Als ich mit geblähten Nasenlöchern hier stehe, wird mir klar, wie viel mehr Atmen bedeutet, als bloß Luft in die Lungen zu pumpen. Der Atem ist die intimste Verbindung mit der Umgebung, die wir haben.
Wie atmet man richtig? Welche Atemarten gibt es? Welche Atmung ist die beste? Wie atmet man richtig beim Sport? – James Nestor setzt sich mit diesen und vielen weiteren Fragen in seinem Buch „Breath – Atem“ auseinander. Er geht Atembeschwerden auf den Grund und sucht nach Atemtechniken, die die Beschwerden beheben können. James Nestor bringt uns die verlorene Kunst des Atmens näher und zeigt, warum Atmen mehr als nur Luftholen und die richtige Atmung so wichtig ist.
„Atmen in verschiedenen Rhythmen kann wirklich unser Körpergewicht und die Gesundheit insgesamt beeinflussen. Unsere Atemtechnik verändert wirklich Größe und Funktion der Lungen. Mit Atemübungen können wir unser Nervensystem bewusst beeinflussen, unsere Immunreaktionen kontrollieren und unsere Gesundheit verbessern. Eine veränderte Atmung verlängert das Leben. Wie sehr wir auch auf die Ernährung achten, wie viel Sport wir treiben, wie widerstandsfähig unsere Gene sein mögen, wie schlank, jung und klug wir auch sind – das alles hilft nichts, solange wir nicht richtig atmen. Das haben diese Forscher herausgefunden. Der fehlende Stützpfeiler der Gesundheit ist die Atmung. Sie steht am Anfang.“
Aber wieso soll ich denn atmen lernen ? Ich atme schon mein ganzes Leben lang.
„Diese Frage, die Sie sich jetzt vielleicht gerade stellen, begegnet mir seit dem Beginn meiner Recherchen immer wieder. Wir nehmen einfach an, Atmen sei eine passive Tätigkeit – etwas, das halt zum Leben gehört: Solange man atmet, lebt man; wenn man aufhört, stirbt man. Aber Atmen ist nicht binär, und je mehr ich mich mit dem Thema befasste, desto mehr wurde es mir zum persönlichen Anliegen, diese grundlegende Erkenntnis weiterzugeben.
Wie die meisten Erwachsenen habe ich schon einen Haufen Atemwegserkrankungen durchgemacht. Das hat mich damals auch in den Atemtechnikkurs geführt. Und wie die meisten Menschen merkte ich, dass kein Antiallergen, Inhalator oder Vitaminpräparat und keine Diät besonders viel bewirken. Heilung – und noch weit mehr als Heilung – fand ich erst durch eine neue Generation von Pulmonauten.“
1. Mund zu
Mundatmung verändert den Körper physisch und wirkt sich negativ auf die Atemwege aus. Durch den Mund eingeatmete Luft hat weniger Druck, wodurch das weiche Gewebe im Rachenraum erschlafft und nach innen sinkt. Weniger Platz erschwert das Atmen. Mundatmung führt zu noch mehr Mundatmung.
2. Durch die Nase atmen
Nasenatmung hingegen wirkt umgekehrt. Sie zwingt einen Luftstrom durch die weichen Gewebe des Rachens, weitet die Atemwege und macht das Atmen leichter. Nach einer Weile sind diese Gewebe darauf „trainiert“, in der geöffneten Stellung zu bleiben. Nasenatmung führt zu noch mehr Nasenatmung.
3. Ausatmen
Flache Atmung schränkt mit der Zeit den Bewegungsspielraum des Zwerchfells und die Lungenkapazität ein. Einer der ersten Schritte zu einer gesunden Atmung ist, das Ausatmen zu verlängern, das Zwerchfell nach oben und überhaupt mehr zu bewegen und die verbrauchte Luft ganz auszuatmen, bevor man neue einatmet.
