Kapitel 1
Colette hielt ein mit Pailletten übersätes silbernes Minikleid in die Höhe. Es glitzerte im Licht der Sonnenstrahlen, die durchs Schlafzimmerfenster hereinfielen, dass es beinahe blendete. „Das ist doch très chic!“, rief sie in einer Mischung aus Entzücken und Verblüffung. „Ich wusste gar nicht, dass du solche Kleidung überhaupt besitzt!“
Maggie blickte von ihrem halb gepackten Trolley auf und verkniff sich ein Schnauben. „Meine Güte, wo hast du das hervorgezogen? Das hat mein Ex mir geschenkt. Ich habe es genau einmal getragen und kam mir dabei vor wie eine Discokugel.“
Kichernd legte Colette es zurück in den Schrank und wühlte sich weiter durch Maggies Garderobe. Ihre Wangen waren vor Eifer gerötet. Sie nahm ihre Aufgabe, Maggie auf den bevorstehenden Kurztrip vorzubereiten, ziemlich ernst. Vielleicht strengte sie die Sache aber auch so an, weil Maggies Garderobe im Vergleich zu Colettes nicht aus farbenfrohen Twinsets und wadenlangen Faltenröcken bestand. Die Freundin hatte sichtlich Mühe, in Maggies legeren Kleidungsstücken, überwiegend weiß und in Erdtönen, etwas zu finden, das ihren Ansprüchen genügte.
Da hellte sich ihre Miene auf. „Diese Palazzohose hier ist hübsch. Du solltest auch etwas für nicht so warme Tage einpacken. Übermorgen ist der August vorbei. Da kann es abends auch mal frisch werden.“
„Ja, die ist gut.“
Colette warf ihr die Hose zu und blies sich den Pony, der ihrem dunklen Bob etwas Mädchenhaftes verlieh, aus dem Gesicht. Maggie legte sie zusammen und verstaute sie im Trolley.
„Laut Wetterbericht bleibt es schön. In der Region um Avignon stehen uns noch ein paar warme Tage und laue Spätsommernächte bevor.“
Colette zog mit bedeutungsvoller Miene die Augenbrauen mehrmals hoch. „Laue Sommernächte, soso. Dir ist klar, dass ich dich jeden Tag anrufen werde, um dich auszufragen.“
Maggie winkte lachend ab, doch insgeheim hoffte auch sie, dass ihr Ermittlungspartner Xavier und sie sich im ungezwungenen Ambiente eines Weingutes vielleicht endlich näherkommen würden. Außerdem stand diesmal kein Fall auf dem Plan. Vielmehr war die Reise tatsächlich privater Natur.
„Also, ich muss schon sagen, dass dein Xavier ein Weingut besitzt, macht ihn fast noch interessanter!“
„Erstens ist es nach wie vor nicht mein Xavier. Wann wirst du das endlich begreifen? Und zweitens gehört das Gut seiner Mutter, wenn ich das am Telefon richtig verstanden habe.“
„Wie auch immer. Egal, wie die Besitzverhältnisse nun genau sind. Wichtig ist doch, dass er dich eingeladen hat, ihn zu begleiten. Und du wirst seine Familie kennenlernen!“
Maggies Lächeln verrutschte unweigerlich. Sie hegte seit längerem Gefühle für Xavier. Dass sie nun seine Eltern kennenlernen würde, noch bevor sie überhaupt wusste, ob er auch mehr in ihr sah, machte sie nervös. Wie würde er sie ihnen überhaupt vorstellen, als Kollegin? Bekannte? Freundin?
