„Seit mehr als einem Jahrzehnt bin ich den größten Teil des Jahres wandernd unterwegs. Doch auch während meiner Ferien beschäftige ich mich mit meinem Lieblingsthema, indem ich Ausrüstung und Touren im Internet recherchiere oder Bücher und Magazine lese – und manchmal komme ich dabei aus dem Staunen gar nicht mehr heraus!
Das Bild, das in den Medien und durch die Werbung vom Leben auf Wanderschaft gezeichnet wird, entspricht meist so gar nicht meinen langjährigen Erfahrungen. Doch leider beeinflusst es ganz erheblich die Erwartungen von Weitwanderern, die dann von der Realität enttäuscht sind. Dabei ist der Outdoor-Alltag zwar manchmal etwas gewöhnungsbedürftig – macht aber trotzdem (oder vielleicht gerade deshalb) verdammt glücklich!”
Wandern – Was essen und trinken? Ernährung beim Langstreckenwandern
Wie die meisten Langstreckenwanderer ernähre ich mich nach der See-Food-Diät: "See food, eat it! – Siehst du Nahrung, iss sie!". Morgen esse ich meistens zum Frühstück Müsli, angerührt mit kaltem Wasser. Auf Milchpulver verzichte ich, weil das leider nur in unpraktischen Großpackungen erhältlich ist. Kaffee oder Tee entfällt bei mir morgens ebenfalls, denn die Zubereitung würde nur Brennstoff und Zeit kosten ohne Kalorien zu liefern. Alternativ kann man auch Kekse oder Poptarts frühstücken, ein bei amerikanischen Thruhikern* sehr beliebtes süßes Teiggebäck mit Zuckerglasur, – und manchmal gibt es auch Kartoffelpüree.
Mein Mittag- und Abendessen besteht in der Regel aus einem Tütengericht aus dem Supermarkt, also so etwas wie Linseneintopf oder Nudeln mit Käsesauce. Diese Gerichte sind in den USA und in den meisten europäischen Ländern verbreitet und funktionieren immer nach demselben Prinzip: Den Tüteninhalt in einen halben Liter Wasser geben und ein paar Minuten kochen lassen. Die Billig-Variante sind Ramensuppen, also ein Block Instantnudeln mit einem Päckchen Würzpulver voller Geschmacksverstärker dazu. Wenn es aber wie in Rumänien keine fertigen Tütengerichte gibt, muss man eben selber mixen. Couscous, Bulgur, Polenta, Nudeln, rote Linsen – all das kann man mehr oder minder schmackhaft mit Tütensoßen oder -suppen kombinieren. Wenn die Anleitung auf der Packung die Zugabe von Hackfleisch, Milch oder Sahne vorschreibt, sollte einen das nicht abschrecken: Meist schmecken die Würzmischungen auch nur mit Wasser gekocht ganz passabel. In einigen Ländern ergibt das einen ziemlich leckeren und abwechslungsreichen Speiseplan: Couscous in roter Thai-Curry-Sauce, mexikanische Suppe mit Bulgur oder Makkaroni mit Lachs-Dill-Sauce.
Snacks isst man über den ganzen Tag verteilt. Hierzu eignet sich alles, was ohne Kochen genießbar ist und bei geringem Volumen und Gewicht viele Kalorien hat. Das beste Kalorien-Gewicht-Verhältnis haben Schokolade, Erdnussbutter und Nüsse, aber auch Gummibärchen, Kekse, getrocknete Früchte, Chips und Cracker sind leckere Snacks. Spezielle Energie oder Proteinriegel gibt es auf Langstrecke eher selten, weil sie nicht überall erhältlich sind und ihr Preis auf Dauer meist das Budget sprengt. Schokolade ist übrigens eines der wenigen Lebensmittel, dessen fast kein Thruhiker überdrüssig wird. Wenn es so heiß ist, dass sie im Rucksack schmelzen würde, dann isst man stattdessen auch schon mal ein Glas Nuss-Nougat- Creme pro Tag, wobei das Glas aus Gewichtsgründen natürlich aus Plastik ist. Böse Zungen behaupten sogar, ich wäre nur deshalb Langstreckenwanderin geworden, weil ich so ungestraft jeden Tag ein knappes Pfund Süßigkeiten vertilgen kann …
*Wanderer, der den gesamten Weg eines Langstreckenwanderweges am Stück läuft.
Einige Langstreckenwanderer verzichten generell auf warmes Essen und ziehen ganz ohne Kocher los, wandern also stoveless. Damit sparen sie sich das Gewicht von Kocher und Brennstoff – und vor allem den Stress der Brennstoffbeschaffung. Doch leider wird diese Einsparung schnell wieder wettgemacht durch das Mehrgewicht des Proviants selbst – denn dehydrierte Tütennahrung wiegt naturgemäß weniger als sofort verzehrbare Lebensmittel. Einige hartgesottene Thruhiker essen ihre Ramennudeln auch roh, also ungekocht wie Chips bestreut mit der Würzmischung.