4. Kauen
Die Knochen des Gesichtsschädels hören, anders als alle anderen Knochen im Körper, im dritten Lebensjahrzehnt nicht zu wachsen auf. Das wiederum heißt, dass wir in praktisch jedem Alter die Größe und Form der Mundhöhle durch Kauen aktiv beeinflussen und unsere Atmung verbessern können.
5. Mehr atmen, zumindest manchmal
Übermäßige Atmung hat seit Jahrzehnten einen schlechten Ruf, und zwar zu Recht. Führt man dem Körper mehr Luft zu, als er braucht, schädigt das die Lungen bis hinunter auf die Zellebene. Heute atmet die Mehrzahl der Menschen mehr, als sie sollte, ohne es zu merken. Sich dazu zu zwingen, eine kurze Zeit lang heftig und intensiv zu atmen, kann hingegen tiefgreifend therapeutisch wirken.
6. Auf die Atemtechnik kommt es an
Die vollkommene Atmung sieht so aus: 5,5 Sekunden lang einatmen, dann 5,5 Sekunden lang ausatmen. Das ergibt 5,5 Atemzüge pro Minute und ein Atemvolumen von etwa 5,5 Litern.
Mundatmung vs. Nasenatmung
Als Mundatmung wird das Einatmen durch den Mund bezeichnet. James Nestor hat für die Recherche zu seinem Buch „Breath“ das Experiment durchgeführt, 10 Tage lang nur durch den Mund zu atmen. Ergebnis waren unter anderem Bluthochdruck im Stadium 1, erhöhte Pulsfrequenz sowie verminderte Geistesklarheit. Einen ähnlichen Test führte der Forscher Douillard mit teilnehmnden Sportler:innen durch. Das Ergebnis: Beim Atmen durch die Nase sind weniger Atmezüge nötig und gleichzeitig steigerte sich die Leistung im Vergleich zur Mundatmung. Das bedeutet, dass auch die Nasenatmung im Sport positive Auswirkungen auf die Herzfrequenz und die Leistung hat. Der Grund für diese Diskrepanz ist der, dass bei der Nasenatmung die Luft verlangsamt in die Lungen befördert wird, damit sie erwärmt, gereinigt und komprimiert werden kann, wodurch die Lungen der Luft mehr Sauerstoff entnehmen kann, der wiederum für die Muskeln und deren Leistung nötig ist.
Ausatmen als wichtiger Faktor gesunder Atmung
Flache Atmung schränkt mit der Zeit den Bewegungsspielraum des Zwerchfells und die Lungenkapazität ein und führt zu der typischen Haltung derjenigen, die an Emphysem, Asthma oder anderen Lungenkrankheiten leiden – hochgezogene Schultern, herausgedrückte Brust, vorgereckter Hals. Mit folgender Atemübung kann die Atmung und damit die Haltung langfristig verbessert werden:
Ausatmen und so oft wie möglich dabei bis 10 zählen. Diese Zählübung ist genauso anstrengend für die Lungen wie ein echtes Work-out. Der Sinn dahinter ist, das Zwerchfell an den größeren Bewegungsspielraum zu gewöhnen, damit die tiefe und mühelose Atmung zu einer unbewussten Angewohnheit wird.
Langsames Atmen
Durch das langsame Atmen wird die Luft länger in den Lungen gehalten und der dort enthaltene Sauerstoff kann von der Lunge absorbiert werden, anstatt zum Großteil wieder ausgeatmet zu werden, wenn die Lufzt kürzer in der Lunge bleibt. Langsames Atmen senkt den Blutdruck und die Herfrequenz.
Weniger Atmen
Entscheidend für die optimale Atmung und für die damit zusammenhängende Steigerung von Gesundheit, Ausdauer und Lebensspanne ist, dass man sich darin übt, weniger oft einzuatmen und weniger Luftvolumen auszuatmen. Zu atmen, aber weniger zu atmen.
Abwechselnde Nasenlochatmung (Nadi Shodhana)
Diese Standard-Pranayama-Übung verbessert die Lungenfunktion und senkt die Herzfrequenz, den Blutdruck und die Belastung des sympathischen Nervensystems. Sie wirkt gut für eine Besprechung, eine Veranstaltung oder den Nachtschlaf.