„Mon dieu, nun guck nicht so bedröppelt. Es wird sicher ganz wunderbar.“
Maggie nickte ausgiebig, als wollte sie sich damit selbst Mut machen. Sie hatte sich unglaublich gefreut, als Xavier sie angerufen hatte. Zuerst dachte sie natürlich, der Privatdetektiv hätte einen neuen Fall für sie beide an Land gezogen. Denn seit er vor einiger Zeit in ihre Wahrsagestube geschneit war, waren sie ein Team und hatten schon zwei knifflige Fälle miteinander gelöst. Doch diesmal hatte er sie nicht aus beruflichen Gründen kontaktiert. Vielmehr hatte er sie zu einem mehrtägigen Fest eingeladen, dass seine Eltern jedes Jahr am Ende der Weinlese mit Freunden und Familie auf ihrem kleinen Gut südöstlich von Avignon feierten. Langsam jedoch wich die anfängliche Freude einer gehörigen Portion Nervosität. Maggie versuchte sie abzuschütteln und straffte sich. Ihr Blick fiel auf ihren Schminktisch. Dort verwandelte sie sich regelmäßig mit schwarzem Kajalstift und goldenen Creolen in die Wahrsagerin Madame Bonheur. Zwar hatte sie inzwischen so viel Vertrauen in ihre Fähigkeiten, dass das ganze Klimbim und Drumherum etwas in den Hintergrund getreten war, trotzdem gab es Tage, an denen sie sich in einem passenden Outfit zu ihren Tarotlegungen noch immer wohler und sicherer fühlte. Xaviers Familie wusste, dass sie als Wahrsagerin arbeitete. Eine Freundin seines Vaters hatte sich sogar schon einmal von ihr die Karten legen lassen und sie daraufhin an Xavier empfohlen und sie beide so zusammengeführt. Zwar erinnerte Maggie sich nicht an die Dame, doch auch unbekannterweise würde sie ihr dafür wohl ewig dankbar sein.
Sie stand auf und trat an den Schminktisch. Vielleicht konnten die Utensilien, die ihr Selbstbewusstsein beim Wahrsagen stärkten, ihr auch jetzt helfen, ihre Nervosität in den Griff zu bekommen. Mit geübten Bewegungen zog sie sich einen schwarzen Lidstrich um die Augen und tuschte ihre Wimpern. Als sie sich die goldenen Creolen an die Ohrläppchen gesteckt hatte, betrachtete sie zufrieden ihr Spiegelbild. Auf ihren bunten Turban würde sie allerdings verzichten. Das war für eine Familienfeier dann doch zu viel des Guten.
„Perfekt!“, sagte Colette. Die beiden Freundinnen blickten sich im Spiegel des Schminktisches an. Da klingelte es an der Tür.
„Hui, das war ja just-in-time!“, rief Colette. Gemeinsam gingen sie hinaus, um Xavier zu begrüßen. Sie umarmten sich herzlich, und nun, da er da war, fiel alle Anspannung von Maggie ab. Sie konnte es kaum erwarten, die nächsten Tage mit ihm zu verbringen.
„Gut siehst du aus“, sagte Xavier, während sein Blick an einem ihrer großen Ohrringe hängenblieb. Hatte sie es womöglich doch etwas übertrieben? Sie kam nicht dazu, länger darüber nachzudenken, denn sie wollten direkt aufbrechen.
„Ich hoffe, du hast an dein Handyladekabel gedacht. Vergiss nicht, ich werde dich jeden Tag anrufen“, flüsterte Colette Maggie mit einem Augenzwinkern zu.
Die nickte wissend. Colette würde ihre Drohung sicherlich wahr machen. Sie war nach Bérénice, der Tratschtante ihres Dorfes, eine der neugierigsten Personen, die Maggie kannte.
Dann drückten die Freundinnen sich zum Abschied. „Ich wünsche dir ganz viel Spaß. Roussillon wird langweilig sein ohne dich.“
Maggie sperrte ab und ging mit Xavier zu seinem Wagen. Er hatte seinen taubenblauen Citroën auf Hochglanz poliert. Ob er das wohl wegen seiner Familie oder wegen ihr gemacht hatte?
Xavier öffnete den Kofferraum, und sie verstauten ihren kleinen Trolley. Dann stiegen sie ein, und Xavier startete den Wagen. Sie waren nun schon öfter zusammen von Roussillon aus zu spannenden Abenteuern aufgebrochen. Doch heute steckte kein Auftraggeber dahinter. Kein Fall hatte sie diesmal zusammengebracht. Sie waren privat unterwegs, als Freunde. Als Pärchen? Maggie versuchte, nicht zu viel darüber nachzudenken. Lieber wollte sie den Ausflug einfach genießen, egal, was kam.
Sie drehte sich um und blickte zur Heckscheibe hinaus. Colette winkte ihnen nach, bis sie am Ende der Straße um die Ecke bogen und aus ihrem Sichtfeld verschwanden.