Manche dehydrierten Lebensmittel kann man außerdem einfach mit kaltem statt mit heißem Wasser einweichen (cold soaking) – wobei kalter Kartoffelbrei schon stark gewöhnungsbedürftig ist.
Essen dient aber nicht nur der reinen Kalorienaufnahme: An einem kalten oder regnerischen Tag hebt eine warme Mahlzeit oder ein heißes Getränk die Laune ganz erheblich – und so bin ich aus psychologischen Gründen auf langen Touren nie stoveless unterwegs.
Als Christine Thürmer gekündigt wird, beschließt sie, sich eine Auszeit zu nehmen und auf dem Pacific Crest Trail von Mexiko nach Kanada zu wandern – 4277 Kilometer. Eigentlich unsportlich und ohne Erfahrung bricht sie zu ihrem Abenteuer auf und schafft es tatsächlich bis ans Ziel. Und sie wandert weiter: Insgesamt hat sie bislang 33 000 Kilometer zu Fuß, 30 000 Kilometer mit dem Fahrrad und 6500 Kilometer mit dem Boot zurückgelegt. Christine Thürmer – unter Outdoorfans bekannt als German Tourist – gehört zu den meistgewanderten Menschen weltweit und wurde auch mit dem Triple Crown Award ausgezeichnet.
Im Interview spricht sie über die körperlichen und mentalen Herausforderungen beim Weitwandern und gibt Tipps, welche Fernwanderwege in Europa besonders für Anfänger geeignet sind.
Stell Dich bitte kurz vor. Was sollte man über Dich wissen?
Ich bin wohl einer der meistgewanderten Menschen weltweit – dabei war ich als Kind in Sport die totale Niete und fand Wandern ziemlich blöd. Stattdessen habe ich erst mal eine Bilderbuchkarriere in der Unternehmenssanierung hingelegt und war mit 39 Jahren erfolgreiche Geschäftsführerin eines mittelständischen Betriebes – und habe mit vierzig alles aufgegeben: den schicken Firmenwagen, die Sekretärin, ja sogar den festen Wohnsitz.
Seitdem bin ich als Outdoor-Junkie unterwegs gewesen: 45.000 Kilometer zu Fuß, 30.000 Kilometer mit dem Fahrrad und 6.500 Kilometer mit dem Boot.
Worum geht es in Deinen Büchern?
Ich erzähle von meinen Touren durch Nordamerika und Europa – und bei 45.000 km zu Fuß, 30.000 km mit dem Rad und 6.500 km mit dem Boot kommt da einiges zusammen ... Dabei berichte ich nicht nur von vielen lustigen und spannenden Erlebnissen unterwegs, sondern gebe auch ungeschminkte Einblicke in den Outdoor-Alltag und erkläre, wie sich die eigenen Werte und Anschauungen dadurch verändern.
Hat sich Deine Lebensplanung durch das Bücherschreiben verändert?
Ja und nein: Schon bevor ich mit dem Bücherschreiben begonnen habe, habe ich mich gefragt, was das ideale Verhältnis zwischen unterwegs und sesshaft sein ist. Am Anfang meiner Outdoorlaufbahn war ich 9 bis 10 Monate pro Jahr unterwegs, was über die Jahre auch ganz schön anstrengend war. Im Moment peile ich 50/50 an, also sechs Monate on Tour und sechs Monate Bücherschreiben und Vorträge halten, wobei mich da weniger wirtschaftliche Interessen treiben. Ich hoffe einfach, dass das ein gutes Verhältnis zwischen körperlicher/intellektueller Aktivität und Ruhephasen ist. Mein Lebensstandard hat sich dadurch nicht verändert.
Du bist über 45.000 km gelaufen – wie hält Dein Körper diese Dauerbelastung aus?
Zunächst mal betreibe ich ja keinen Leistungssport, sondern mache lediglich das, wofür unser Körper mal konzipiert worden ist: Laufen! Jahrtausende lang sind unsere Vorfahren als Jäger und Sammler gewandert - und ich mache nichts anderes! Dabei bin ich weder besonders schnell noch besonders schwer unterwegs und breche auch keine sonstigen Rekorde, sondern kann mich dabei auch noch relativ gut und ausgewogen ernähren. Und daher kommt mein Körper ausgesprochen gut mit der Dauerbelastung klar! Nicht ich mache etwas Ungewöhnliches, sondern der Großteil der Bevölkerung der Industrienationen, denn eine dauerhaft sitzende Tätigkeit bekommt unserem Körper viel schlechter als wandern ...
Denkst Du daran, mal wieder sesshaft zu werden?
