4. April 2016 war also ein weiterer Versuch, den Ursachen verschiedener Bewegungs- und Koordinierungseinschränkungen auf die Spur zu kommen. Und diesmal waren die Zeichen eindeutiger.
Die gute Nachricht, auch nach dem definitiven Bescheid: Man stirbt nicht an Parkinson. Die Lebenserwartung ist kaum geringer als bei „Gesunden“. In welchem körperlichen und geistigen Zustand man ein hohes Alter erreicht, ist dagegen ungewiss, zu unterschiedlich sind die individuellen Krankheitsverläufe.
Was macht man also nach so einer Diagnose? Natürlich wird erst einmal gegoogelt – wer ist mein Feind, wie muss er bekämpft werden? Ich las diverse Studien und jede Menge einschlägige medizinische Abhandlungen, sah mir Filme an und versuchte, aus den Berichten von Betroffenen Parallelen zu dem zu finden, was ich gerade fühlte. Ich fand viel Hilfreiches, aber auch einige unausgegorene Theorien, las von exotischen Wundermitteln und deren Anwendung, von Spontanheilungen und vom Gegenteil – von direkten Wegen in eine Depression oder Demenz.
Natürlich haben sich in den vielen Jahren mit Sendungen wie „Menschen der Woche“ – meiner SWR-Talkshow, in der ich von 2000 bis 2015 über 600 Talkgäste begrüßen konnte – Netzwerke gebildet, die es mir leicht machten, verlässlichere Informationen über den Stand der zahlreichen Forschungen und Studien sowie über die aktuellen Erkenntnisse der Parkinsonexperten zu bekommen. Einer der wichtigsten Fachleute in Sachen Parkinson ist Prof. Dr. Jens Volkmann, Klinikdirektor der Neurologie am Universitätsklinikum Würzburg. Mit ihm gemeinsam habe ich 2019 die Parkinson Stiftung gegründet und wir sind durch die gemeinsame Arbeit Freunde geworden. Von ihm will ich nun alles erfahren, was sich über Parkinson heute zu wissen lohnt. Und dieses Wissen will ich nicht für mich behalten, das ist schließlich der Sinn dieses Buches.
Elstner: Vielleicht kannst du ein paar Sätze sagen, wie du zu einem „Parkinsonfachmann“ geworden bist. Was interessiert dich speziell? War es ein besonderes Ereignis oder eine entsprechende familiäre Konstellation, die dein Interesse geweckt hat?
Volkmann: Nein, eigentlich nicht, es gab da jetzt kein persönliches Erlebnis oder eine Parkinsonkrankheit in meinem näheren Umfeld. Es waren eher Zufälle, die mich auf diesen Weg gebracht haben. Das erste Interesse dafür, was sich im menschlichen Schädel abspielt, entwickelte sich schon in der Schule. Ich durchlief eine klassische humanistische Ausbildung und hatte dabei unter anderem als Abiturfach Philosophie gewählt. Bei der intensiven Beschäftigung mit den hehren „Geistesangelegenheiten“ einerseits und den eher banalen Gehirnfunktionen andererseits haben wir uns im Unterricht unter anderem mit dem Buch Das Ich und sein Gehirn von John C. Eccles und Karl R. Popper beschäftigt, da werden die bemerkenswerten geistigen Leistungen, zu denen wir Menschen fähig sind, neurobiologisch unter die Lupe genommen – und genau dieses Thema hat mich schon immer fasziniert.