Als Maggie sich wieder nach vorne wandte, fiel ihr Blick auf den Ring, den Xavier trug. Sie erkannte ihn sofort wieder. Es war der auffällige Siegelring, den er im Rahmen ihrer letzten Ermittlungen einmal kurz getragen hatte. Damals war er Teil einer Verkleidung gewesen. Überrascht deutete sie darauf. „Den kenne ich doch!“
Xavier nickte schmunzelnd. „Ja, nur dass er heute nicht zu einer Tarnung gehört.“
„Wie meinst du das?“
„Es ist das Familienwappen meiner Mutter. Ich habe ihn angesteckt, um ihr eine Freude zu machen. Im Alltag ist der Ring mir aber zu auffällig.“
Interessiert musterte Maggie das Schmuckstück.
„Sie stammt aus einer adligen Familie. Außer dem kleinen Weingut ist davon allerdings nicht mehr viel übrig“, erklärte er.
Maggie zog verwundert die Augenbrauen hoch. „Du steckst ja voller Überraschungen!“
„Wie gesagt, adlig klingt immer etwas pompös. Aber der einstige Glanz ist längst verblasst. Spätestens wenn du das Herrenhaus siehst, wirst du verstehen, was ich meine. Es ist inzwischen völlig heruntergekommen. Ich bin gar nicht sicher, ob man es noch gefahrlos betreten kann.“
„Nun hör auf tiefzustapeln. Außerdem steht dir der Ring großartig.“
„Ich sehe schon, dass du auf auffälligen Goldschmuck stehst“, gab Xavier lachend zurück. „In dieser Hinsicht passen wir heute perfekt zusammen!“
Maggie grinste in sich hinein. Ja, das taten sie, aber hoffentlich nicht nur in dieser Hinsicht!
Kapitel 2
Maggie blieb die Spucke weg, als sie durch ein hohes, schmiedeeisernes Tor, das einladend offenstand, auf das Anwesen fuhren. Mit großen Augen blickte sie sich um und saugte alle Eindrücke in sich auf wie ein Schwamm. Das Herrenhaus passierten sie direkt nach dem Tor zu ihrer Linken. Maggie beugte sich neugierig zu Xavier hinüber, um einen besseren Blick auf das Gebäude durch sein Seitenfenster zu erhaschen. Wie er schon erwähnt hatte, stand es augenscheinlich leer, und es war dem Haus auch anzusehen, dass es sanierungsbedürftig war. Der Lack der hölzernen Fensterläden war abgeblättert, daneben gar eine der trüben Scheiben zerbrochen. Nichtsdestotrotz strahlte es Erhabenheit aus und verlieh dem ganzen Anwesen einen altehrwürdigen Touch. Der beige Sandstein wirkte ohnehin zeitlos, und Maggie war sich sicher, dass man von dem kleinen Turm aus, in den die Hausecke in Richtung des Weinberges mündete, einen atemberaubenden Blick haben musste.
Sie fuhren noch ein Stück am Fuß des Hügels entlang, über den sich in vielen Reihen die Rebstöcke zogen. Der Weg war hier sandig und nicht mehr gepflastert und endete auf einem großen runden Platz, in dessen Mitte ein Orangenbaum thronte. Eine Seite des Platzes grenzte direkt an die ersten Reihen der Weinreben an, geradeaus befand sich eine Scheune mit vielen Toren, von denen ein paar offen standen und den Blick freigaben auf Tröge, Bottiche, Maschinen und Autos. Hinter einem Tor war eine Lücke, und Xavier fuhr sofort hinein, um dort zu parken.
Maggie hatte bislang nur einen flüchtigen Blick auf das niedrige Gebäude nebenan erhascht, und beeilte sich daher, aus der Scheune hinauszukommen, um es genauer in Augenschein zu nehmen. Es war ebenso aus Sandstein erbaut wie das Herrenhaus vorne, doch war es wesentlich niedriger. Dafür aber viele Meter breit, so breit gar, dass sein linkes Ende hinter der Scheune verschwand. Bodentiefe Fenster mit dunkelgrünen Holzläden, die in diesem Fall nicht renovierungsbedürftig aussahen, sondern eher frisch gestrichen, fingen Maggies Blick ein. Eines davon war geöffnet, und der Wind bauschte den davor hängenden dünnen Vorhang. Die beiden Flügel der hölzernen Haustür standen ebenfalls offen, und just in diesem Moment kam eine Frau heraus. Sie hatte kastanienbraunes schulterlanges Haar, das mit seinen voluminösen Wellen an eine Löwenmähne erinnerte. Eine große Sonnenbrille steckte darin. Ihre Schürze deutete darauf hin, dass sie gerade irgendetwas gearbeitet hatte, doch darunter trug sie eine Bluse und eine leichte Hose aus feinem Stoff. Ihr Gesicht war perfekt geschminkt. Die Frau, die frappierende Ähnlichkeit mit einer etwa 60-jährigen Sophia Loren hatte, hätte sich nur die Schürze abstreifen müssen und wäre dann ohne Weiteres bereit gewesen, auf eine noble Veranstaltung zu gehen. Während Maggie sie noch interessiert betrachtete und sich in ihrer Gegenwart augenblicklich etwas unperfekter fühlte, breitete die Frau ihre Arme aus.