Nein, ganz im Gegenteil! Je länger ich unterwegs bin, desto mehr Ideen für neue Touren bekomme ich! Ich habe eher Angst, dass ich nicht mehr alles schaffen werde!
Was wäre Deine Empfehlung für einen Anfänger im Wandern?
Da hätte ich Dutzende von Ideen, aber mein Favorit für Anfänger ist ein „thruhike“ durch Ungarn auf dem Kektura, dem blauen Band. Warum Ungarn? Wildzelten ist dort genau wie in Skandinavien legal - und auch total einfach machbar, weil der Weg fast durchgängig durch grandiosen alten Buchenwald führt. Der Weg hat eine hohe „Fehlertoleranz“, d.h. selbst wenn man irgendeinen blöden Anfängerfehler macht, lässt sich das einfach ausbügeln. Z.B. sind Unterkünfte in Ungarn so billig und einfach erreichbar, dass man schlechtes Wetter einfach aussitzen kann. Die Markierung ist ausgezeichnet, so dass man sich gar nicht verlaufen kann. Vor allem aber ist das Gelände einfach und es gibt keine klimatischen Extreme. Und Kektura hat einen hohen „Spaßfaktor“! So gibt es am Weg einige wunderbare Thermalbäder und zwei Weltkulturerbestätten. Das Essen ist großartig und vor allem preiswert. Ein Glas Wein kostet 80 Cent und die Palatschinken sind die Wucht! Und im Gegensatz zur landläufigen Meinung ist Ungarn nicht platt, sondern im Norden durchgehend hügelig. Mit 1000 km hast Du dann einen thruhike durch ein ganzes Land gemacht. Und die ungarische Sprache fühlt sich schon ganz schön exotisch an ...
Wie motivierst Du Dich, wenn Du unterwegs einen Durchhänger hast?
Ich könnte wahrscheinlich ein ganzes Buch zu dem Thema schreiben ;-). Daher will ich mal den wichtigsten Punkt rausziehen: Wer sich auf eine Langstreckentour einlässt, sollte das nicht als langen Urlaub, sondern als seine Arbeit betrachten. Denn von einem Urlaub erwartet man, dass immer alles toll ist - und das ist auf Langstrecke definitiv nicht der Fall. Dort wird es immer irgendeinen Durchhänger oder Probleme geben - egal aus welchem Grund. Als „Urlauber“ ist man dann enttäuscht - dabei war das doch eigentlich zu erwarten. Bei einem Job geht man jedoch nicht davon aus, dass immer alles super läuft und ist dann auch nicht so sehr frustriert, wenn es Probleme gibt. Ich betrachte mein Outdoorleben als meine Arbeit – aber die liebe ich über alles!
Dein Lieblingsort
Der Wald, und zwar völlig egal, ob es sich um eine Fichtenschonung in der Uckermark, einen Zypressenwald in den Sümpfen Floridas oder einen Eukalyptuswald in Australien handelt. Der Wald verbirgt mich beim Zelten, gewährt mir Schutz vor den Elementen und ist vor allem wunderschön ...
Was hast Du bei Deinen Reisen immer dabei?
Zelt, Schlafsack und Isomatte, denn unterwegs schlafe ich fast ausschließlich im Zelt oder unter freiem Himmel.
Dein liebstes Buch für unterwegs
Beim Wandern, Radfahren oder Paddeln höre ich stundenlang Hörbücher – und zwar querbeet vom amerikanischen Krimi bis zu den deutschen Klassikern. Besonders begeistert hat mich das Nibelungenlied, das ich mir in Mittelhochdeutsch mit neuhochdeutscher Übersetzung und Kommentierung durch Peter Wapnewski angehört habe.
Bücher in Papierform erleiden bei mir ein hartes Schicksal: Die gelesenen Seiten werden am nächsten Morgen sofort als Klopapier weiterverwendet. Das mache ich allerdings nur aus Gewichtsgründen – und unabhängig vom Inhalt des Buches.
Dein Soundtrack für unterwegs
Ich höre fast ausschließlich Hörbücher, doch wenn ein besonders steiler Aufstieg ansteht, dann motiviere ich mich schon mal mit harten Techno-Beats.
Was ist Heimat?
Heimat ist da, wo meine Freunde sind. Und die meisten meiner langjährigen Freunde wohnen in Berlin.
Dein wichtigster Reisetipp
Beim Langstreckenwandern – und das gilt auch für das Radfahren und Paddeln – kommt es weniger auf Trainingszustand und Sportlichkeit an, sondern viel mehr auf das mentale Durchhaltevermögen. Jeder, der halbwegs gesund ist, kann tausend Kilometer und mehr am Stück laufen. Fit wird man spätestens unterwegs. Ob man eine Langstrecke schafft, entscheidet sich fast immer im Kopf – und nicht im Körper.
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