- (Optional ) Handstellung: Legen Sie den Daumen der rechten Hand sanft über das rechte Nasenloch und den Ringfinger derselben Hand auf das linke. Zeige- und Mittelfinger sollten zwischen den Augenbrauen ruhen.
- Schließen Sie das rechte Nasenloch mit dem Daumen, und atmen Sie sehr langsam durch das linke ein.
- Am Ende des Einatmens halten Sie kurz inne, während beide Nasenlöcher verschlossen sind, dann heben Sie den Daumen an, um durch das rechte auszuatmen.
- Am natürlichen Ende des Ausatmens halten Sie beide Nasen löcher einen Augenblick geschlossen, dann atmen Sie durch das rechte Nasenloch wieder ein.
- Setzen Sie die Atmung durch abwechselnde Nasenlöcher etwa fünf bis zehn Durchgänge lang fort.
Resonanzatmung (kohärente Atmung)
Eine Beruhigungsübung, die Herz, Lungen und Kreislauf in einen Zustand der Kohärenz versetzt, in dem die Systeme des Körpers mit größtmöglicher Effizienz arbeiten. Keine Übung ist grundlegender, keine ist einfacher.
- Setzen Sie sich gerade hin. Entspannen Sie Schultern und Bauch und atmen aus.
- Atmen Sie 5,5 Sekunden lang sanft ein und dehnen den Bauch, während die Luft den unteren Bereich der Lungen füllt.
- Atmen Sie ohne Pause 5,5 Sekunden lang sanft aus und ziehen den Bauch wieder ein, während sich die Lungen leeren. Jeder Atemzug sollte sich wie ein Kreislauf anfühlen.
- Wiederholen Sie das mindestens zehnmal, wenn möglich öfter.
Buteyko-Atmung
Ziel der Buteyko-Übungen ist es, die Atmung auf die Stoffwechselbedürfnisse des Körpers einzustellen. Für die allermeisten Menschen heißt das, weniger zu atmen. Konstantin Buteyko hatte eine
Vielfalt an Techniken, und fast alle beruhen darauf, dass man die Pause zwischen Ein- und Ausatmen verlängert, das heißt, die Luft anhält. Hier ein paar einfache Übungen:
- Kontrollpause: Eine diagnostische Methode für die Atemgesundheit und den Fortschritt im richtigen Atmen.
- Legen Sie eine Uhr mit Sekundenzeiger oder ein Mobiltelefon mit Stoppuhrfunktion bereit.
- Setzen Sie sich gerade hin.
- Drücken Sie mit Daumen und Zeigefinger einer Hand die Nasenlöcher zu, dann atmen Sie sanft durch den Mund aus, bis zum natürlichen Ende des Atemzugs.
- Setzen Sie die Stoppuhr in Gang und halten die Luft an.
- Wenn der Drang, Luft zu holen, übermächtig wird, notieren Sie sich die Zeit und atmen sanft ein.
Wichtig ist, dass der erste Atemzug nach der Kontrollpause kontrolliert und entspannt erfolgt ; wenn er mühsam oder keuchend ist, haben Sie die Luft zu lange angehalten. Warten Sie einige Minuten, dann wiederholen Sie die Übung. Die Kontrollpause sollte nur gemessen werden, wenn Sie entspannt sind und normal atmen, nie nach körperlichen Anstrengungen oder unter Stress, und wie alle Übungen, bei denen man die Luftzufuhr einschränkt, nie am Steuer, unter Wasser oder in anderen Umständen, bei denen man sich verletzen könnte, wenn Benommenheit eintritt.
- Kurzes Luftanhalten: Bei der Buteyko-Atmung kommt es darauf an, dass man ständig übt, weniger zu atmen. Das ist das Ziel, auf das der Körper mit dieser Methode trainiert wird. Tausende Buteyko-Praktizierende und diverse Medizinforscher schwören darauf, um Asthmaanfälle und Angstattacken abzuwehren.