Das Ich und sein Gehirn
In ihrem Buch beschäftigen sich der australische Hirnforscher und Nobelpreisträger John C. Eccles (1903–1997) und der österreichische Philosoph Karl R. Popper (1902–1994) vor allem mit der Wechselwirkung zwischen Geist und Gehirn. Im Vorfeld stritten die Wissenschaftler lang über die Frage: Werden die Signale nun elektrisch oder chemisch übertragen? Eccles war der festen Meinung, dass dies nur rein elektrisch stattfinden könnte. Der Wendepunkt kam, als sich Eccles und Popper 1946 im Fakultätsklub der University of Otago im neuseeländischen Dunedin kennenlernten. Popper machte Eccles schonungslos auf einige Ungereimtheiten in dessen Theorie aufmerksam und lehrte Eccles seine Sichtweise auf die Wissenschaft: Er vertrat die Überzeugung, dass wissenschaftliche Methoden in erster Linie geeignet sind, falsche Annahmen zu widerlegen, aber nicht gut geeignet sind, einen endgültigen Beweis zu erbringen. 1951 führte Eccles, bestärkt durch Poppers Einwände, die entscheidenden Experimente durch, mit denen er seine eigene Theorie der elektrischen Übertragung zwischen Nervenzellen im Gehirn widerlegte. Eccles war daraufhin ziemlich demotiviert, fasste aber schnell neuen Mut und blieb an „seinem“ Thema dran – mit großem Erfolg: 1963 bekam er den Nobelpreis für Medizin und Physiologie für seine Forschungen zur elektrochemischen Erregungsübertragung zwischen den Nervenzellen an den Synapsen. Und er lobte Popper: „Er lehrte mich sogar, mich über die Widerlegung einer lieb gewonnenen Hypothese zu freuen, weil auch das ein wissenschaftlicher Fortschritt sei und weil sich aus der Widerlegung viel lernen lasse.“
Elstner: Deswegen bist du dann folgerichtig in die Neurologie gegangen?
Volkmann: Ja, und zwar bereits in meiner Forschungszeit in den USA. Mein dortiger Lehrer in der Neurophysiologie, Rodolfo Llinás, war übrigens – welch Zufall! – ein direkter Schüler und Mitarbeiter von Sir John C. Eccles. Ich habe mich auch im Studium weiterhin für das Gehirn und seine Funktionen interessiert und in meiner Doktorarbeit mit der Frage beschäftigt: Wie kann man die Signale, die bei Parkinsonpatienten das Zittern auslösen, eigentlich im Gehirn messen? Ich habe dabei ein Verfahren verwendet, durch das selbst ganz schwache Magnetsignale, die durch die elektrischen Impulse entstehen, die im Gehirn hin und her wandern, lokalisiert und identifiziert werden können. Dadurch wurde es möglich, das beteiligte Netzwerk darzustellen und tatsächlich zu erkennen, wie das Zittern entsteht.
Das war der Beginn meiner intensiveren Beschäftigung mit der Parkinsonkrankheit. Was mich anschließend besonders interessiert hat, war der Zusammenhang zwischen Dopaminmangel und den daraus resultierenden Netzwerkstörungen bei der Entstehung der vielfältigen Symptome der Parkinsonkrankheit. Und von da war es nur ein kurzer Schritt hin zur intensiven Forschung nach möglichen Therapieansätzen und der Beschäftigung mit den faszinierenden Möglichkeiten, die der elektrische Hirnschrittmacher bietet. Dabei steht beispielsweise auch das Thema im Mittelpunkt: Welche Auswirkungen hat dieser Hirnschrittmacher auf die motorischen Funktionen? Und welchen Einfluss hat dieses Gerät auf die geistigen Fähigkeiten und auf das emotionale Empfinden? Und dann natürlich die spannende Frage: Wie interagieren diese sehr unterschiedlichen Bereiche miteinander? Und hier wird auch die ganz wichtige Rolle des Arztes deutlich, der bei seinen Patienten all diese verschiedenen Aspekte im Auge behalten muss, um ein vernünftiges Gleichgewicht zu stabilisieren.
Elstner: Langsam, langsam. Ich möchte deine Begeisterung nicht stoppen, aber bitte der Reihe nach …
1 Parkinson oder nicht Parkinson – das ist hier die Frage
Elstner: Lieber Jens, du hast einmal zu mir gesagt, ich hätte keinen Parkinson, höchstens ein Parkinsö(h)nchen. Was fehlt mir denn zu einem „ausgewachsenen“ Parkinson?