„Xavier, da bist du ja! Was für eine Freude!“
„Hallo, Maman!“
Sie herzte ihn ausgiebig und tätschelte mit ihrer mit goldenen Ringen und Armreifen geschmückten Hand seine Wange. Dann wandte sie sich Maggie zu.
„Und das muss also die Wahrsagerin sein, von der du mir so viel erzählt hast!“, rief sie freudig aus.
Maggie war etwas verlegen und fragte sich, was seine Mutter wohl alles über sie wusste. „Bonjour, Madame Degrange!“
„Bitte nenn mich Geneviève!“
Während nun auch sie herzlich gedrückt wurde, murmelte sie ein überrumpeltes „Ich bin Maggie“ in Genevièves kastanienbraune Mähne.
„Kommt rein, drinnen ist es nicht so heiß. Die Ernte in den letzten Tagen war die Hölle. Hätte ich das geahnt, dass es noch mal so warm wird, hätte ich sie ein paar Tage verschoben“, meinte Xaviers Mutter, als sie sie schließlich wieder losgelassen hatte, und winkte ihnen, ihr zu folgen.
Tatsächlich war es im Haus angenehm kühl, obwohl die Tür offenstand. Den Boden zierten gemusterte Fliesen, und die Sandsteinwände waren auch hier drinnen unverputzt, was dem Gebäude einen ganz eigenen, rustikalen Charme verlieh.
Vom kleinen Flur ging direkt rechts eine Tür ab und führte in eine überraschend große Küche. Auch sie war rustikal und gemütlich, und Maggie konnte sich gut vorstellen, dass hier provenzalische Köstlichkeiten gezaubert wurden. An einer Leiste an der Wand hingen metallene Siebe und Schöpfkellen. Darunter auf dem Ofen stand ein riesiger Emailletopf. Ein Mann rührte darin herum. Als er die Neuankömmlinge bemerkte, legte er den Kochlöffel weg und den Deckel wieder auf den Topf.
„Bruno, du naschst doch wohl nicht schon wieder? Das Essen ist noch nicht fertig!“, rief Geneviève und hob tadelnd den Zeigefinger. Doch sie wirkte dabei nicht streng, sondern eher belustigt.
Der Mann winkte mit schuldbewusster Miene ab und kam heran, um sie ebenfalls zu begrüßen. Es stellte sich heraus, dass Bruno Xaviers Vater war, doch das hätte Maggie auch ohne Erklärung erraten. Die beiden hatten dasselbe wellige Haar, auch wenn Brunos schon grau geworden war. Die dunklen Augen ähnelten sich ebenfalls stark, und der markante Zug um Wangenknochen und Kinn machte das Vater-Sohn-Bild komplett.
Bruno schüttelte ausgiebig Maggies Hand, nachdem er Xavier kurz umarmt und ihm kräftig auf die Schulter geklopft hatte. Auch er betonte, wie viel er schon von ihr gehört habe, und löste damit erneut ein mulmiges Gefühl in Maggie aus. Während sie hier auf lauter Fremde traf, schienen diese Leute schon bestens über sie Bescheid zu wissen. Außerdem hätte sie zu gerne gewusst, was genau Xavier wohl über sie gesagt hatte. Doch das würde sie womöglich nie erfahren, wenn sie ihm ihre Neugierde nicht auf die Nase binden wollte.