- Atmen Sie sanft aus, und halten Sie die Luft halb so lange wie bei der Kontrollpause an. (Wenn Sie in der Kontrollpause zum Beispiel 40 Sekunden die Luft anhalten, dann beim kurzen Luftanhalten nur 20 Sekunden.)
- Wiederholen Sie die Übung 100- bis 500-mal täglich.
Um sich daran zu erinnern, können Sie sich einen periodischen Alarm einrichten, der zum Beispiel alle Viertelstunde losgeht.
- Durch die Nase summen: Stickoxid ist ein kraftvolles Molekül, das die Kapillaren erweitert, die Sauerstoffversorgung verbessert und die glatten Muskelfasern entspannt. Durch Summen wird 15-mal mehr Stickoxid in den Nasengängen freigesetzt. Das ist die wirkungsvollste und einfachste Methode, um die Versorgung mit diesem unverzichtbaren Gas zu verbessern.
- Atmen Sie normal durch die Nase, und summen Sie dabei – irgendein Lied oder einen beliebigen Ton.
- Führen Sie die Übung täglich mindestens fünf Minuten lang durch.
Die Übung klingt vielleicht albern und fühlt sich auch albern an, außerdem verärgern Sie möglicherweise Menschen in Ihrer Umgebung damit, aber sie ist sehr wirksam.
Kauen
Angestrengtes Kauen bildet neue Knochensubstanz im Gesichtsschädel und öffnet die Atemwege, aber die meisten Menschen können oder wollen nicht mehrere Stunden pro Tag (die Zeit und Anstrengung, die man für die genannten Wirkungen investieren muss) an irgendetwas nagen. Ersatzstoffe und Apparate stehen zur Verfügung.
- Kaugummi: Kaugummikauen stärkt generell den Kieferapparat und regt das Zellwachstum an; je härter und zäher es ist, desto besser, weil man dann intensiver kaut.
- Falim, eine türkische Marke, ist zäh wie Schuhleder; jedes Stück reicht etwa eine Stunde. Mir hat Sugarless Mint am besten geschmeckt. (Andere Geschmacksrichtungen wie Carbonate, Mint Grass und die zuckergefüllten Varianten sind weicher und ekliger.)
- Mastix, gewonnen aus dem Harz des immergrünen Strauchs Pistacia lentiscus, wird auf den griechischen Inseln seit Tausenden von Jahren angebaut. Im Internet gibt es Angebote mehrerer Hersteller. Das Zeug schmeckt widerlich, bietet aber ein intensives Kiefer-Work-out.
Video- und Audiotutorials zu den Atemtechniken
Auf der Webseite von Autor James Nestor finden Sie einige Videos und Audios, die Ihnen dabei helfen, die beshriebenen Atemtechniken zu lernen und umzusetzen.
Alle Informationen stammen aus dem Buch „Breath – Atem“ von James Nestor.
Atmen heißt Leben
Das vorliegende Buch ist eine wissenschaftliche Abenteuerreise zur verlorenen Kunst und Technik des Atmens. Es erforscht die Verwandlung, die alle 3,3 Sekunden in unserem Körper stattfindet – so lange braucht der Durchschnittsmensch für einen Atemzug. Es erklärt, wie die Milliarden und Abermilliarden Moleküle, die man mit jedem Einatmen in seinen Körper holt, Knochen, Muskelscheiden, Blut, Gehirn und Organe aufbauen, und die neuen Erkenntnisse, wie diese mikroskopisch kleinen Bausteine Gesundheit und Zufriedenheit jedes Einzelnen morgen, nächste Woche, nächsten Monat, nächstes Jahr und die nächsten Jahrzehntebeeinflussen.
Sie werden die Kraft der Hyperventilation entdecken. Sie werden Pulmonauten treffen, die mithilfe der Atmung verkrümmte Wirbelsäulen begradigen, Autoimmunerkrankungen beherrschen und sich bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt innerlich aufheizen. Das ist alles eigentlich gar nicht möglich, aber Sie werden sehen, dass es doch funktioniert.