Volkmann: Du hast es ja in der Einleitung gesagt – es gab widersprüchliche Diagnosen. Daran erkennt man, dass sich dieser Parkinson nicht so einfach fassen lässt. Bei einem „ausgewachsenen“ Parkinson muss immer eine deutliche Bewegungsverlangsamung (Bradykinese) und entweder eine Muskelsteifheit (Rigor) oder ein Zittern (Tremor) vorhanden sein, sonst darf der Neurologe die Diagnose offiziell gar nicht stellen. Hinzu kommen dann oft noch andere, vom Patienten eher subjektiv empfundene Krankheitssymptome wie Schlafstörungen, Ängste, Depressionen, Schmerzen oder Missempfindungen in sehr unterschiedlicher Ausprägung, die das Bild sehr bunt machen können. Schwierig wird die exakte Diagnose insbesondere dann, wenn die eigentlich definierende Verlangsamung der Bewegungen nur minimal ausgeprägt ist oder sogar ganz fehlt, aber ein Zittern vorhanden ist.
James Parkinson (1755–1824)
Ihm reichten nur sechs Betroffene, um ihr gemeinsames Krankheitsbild nahezu exakt zu beschreiben: 1817 veröffentlichte der Londoner Arzt James Parkinson seine Beobachtungen unter dem Titel „An Essay on the Shaking Palsy“. Er nannte die Erkrankung also Schüttellähmung und notierte im Detail, wie diese sich äußert: „Unwillkürliche, zitternde Bewegungen, verbunden mit verminderter Muskelkraft, zeitweise selbst mit Unterstützung völlig unbeweglich; Neigung zu vornübergebeugter Körperhaltung und zum Übergang von einer laufenden in eine vorwärtsrennende Bewegung; die Sinne und der Intellekt bleiben unbeeinflusst.“
Parkinson räumte ein, dass er aufgrund der geringen Fallzahlen noch keine Rückschlüsse auf die Ursachen der Krankheit ziehen konnte, zumal er nur drei Betroffene intensiv untersucht hatte, während er zwei auf der Straße angesprochen und interviewt und einen weiteren Kranken lediglich aus der Ferne beobachtet hatte.
Sechzig Jahre nach Parkinsons Tod hat der berühmte französische Neurologe Jean-Martin Charcot (1825–1893) in seinen Vorlesungen erstmalig die motorischen „Kardinalsymptome“ der Erkrankung definiert – das Zittern (Tremor), die Muskelsteifheit (Rigor – die James Parkinson übrigens nicht beschrieben hat) und die hochgradige Bewegungsarmut (Akinese). Er empfahl seinen Schülern, die damals allerdings noch schwer zugängliche Schrift von James Parkinson wegen der genauen klinischen Beobachtungen zu studieren, und nannte ihm zu Ehren die Erkrankung „Maladie de Parkinson“ (Parkinsonkrankheit).
Elstner: Ist das Zittern eines der sichersten Anzeichen für Parkinson?
Volkmann: Nein. Rund 30 Prozent der Erkrankten zittern überhaupt nicht! Bei einigen tritt eher eine Bewegungsverarmung auf, die bis zum Freezing – einem Zustand völliger Bewegungsunfähigkeit – führen kann, das ist ein deutliches Anzeichen bei Parkinson. Die Gliedmaßen und Muskeln können dann keine Befehle mehr ausführen, man fühlt sich plötzlich wie „eingefroren“, daher auch der Name. Diese Zustände sind bei fortschreitender Erkrankung schwer vorhersehbar und können in den unmöglichsten Situationen auftreten – besonders gerne tun sie das, wenn der Betreffende unter Stress gerät. Für einen Künstler, der auf der Bühne oder vor einer Filmkamera steht, aber auch für viele andere Berufe ein großes Problem! (Siehe auch die Gespräche mit Ottfried Fischer und Heike Steinmann im Anhang „Wir sind nicht allein – Gespräche mit Betroffenen“.)
Elstner: Unsere Botschaft lautet ja: „Leben trotz Parkinson.“ Dafür ist es zum einen wichtig, die Krankheit zu verstehen, damit ist aber natürlich auch die Hoffnung verbunden, dass sie in absehbarer Zeit vielleicht sogar heilbar sein wird. Über die Aussichten darauf werden wir sicher noch reden, aber beginnen wir doch erst einmal mit den Grundlagen – was muss man über Parkinson wissen?