„Wir sind diesmal eine etwas kleinere Gruppe“, erzählte Geneviève, während sie Maggie und Xavier ins Wohnzimmer gegenüber führte. Michelle hat sich das Bein gebrochen. Beim Fensterputzen! Mon dieu, das gibt nicht einmal eine gute Geschichte, nicht wahr? Und die Debois haben Corona. Kannst du dir das vorstellen? Corona! Ich dachte, das gäbe es inzwischen schon gar nicht mehr.«
Xavier warf Maggie einen amüsierten Blick zu. Die theatralische Art seiner Mutter schien ihn gut zu unterhalten. Die warf sich inzwischen in einen großen dunkelroten Sessel. Maggie und Xavier setzten sich ihr schräg gegenüber auf eines der beiden ebenso bordeauxfarbenen Sofas. Vor Geneviève stand eine geöffnete Flasche und ein halb volles Glas Wein. „Ich weiß, ich weiß, die Party hat noch nicht begonnen, aber unser Wein vom letzten Jahr ist einfach zu gut, um ihn nicht zu trinken. Ich glaube, es ist der beste Jahrgang, den wir je hatten! Ich hole euch Gläser, schließlich müssen wir auf eure Ankunft hier anstoßen!“
Ehe Maggie überhaupt reagieren konnte, war Geneviève schon wieder aufgesprungen und trat an die große Vitrine, die an der Wand gegenüber der gemütlichen Sitzgruppe stand. Sie war, wie anscheinend alles hier, aus massivem Holz. Durch die Scheiben der Sprossentüren sah man Weingläser in mehreren Reihen, die auf ihren Einsatz warteten. Xavier tätschelte sachte Maggies Rücken, als seine Mutter sich abwandte. Er hatte anscheinend bemerkt, dass Maggie sich ein wenig überrollt fühlte. Vielleicht wäre ein Schluck Wein gar nicht so verkehrt, um endgültig hier auf dem Gut anzukommen.
„Das Fest am Ende der aktuellen Lese ist bei uns auch immer die Premiere des Weines, der im letzten Jahr geerntet wurde“, erklärte Xavier ihr, während Geneviève mit zwei Gläsern zurückkam.
Sie schenkte ein und reichte ihnen die Gläser. Ihre Miene war jetzt gespannt, anscheinend interessierte Geneviève ihr Urteil.
Der Wein war wirklich ausgezeichnet. Nicht zu herb und nicht zu süß. Maggie meinte ein leichtes Beerenaroma herauszuschmecken, hätte sich als Laie jedoch nie getraut, das offen auszusprechen. Jedenfalls lag der Rosé leicht auf der Zunge, ohne fade zu sein. Ein wunderbarer Sommerwein. Sie nickte anerkennend, und Xavier schmatzte zufrieden.
„Nicht wahr?“, meinte Geneviève erfreut und sah sich durch ihre Reaktionen bestätigt, noch bevor sie dazu gekommen waren, den Rosé zu loben.
„Mit dem Wein muss das Fest ja gut werden“, meinte Xavier pragmatisch.
„Ja, wirklich fantastisch“, ergänzte Maggie pflichtbewusst.
Geneviève gönnte sich noch einen großen Schluck. Sie wirkte nun sehr zufrieden.
„Wo sind denn die anderen? Du meintest zwar, es gebe ein paar Ausfälle, aber ich sehe gar keine Gäste“, hakte Xavier nach.
Maggie lehnte sich zurück in das bequeme Sofa und widmete sich ihrem Wein.
„Thierry ist mit Ava im Dorf, ein paar Besorgungen machen. Die Erntehelfer kommen dann erst später zur Feier wieder. Avas Familie und Brigitte und ihr Mann halten ein Schläfchen, wahrscheinlich das Schlauste, was man in der Mittagshitze tun kann. Florence hat sich nicht davon abbringen lassen, auf Fototour zu gehen. Sie hat eine Kamera zum Geburtstag bekommen, und jetzt ist sie im Fotografierfieber, obwohl sie mit dem teuren Ding gar nicht richtig umgehen kann. Ich denke, deshalb will sie den Sonnenschein nutzen, da werden die Bilder immer gut, auch wenn man es nicht wirklich kann. Ja, und Générale Millet und seine Gattin sind noch nicht eingetroffen.“
Maggie schwenkte ihr Glas und beobachtete entspannt, wie der Wein darin hin- und herschwappte. So viele Namen. Ohne die Gesichter dazu würde sie sich ohnehin keinen einzigen davon merken können. Nur, dass Ava Xaviers Schwester war, das wusste sie bereits. Der Rest würde sich schon ergeben, wenn sie alle persönlich kennenlernte. Lächelnd stellte sie fest, dass der Rosé nicht nur fabelhaft schmeckte, sondern sie auch wunderbar entspannte.